Gammel in Mexiko 2003
Mittwoch, 25. Juni

In der Nacht hat es nicht geregnet und die Temperatur war richtig angenehm. Nur eine dumme Grille hat sich in der Nacht unter das Moskitonetz geschlichen und fing an zu lärmen. Das hab ich ihr gründlich ausgetrieben. Nichts gegen Grillengezirpe, aber wenn die Quelle genau neben meinem Ohr sitzt, dann hört sich das eher furchterregend als romantisch an.
Der LKW-Fahrer weckte mich tatsächlich um halb Acht.
Duschen gab es auch, kosteten 5 Peso, also 50 Cent. Sehr appetitlich sah es da nicht aus, denn irgendein Idiot hat gemeint, seinen Müll in die Dusche kippen zu müssen. Man hätte glatt meinen können, in Deutschland zu sein. Als ich den Müll in den dafür vorgesehenen Eimer tue fällt mir da eine Zeichnung in die Hände. Ich erkannte sie genau, das war die, die ich für die Klappe der Rezeption im Eclipse angefertigt hatte. Damit hatte ich den "Idioten" ausfindig gemacht, es kann niemand anderes gewesen sein, als José. Der hatte wohl die Kühlbox "saubergemacht". Ich sagte nichts.
Gegen 8:30 Uhr waren wir Abfahrbereit. "Let's hit the road..." Es ging auf die nächste Stadt zu, das war Veracruz.

Wir waren mal wieder die Letzten, alle LKW waren schon gefahren.

