Gammel in Mexiko 2003
Samstag, 27. September

Als ich aufwachte, war es schon kurz vor Acht. Um Zwanzig nach sollte ich am Flughafen sein. Wolfgang rief an und meinte, er sei unterwegs. Ich packte meine sieben Sachen, sprang auf und davon, kam allerdings nochmal zurück, als ich zum Glück rechtzeitig bemerkte, daß ich die Bankunterlagen vergessen hatte, dann ging es zum Flughafen. Der V8 lief wieder wie eine Eins. Wolf ließ mich am Flughafen raus, wünschte mir viel Glück und ich ging hinein. Das Gepäck wurde durchsucht, ich ging an den Schalter und hatte kein Ticket, nichts. Hoffentlich hat das mit der Onlinebuchung geklappt. Ich hielt ihr einen Zettel hin mit dem Flugdaten. "Markus Besold?" Ja. Es lief wie am Schnürchen. Boarding war um 10:20 Uhr, ich hatte noch viel Zeit, um depressiv zu werden. Flughäfen haben auf mich sonst immer eine gewisse Faszination ausgeübt. Schon als Kind bat ich meinen Vater oft, zum Flughafen hinauszufahren, um den Flugzeugen zuzusehen und um den Kerosingeruch in mich hineinzusaugen. Nichts mehr da. Das Wetter war grau und kühl, draußen standen die Flugzeuge. Ich schickte meiner Nachbarin eine SMS. Die meldete zurück, daß sie nach Dublin fliege. So eine Zupfel, das hätte sie mir ruhig früher sagen können. Ein Flug nach London war bis gestern für 99 Dollar zu haben. Das erfuhr ich zwar erst heute Früh, aber hätte ich gewußt, daß sie gegen Engelland fährt, dann hätte ich mich schon längst nach entsprechenden Flügen umgesehen. Doofe Nuß! Ich ging dann in die Wartehalle. Mir kam sie vor, wie ein Sterbezimmer. Nicht, daß ich Flugangst hätte, es war einfach die Gemütslage. Es ging bald an Bord. Fünf Stunden Flug, der Service war aufgezeichnet, das Essen, wie immer zu wenig. Ich schlief einige Stunden. Fünf lausige Stunden. Mit dem Auto waren es damals zehn Tage gewesen. Es war etwa 17:45 Uhr Ortszeit, da setzte das Flugzeug zur Landung an.

Unter uns reiner Dschungel, ich konnte die Schwüle förmlich in den Knochen spüren.

