Persien 2006
Freitag, 15. September

Um zwei Uhr wachte ich auf, weil gerade ein Busfahrer wenige Zentimeter neben uns einzuparken versuchte. "Michl, wach auf!" Almut ließ ich schlafen, denn sie lief durch ihre Körpergröße von 1,20 m nicht im entferntesten Gefahr, vom Bus überrollt zu werden. "Was ist denn das für ein Penner? Der Parkplatz hat acht Millionen Quadratkilometer und ist komplett frei..." Der Busfahrer kam auch schon und meinte, wir sollen uns vor das Auto legen. Almut legte ich auf den Beifahrersitz. "Schlaf Du heut mal drinnen. Nicht, daß Dich einer übersieht und auf Dich drauftrappt..." Der Fahrer half uns beim Verlegen. Gut, daß er auch noch genau hinzeigte, wo wir uns hinlegen sollten, wir hätten sonst womöglich das vordere Ende unseres eigenen Autos nicht gefunden. "Depp!", verabschiedete ich ihn, und legte mich wieder hin, während sich neben uns die Menschenströme aus den Bussen in Richtung Gebäude vorbeidrängten. Die gemütlicheren unter ihnen fingen das Kochen an. Wir ließen uns nicht stören und schliefen weiter. Ich lag eine Weile mit offenen Augen da und kuschelte mich ans Auto, das so verführerisch roch. Das war bedenklich. Eine Dieselpfütze unter dem Motorblock war die Quelle des Wohlgeruchs. Aber darum würde ich mich bei Helligkeit kümmern. Des weiteren sah ich, daß der vordere linke Reifen laufrichtungsgebunden war. Diese Reifen sind eine feine Sache - für die deutsche Autobahn mit ihren Spurrillen. Ihr Profil ist V-förmig und so angelegt, daß es das Wasser vor dem Reifen nach außen, in Richtung Reifenflanken treibt. Dreht man nun den Reifen um, dann macht er genau das Gegenteil: Er sammelt das Wasser von Außen und treibt es nach Innen, so fährt man stets auf einem Wasserkeil, was schon bei niedrigen Geschwindigkeiten zu Aqua-Planing führt. Das ist gefährlicher denn ein total abgefahrener Reifen. Der hat zwar kein Profil hat, sich aber ansonsten neutral verhält. Ein Teufelszeug. So was Unvernünftiges - "was will man auch erwarten, wenn eine Frau ein Auto nicht nur selber fährt , sondern es auch noch selber wartet?", war mein Kommentar dazu. Nicht der schlaueste, das geb ich zu, wenn man bedenkt, daß die Vorbesitzerin ja tatsächlich nur auf deutschen Straßen fuhr und als prämierte Mechanikerin das Auto auch wesentlich besser kennt als ich. Aber Kommentare soll man ja nach ihrer Wirkung beurteilen. Nur Pseudo-Intellektuelle beurteilen diese Art Kommentare nach ihrem Inhalt. Unterwegs müssen Reifen beliebig austauschbar sein, jeder Reiafen, muß an jedem Rad angebracht werden können. Mit laufrichtungsgebundenen Reifen ist das nur eingeschränkt möglich. Nun waren wir mit diesem Quatschreifen unterwegs.

Frühstück an der GrenzanlageUm Neun in der Früh weckte uns ein Polizist, der lässig auf der Haube des Daimlers lehnte - genau da, wo sich immer wieder schwarze Ölrinnsale bildeten. Eine Folge meiner letzten Ölstandsprüfung. "Guten Morgen, Aufstehen, ihr könnt weiter an Euren Papieren weiterarbeiten", sagte er. Ich stand auf. Er sprach erstaunlich gut englisch. "Was habt Ihr im Iran gemacht?", wollte er wissen. "Wir waren Touristen." "Und?", fragte er neugierig, "Wie hat es Euch im Iran gefallen?" "Großartig", antwortete ich wahrheitsgemäß, "Schafft es sogar unter die Top-Three!" Allein, ihm fehlt' der Glaube. "Ihr macht jetzt Scherze." Das nun einzuordnen blieb mir keine Zeit, denn wir mußten zusehen, daß wir den Papierkram erledigt bekamen. Der Heini von Mahan Tir war nirgendwo zu finden. Einen Vorteil hattee das, allerdings. Falls Geldforderungen kämen, brauchten wir nur darauf hinzuweisen, daß man uns einen Paß entwendet hat. Der Typ ist kein Zöllner und kein Polizist und darf das somit nicht. Auch nach iranischem Recht. Ob die Theorie stimmt oder nicht, das wußte ich zwar nicht sicher, aber sicher wußte ich, daß es unsere potentiellen Gegenspieler ebensowenig wußten.