Wir fuhren weiter auf die Autobahn, die sich nach etwa 50 km in eine Landstraße verwandelte. Generalrichtung war Veracruz. Das war billiger und es sollte eigentlich auch nicht langsamer sein, ich konnte eh nicht schneller fahren als 80, denn die rechte Gelenkwelle war immer noch provisorisch gerichtet. Die neue liegt seit Dezember 2001 im Kofferraum und wartet auf ihren Marschbefehl.
Nach etwa zwei Stunden gemütlicher Fahrt führte die Straße direkt in eine Militärkontrolle. Wieder aussteigen, denn wieder war eine Durchsuchung angesagt. "Jaja, kein Problem, sind schon an die fünf mal durchsucht worden..." Er fragte nach dem Woher und dem wohin, ich antwortete höflich und man ließ uns bald weiterfahren. Irgendwo hier mußten wir die Grenze zwischen Tabasco und Veracruz passiert haben. Eine Stunde später wieder Militärcheckpoint. Ich stellte den Motor ab, stieg aus, winkte ab, als man mir die Prozedur erklären wollte. Mit Plastikkarten kamen sie da an, um ihr Tun zu rechtfertigen. "Guter Mann, ich gehe davon aus, daß das Ihr Job ist und daß sie das nicht zum Spaß machen, ich hab hier nichts zu verstecken, suchen Sie, solang sie wollen, Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig." Er bedankte sich für das Vertrauen, das eigentlich keines war, sondern nur ein Versuch, das ganze zu beschleunigen und sah selbst ziemlich schnell, daß von mir nicht wirklich eine Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht. "Wo kommst Du denn her?", fragte mich der Chef. "Aus Deutschland..." Er zeigte auf das Auto und sagte, daß das Auto auch so aussähe, als wäre es von Deutschland hergefahren. "Ja, das Auto hab ich auch mitgebracht. Was ist schon ein Mann ohne Auto, nicht wahr?" Er zeigte auf meine Klamotten und fragte, ob ich beim Militär sei. "Oh, no, Señor, in meinem Land gibt es kein Militär. Die Deutschen müssen ihre G3 Euch Mexikanern überlassen, weil sie damit nichts anzufangen wissen", dabei zeigte ich auf den Soldaten, der etwa drei Schritte weiter im Schatten stand, ein G3 vor der Brust hielt und sich bemühte, möglichst pflichtbewußt dreinzuschauen. "Woher weißt Du, daß das ein G3 ist, wenn Du nicht beim Militär bist?" "Das sieht man. Und ich weiß das, weil ich eben nicht beim Militär war." Da dreht er sich zum anderen um und meint: "Und uns erzählen sie, die Deutschen hätten im zweiten Weltkrieg die beste Armee gehabt...", dreht sich zu mir und meint: "...dann stimmt das alles gar nicht?" Ich winke ab, "Schon, aber wer hat denn am Ende gewonnen? Und der Zweite Weltkrieg ist nun doch ein paar Jahre her und seitdem hat sich einiges geändert. Unter anderem eben auch, daß man die Armee abgeschafft hat. Und stattdessen haben wir jetzt eine Escuela Federal de Bailarinas..." ich versuche ihm das zu verdeutlichen, indem ich eine Ballerina nachmachte, was mir nicht ansatzweise gelang, aber dennoch oder gerade deswegen unter den Soldaten für brüllendes Gelächter sorgte. Als Dank für die kleine Einlage gab man uns die Papiere zurück und winkte uns weiter und verzichtete auf die Durchsuchung. So soll es doch sein. Und ich war sehr erfreut darüber, daß es nicht gestimmt hat, was uns so viele erzählt hatten, nämlich, daß die Autoritäten hier sehr korrupt seien. Bisher keinerlei Probleme, nirgendwo.
Ich folgte den Wegweisern nach Coatzacoalcos. Was eigentlich idiotisch war, aber auf den Schildern stand nur das Kaff, das auf unserem Weg lag. Irgendwo vorher sollte man eigentlich nach Minatitlan gewiesen werden, aber den Wegweiser haben wir entweder übersehen, oder er war nicht da. Plötzlich befanden wir uns in Coatzacoalcos. Wir fuhren über eine Brücke, die an die in Porco Alegre erinnerte. Ab und zu wir diese hochgezogen damit Schiffe passieren können, was dann bestimmt auch hier zu endlosen Staus führt. Zum Glück war sie zu, ich hätte mich sonst etwas geärgert, denn wären wir direkt nach Minatitlan gefahren, wären wir an keine solche Brücke gekommen. Als ich dann durch die Stadt fuhr, den Schildern nach Minatitlan folgend, pfiff mich ein Verkehrspolizist rechts ran. Er begrüßte uns höflich, bat um die Papiere, die ich ihm gleich herausgab, und machte mich darauf aufmerksam, daß mein Auto zu sehr qualmen würde, und daß das ein Verstoß sei. Geht das schon wieder los? Lang hat's ja gedauert... Also, dann wollen wir mal wieder. "Echt?", sagt ich betont erstaunt, stieg aus, trat aufs Gas und sah nach hinten. Alles normal, eher zu wenig Qualm. "Nein, Señor, das ist ein Diesel, die qualmen etwas mehr als Benzinautos." Das sei aber nicht alles. Die Windschutzscheibe hätte einen Sprung. "Ja, ich versuch auch schon seit Cancún eine neue zu kriegen, aber das ist unmöglich, weil das Auto hier sogut wie nicht existiert." Da stimmte er mir auch zu. Dann ging er zum Kofferraum und zeigte dort auf die Dulle, die der Baum hinterlassen hatte. Das sei auch verboten. "Wie? Ich hab hier Autos gesehen, die sahen viel schlimmer aus, das beeinträchtigt nicht die Verkehrssicherheit." Es entspann sich der sinnlose Dialog, der jedesmal anders und doch wieder gleich verläuft: "Aber es ist verboten", sagt dann der Bulle. "Die Dulle hab ich schon seit