Nicht erst vor den Flughafen, nein, schon als ich die Gangway betrat fühlte ich, wie die Kleidung sich vollsog, alles klebte binnen Sekunden, es roch nach Moder und Fäulnis. Verdammte Waschküche, ich verfluche Dich auf ewig und drei Tage! Wieder stand ich am Flughafen von Playa. Die Sonne schien, aber das strenge Herz blieb trüb. Ich kann mich an andere Zeiten erinnern...
Ich ging in Richtung Bus, die Taxi- und Playa-Zurufe ignorierend. Ich starrte vor mich hin auf den Boden und war in Gedanken versunken. Es sah alles noch genauso aus wie im April, aber es hatte sich doch so viel geändert. Plötzlich reißt einer am linken Ärmel meiner Lederjacke und mich aus meinen Gedanken, ich wollte schon mit der Rechten ausholen, um ihm eine zu betonieren. Aber es war nicht einer, der mir ein Taxi andrehen wollte, sondern Lourdes, die erst erschrocken zurückwich. "Oh. Entschuldigung, tut mir echt Leid, hab Dich nicht bemerkt." "Wie geht's Dir, was machst Du hier?" "Tja, Visum abgelaufen, ich reise gerade aus, am Dienstag oder so flieg ich zurück. Und Du?" Sie wartete auf ihre Tochter, die aus Miami zurückkam. Ob sie was von José gehört hätte. "Nein, nicht viel. Er kam zurück und hat Arbeit gefunden, aber ich hab ihn, seitdem ihr gefahren seid, nur noch einmal gesehen..." Dann war es bei den beiden damals auch ein Abschied für immer, so scheint es wohl zu laufen. "Es gibt eben keine Liebe mehr unter den Menschen..." (Jürgen Prochnow, Das Boot).
Ich ging dann zum Bus. Auf dem Weg fragte mich einer, ob ich nach Playa wollte. "Was kostet das?" "65 Peso oder 7 Dollar." "Danke, ich kauf das lieber am Schalter". Sicher ist sicher. "Kannst Du auch hier kaufen, oder bei ihm", meinte er und zeigte auf einen, der eine Riviera-Uniform anhatte. So heißt die Buslinie. Er kam heran. "Ich kauf es trotzdem am Schalter." Er zeigt stolz auf seine Uniform und fragte mich, wie ich ihm denn mißtrauen könnte, wenn er die Uniform anhätte. "Guter Mann, wir sind hier in Mexiko. Sieh dich um. Jeder hat hier eine Uniform an, außer den Touristen. Ich trau nicht mal meiner eigenen Mutter, soll ich Dir trauen, weil Du eine Uniform anhast? Und um zum Bus zu kommen, muß ich eh am Schalter vorbei... Andererseits... was sind schon sieben lausige Dollar, gell? Hast ein Ticket da?" "Nö. Da müssen wir zum Schalter." "Du Kasperlkopf...", murmelte ich dann auf Deutsch. "Was?", fragte er. "Schon gut... gehen wir zum Schalter..." Ich kaufte das Busticket, bedankte mich artig für den Service: "So, vielen Dank für das schöne Busticket. Und Du mußt jetzt sagen: 'Ich bedanke mich für das Mißtrauen, bis zum nächsten Mal'. Und dann sind wir wieder gut und jeder geht seinen Weg..." So war denn jeder zufrieden und ich ging zum Bus. "Wann fährt die Kiste denn los?" "Um sieben Uhr." "Sieben Uhr oder sieben Uhr mexican time?" "Pünktlich um sieben Uhr, mexikanisch." "OK, dann tu ich schon mal mein Gepäck rein." Ich ging dann wieder zu Lourdes zurück. "Servus, da bin ich wieder..." "Wann geht Dein Bus?" "Irgendwann, hieß es..." Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. "Also, äußerlich hast Du Dich überhaupt nicht verändert, kein Stück, aber damals bist Du mir irgendwie fröhlicher vorgekommen, kann das sein? Liegt das am Leben in den USA?" "Nö. Glaub eher, es liegt an Mexiko..."
Ich schlich mich dann in Richtung Bus - ohne Machete, um die Luft zu zerhacken, deshalb dauerte es ein wenig, bis ich dort ankam. Der Motor lief schon und als ich mit der Cigarette in der Gosch heranschritt, schnorrte mich der Busfahrer um eine solche an. Wir rauchten noch gemütlich, der Diesel auch, es stiegen die ersten und letzten Passagiere ein, zwei Weiber aus Frankreich, zwei Typen aus Italien und ansonsten blieb der riesige Bus leer. Diese Fahrt kann sich nicht wirklich lohnen.
Ich schlief die restliche Fahrt, erst als die Lichter angingen, wachte ich auf. Wieder kam ich mir vor wie im April. Es war alles genauso, alles, sogar die Kleidung, die ich am Leib hatte, der alte Gebirgsjägerrucksack und statt des Karabiners, die LapTopTasche umgehängt. Der einzige Unterschied war, daß die 5. Avenida von vorn bis hinten aufgerissen war. Die Schlaglöcher kommen doch von selbst, was machen die sich die Mühe, sie extra aufzureissen?
Bald war ich am Eclipse angekommen, völlig durchgeschwitzt. Ich sah in den Laden und erkannte Eikka. Er erkannte mich auch,. aber erst auf den zweiten Blick. "Was machst Du denn hier?" "Mein Visum erneuern... Wir sprechen uns gleich." Ich ging zu Gerardo, aber den gab es nicht mehr. Stattdessen stand ein kleiner Mexikaner hinter der Theke. "Hallo Pedrito, tu mal den Zettel mit den Reservierungen her..." "Ich bin nicht der Pedro... und welchen Zettel mit welchen Reservierungen?" "Ich weiß, daß Du nicht der Pedro bist, aber Du schaust genau so aus. Den Zettel hier mein' ich". Ich nahm ihn vom Brett. Zimmer 4 und 6 waren frei, Zimmer eins war für irgendeinen "Marcus" reserviert. "Wo ist denn Peter?" "Der schläft." "Das 1er hat keine Klima, was soll denn das? Ist doch für Arme. Gibt mir den Schlüssel für die 6." Er bat mich, das Formular auszufüllen. Immer noch die alten Formulare - wie ich sie hasse. "Nein, laß mal, das mach ich mit Peter aus, gib mir nur den Schlüssel." Er gab mir den Schlüssel, ich checkte ein, dann setzte ich mich zu Eikka an den Tisch. An dem saßen auch zwei Damen. Eikka stellte uns vor, aber die eine davon kannte mich noch: "Ja, Dich kenn ich, erinnerst Dich nicht mehr an mich? Du hast mich mal mit Peter im Mayan Palace besucht, ich bin die Frau vom Beat." Stimmt, sorry, hab ich wohl verdrängt. Und die andere war die Frau vom Chef des Mayan Palace. Das ist das größte Hotel an der Riviera Maya. Wichtige Leute.