Um halb Elf kam schließlich der schmierige Trottel angewackelt und meint "Tomorrow", wohl auf die Autopapiere bezugnehmend. Im Iran fungiert der Freitag ja als Sonntag. Ich konnte nicht mehr tun, als amüsiert zu lachen, wobei ich ihn gerade so wissen ließ, daß ich es zur Kenntnis genommen hatte, den Dreck an der Scheibe aber offensichtlich interessanter fand, als ihn. Zollagenten sind grundsätzlich Gangster. Das hatte ich schon in Brasilien gelernt - und ein Lehrgeld bezahlt, von dem der Durchschnittsbrasilianer ein Jahr hätte leben können. Verglichen mit den Brasilianern, die von Geburt an kriminell sind, sind das hier allesamt Amateure. Von denen hatte zum Beispiel bisher noch keiner kapiert, daß sie nicht meinen Paß hatten, sondern den von Almut. Sie redeten mich auch laufend mit Almut an, dabei könnten die Paßbilder (in Farbe) nicht unterschiedlicher sein. Ich trug schon mal kein Kopftuch. Almuts Paß konnte man ob der leuchtend blauen Augen auf dem Bild, nachts ohne weiteres als Taschenlampe benutzen. Die hätten sicher auch einen zentralafrikanischen Neger für einen Chinesen gehalten. All dies fiel ihnen jedoch nicht auf. "Säuglinge, die an die Mutterbrust gehören", erklärte ich Michl, während sich der Typ entfernte. Michl aber war in irgendeiner Traumwelt unterwegs. Ich ging hinein und füllte die Brauchwasserflaschen auf. Zehn Minuten später, als ich gerade aus dem Gebäude kam, stehen alle drei Agenten um das Auto herum. Die beiden schmierigen Gehilfen und einer, der weniger schmierig aussah und wohl der Obergangster war. Der schmierige mit Bart meint, wir fahren los. Michl wurde nach hinten verfrachtet. Diese Schmierer wollte Almut nur äußerst ungern neben sich sitzen haben. "Die Kandidaten kenn ich schon..."

Wieder zehn Minuten später, um 10:50 Uhr, fuhren wir endlich los, und zwar mit zwei Agenten zu dem abgetrennten Zollgebäude, das sich außerhalb des Grenzkomplexes befindet. Nach zehn Minuten Fahrt waren wir angekommen. Die beiden stiegen aus und gingen hinein. Auf Persisch und Türkisch stand an einem Schild, daß das Photographieren verboten war. Ein Geldwechsler, der gerade vorbeikam, wurde weggeschickt, bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte. "Haben wir noch Türkengeld?", fragte ich Almut. "Ja, aber nicht viel. Vielleicht so um die 20 €." Das reichte. Wir brauchten also nicht an der Grenze wechseln. Einer kam wieder und wir fuhren zurück an den Komplex, wo er zunächst ausstieg. Wir blieben sitzen. Den Paß hatte er immer noch. Etwas später, es war halb zwölf, kam der andere Penner, der beim Zoll geblieben war, und erklärte: "Car tomorrow, today holiday". Ich lachte wieder. "Die sollen bloß ankommen und Geld verlangen", sagte ich zu Almut. "Genau das werden sie wahrscheinlich machen..." "Nein, ich meine, weil wir überziehen. Jeder Tag kostet Geld. So stand es auf dem Liebschaftsamt. Wenn sie für das Auto Geld wollen, ist es eine Sache, aber fürs Überziehen kriegen sie nichts..."

Einer der Agenten bat mich, mitzukommen. Er führte mich in das abgetrennte Zollgebäude (16). Dort saß ein Zöllner. Der konnte nur vier Wörter Englisch, wobei Dollar schon mal das erste war. Er faselte irgendwas von 430 US$ und von 200 US$. Ich erklärte ihm, daß ich bereits bei der Einreise bezahlt hätte, nämlich 250 US$. "No problem, everything paid", aber das überschritt schon wieder seine Englischkenntnisse. Ich ließ es bleiben und ging wieder zurück zum Auto. Den Paß behielt der Agent. Lagebesprechung. Einen Plan hatten die nicht. Muh wußte nicht, was Mäh sagte, wie Michl schon treffend bemerkte. Aber die Agenten hatten sich dadurch ins eigene Knie geschossen, daß sie den Paß einbehalten hatten. Das dürfen sie nämlich nicht, da sie keine offizielle Stelle sind, sondern nur zwischen Paßinhaber und offizieller Stelle vermitteln. Aber es handelte sich hier, wie bereits erwähnt, um Dilettanten. Dadurch hatten wir recht gute Karten.

Während ich da meine Vorträge hielt und meine Ansichten darlegte, erblickte ich eine fette Fliege am Kotflügel eines zu unserer Backbordseite geparkten Paykan. Ich ging hin und zerklatschte sie. Im selben Augenblick schlug das Auto Alarm. Ich erschrak, sah mich um und entfernte mich unauffällig. "Das hier ist keine Grenze, das hier ist ein Irrenhaus! Wer installiert schon eine Alarmanlage in einen weißen Paykan? Reine Geldverschwendung, es gibt im ganzen Land nur weiße Paykans und selbst wenn es Autodiebe gäbe, würden diese mangels Alternative einen weißen Paykan fahren. Auf achzig Millionen Einwohner kommt die doppelte Anzahl an weißen Paykans. Wozu die Alamanlage?" Nach zwei Minuten schwieg der Paykan.

