Panamericana-Tour 2002
Samstag, 14. September

Um Acht stand ich auf, um zu ECL zu fahren. Ich mußte die Bill of Lading, die sogenannte "B/L", abholen. Mich wunderte es gar nicht, daß sie nicht da war, als ich ankam. Wozu aufregen? Ist doch egal. Ich zog los und suchte mir was Leckeres zu Essen. Zeit hatte ich ja. Es pressierte gar nicht. Ich fand schließlich einen Burger-Verkäufer mit Handkarren. Der sah nicht gerade überbeschäftigt aus, und so ließ ich mit meinen Burger maßschneidern. Hackfleisch besonders dünn, dafür drei Scheiben, fünf Käsescheiben, jeweils zwischen den Hackfleisch- und Brotscheiben verteilt, Bacon in der Mitte, drei Tomatenscheibe, die dafür gevierteilt und schön gleichmäßig uber die Burger-Etagen verteilt, das Brot mit der weißen Seite im Fett angebraten, nur den grünen Salat, einen Kreisel Ketchup auf der einen, einen Kreisel Mayonese auf der anderen Hälfte, usw. Ihm schienen meine Sonderwünsche gar nicht zu stören - im Gegenteil. Da hatte er eine Beschäftigung, und der Preis war auch noch wesentlich höher. "Hab noch nie so einen Burger machen müssen. Schmeckt er denn tatsächlich?" "Natürlich schmeckt er! Deswegen wollte ich ihn ja haben! Magst mal probieren?" Ich hielt ihm den Burger hin und er biß ab. "Stimmt. Schmeckt gar nicht mal so schlecht...", sagte er. "Sag ich doch! Mir glaubt nur nie jemand was..."

Nach dieser Stärkung ging ich wieder zurück zu ECL. Die brauchten das Papier vom Zoll. Bald schon stellte ich fest, daß ich einen anstellen sollte, der mir alles hinterherträgt. Im Normalfall macht Almut das, weil sie ständig mitdenken muß. Auf dieser Tour war es mangels Almut mit dem Denken nicht weit her, vom Mitdenken ganz zu schweigen... Ich mußte nochmal zum Hotel zurück, um das verdammte Papier zu holen. Rein ins Taxi, zurück zum Hotel, Papier eingepackt, zurück zu ECL. Das Ganze begleitet von vielen Flüchen in allen mir bekannten Sprachen...

Vor dem Reisebüro in Cartagena.

Als ich bei ECL ankam und ihnen den Zollzettel brachte, teilten sie mir voll bedauern mit, daß die B/L immer noch nicht eingetroffen war. Jetzt mußte ich langsam ungemütlich werden. "Leute! Was ist denn das schon wieder? Mein Flugzeug geht heute und ich brauch die blöde B/L! Also seht mal zu, daß die irgendwie herkommt, sonst krieg ich einen Zorn! Das Auto ist im Container, die B/L muß irgendwo sein. Und wenn irgendwer meint, er bekommt von mir Schmiergeld, weil ich es eilig habe, dann hat er sich sich geschnitten. Bitte gegebenenfalls weitersagen. In Panama habe ich nämlich wieder alle Zeit der Welt und mein Auto bekomme ich dort auch ohne B/L aus dem Container..." Um Gottes Willen! Schmiergeld? Will keiner. Es ist sicher nur ein Irrtum und man wird sich unverzüglich darum kümmern. "Gut. Dann verstehen wir uns ja. Dann kann ich ja nun zum Reisebüro und mein Ticket holen..." An der Tür drehte ich mich noch einmal um, setzte meine Sonnenbrille auf und sagte, mit ausdruckslosem Gesicht "Dill be back!", grinste breit und verschwand.

Um 10:30 Uhr fuhr ich ich wieder zum Hotel, holte Gabi ab und wir gingen zum Reisebüro. Ich ging wieder zu der Dame vom Vortag. Sie wußte noch bescheid. Ich packte die Story wieder aus von wegen ich hätte nur die Kopien, da die Originale zur Ausstellung der Schiffspapiere schon in Panama seien. Sie schluckte es und bat um die Kopien, um davon wieder Kopien anzufertigen. Kein Problem. Es klappte alles soweit. Nur das mit der Ausstellung der Tickets ging nicht reibungslos. Die Kopien wurden irgendwohingefaxt, dann wurde gewartet. Diese niedrige Warterei! Da hat man ewig Zeit zu überlegen, was alles schiefgehen könnte und plötzlich kommen einem die absurdesten Gedanken. Was man alles übersehen hat. Bald schon glaubte ich nicht mehr daran, daß der Trick klappen könnte. Fuck! Dann zahlen wir halt den vollen Preis. Was solls... Aber meine Bedenken waren aber völlig aus der Luft gegriffen. Nach fast zwei Stunden hatten wir unsere zwei Tickets und bezahlten den Preis von einem. Das passte. Wenigstens hatte das geklappt. Glück und Zufall waren wieder einmal auf meiner Seite.

Eigentlich schloß das Reisebüro um Zwölf, aber wir verließen es erst um Viertel nach - mit den Tickets in der Hand. Gabi zum Hotel, ich zu ECL, um mich nun um diese B/L zu kümmern. Und nun, da der Zeitdruck weggefallen war, da wir unsere Tickets hatten, würde ich nicht weichen, bis daß ich auch die Bill of Lading in den Händen hielt. Auf der Fahrt bereitete ich mich mental auf die nun folgende Auseinandersetzung vor. Das Taxi hielt vor dem Gebäude, ich ging hinaus und wurde von dieser schwülen Karibikluft fast erschlagen. Schnell rein ins Gebäude. "I' m back!", sagte ich, und steckte die Sonnenbrille in die linke Brusttasche. Die Frau grinste und deutete mit dem Kugelschreiber auf ein Papier aus ihrem Schreibtisch. "Da wartet was auf Dich! Kam zwei Minuten, nachdem Du gegangen warst." War ja so klar. "Perfektes Timing! Dafür bin ich bekannt..." Ich nahm sie, setzte ich hin und studierte mit wichtiger Miene das Papier. Nickte zuweilen wissend. Sah dann die Frau anerkennend an. "Alles verstanden?", fragte sie mich. "Ni mierda", sagte ich (wörtl.: "nicht mal Scheiße", heißt soviel wie "Ich versteh überhaupt gar nichts!"). Da fingen sie beide an laut zu lachen, der Frau tränten die Augen. Als sie sich wieder beruhigt hatten, fragte sie mich, ob sie es mir erklären soll, was da draufsteht. Ich hatte eh nichts mehr vor, hier gab es eine Klimaanlage, und die Leute waren nett, also blieb ich hier eine Weile, ließ mir alles genau erklären, verstand hinterher nicht viel mehr als zuvor, war aber auch egal. Ich muß nicht wissen, was im Einzelnen auf dem Wisch steht. Es reichte, wenn ich wußte, wie ich ihn anwendete.

Um 13:20 Uhr verließ ich ECL und fuhr zum Hotel zurück. Es war nun alles erledigt. Das Auto war auf dem Weg, die Tickets hatten wir in der Tasche. Wir mußten nur noch auf den Flug warten. Und der ging in etwa 24 Stunden. Jetzt könnte ein Urlaubs-Feeling aufkommen - eigentlich. Aber ich war mir sicher, daß sofort bei meiner Ankunft am Hotel dieses Gefühl zunichte gemacht würde.

Die Eingangshalle des 'Viena'.

Dem war allerdings nicht so. Zumindest kam es mir nicht so vor - vermutlich, weil ich mich auf das Gegenteil eingestellt hatte. Vielleicht ist das der Trick. Ich muß mir die Situationen einfach nur so schwarz wie möglich malen, dann stört die Realität nicht so sehr... Yoyo gab ich das Zeug zurück, das er mir gegeben hatte, um den Ausweis zu basteln. "Hat's funktioniert?", wollte er wissen. "Ja. Erstaunlicherweise..." Klar funktioniert das nur, weil wir Ausländer sind. Erstens kennen sie die ausländischen Papiere nicht, zweitens traut man Europäern grundsätzlich nicht zu, daß sie Schabernack mit Papieren trieben.

Gabi unterhielt sich mit einem Türken, der eine Zeit in Deutschland gelebt hatte. Er war mit dem Rucksack unterwegs und das ist eine sehr seltene Erscheinung. Als Touristen habe ich die noch nie gesehen. Die trifft man im Ausland sonst nur als Ansässige. Er fragte, ob wir auch in Chile gewesen seien. Ich erzählte ein wenig über Chile. Dort fangen die Leute langsam an, indigen auszusehen. In Argentinien und Uruguay trifft man vorwiegend noch Europäer, aber mit dem Überqueren der Anden sieht die Sache schon anders aus. Gabi war natürlich anderer Meinung. "Stimmt überhaupt nicht. In Chile", so meinte sie, "waren alle weiß." Natürlich wird dabei die Lautstärke hochgedreht.

Santiag de Chile
Fußgängerzone in Santiago de Chile im Jahr zuvor. Kein Weißer, weit und breit... Aber "alle waren weiß". Naja, wer weiß...

Aber wie schon gesagt: Es diskutiert sich ergiebiger mit einer Parkuhr. "Dann waren sie halt weiß..." Ich ging wieder zurück und kümmerte mich um meine eMails, um etwas Sinnvolles zu tun. Danach brachte ich das KTB auf den neuesten Stand.

Wir suchten später dann noch einen Laden in der Nähe, in dem wir etwas essen konnten. Eine Pizzeria am Ende der Straße gab es, in der sich allerdings lauter Kaputte tummelten. Mich störte es nicht. Ich fand es eher amüsant. Und das Essen war nicht das schlechteste. Danach schlenderten wir zurück, sahen uns die Gegend an, aber die Läden waren alle dabei, die Pforten zu schließen für heute.

Noch einmal zu Fuß durch Cartagena.

Cartagena gefiel mir. Das Klima war zwar furchtbar, aber das würde sich wohl bis zu unserem Endziel nicht mehr ändern. Ich sah mir hier und da noch die eine oder andere Ecke an. Ich mußte mich über die Amis aufregen. Die sind schließlich schuld, daß die Straße hier nicht durchgeht. Dieses Darién-Gap ist ein Kunstgebilde. Brauchen sich nicht wundern, wenn sie keiner mag. Und wenn sie dann mal selber ein Hochhaus verlieren, dann geht das große Geheule los. War came home... Es gehört schließlich zum Geschäft, daß die anderen auch mal ein Gebäude treffen. Die praktizieren das seit Jahrzehnten. Und die 3.500 Leute, die bei der Twin-Towers-Action "befreit wurden", stehen in keiner Relation zu den Hunderttausenden, die durch amerikanische Bomben unter den Trümmern begraben wurden. Die Opferzahl ist sogar recht gering, wenn man bedenkt, daß es leicht auch 35.000 hätten sein können, wäre im Gebäude Hochbetrieb gewesen... Wehleidiges Geschrei kann nur von Leuten kommen, für die Krieg ein Videospiel ist. Schon ärgerlich, wenn man jedesmal Weltmeere durchqueren muß, um in fremden Ländern die Freiheit Amerikas zu schützen, um sogenannte "reine Verteidigungskriege" am anderen Ende der Welt zu führen. Dort die Völker zu "befreien", und sich dann wundern, wenn diejenigen sich in gleicher Weise erkenntlich zeigen, zeugt von einer gewissen Einfalt. Aber damit hatte ich schon viel Erfahrung gesammelt. Besonders auf dieser Fahrt...


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