Jahren, ich bin mit dieser Dulle und mit der kaputten Windschutzscheibe in das Land gefahren, sie können aus den Papieren ersehen, daß das Auto inspiziert und für in Ordnung befunden wurde, ich darf hier damit so fahren, da ich so ins Land kam, wenn an dem Auto was zu beanstanden ist, dann sagen die mir das an der Grenze und nicht erst 1.000 Kilometer später. Sonst komm ich nämlich das nächste mal mit einem Panzer und was machen sie dann?" Er kramt ein Buch raus um mir zu Zeigen, daß sein Tun rechtens ist, was es nicht ist, sondern nur wieder einer dieser dummen Versuche, an anderer Leute Geld zu kommen. In dem Buch steht nichts anderes drin, daß die Papiere von Autos, die nicht in Ordnung sind, eingezogen werden dürfen. "Schön, sag ich, da das Auto aber in Ordnung ist, können sie mir die Papiere also wieder aushändigen." Ich halte ihm die Hand hin, aber er gibt mir die Papiere nicht. Nur meinen Führerschein und meinen Fahrzeugschein, den gibt er mir wieder, das Zollpapier, also die Fahrerlaubnis für Mexiko, die behält er und sagt: "Das war an der Grenze, das ist ein anderer Staat. Hier sind Sie in Veracruz, da sind die Gesetze anders." Blöder Hund. "Und dann zahl ich hier die Strafe und an der nächten Ecke steht der nächste und dort gelten wieder andere Gesetze. Der sagt dann, daß mein Auto braun ist und daß das dort verboten sei, oder wie?" "Nein", sagt er, "das wird mit Sicherheit keiner tun". Ich halt ihm noch hin, daß ich mich alle Gesetze von allen Staaten Mexikos kennen kann und daß man mir das ja an der Grenze zwischen Tabasco und Veracruz hätte sagen können, da wurde ich zweimal kontrolliert, aber es war alles in Ordnung." Er stimmte mir zwar zu, daß ich die Gesetze gar nicht kennen könnte, bedauerte dies, blieb aber dabei. "Es sind drei Verstöße", sagt er, "da müssen Sie erst die Strafe zahlen, dazu gehen wir aufs Kommissariat, dann können sie das Papier wieder haben." Ich lehne dankend ab, "Nein, Señor. Wieso Strafe? Strafe zahlt man, wenn man etwas falsch gemacht hat. Ich habe nichts falsch gemacht, wieso soll ich also Strafe zahlen?" Es zieht sich wieder mal hin. Es ist immer am besten, wenn man die Sprache gar nicht erst spricht, in den französisch sprechenden Ländern war das so einfach... Nett lächeln, nichts verstehen, bis sie genervt aufgeben. Er war wieder dran: "Nein, Sie Haben natürlich nichts falsch gemacht, ich bestrafe ja auch nicht Sie, sondern das Auto." Da mußte ich dann doch beinahe laut lachen. "Entschuldigen Sie, Señor, das Auto, das kann nicht denken, das wissen wir beide, folglich kann es auch nichts falsch machen. Wenn Sie anderer Meinung sind, dann soll das Auto auch die Strafe zahlen, nicht ich..." Er ging los zu seinem Auto und forderte mich auf, mitzukommen. "Wohin denn?", fragt' ich recht blöd. "Zum Kommissariat, um die Strafe zu bezahlen." Da wurde ich etwas ernster. "Entschuldigen Sie mein schlechtes Spanisch, Señor, ich sagte bereits, daß ich keine Strafe zahlen werde." Er kam wieder zurück. "Doch, Sie werden zahlen, sonst werd ich sie nämlich dazu zwingen." Nun reichte es aber. "Zwingen wollen Sie mich? Gut. Dazu müssen Sie mich verhaften...", ich hielt ihm beide Hände hin, "...wenn Sie mich verhaften, dann habe ich nach mexikanischem Bundesrecht das Recht, meine Botschaft zu verständigen, Bundesrecht geht vor Länderrecht, auch in Mexiko. Sie werden doch nichts Illegales tun und mir das verweigern? Legen Sie mir bitte Handschellen an..." Er schaut etwas verstört. "Welche Botschaft?" Ich halte ihm immer noch meine Hände hin. "Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Mexiko-City." "Wir sind aber in Veracruz", sagt er trotzig. "Gut, umso besser", sag ich, "in Veracruz gibt es ein Konsulat, das tut es auch und ist sogar noch näher". Er gab mir die Papiere, "richten Sie die Scheibe". "Si, Señor, das werd ich gleich als erstes machen, sobald ich eine finde. Schönen Tag noch." Weiter geht's... immer diese Wegelagerer, das nervt irgendwann.
Wir hielten weiter auf Catemaco zu. Das ist irgendein weltberühmtes Hexendorf in der Nähe von San Andres, von dem ich noch nie in meinem Leben etwas gehört hatte. Um halb vier waren wir dann dort. Schon am Anfang standen da scharenweise die arbeitslosen Touristenführer, jeder wedelte wichtig mit der Karte, die er um den Hals hängen hatte und die ihn wohl als Touristenführer ausweisen sollte. Der erste kam ans Fenster und fing an zu erklären. Und ich erklärte ihm in seine erklärung hinein, daß ich kein Geld hätte, wenn er uns also umsonst zeigen wollte, wo es lang geht, gerne, bezahlen tu ich nichts. Dann schoß er sich auf José ein. Es lief darauf hinaus, daß er uns mit dem Fahrrad vorausfuhr um uns den Weg zum Restaurant zu zeigen. José hieß mich hinterherfahren. "Gut..." Dann, als wir am Restaurant angekommen waren, kam er zu mir wartete er natürlich auf seine Belohnung. Ich gab ihm die Hand, bedankte mich und sagte ihm: "Darf ich vorstellen, das ist José aus Acapulco. Das ist der Mann mit dem Geld, ich bin nur sein Fahrer. José mußte unbedingt zu einem dieser Hexer und ich begnügte mich damit, ein Schnitzel im Restaurant zu essen.

Pause in Coatzacoalcos.


Um fünf vor Fünf, als wir wieder fahren wollten, fiel José noch ein, daß er baden wollte. "Fünf Minuten?" Kein Problem. Natürlich meinte er damit anderthalb Stunden und ich schraubte den Sitz zurück und schlief. Doch er kam schon um dreiviertel Sechs wieder, ich hatte mich da leicht vertan. Dann fuhren wir aber wirklich weiter in Richtung Veracruz. Wir schafften es sogar noch vor Sonnenuntergang dort hin. Veracruz ist eine saubere Stadt, kann man gar nichts sagen. Ich fühlte mich ziemlich fit und fuhr noch einige Stunden. Dabei versuchte ich José seinen unsinnigen Hund auszureden, natürlich erfolglos.

Fahrt durch Veracruz.

Wir kamen dann, schon Spät in der Nacht an einem Campingplatz an, der vier Dollar pro Auto haben wollte. Da blieben wir. Ich stellte das Auto möglichst nah an den Strand. Ganz konnte ich nicht hin, weil ein kleiner Wall mich daran hinderte. War sowas wie ein Deich oder so. Keine Ahnung. Ich legte mich auf die Bleche, José zog es vor, am Strand zu schlafen. Der Himmel war wunderschön, die Sterne klar, der Mond sichelförmig. Fern im Osten stehen dunkle Wolken... Der Rauch der soeben angesteckten Cigarette zog wolkenwärts, als wäre der Regen gerade dabei von uns wegzufliegen. Außerdem haben wir mal bei Herrn Eglseer in Erdkunde gelernt, daß in der Nacht der Wind vom Land zum Meer weht, also kein Problem. Ich schnippte die Cigarette weg und schlief ein.
Mitten in der Nacht wachte ich wieder auf, weil mir dicke Regentropfen ins Gesicht klatschten. "Verdammt!" Ich sprang auf mit meinem Bettzeug und flüchtete unter eine Palmwedelhütte, die da stand. Der Himmel öffnete wieder seine Schleusen, vom Dach der Hütte liefen wahre Wasserfälle, aber das Dach selbst schien dicht zu sein. Als ich mich gerade wieder zur Ruhe gebettet hatte, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Das Fenster... Das fehlt doch! Ich rannte los, zum Auto, das etwa 100 Meter entfernt stand. Das Gras war mittlerweile zum Sumpf geworden, ich war auch nach den ersten zehn Schritten klatschnaß. Egal. Ich holte unter dem klatschnassen Fahrersitz die Mülltüte hervor, die in den letzten drei Monaten als Fenster gedient hatte, darüber das Handtuch und zu die Tür. Dann ging ich wieder zurück, nur legte ich mich nicht in den Schlafsack, sondern oben drauf, zum trocknen. Das klappte auch halbwegs, auch wenn es etwas kalt war.


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© by Markus Besold