Das Fieber war immerhin weg. Das war schon mal sehr gut. Doch einen Grund, auf den Vulkan zu gehen, sah ich immer noch nicht. Ich schob es auf das Wetter. Aber im Grunde wußte ich, daß das nur eine Ausrede für mich selber war. Immerhin gilt der Arenal als der absolute Höhepunkt einer Reise Costa Rica. Die paar US$ Eintritt für den Nationalpark mochten der Grund für Gabi gewesen sein, sich den Kegel nicht näher anzusehen. Ich hatte mit dieser Fahrt bereits vor langem abgeschlossen, und überhaupt keine Lust, mehr mit Gabi zu unternehmen, als unbedingt nötig. Man müßte nochmal ganz von vorne anfangen, und zwar mit der bewährten Standardbesatzung für Interkontinentaltouren: Almut, Ines, Harald oder Joe. Die kann man auch beliebig kombinieren und braucht keine Angst zu haben, daß es zu irgendwelchen Reibereien kommt. Leider hatte von denen keiner Zeit, mit ihrer Studiererei.
Unser Nachtplatz vor dem Arenal. Zusammengepackt und Abfahrbereit. |
Ballermann-Touristen auf so eine Tour mitzunehmen, ist wie mit Balettschuhen ins Gelände zu laufen. Das kann nicht gutgehen. Und was anderes war Gabi nicht. Gardasee, Costa Brava, Mallorca, das ist so ihr Niveau. Hauptsache billig, in der Art "Eine Woche Mallorca für nur 199 DM". Es machte einfach keinen Spaß. Es ging mir nur noch um das Ankommen. "Man reist nicht, um anzukommen, sondern um Unterwegs zu sein." Aber das hier war keine Reise, sondern, wie Gabi es mehrfach richtig nannte: Es war ein Urlaub. Das dümmste Urlaubskonzept, das man sich denken kann, zwar, aber Urlaub. Von einer Reise hatte das hier nichts, nur, daß man sich nicht zehn Wochen an einem Ort befand. Man will möglichst viele Touristische Attraktionen zwischen Cuzco und Yucatan besuchen und auf den ersten Blick erscheint das Auto gerade passend. Erst auf den zweiten Blick wird einem klar, daß man das besser mit dem Flugzeug macht, wenn man sich nur die "Highlights" ansehen will. Denn mit dem Auto verbringt man die meiste Zeit "on the road", mit dem Flugzeug kann man die einzlnen Punkte anfliegen, anschauen und weiter. Aber dafür war Gabi wieder zu geizig, nur: Man soll nicht am falschen Ende sparen. Hätte sie sich mehrere Flüge gebucht, ein paar Übernachtungen in Jugendherbergen oder sonstwo, dann hätte sie viel mehr von der Reise gehabt - bei ähnlich hohen Kosten, denn der Diesel fiele dafür weg. Die Zeit ist genau eingeteilt, wie in der Kaserne, da braucht sie sich nicht umzustellen, Streß zu schieben, bekommt alles gesagt, einen Zeitplan, der auch eingehalten wird. So kann sie für das gleiche Geld Lateinamerika richtig konsumieren. Den Dreck zwischendrin, die staubigen Straßen, die bettelnden Kinder, die Krüppel und Gauner, die sie eh nicht sehen will, das alles müßte sie dann auch nicht sehen. Denn bei Touristen-Attraktionen werden diese Leute meist von privaten Sicherheitsdiensten mit der Pumpgun von den Touristen ferngehalten. Auf diese Art und Weise zu reisen, wie wir es taten, mußte zwangsläufig danebengehen. Die Länder an sich will sie sich doch gar nicht anschauen müssen. Kaum kommt ein Einheimischer daher und läßt einen Text ab, kriegt sie die Panik, als wollte er ihr etwas tun. Ihr! Wie absurd! 5.000 DM wurden hier in den Sand gesetzt. Beim nächsten Mal einfach 5.000 DM bei der TUI investieren, und einen Urlaub buchen, dann hat man mehr davon. Wir hatten noch fast 20 Tage Zeit, hätten also mit wenigen Kilometern am Tag noch gemütlich alles ansehen können. Aber wo im Lonely Planet nichts steht, da gibt es wohl auch nichts zu sehen. Beweisführung: Sonst hätte schon jemand etwas dazu geschrieben. Und selbst wenn es was zu sehen gibt: Es macht einfach keinen Spaß. Unsere Auffassungen von Reisen sind einfach inkompatibel.
Um halb Acht fuhren wir nach La Fortuna hinunter. Wir waren zwar schon vor Acht da, aber das nüzte uns nichts, weil außer uns noch keiner wach war.Es war noch nicht viel los hier im Kaff. Um Acht ging Gabi in einen dieser Telephonläden telephonierte Gabi mit ihren Eltern. Das dauerte etwa eine fünfzehn Minuten, eine halbe Stunde. Dann kam sie wieder und erzählte, was sich daheim so tat.
Der nächste Programmpunkt war Sta. Elena. Dort wurden "Canopy-Touren angeboten". Nachdem ich keine Ahnung hatte, was das überhaupt sein sollte, ließ ich es mir erklären: Da sind Seile über den Dschungel gespannt, und mittels einer Vorrichtung "fliegt" man gewissermaßen, an diesen Seilen entlang über den Dschungel. Der Beschreibung nach wie diese Seilkonstruktionen an Kinderspielplätzen, nur etwas größer gehalten. Eine bessere Erklärung findet man bei MonteverdeInfo. Nun, wenn's Spaß macht...
Im Lonely Planet stand etwas von einer deutschen Bäckerei. Ich wußte schon gar nicht mehr, wie eine Breze aussieht, geschweige denn wie sie schmeckt. Das wollte ich mich nicht entgehen lassen. Wer weiß, wann es dazu wieder Gelegenheit gibt. Die Gegend hier sah etwas suspekt aus. Es gab Häuser, oder Höfe, die stark an die alpine Bauweise erinnerten.
Sogar die Schilder begrüßen den Reisenden mit "Grüezi" |
Nur die Vegetation passte nicht in die Landschaft. Oder waren es die Häuser, die nicht so recht hierherpassen wollten? Irgendwas sah komisch aus. Vertraut und doch so fremd. Und bei der deutschen Bäckerei hatte ich auch kein Glück. Quer davor hing ein Schild mit der Aufschrift "Closed". Schade. Ich hatte mich auf eine gescheite Breze gefreut... Dann halt nicht. Weiter geht's, durch die Mittagshitze ohne Breze.
Wir blieben noch ein wenig auf der Hauptstraße. Als wir von der abgebogen waren, setzte eine Piste ein. Die war nicht viel schlechter als die Straße, nur schmaler und weniger befahren. Aber zum glück keine Laster. Die Leute, die hier fuhren drosselten bei Gegenverkehr. Meine schönen Scheinwerfergläser. Die waren noch aus Uruguay und ich hatte vor, diese länger zu nutzen. Zwar gab es hier auch 123er, aber die meisten die ich sah waren schon US-Modelle. Die hatten andere Scheinwerfer. Sahen furchtbar aus. Die Stoßstangen dafür umso besser.
Die Piste wurde immer schlechter. Tiefe Auswachungen durchzogen sie von der einen Seite zur anderen, ich mußte immer mehr arbeiten, um den Daimler den Berg hinaufzubringen, ohne ihn aufsitzen zu lassen. Hinter einer Biegung stieg die Straße steil an. Schon vor der Biegung wurde sie immer steiler. Welches Genie hat nur diese Straße angelegt. So etwas hatte ich auf der ganzen Welt noch nie gesehen. So etwas Dummes! Genau da, wo ich Schwung nehmen muß, um den nächsten Anstieg zu schaffen, genau da muß ich gleichzeitig vom Gas, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Rückwärts fuhr ich wieder hinunter bis zu einem Punkt, an dem eine Beschleunigung noch möglich war. Erster Gang, hinauf und möglichst eine Gasse finden, damit ich bei Querrillen nicht bremsen mußte. Es war möglich, wenn es auch arg schaukelte. Aber der Diesel blieb wieder vor der Kuppe liegen. Wieder hinunter.
Gabi und einige Gepäckstücke mußten raus. Noch einen Anlauf. Erster Gang, Vollgas, Zweiter Gang, Vollgas, bis die Tachonadel in die Nähe der Vierzig kam, dann schnell in den Ersten, Vollgas und gefühlvoll einkuppeln. Wieder nichts. Ich probierte es noch ein paar mal, versuchte genau die maximale Geschwindigkeit zu fahren, aber es klappte nicht. Auch im Rückwärtsgang klappe es nicht. Wäre es die Hauptstrecke, die wir fahren mußten, um weiterzukommen, hätte es Mittel und Wege gegeben. Aber ich sah keine Veranlassung, meine Kupplung zu ruinieren, für jemanden, der nicht mal bereit war, beim ent- und beladen des Autos mitzuhelfen, und das hätten wir tun müssen, um den Berg hinaufzukommen. Und ich wollte da ja auch gar nicht hin. Sollte sie also den Rest zu Fuß gehen. Ich steckte mir eine Kippe an, lud wieder ein und sagte zu Gabi, daß es nicht mehr weit sei, und daß sie ja auch per Anhalter fahren könnte, wenn das mit dem Laufen unangenehm sei. Ein LandCruiser fuhr an uns vorbei. Gabi hielt den Daumen raus. Der Beifahrer gab ihr "Thumbs up!" und der LandCruiser fuhr ungebremst weiter. "Probier's mal so!", sagte ich zu Gabi, und streckte meinen Zeigefinger in Richtung Berg, "Wenn Du nämlich so machst", ich zeigte mit dem Daumen in Richtung Berg, "heißt das womöglich, daß alles OK ist..." Sie neigte den Kopf zur Seite, schlatete auf Besserwisser und meinte "Das da!", und hielt den Daumen raus, "Heißt 'Ich will mitfahren'!" Ich drehte mich um, ging zurück zum Auto. "Ja, Gabi...", sagte ich laut, "In Deutschland...", fügte ich etwas leiser hinzu, und beendete den Satz, mit ein paar kaum vernehmbaren Beschimpfungen. "Ach, Fuck!", schrie sie. Das nächste Auto kam vorbei, hielt an und nahm sie mit. Keine Ahnung, woran es lag.
Auf der Piste nach Sta. Elena. |
Ich blieb jedenfalls beim Auto, machte meinen Eintrag ins KTB, setzte mich in Auto und wartete auf den Sandblechen schlafend ab, bis die andere wieder zurückkam. Ich konnte es erwarten, also mich pressierte es nicht. Vielleicht kamen ja zwei Backpackerinnen mit zuviel Geld und zuwenig Spanisch vorbei, die einen Urlaub in Costa Rica gebucht hatten, aber lieber Nicaragua oder Honduras erkunden wollten und einen Fahrer brauchten. Das einzige, was mir an der Vorstellung nicht gefiel war, daß ich zwangsläufig das dumme Gesicht von Gabi verpassen würde, wenn sie zurückkommt und der Benz ist weg.
Vor vier Jahren hatte ich das Glück schon mal, und zwar irgendwo in Libyen, wo sich kaum ein Tourist hinverirrt, und schon gar keine Touristinnen - zumindest nicht unbegleitet. Wieso sollte das in einem Touristenlad wie Costa Rica auf dem einzigen Weg zu einer bekannten Touristenattraktion nicht passieren? Das, allerdings, sind Fragestellungen, die man sich mit der Zeit abgewöhnt. Wieso hatte es damals in Abidjan funktioniert, daß wir ein Schiff bekamen, das nach Südamerika fuhr, und das uns mitnahm, obwohl alles dagegensprach und alle Schiffe nach Europa fuhren, nur einige wenige nicht? Und wieso klappte es mit der Verschiffung nach Zentralamerika nicht, obwohl es Schiffe in Hülle und Fülle gab, und sie alle nach Panama fuhren? Jeder Reisende glaubt und vertraut dem Zufall. Was anderes bleibt auch nicht übrig. Es gibt ja keine zuständige Stelle, bei der man sich beschweren könnte...
Doch diesmal wollte der Zufall nicht so wie ich. Allen meinen Wahrscheinlichkeitsrechnungen zum Trotz kamen keine zwei reiche, nette Blondinen mit viel zu schweren Rucksäcken vorbei. Stattdessen kam Gabi gegen vier Uhr angewackelt. Wir konnten weiter. Lovely...
Keine Zwanzig Kilometer nördlich von uns war ein See. Dort, meinte Gabi, sollten wir uns einen Nachtplatz suchen. Einwände erechtigt, jedoch zwecklos. Also los. Motor an und durch - oder so. Kurz bevor wir am See ankamen, fuhr ich an einer Tankstelle hinaus, um Diesel und Wasser aufzufüllen. Während der Tank von selbst vollief, suchte ich nach Wasser. Ich mußte auch gar nicht weit laufen, denn neben der Zapfsäule stand ein riesiges Faß. Darinnen ein Schlauch. Ich schnallte den Brauchwasserkanister vom Dach. Ich gehe damit zurück zum Faß, da geht die beifahrertür auf und ein anderes Faß quakt: "Du nimmsch jetzt fei nicht das stehende Wasser aus dem Faß!" Ich ignorierte die Meldung einfach. "Hasch g'hört?" "Ja! Du kannst es auch gerne selber machen, wenn Dir was nicht paßt! Außerdem ist da ein Schlauch drinnen!" "Kann ich ja nicht wissen!", sagte sie und knallte die Tür wieder zu. "Genau", murmelte ich, "mach die Tür zu und halt die Fresse!", murmelte ich vor mich hin, während ich den Kanister voll Wasser ließ. Natürlich kann sie es nicht wissen. Bei ihrer Größe sowieso nicht in das Faß hineinsehen, und selbst wenn, müßte sie sich dazu glatt bewegen und aussteigen, statt wie eine fette Unke auf dem Sitz zu hocken und unsinnige Anweisungen zu erteilen.
Der einzige Berg, den der Benz bisher nicht bezwang lag nicht in den Anden, sondern hier. |
Wir fuhren weiter an den See. Um 18:00 Uhr hatten wir ihn erreicht. Sofort begann die Nachtplatzsuche. Wir fuhren den See entlang, in der Hoffnung eine gute Stelle zu finden. Je näher man am Äquator ist, desto früher muß man mit der Nachtplatzsuche anfangen. Es wird gegen sechs Uhr abends Dunkel und die Dämmerung dauert nur ein paar Minuten. Danach sieht man nichts mehr. Hinzu kommt die Vegetation, die versterrt die Sicht. An den Wendekreisen ist das sehr angenehm - aber von denen waren wir noch weit entfernt. Mindestens genauso weit wie vom Äquator. Jede Piste, die von der Straße in Richtung See ging, wurde nachgefahren. Aber sie alle endeten immer vor irgendeinem Gebäude. Oder es war nirgendwo ein Platz zu sehen, an dem man das Auto abparken konnte. Nach geschlagenen zwei Stunden fand ich es unsinnig, weiterhin hier nach einem Nachtplatz zu suchen. In der Zeit hätten wir selbst in Costa Rica 150 km schaffen können. Ich brach die Nachtplatzsuche ab und fuhr zurück auf die PanAm.
Anderthalb Stunden später fand ich einen Nachtplatz. Etwa 40 km vor Liberia, auf einer Piste neben der PanAm, kurz hinter einer dubiosen Holzbrücke, bei der ich mir erst nicht sicher war, ob sie das Gewicht überhaupt aushalten würde. Aber kein Einheimischer macht sich Gedanken, ob die Brücke hält oder nicht. Er fährt einfach drüber. Wenn sie nicht halten würde, wäre vor ihm schon einer draufgefahren und sie wäre bereits eingestürzt. Es ist ein System, das auch funktioniert. Man muß nur hoffen, daß man selber nicht derjenige ist, bei dem sie einkracht. Ich war's jedenfalls nicht. Das Auto stand gut in einer Bucht am Straßenrand. Heute war allerdings wieder Vollschutz angesagt. Moskitonetz und sogar ein Handtuch zum zudecken. Eintrag für's KTB: "2130 NPL bei "Cataratas", neben PanAm 755406, 40 km vor Liberia". Alles weggepackt, Türen verschlossen und verriegelt, eine Cigarrette und Feuer nahm ich mir noch mit, rauchte sie auf den Blechen liegend und brannte in der Dummheit ein Loch in das Moskitonetz. Genug für heute.