Bei der Lagebesprechung kam nicht viel heraus, außer, daß wir nicht auf verlorenem Posten standen, wenn es zur Auseinandersetzung käme. Und das war nur eine Frage der Zeit - von der wir reichlich hatten. Noch einmal ging ich hinein. Keiner von diesen Kasperle konnte Englisch, aber vielleicht war ja die Tourismusbeauftragte da. Ich ging in Richtung Büro. Auf dem Weg hieß ich den Agenten mitkommen, der Almuts Paß in der Hand hatte. Der machte nicht den hellsten Eindruck. Stand nur da mit seinem rosa Hemd, seinem blauen Sakko und seinem Dreitagebart und sah sich die Gegend an.
Ich glaubte zwar nicht, daß die Aktion, die ich vorhatte, uns sofort das Tor in die Türkei öffnen würde, aber wichtig war, daß möglichst viele Leute mitbekamen, daß der Depp hier einen Paß zurückhielt. Ich ging also in das Touristen-Büro. Das Mädchen, das uns bei der Einreise bedient hatte war zwar nicht da, dafür aber ein Ersatz. Ich ging zu ihm und erklärte alles von vorn: "Er möge bitte dem Agenten sagen, daß er den Paß rausrücken solle, damit ich ihn abstempeln lassen kann. Er schien nicht zu verstehen. Ich zeigte ihm meinen Paß mit dem Ausreisestempel. "Da! Ich will nur Stempel, Auto später." Alles, was er sagen konnte war: "Your friends can go." Meine Freunde konnten also gehen. Auch dieser Trantüte fiel nicht auf, daß meine Fresse in einem der Pässe abgebildet war, die er in der Hand hielt. Michl und ich konnten gehen. Aber was er nicht verstand, war, daß ich einen Ausreisestempel für Almut erwirken wollte. "Herrgott, seid ihr alle blöd?" Es wäre doch so einfach gewesen. Dieser Schnarcher hätte mir nur den Paß geben brauchen, wir wären alle nacheinander ausgereist, wieder eingereist und hätten uns um das Auto gekümmert. Nun war es zwar ohnehin zu spät, weil nun schon der 15. September war, wir aber hätten bereits am 14. ausgereist sein sollen. Nun brauchten wir einen Schuldigen. Und da stand er vor mir im rosaroten Kragenhemd und einem Blick, der eine gewisse Dumpfheit dokumentierte. Man hatte uns hier unseren Schuldigen frei Haus geliefert. Unfaßbar, wie schlecht die ihr Handwerk beherrschen. Nur rein äußerlich waren sie als Zollagenten erkennbar, die man am einfachsten mit den Worten schmierig und unseriös bezeichnet. Zollagenten sind meist Leute, die an billig-mifiosi erinnern, die aber es imerhin irgendwie geschafft haben, in einen recht sicheren Graubereich zu operieren, schließlich ist der eine Vermittlungspartner der Staat. Der kann nicht kriminell sein und muß zu seinem Recht kommen, wobei oft egal ist, wie, was ihnen wiederum das "Recht" gibt, mit Methoden zu operieren, die man in der freien Wirtschaft als "unlauter" bezeichnen würde. Es blieb jedenfalls dabei, daß der Agent weiterhin Almuts Paß behielt. Auch recht. Und immer noch kapierte keiner hier, daß das nicht mein Paß war, um den es ging. Ich ging noch in dem Komplex herum und machte unsere Lage, soweit es ging, publik. Der nächste schickte uns zum "Foreign afairs office in Maku" - wo wir doch schon ausgereist waren.

Ich ging wieder zum Auto und erstattete Bericht. Almut fand die Situation "Rechtlich interessant", ohne aber dabei auch nur die Andeutung einer Wertung der Situation von sich zu geben. Ich fand es interessant, wie sich die Agenten selbst ins Aus beförderten, ohne es überhaupt zu merken. Doch auch unsere Lage war etwas verfahren. Daß es zu Komplikationen kommen würde, wußten wir schon lange. Nach der ganzen Papierakrobatik, die wir hingelegt hatten - begonnen schon in Ankara, als wir das Visum beantragt hatten, mußte das dicke Ende irgendwann kommen. Nun war es soweit. Wir gingen unsere Möglichkeiten durch. Viele hatten wir nicht: Sollten wir versuchsweise Michl in die Türkei rüberschicken, um zu sehen, was passierte? Oder nerven? Die Strategie hieß "Aussitzen", und das taten wir. Und blieb auch nichts anderes übrig. Ich beschloß, die Scheiben zu reinigen. Es sah nach Regen aus, also schamponierte ich alle Scheiben ein und hoffte, daß der Regen den Schaum wieder hinunterwaschen würde. Wir schickten Michl nicht in die Türkei. Selbst wenn es klappte, würde es uns nichts bringen.

Um zehn nach Eins kamen zwei der Agenten wieder. Sie fragen nach meinem Paß. Eigentlich hätte ich ihn nicht herausgeben sollen. Ich hatte mit denen nichts zu schaffen, Michl auch nicht. Aber ich gab ihnen beide. Je mehr Pässe sie hatten, desto mehr würden sie in Erklärungsnot geraten, wenn es soweit war, daß erklärt werden mußte. Und das war nur eine Frage der Zeit. Sie fragten nach der Frau. Sie waren sichtlich verwirrt, weil sie wohl gemerkt hatten, daß irgendwas nicht stimmte und nun versuchten sie, herauszufinden, was denn nicht stimmte. Das war nicht einfach für sie, denn offenbar fragten sie jetzt nach Almuts Paß. Ich gab ihnen meinen und den von Michl. Dann zeigte mir der eine die Kopie des Passes und erklärte vermutlich, daß keiner der beiden Pässe, die ich ihm gegeben hatte, mit der Kopie übereinstimmte. "Natürlich nicht, Du Depp. Den hat ja Dein Kollege!" Es arbeitete. "Woman?" Ich deutete dorthin, wo Almut durch die Landschaft marschierte. Sie gingen mit allen Pässen, der Glatzkopf sagte noch "Problem, Dollar, Bank". Ich lachte ihn aus.
Ein Unimog mit deutschem Kennzeichen fuhr vor und parkte.

Indienfahrer auf dem Rückweg.

Es waren deutsche Touristen, der Aufmachung nach zu urteilen Indienfahrer. Die sahen sehr beschäftigt aus, ich sprach sie deshalb nicht an. Und da wir denselben Weg hatten, gab es keine Informationen, die zuszutauschen sich gelohnt hätte. Meine Bedenken, an der Grenze Photos zu machen, traten langsam in den Hintergrund - im Gegenteil. Je unangenehmer unsere Anwesenheit auffiel, desto mehr würden bei "denen" die Bestrebungen steigen, uns loszuwerden. Und es gab nur einen Richtung, in die sie uns schicken konnten: Westen.

Um kurz vor zwei kam der Agent wieder, der die Pässe hatte. Sein Text war so einfach und simpel wie sein Gemüt: "500 Euro". Ich lachte laut los. Er fand's nicht wirtzig. "Visa problem, transit problem, car problem", sagte er. "That's right! Problem", stimmte ich zu, "but", fügte ich ausladend hinzu, "your problem..." Ich hätte es ihm gerne erklärt, warum, aber er hätte es eh nicht verstanden. Als ich mich dann kurzerhand in Richtung Auto mich verabschiedete, schien er gar nichts mehr zu kapieren. Wenn sie schlau waren, würden sie jetzt anfangen, sich eine Strategie zu überlegen. Wir hatten unsere schon. Wir hatten auch unseren Schuldigen, nämlich den schwulen Agenten im rosaroten Hemdchen. Die erste Geldforderung lag auch vor, das Spiel näherte sich seinem Höhepunkt. Daß die Deppen nicht aus noch ein wußten, merkte man nicht nur daran, daß sie mich immer noch mit Almut anredeten. Sie standen auf dem Hof umher und sahen ziemlich ratlos aus und diskutierten untereinander. Daß es um uns ging sah man daran, daß sie immer wieder unsere Päße herauskramten und öffneten, dann dasselbe mit den Autopapieren taten. Unser Problem, schien sie jedenfalls mehr zu stören als uns selbst. Und das war ein gutes Zeichen.
Wir gingen stattdessen gemütlich ins Café im ersten Stock (08). Wir konnten nicht ausreisen, da die Agenten unsere Päße hatten. Und wir machten auch keine Anstalten, sie zurückhaben zu wollen. Solange die die Pässe hatten, waren sie im Spiel. Wir konnten nichts tun, außer zu warten. Ich mußte nur darauf achten, daß wir nicht auf sie den Eindruck machten, als wüßten wir nicht, was wir taten. Da sie selbst mit der Situation ofensichtlich überfordert waren, war das nicht schwer. Nur nicht wnakend werden oder einen unsicheren Eindruck machen. Alles, war wir tun muß so aussehen, als hätte es einen Zweck, über den sie sich im Unklaren sind. Sie hatten alle unsere Pässe. Kein Schaden ohne Nutzen. "Wir setzen uns ins Café". Das paßt nicht in ihr Konzept, sofern sie eines haben. Danach hätten wir nach unseren Pässen fragen sollen, oder zumindest irgendwie Anstalten, uns um unser Problem zu kümmern. Da wir das aber nicht taten und auch sonst nicht gerade einen aufgelösten Eindruck machten, hatten sie zu rätseln. Wir machten einen zufriedenen Eindruck, es gefiel uns hier sichtlich. Sie sollten nicht nur das Gefühl bekommen, daß sie daran schuld waren, daß wir nicht ausreisen konnten, sondern ich versuchte ihnen zu vermitteln, daß ich ihnen sehr dankbar war, daß sie unseren Aufenthalt im Iran verlängerten - ganz ohne lästige Bürokratie. Besonders, seit ich einem von ihnen gesagt hatte, daß es nicht unser, sondern ihr Problem war, rannten sie auf und ab wie Hühner und hatten offensichtlich keinen Plan, was Sache war. Scheinbar schien es ihnen nun zu dämmern, daß sie sich in einer etwas unangenehmen Lage befanden. Wer auch immer zu mir kam, wurde an die Agenten verwiesen. Der Tenor war: "Mach das mit denen aus, ich habe mit der Sache nichts zu tun."

Um halb vier gingen wir wieder zum Auto, räumten dies und jenes um. Zu tun gab es genug. Die Tourismus-Beauftragte kam auf unser Auto zu. Die Agenten hatten sie offensichtlich hergeschickt. Doch sie selbst waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Wir unterhielten uns mit ihr, ich erklärte ihr die Situation. Sie hatte jede Menge Fragen. Wann wir angekommen seien. "Vor ca. 20 Stunden." Sie war erstaunt. Noch erstaunter zeigte sie sich darüber, daß man uns erklärt hatte, wir seien im Niemandsland, solange wir am Grenzkomplex sind. "No. This is Iran. No-man's-land is between the gates", erklärte sie. Also bestand das Niemandsland hier aus den 50 cm Asphalt zwischen den Toren. Auch gut zu wissen. Aber ich erklärte ihr unmißverständlich, daß wir nur in dieser Lage seien, weil mir der Held ein Paß abgenommen hatte. Ansonsten wären wir aus- und wieder eingereist. Sie ging wieder und bat uns, ihr bescheid zu geben, sobald die Agenten wieder da wären.

Almut hatte eine Art Dejavu. Das sei genau das gleiche gewesen, als Yassr ihr Visum verlängern wollte. Auch er hatte keinen Plan, wo er anfangen sollte. Sie hätte es schließlich selbst in die Hand genommen und dann klappte es auch. "Du hast noch den Vorteil, ein Mann zu sein, als Frau wird man hier eh nicht ernstgenommen". Ich war das umgekehrt gewohnt. Ich wälzte normalerweise alles, was mir Verantwortung zu tun hatte, gerne an sie ab. Sie ist hier der Doktor, nicht ich, also wird automatisch sie ernstgenommen, und nicht der Trottel, der sie nur umeinanderfährt und der nicht den geringsten Wert darauf legt, ernstgenommen werden zu wollen. Diese klassische Rolle war im Iran allerdings aufgehoben. "Die sechzehn Stunden sind schon lange rum", bemerkte Almut grinsend. "Wir kriegen auch noch die 24 voll..." Widerspruch kam keiner.
"Almut. Was haben wir an Gelder?" Sie zählte nach. "Wir stellen jetzt einen unseriösen Geldbeutel zusammen, taten all das Micky-Maus Geld, ein paar Euro und ein paar Dolar dort hinein und ließen die restlichen Devisen verschwinden.

Anderthalb Stunden tat sich gar nichts. Keiner kam und wollte was. Wir saßen im Auto und lasen, bis um 17:15 Uhr die Agenten mit der Übersetzerin ankamen. "Jetzt, wo's spannend wird", sagte ich und begab mich, betont unwillig in die Verhandlungen. Am liebsten hätte ich gesagt, es sei nach fünf und wir hätten geschlossen, sie mögen morgen wieder kommen. Damit hätten wir allerdings den schwarzen Peter gehabt, denn dann hätten sie behaupten können, wir wollten nicht ausreisen, als sie uns darum gebeten hätten. Ich stellte mich also in die Runde, Michl und Almut blieben im Auto. "How can I help you?", fragte ich die Herren, die Dame übersetzte - hoffentlich wörtlich. Es ging - natürlich - um Geld. Geld hätten wir kaum mehr, und wieso überhaupt Geld? Ein Hin und Her. Nach der alten Masche: Wir hätten ein Problem, sie könnten uns helfen, es zu lösen, aber das kostet eine Kleinigkeit. "Ich hab doch gar kein Problem", erklärte ich. "Das Problem habt Ihr. Ihr habt unsere Pässe weggenommen. Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Steht drauf. Ohne die Pässe können wir nicht ausreisen." Der Stoß ging ins Leere, entsprechend schauten sie auch. "Ja", beschwichtigte sie, "aber sie wollen doch auch ausreisen. Und da Sie überzogen haben, müssen sie das Visum verlängern lassen in Maku." Visum verlängern hieß auf Deutsch: Strafe zahlen. Und genau da lag der Irrtum. "Ich geh da nicht hin. Das sollen die Herren machen." "Aber einer von Euch muß auch mit, denn die Polizei verlangt Geld für die Verlängerung", erklärte sie. "Nicht von mir. Ich kann nichts dafür. Sollen doch die bezahlen, die mich am Ausreisen gehindert haben. Ich wollte ja rechtzeitig raus, was der Stempel in zweien der Pässe beweist. Hätte er mir den dritten Paß gegeben, hätten wir rechtzeitig ausreisen können und zurückkommen, um das Problem mit dem Auto zu lösen. Aber er hat den Paß nicht rausgerückt, also ist es sein Problem, nicht meines. Ich bin bereit für das Auto zu bezahlen. Für die Insassen zahlen wir keinen Cent - nicht einen." Wir seien zu spät an der Grenze angeommen, sagte einer der Agenten. "Zu spät? Ich war am Vierzehnten abends hier. Fünf Stunden von Mitternacht. Fünf Stunden sind genug." Der Zuständige beim Zoll sei nicht hier gewesen. "Das hier ist eine 24-Stunden-Grenze. Nicht da gibt's nicht. Dann muß eben ein Stellvertreter her. Ansonsten kann der Zuständige ein halbes Jahr in Urlaub und keiner kann mehr ausreisen und muß nachzahlen. So geht's ja nicht. Dann soll eben der Zoll dafür aufkommen..." Sie übersetzte das alles für die anderen drei. Dann entspann sich unter ihnen eine Unterhaltung, ab und zu fragte sie mich etwas, dann redete sie weiter. "Also", sagte sie schließlich, "sie sagen, sie wollen ihnen helfen, das Problem zu lösen..." Ich unterbrach: "Nochmal: Ich habe kein Problem! Mir gefällt es hier und ich habe Zeit." Sie erklärte mir, was sie meinte. Abschließend fragte sie, wieviel Geld wir noch hätten. "Nicht mehr viel. Ich laß mal nachzählen", ichging zum Auto und ließ nachzählen. Die Agenten durften draußen warten. Nach einer Weile kam ich zurück: 92 Dollar, 28.000 Rial, 40 Euro und 46,80 Lire. Sie konnten nicht viel damit anfangen, daher rechtnete ich alles in Geld um: "170, 98 US$ nach dem Kurs von vorgestern, was aber bei dem Betrag nicht ins Gewicht fällt."

Ein von Almut von der Damentoilette heimlich aufgenommenes Bild vom weiteren Verlauf der Grenze.

Nachdem sie sich noch eine Weile mit den Agenten unterhalten hatte, meinte sie: "Für das Geld können sie das Problem mit dem Auto lösen." "Welches Problem mit dem Auto? Ich denke das Problem ist jetzt das Visum. Wer löst das?" Sie wandte sich wieder an die Herren, nach einer Weile sagte sie wieder zu mir: "Sie können mit dem Geld vielleicht auch jemanden bei der Polizei bestechen, daß die ihnen einen Stempel geben." Ich lächelte sie an. "Wie die das machen ist mir egal. Aber das Geld bekommen sie nicht, weil ich keine Lust habe auf Vielleicht." Sie redete wieder mit den Herren, dann meinte sie, daß die Herren sich bereiterklärt hätten, von den 170,98 US$ einen Teil dafür aufzuwenden, daß wir unsere Ausreisestempel bekamen. Ich ärgerte mich, daß ich es die ganze Zeit vor mir hergeschoben hatte, eine neue Batterie für meinen mp3-Player zu besorgen. Sowas muß man einfach aufnehmen, damit man hinterher etwas in der Hand hat. Und sei es nur, daß man sich darauf berufen kann, daß der Übersetzer einen Fehler gemacht hat. Hinterher wird nämlich in solchen Fällen gern alles abgestritten, man weiß von nichts oder man hätte es ganz anders gemeint. Von einem Wort läßt sich kein Iota rauben - vorausgesetzt, man hat es auf Band. Hatten wir nicht. Nun, was sollte ich tun? Ich nahm den Betrag, inklusive aller Münzen und versicherte mich ausdrücklich nochmal, bevor ich es übergab: "Zoll und Polizei?" Sie übersetzte, alle drei nickten, sie übersetzte ins Englische und sagte: "Customs and Police". Dann gab ich ihnen den Währungssalat und ging zum Auto zurück. Ich las noch eine Weile. Wenn der Bestechungsversuch erfolgreich war, würde es nicht länger dauern als eine Stunde. Ich befahl allen, in Sichtweite zu bleiben für die nächste Stunde. Wenn's klappt, muß es schnell gehen: Aufsitzen und raus. Ich wollte es vermeiden, erst einen Suchtrupp losschicken zu müssen, um eine im Gelände versteckte Almut ausfindig zu machen, zumal dieser Trupp aus einem introvertierten Blinden mit ausgeprägten autistischen Eigenschaften bestehen würde.

Die Bäder waren immer voll, immer mußte man sich anstellen. Während wir auf eine Meldung der Agenten warteten, ließ ich mich darüber aus, daß sämtlich Einwohner von Maku immer oben an der Herrentoilette anstehen und Almut teilte mir daraufhin mit, daß auf der Ausreiseseite auch Bäder wären, sie aber dort nie einen Menschen gesehen hätte. "Hä? Wo?" "Genau da, wo halt die Bäder sind, nur auf der Ausreiseseite." (14) Ich schnappte mir mein Handtuch, Almuts perverses Gurken-Melone-Shampoo, meldete mich ab und zog los. "Halt!", nochmal zurück. Ich hatte meine Fliegenpatsche vergessen.

Vor der großen Glastür, die den Eingang zur Ausreisehalle bildete, fragte mich ein Polizist: "Immer noch hier?" Ich sah ihn an, versuchte ihn einzuordnen. "Erinnerst Du Dich noch an mich?" Weniger, weil ich sein Gesicht einordnen konnte, sondern vielmehr, weil er Englisch sprach, fiel mir dann doch noch ein, wer er war. "Klar! Du bist der Weckdienst von Bazargan, wenn mich nicht alles täuscht." Wieso ich denn immer noch hier sei. Ich antwortete mit Abba: "The game is on again..." Verstand er nicht. "Money, money, money", probierte ich es mit einem anderen Titel derselben Band. Nein. War nicht rübergekommen. Kennen die hier wohl noch nicht. "Du weißt ja, wie das alte Spiel läuft. Die wollen Geld, und ich will nicht bezahlen. Wer länger durchhält, behält das Geld." Nun verstand er. "Wer will Geld?", wollte er wissen. "Das ist zur Stunde noch nicht ganz klar. Entweder die unseriösen Anzugträger von Mahan Tir oder aber Deine Kollegen", erklärte ich. "Und wieviel Geld wollen die?" "Die können wollen, was sie wollen. Das ist völlig egal, weil wir sowieso kein Geld mehr haben. Aber wir haben einen Haufen Zeit." Er sah, daß ich wohl zum Duschen unterwegs gewesen war und fragte, ob ich nicht ein wenig Zeit hätte. Er hätte bald Schluß. "Klar hab ich Zeit, wie gesagt, jede Menge. Warum?" Dann begann er zu erzählen, daß sein Bruder in Amerika lebt, daß er es hier zum Kotzen findet, daß Ahmadinedschad der größte Gauner sei, der je ein Präsidentenamt bekleidet hätte. Ich wollte das alles gar nicht wissen. Und was wieder bezeichnend war: Es war kein Zivilist, sondern ein Uniformträger und das auch noch im Dienst. Die wurden bisher nur von Dariusch übertroffen, aber der ist Kurde, Kurden werden nicht wie Iraner behandelt und daher ist es verständlich, daß sie unzufrieden mit der Regierung sind. Aber ihre eigenen bediensteten? Er wetterte weiter. Und die Wahlen seien alle ungerecht und nichtssagend - als ob das in den westlichen Demokratien anders wäre. Das hier schimpft sich nicht Demokratie, hat nie jemand behauptet, wieso soll es also demokratisch zugehen? Aber in den USA sei das ganz anders. Da dürfe jeder zum Wählen und muß sich nicht erst qualifizieren, schwärmte er. "Alles quatsch. Natürlich darf jeder wählen, aber das ist doch nur Zirkus. Egal wer Präsident wird, ob Bush, Gore oder Scary. Keiner von denen wird etwas tun, was Exxon Oil oder General Motors gegen den Strich geht. Die Konzerne sagen, wo es hingehen soll, nicht der dumme Wähler - wäre ja noch schöner - und auch nicht der Präsident, sonst hat er einen Unfall - denk an Kennedy, zum Beispiel, der seinerzeit gegen eine Kugel gefahren ist." Er ließ sich nicht abbringen. "Hier im Iran zählt das Gesetz nur bedingt. Alles Vetternwirtschaft. Kennst Du jemanden an der richtigen Stelle, kriegst Du, was Du willst. Kennst Du niemanden, haste Pech gehabt." Das ist überall auf der Welt so. Bei uns in Deutschland spielt sich das nur auf einer höheren Ebene ab, aber Korruption und Vetternwirtschaft gibt es da auch, nur merkt der Durchschnittsbürger nichts davon - nicht viel. Wenn mein Pappi Polizeipräsident ist, dann zahle ich auch nicht jede Geschwindigkeitsübertretung." "Was ist das?" "Die Strafe, wenn man zu schnell fährt, meine ich." "Das kostet Geld?" "Da, siehste. Schon mal ein Vorteil, wenn es sowas im Iran nicht gibt." "Aber so viele Unfälle und so viele Tote!" "Tja, da greift eben noch der Darwinismus. Survival of the fittest."
Ich erzählte ihm, daß ich auch seit drei Jahren versuchte, in den USA Fuß zu fassen. Dann wollte er alles wissen, was ich so zu erzählen hatte über das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Auch er wollte hinüber und Los Angeles wäre sein Traum. Auch er erwähnte die rieseige Iranische Gemeinde, die in Los Angeles ansäßig ist, von der ich noch nie etwas gehört oder gar gesehen habe, dies es aber wohl geben muß, wie mir auch Almut bestätigt hatte. Sein Handy piepste. "Text message", stellte er fest und las, dann zeigte er sie mir. "Hello my firend! You are speaking english", stand da zu lesen. Ich sah mich um, konnte niemanden entdecken. "Wie war das jetzt gegangen?", fragte ich etwas verwirrt. "Mein Freund, der am Monitor sitzt. Siehst Du die Kameras?" Ich sah mich um, vor allem in den Ecken. Die einzigen Kameras, die ich sah, waren die ganz großen bei der Schranke, die aber nicht auf uns gerichtet waren, sondern auf die Fahrgasse, die Autos befahren mußten, wenn sie zur Grenze fuhren. "Nö..." Er deutete auf einen kleinen, unscheinbaren, halbrunden Boller, der an der Decke genau in der Mitte der Halle angebracht war. Das wäre mir in hundert Jahren nicht aufgefallen. Dann sah man weitere, auch außen. Raffiniert. Ich hatte nichts zu befürchten, sprach ich doch immer nur in höchsten Tönen vom Präsidenten dieses Landes. Bald schon kam der Autor der SMS und nahm am Gespräch teil. Der Polizist mußte weiter. Er fragte mich, ob ich später, so gegen 23:00 Uhr auch noch da sei. "Vermutlich schon... Solange das Auto da ist, bin ich auch noch da." Er wollte schließlich noch weiterfragen wegen USA.

Die Bäder oben waren tatsächlich nur von der einen oder anderen Fliege besiedelt. Das mußte geändert werden. Einige Minuten später war Friedhofsstille. Gut so. Auf dem Rückweg sagte man mir, daß man gerade versuchte, den Major Officer der Gesellschaft in Teheran zu kontaktieren. Ich nahm es zur Kenntnis, ging weiter zum Auto und schlug vor, daß wir uns doch oben ins Café setzen. Ich packte meinen Computer, Michl sein Buch, und Almut ihre Bibliothek und wir zogen los. Die werden uns schon finden, wenn sie uns suchen.

Blick nach achtern. Es herrschte relative Ruhe. Die Überlandbusse kommen wohl erst bei der Nacht.

Ich schrieb die Berichte zum 29. und 30. August. So nach und nach bekamen wir Zuschauer. "24 Stunden gehen durch", meldete ich an den rest der Besatzung. "Schaffen wir die 48?", fragte Almut grinsend? Schwer zu sagen. "Ich denke fast nicht. Oder? Das mit dem Bestechen hat wohl nicht geklappt, sonst hätten wir schon was von den Brüdern gehört." "Sollen wir Wetten?" "Nein, laß mal. Wer weiß, wo wir dann wieder Landen. Erst mal Ulan Bator, dann können wir wieder wetten." Ich versuchte auch, die Fliegen in diesem Raus auszurotten, doch das war schon etwas schwieriger. Das Handy mußte auch mal wieder geladen werden. Wir bestellten Tee. Es war ein Fehler, Michl zu schicken. Er brachte zwar den Tee, ohne die Hälfte auf dem Boden zu verteilen, aber als er sich setzte, landete besagte Hälfte auf dem Tisch. Ich schüttelte nur den Kopf, spürte schon Almuts Fuß an meinem Schienbein. Das hieß soviel wie "Nichts sagen." Ich sagte auch nichts, hätte eh nichts geholfen. Da Michl nicht von selbst auf die Idee kam, den Tee aufzuwischen, half ich nach: "Kann mal einer den Tee da aufwischen?" Er holte einen Lappen, wischte den Tee auf, brachte ihn zurück und setzte sich wieder. Nun waren wir wieder soweit wie wir waren, bevor er aufstand, um den Lappen zu holen. "Ah! Scheisse! Herrgott..." Diesmal kapierte er immerhin von selbst, daß er wieder nach dem Lappen fragen mußte. Wieder wischte er den Tee auf, wieder brachte er den Lappen zurück. "Glaubst Du, Du schaffst es diesmal, Dich so zu setzen, daß noch was im Bescher bleibt. "Ja", sagte er und tatsächlich - er berührte nicht den Tisch, der restliche Tee blieb im Becher. Ich applaudierte. Wieder rief mich Almut zur Ordnung, indem sie mir ins Schienbein trappte. "Und Du hör mal auf, mich hier die ganze Zeit zu trappen! Was kann ich dafür, daß er zu blöd ist, sich normal hinzusetzen?" Almut mußte grinsen. "Ihr seid wie Dick und Doof", stellte sie abschließend fest. "Ich bin nicht dick!", sagte ich. Und wenn Michl jetzt sagt "...und ich bin nicht doof!", fällt der Watschenbaum um. Aber er sagte nichts, sondern war schon wieder in seinem Buch vertieft, das mitllerweile nur noch aus Eselsohren bestand. "Ist da überhaupt noch ein Buchstabe leserlich?", fragte ich etwas zynisch. "Schon ein paar", sagte Michl ohne einen Schimmer von Sarkasmus, "aber ich les' es eh zum zweiten mal durch und weiß schon, was drinsteht."

Mein Handy piepste. SMS. Es war Frank: "Wo steckst Du?" Ich wechselte die SIM-Karten, nahm die deutsche aus dem Slot und schob die amerikanische an ihre Stelle. Die Deutsche ist nämlich eine zum Aufladen, während die Amerikanische auf Vertrag läuft. Das guthaben der deutschen war leer, es funktioniert also nur die amerikanische. Dann schrieb ich zurück: "Fest. Grenze Iran-Tuerkei. Die wollen Geld, haben sich aber das falsche Opfer ausgesucht. Bis bald."
In den Roten Löwen kann ich mich immer noch setzen, aber in eine solch exquisite Bar wie diese hier kommt man nicht so oft. Da ich schon mal dabei war, beantwortete ich auch noch die andere SMS, die Steffen geschickt hatte und die da lautete: "Servus. Bist grad in Augsburg? Was macht die Kunst? Ich komm heut auch wieder nach Hause. Was geht heut so?" Meine Antwort hierauf: "Keine Ahnung, was bei Euch so geht. Ich fuer meinen Teil haenge seit 25 Stunden an der Grenze Iran-Tuerkei fest und streike. Das alte Spielchen wieder mal." So eine kleine SMS kann so viel bewirken, man glaubt es gar nicht. Nun war es mir nicht egal, sondern ich war sogar froh, hier an der Grenze festzuhängen. Der arme Schnörzinger mußte sich im deutschen Pisswetter in Augsburg irgendwie aufhalten. Allein der Gedanke daran, daß uns das erspart blieb, ließ alles andere vergessen sein. Schmierige Agenten, Schmiergeldverhandlungen, Polizisten, was auch immer es ist, laß kommen. Besser, als in Augsburg herumzugammeln ist das allemal. Am Ende stehen wir sowieso wieder in Augsburg und das konnte, wenn es nach mir ginge, noch Monate warten. Und wenn es soweit ist, hinein in den Flieger und ab nach Kalifornien. Andernfalls in die richtige Klapse.

Der Agent mit Glaze kam vorbei und meinte: "Tomorrow Maku Office". Das bedeutete soviel wie: Wir fahren morgen zur Polizei und sehen zu, daß die uns dort den Stempel in den Paß hauen. Ich nickte und tippte weiter. Wie gesagt: Wie sie das machen, ist mit Schnuppe, Hauptsache wir haben unseren Stempel und können ausreisen.


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