In Peters Kneipe, bei Bier und Pfeife, da saßen wir beisamm'...

Wir fuhren noch zu einem Lokal in Playa. Ich mit Eikka auf der Harley, die allerdings keinen Soziushalter hatte, weshalb es mich auch beim Einparken rücklings auf den Randstein bolzte. "He, Du Arsch, kannst Dir keine anständige Maschine leisten?" Er lachte und half mir wieder auf. Den Eintritt hätte ich mir nie leisten können vor drei Monaten, aber jetzt war das gar nicht erwähnenswert. Wenigstens das hatte sich zum positiven verändert. Die Chefin bezahlte, ich wollte ihr das Geld dafür reichen, aber sie wollte es nicht und sah mich beleidigt an. "Ach, verflucht! Ich hatte nie Geld, da wollte jeder von mir Geld haben, jetzt hab ich Geld und keiner will's. Kaputte Welt..." Aber alt wurde ich da nicht. Mehr als zwei Kocktails waren nicht drin, mir fielen die Augen zu und ich schlenderte noch den Strand entlang, am Blue Parrot vorbei. Es sah immer noch genauso aus. Der Italiener aus Mailand hatte immer noch seinen Laden dort. Ich suchte mir was zum Essen und rannte dabei mit der Birne gegen den Rolladen des Standes. Es war kein richtiger Rolladen, sondern ein aus Holzresten zusammengenageltes und -gepfuschtes Drecksteil. "Aua! Zefix!" Blutige Angelegenheit - aber da ich mein Haargel in L.A. vergessen hatte machte ich gleich aus der Not eine Tugend. "Welcher beschissene Vollidiot hat denn das Teil da hingemacht? Das ist geschäftsschädigend, das killt Dir Deine Kunden. Du solltest demjenigen die Fresse polieren, ich helf Dir dabei." Es entschuldigte sich und meinte, er hätte das gemacht.
"Mann... Du kannst herrliche Panini backen, aber das Schreinern fang nicht an. Du brauchst einen gescheiten Schreiner."
"Bist Du nicht Schreiner? Doch das warst doch Du. Du bist Schreiner, wie der Jesus, deswegen hat der Christian zu Dir immer 'Commandante Jesus' gesagt."
"Das hat er wegen der Uniform gesagt, aber ja, ich bin Schreiner, nur arbeite ich nicht mehr unter 150 Dollar am Tag. Tu mal so ein Fresszeugs her. Gibt es da ne Cola umsonst dazu?"
"Umsonst gibt es hier gar nichts."
"Auauauaa..."
"OK, da hast Deine Cola..."
Ich traf die Amerikanerin wieder, die im Hotel hinter dem Eclipse wohnt. Eigentlich traf sie mich, sie rief quer über die Straße "Fidel! Nice to see you! Welcome home." "Oh, nein... Ich hoffe, mein neues Home ist Los Angeles. Muß mich nur mit Deinen Freunden von der INS arrangieren, aber es wird schon gehen." "L.A.?", fragte sie etwas zweifelhaft, "aber schön, daß es Dir da gefällt."
Die mutmaßliche Computerdiebin sah ich auch. War immer noch genauso häßlich und suchte gleich das Weite, als sie mich erblickte. Meine Güte, den hatte ich schon ganz vergessen. Dennoch kam es mir langsam vor, als wäre ich erst letzte Woche hier losgefahren. Ich kam ans Hotel, machte die Lichter aus und ging dann gewohnheitsmäßig in Richtung Rezeption. Ich schloß auf, machte das Licht an und da erst merkte ich, daß was nicht stimmte. Die Rezeption war umgebaut. Halt! Ich bin ja jetzt zahlender Gast, und muß nicht mehr in der Rezeption hausen, sondern hab mein eigenes Zimmer mit Klima. Da schläft es sich auch wesentlich besser, muß man sagen. Das tat ich dann auch. Ich versuchte es zumindest.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold