Persien 2006
Sonntag, 17. September

In der Nacht fuhren mehrere Busse hinaus. Die Passagiere saßen dabei nicht im Bus, sondern passierten die Grenze zu Fuß. Das Tor wurde von beiden Kontrollhäuschen (20) aus bedient. In jedem saß ein Polizist, es war unmöglich, ungesehen daran vorbeizukommen. Nicht mit dem Auto. Verdammt. Das Auto war nun frei und durfte hinüber, doch wir saßen fest. Der ganze Grenzbereich war stark gesichert. Überall Überwachungskameras, Wachposten und Stacheldraht. Das Tor war auch zu hoch, als daß man einfach drüberspringen könnte - Almut hätte es vielleicht geschafft, ich auf keinen Fall. Das Auto immerhin noch eher als Michl. Wie dem auch war - ich hatte keine Lust, mir in der Nacht den Kopf darüber zu zerbrechen. Dafür würden wir immer noch genug Zeit haben, wenn alle unsere Versuche scheitern - und diese Wahrscheinlichkeit hatte in den letzten Stunden eine steigende Tendenz bekommen. So einfach, wie ich mir das ausgemalt hatte, war es jedenfalls diesmal nicht gegangen. Die Agenten waren zwar Anfänger, der Meinung war ich jetzt noch mehr, als noch vor zwei Tagen, aber das System schien zu funktionieren.

Almut drängte irgendwann, daß wir ja pünktlich unten vor dem Tore standen. "Steh jetzt auf, wenn er schon extra wegen uns herkommt." Ich drehte mich in die andere Richtung. "Geh weg, jetzt. Doch erst um acht", ich winkte sie weg. "Es ist schon halb und bis Du fertig bist", begann sie, die mir zugefügte Schlafstörung zu begründen. Sie wurde dadurch unterbrochen, daß ich plötzlich hellwach war: "Fuck! Sag doch was, Kruzefix!" "Da, Deine Tablette", sagte sie mit Garfield-Augen und stoischer Ruhe noch und reichte mir sowohl die Packung mit den Antibiotika als auch eine Tasse voll Mongo-Saft. Ich stürzte beides hinunter, schnappte mir mein Zeug und stürmte ins Bad. Lauter Leute im Ausgangsbereich. Wir nutzten nun auf der Ausreiseseite die Tür (neben 04b) als Eingang. Das war einfacher und kürzer, als um den ganzen Komplex zu laufen, um beim eigentlichen Eingang (zwischen 12 und 14) hineinzugehen. Sie sahen es nicht gerne. Aber was wollen sie tun? Schlimmstenfalls würden sie uns rausschmeissen - und uns dadurch jede Menge Rennerei ersparen. "Haut alle ab, ich will jetzt da durch!", bahnte ich mir den Weg durch die Menschenmenge frei, "Ksch! Ksch! Gehört das Dir?", fragte ich einen Mann, der suchend blickte und zeigte auf ein Kind, dessen Kopf sich genau auf meiner Kniehöhe befand, "Laß es bloß nicht umeinandliegen, verlierst es bloß wieder. Ich will hier kein Geschrei hören, klar?" Er verstand nicht direkt, was ich sagte, aber nahm das Kind an sich. Und das Bad war voll. "Ja, was ist denn hier los?", ich klatschte in die Hände. "hopp, hopp, ich muß mich fertigmachen. Das hier ist nichts für alte Leut, Ihr seid hier nicht auf 'nem Vergnügungsdampfer." Ein Waschbecken wurde frei. Ein winziger Mann, der gerade noch vergebens versucht hatte, seine Frisur im Spiegel zu überprüfen, gab es auf und verschwand. Ich machte mich fertig. Es ging schon auf Dreiviertel zu. Ich rannte wieder hinunter. "Morgen, Kollege!", begrüße ich einen Polizisten, der die Halle entlanglief. Er nickte mit dem Kopf und sagte "Good morning, Mister!" Weiter. "Achtung! Achtung!", schrie ich, um mich durch die Traube der Menschen zu arbeiten, die immer noch vor dem Schalter (04b) standen. "Habe färrtig!", meldete ich mich zurück und fragte, ob Michl dableiben kann. "Ich glaube, es ist besser, wenn er mitkommt. Was ist, wenn wir die Stempel kriegen und die ihn sehen wollen? Dann müssen wir extra wieder zurückfahren. Der sollte schon mit."

"Gut. Haben wir alles?", fragte ich in die Runde. "Hast Du unsere Pässe?", fragte Almut. Ich holte wortlos die Pässe aus dem Auto. "Jawohl!" - Kamera, Telephon, Schlüssel, alles da. "Zum Taxisammelplatz, ohne Tritt, marsch! Michl, nicht einschlafen." Wir eilten zum Taxi. "Fuck! Hab den Block vergessen". Egal. Das Taxi stand schon da, keine Zeit mehr. Wir stiegen ein, zusammen mit anderen Fahrgästen. "Ist das der, der uns gestern hochgefahren hat?", fragte Almut. Den Taxler erkannte ich nicht wieder, die Perser schauen ehe alle gleich aus. Aber ich erkannte das Wasserglas wieder, das vor den Instrumenten eingeklemmt war. "Ja", sagte ich. Und als der Taxler "Good morning, Mister!" sagte, erkannte ich, daß es auch der gleiche Fahrer war.
In wenigen Minuten waren wir am Tor, es war kurz vor acht. Dariusch war schon da. "Wie sieht der Plan aus?", fragte ich ihn. "Wir fahren wieder hoch", sagte er. "Das wird nicht viel bringen", meinte ich. Er wollte sich allerdings selbst ein Bild der Lage machen, vielleicht dort herausfinden, wo ein Zuständiger zu finden war, mit dem man reden konnte. Wir fuhren also sofort wieder hoch. Dort angekommen, führte ich ihn in unserem neuen Zuhause herum. Hier ist der Zoll, da hinten die Polizei. "Laß uns zuerst zum Zoll gehen", meinte Dariusch. Er ging zu den Leuten vom Zoll, doch mit denen war nicht zu reden. Nach wenigen SSätzen, drehte sich der Typ um und ging. Dariusch meinte, daß das Hauptproblem im Leben dieses Zollbeamten sein Analphabetismus sei. Wir gingen weiter. Es war viel los. Er wollte sich informieren. Ich schlug vor, daß wir zur Tourismusbeauftragten gehen. Diesmal war es nicht so wichtig, daß der Englisch konnte, denn Dariusch konnte neben Englisch und Französisch auch noch Persisch, Kurdisch und den örtlichen Dialekt, von dem Almut kein Wort verstand. Wohl eine Mischung zwischen Türkisch, Kurdisch, Turkmenisch und Persisch. Als er den Tourismusbeauftragten sah, begrüßte er ihn wie einen alten Kumpel. "Das hier ist Babak, wir waren zusammen auf der Schule!", erklärte Dariusch. Das ist ja schon mal was, denn wenn ein alter Klassenkamerad ein Anliegen hat, gibt man sich schon mal mehr Mühe, als wenn irgendein Touri dahergelaufen kommt.

Wir gehen zur Polizei. Mitllerweile waren wir schon zu fünft. Der Polizist schickt uns zum Manager der Zollstation. Das war im ersten Stock über der Bank (11). "Hier gibt's ja täglich was zu entdecken", fand ich. Und sah mich hier oben genau um, bis der Manager ankam. Der hört sich alles an und holt einen vom Zoll. Genau der, der sich vorhin einfach umgedreht hatte und gegangen war. "Na, also. Warum nicht gleich? Geht doch." Dieser hörte sich nun die komplette Ausführung an, quatschte nicht dazwischen. Als Dariusch und babak fertig waren, erklärte er, daß den Zoll keine Schuld träfe, sondern das Verschulden lag eindeutig auf Seiten der Gesellschaft lag. Also gingen wir, mittlerweile ausgestattet mit Frühstück, das Dariusch im Café geholt hatte, hinunter und suchten einen von der Gesellschaft. Ich erpähte den Oberagenten und wir steuerten auf ihn zu. Mittlerweile zu sechst, denn der Zollheini hatte sich uns angeschlossen. Er wurde zur Rede gestellt, und so nach und nach kamen die anderen Agenten auch. Die Diskussion wurde ins Büro Babaks, des Tourismusbeauftragten verlagert. Die Herren waren wieder mit von der Partie. Als die Diskussion im Gange war, kam gerade ein Bus voller Holländer an. "Ausgerechnet jetzt müssen diese Tulpenknicker hier auftauchen!", wetterte ich los. Babak mußte sie Eintragen, das war sein Job. Doch Dariusch übernahm das. Er greift sich die offizielle Liste von Babaks Tisch und trägt alle Holländer ein. Währenddessen diskutierte Babak mit den Herren von der Gesellschaft. Er fragte mich, ob ich ihnen Geld gegeben hätte. "Ja. 170 US$, damit die das Problem mit dem Visum beseitigen", sagte ich. Ich brauchte meinen Block mit den Notizen, da war alles genau festgehalten. Hier passiert entweder gar nichts, oder die Ereignisse überschlagen sich, und es ist schwer, im Augenblick abzuschätzen, was wichtig ist und was nicht. Aber die Beträge hatte ich immer genau festgehalten. Daraufhin verschwindet Babak mit den Agenten. Ich gehe los, um meinen Block aus dem Auto zu holen.

Als ich zurückkam, stand ein Herr im Raum, den ich bisher an der Grenze noch nie gesehen hatte. er saß auf dem Tisch, ich nahm auf dem Sessel Platz, der für den Touribeauftragten gedacht ist. Ich dachte mir nichts dabei. Er fragt mich, ob wir im Iran Probleme mit den Leuten gehabt hätten. "Nein, gar überhaupt nie nicht! Nur bei der Ausreise gibt es noch kleinere Unstimmigkeiten..." Er fragte nach dem Namen der Gesellschaft. Ich zeigte ihm eine der Visitenkarten, die ich hatte. Er fragte, ob er eine haben könnte. "Klar, kein Problem", sagte ich. Er machte ein paar Notizen, legte die Visitenkarte in den Block und verließ dann den Raum. "Das war ein Inspector aus Teheran auf Überraschungsbesuch", erklärte mir Dariusch, als der Mann den Raum verlassen hatte. So ein Zufall. Zeitlich nicht schlecht gelegen. Zum Glück waren wir wieder zur Grenze hochgefahren. Der Fall wird immer mehr publik und das ist gut so.

Es war mittlerweile kurz vor Elf, also praktisch Mittag. Wir wurden dadurch daran erinnert, daß Dariusch uns Sandwichs brachte. Ich saß weiter an Babaks Tisch, aß gemütlich mein Sandwich und unterhielt mich mit Dariusch, als drei Geistliche kurz in das Büro hineinspähten und wieder gingen. Diese erkannte man am traditionellen Gewand und dem Turban. Als sie weg waren, fing Dariusch an, über sie zu schimpfen. "Die mag keiner. Bei denen hält nie ein Taxi an, die drücken sich davor, die mitzunehmen, wo es nur geht." Das hatten wir allerdings in Teheran und Esfahan mehrfach beobachtet, was mich etwas wunderte, denn die Taxis sind sehr aufdringlich und wollen alles mitnehmen, das sich ohne Räder fortbewegt. Ich war nocht nicht ganz fertig mit meinem Sandwich, da kam Babak hineingestürmt und meinte, es geht los. Ich exte den Tee und war zur Abfahrt fertig. Das Büro wurde zugestperrt und es konnte losgehen. Diesmal allerdings nicht mit dem Taxi, sondern mit dem Kleinbus. Der hatte 13 Sitzplätze, ab Michls Sessle fehlte allerdings die Rückenlehne. Wieder typisch. 13 Leute srteigen in einen Bus ein, der 13 Sitzplätze hat - und wer kriegt genau den Sessel ab, bei dem ein normales Sitzen einfach nicht möglich ist? Der langsamste von allen, der einfach nie irgendwas merkt. Er merkte als einziger im Bus auch nicht mal, als einer der Fahrgäste ihn mehrmals laut aufforderte, mit ihm Platz zu tauschen. "Mister, Mister!" Ich winkte ab, deutete auf Michl, machte eine Scheibenwischergeste und eine des Schlafens. Bald schon waren wir angekommen.

v.l.n.r. Dariusch, Bubak, Amlut, Michl.

Wir stiegen um in ein Taxi. "Wo fahren wir eigentlich hin?", wollte ich wissen. "Zum Colonel", sagte Dariusch, "aber wir müssen uns beeilen, sonst ist er weg. Der macht heute früher Feierabend." Der Taxler fährt wie erwartet: Hupt, anstatt zu lenken. "Da kann man noch ein Schloß mit hundert Zimmern hinbauen und der Idiot schafft es nicht, vorbeizufahren. Unglaublich", bemerkte ich kopfschüttelnd. "Vielleicht will er ja im Zickzack durch die Engstelle", meinte Michl. Dann klappt's natürlich nicht. Daran hatte ich wiederum nicht gedacht. Vor der Kaserne ließ er uns hinaus. Beim Aussteigen bemerkte ich, daß das Taxi eine Schnur hinter sich herzog, deren anderes Ende sich irgendwo zwischen Tank und Kofferraum verlor. Ich trat sicherheitshalber drauf und wartete, bis der Taxler wieder losfuhr. Die Schnur dehnte sich, unterhalb des Kofferraums tat sich eine Klappe auf, schnalzte mit einem lauten Scheppern zurück und ein paar Plastiksplitter surrten durch die Luft. "Hm! Blöd!", sagte ich ganz kleinlaut und leise, und ging weiter, um Unauffälligkeit bemüht. Am Eingang mußten wir diesmal die Handys abgeben. Dariusch wurde nicht danach gefragt. Wir gingen nach dem Eingang rechts und warteten in dem Gebäude, das sich rechterhand befindet. "Ist das hier nun Militär oder Polizei?", wollte ich von Dariusch wissen. Es rannten zwar Männer mit Zitronenfarbenen Hemden der Polize herum, aber auch solche mit olivgrünen Hemden, die ich für Soldaten hielt, auch sah es hier mehr wie eine Kaserne aus, statt wie eine Polizeistation. es war eine Polizeistation, die allerdings vom Militär bewacht wurde - so verstand ich es. "Hast Du die kleinen Mäuerchen gesehen vor dem Eingang?", fragte er mich und redete ganz leise. Da waren vor der eigentlichen Hofmauer kleine Schikanen aufgestellt, in denen die beiden Wachen standen. Hier haben vor einigen Monaten Kurden einen Polizisten erschossen. Seitdem haben sie hier schärfere Sicherheitsmaßnahmen getroffen. "Toll! Und zu uns nach Deutschland schickt ihr nur die Versager. Kannst Du denen nicht sagen, daß sie in Deutschland auf Polizisten schießen sollen?" Er meinte, wir sollten uns später über solche Sachen unterhalten, hier sei ein denkbar ungeeigneter Ort dafür. Und schon ging die Türe auf, vor der wir standen und man forderte uns auf, draußen auf dem Hof vor dem kleinen Büro zu warten, in dem wir gestern mit dem Agenten waren. "Auf was warten wir eigentlich?", fragte ich Dariusch. "Auf einen Brief vom Zoll", erklärte Dariusch. Die Tür ging auf und ein Polizist kam heraus. "Passports", sagte er. Ich konnte nicht sagen, ob es der gleiche war, der auch gestern dasaß. Vermutlich aber nicht. Er sah sich alle Pässe an, dann fragte er, warum Almut keinen Stempel hatte. Ich versuchte ihm zu erklären, daß der Paß von der Gesellschaft zurückgehalten worden war, aber sein Englisch war nicht ausreichend. Er hieß uuns weiter warten. Ich deutete auf den Schatten, den die Mauer warf. Er gab mir zwei Stühle mit, die vor dem Zimmer im Freien standen. Michl, Almut und ich nahmen dort Platz, Dariusch verabschiedete sich mit dem Hinweis, er würde zum Zoll fahren und Babak unterstützen. Wir sollten hierbleiben.

Eine Fahrschule (!)"Diese verdammte Warterei geht mir an die Nerven", sagte ich zu Almut und drückte meine Cigarette auf dem Boden aus, "Soll er meinetwegen kommen und sagen, es klappt nicht, oder irgendwas, aber diese Warterei..." Ich steckte mir die nächste Cigarette an. Es war halb Eins, als ein Peugeot recht unorthodox vor das kleine Büro fuhr. Er war groß, dunkelgrün-metallic. Zwei Typen stiegen aus, die sehr an Billig-Mafiosi erinnerten. Offener, schlecht sitzender Anzug, keine Kravatte, Bundfaltenhose, schlecht rasiert, aber mit viel Gel in den Haaren. Wie in einem schlechten Film. Sie öffneten die hintere Tür und zogen einen kleinen Mann von gebückter Haltung heraus, der in Badeschlappen, zu kurzer Hose und einem durchlöcherten, rosaroten T-Shirt gekleidet war, das wohl einmal rot gewesen ist. "Hat der Handschellen an?", fragte Almut. Mir schien so, aber genau sah man es nicht, weil er mit dem Rücken zu uns stand. Der Polizist, der zuvor unsere Pässe angesehen hatte wurde herausgerufen, dann redeten die Anzugträger mit ihm. Aus dem Raum rechts neben dem Büro zogen sie einen weiteren Typen heraus und stellten ihn dazu. Der sah aus wie ein Afghane oder Pakistani, jedenfalls nicht wie ein Perser. Es wurde laut diskutiert. Ein Soldat kam hinzu.
Ein weiterer Typ kam aus dem Raum nebenan, der wohl eine Zelle zu sein schien. Er zeigte auf die Toilettenhäuser auf der gegenüberliegenden Seite, doch der Polizist schickt ihn sofort in die Zelle zurück.
Die Diskussion zwischen den Anzugträgern und dem Polizisten schien ins Stocken zu geraten. Nun war er wohl beleidigt, jedefalls klang es so. "Was sagen die?", wollte ich von Almut wissen. Das Schauspiel lenkte mich ab von der Warterei. "Ich versteh kein Wort, das ist der örtliche Dialekt hier..." Nach zehn Minuten rief ein Soldat etwas in die Zelle und kurz darauf kamen die Häftlinge herausgetröpfelt. Sie lärmten nicht, unterhielten sich nicht. Alle sahen aus, als wären sie von den östlichen Nachbarländern. Fünf zählten wir insgesamt. Sie durften aus- bzw. heraustreten. Einer sammelte unaufgefordert den Müll ein. Sie durften eine Weile an der frischen Luft bleiben. Es war zehn vor eins, als sie wieder in die Zelle kommandiert wurden. Der Soldat schob nicht mal den Riegel vor die Tür. Die sahen nicht so aus, als würden sie einen sinnlosen Fluchtversuch unternehmen wollen. Warum sie wenige Minuten später schon wieder herausgelassen wurden, bzw. warum man sie überhaupt wieder hineingeschickt hatte, leuchtete mir nicht ganz ein. Wahrscheinlich wußte Muh wieder mal nicht, was Mäh gesagt hatte. Nun durften sie unter Aufsicht im Hof herumlaufen.

13:10 Uhr: Dariusch kommt wieder zurück. Er zückt sein Handy und bittet um unsere Pässe. Er gibt die Angaben ans andere Ende der Leitung durch. Seltsam war, daß er sein Handy behalten durfte. Dann legte er auf und nahm Platz.
Wir unterhielten uns über den Iran. Er kritisierte einfach alles am System. Heute war das Wahlsystem dran. Ich machte mich bereit, Kontra zu geben. Hier im Iran muß man sich vor der Wahl als Wähler qualifizieren, ob man sich zur islamisch-demokratischen Grundordnung bekennt. "Was sind denn das für Wahlen, bei denen nur Leute zugelassen werden, die Regimetreu sind. Und bei denen es nur Parteien gibt, die Systemkonform sind." Almut stimmte ihm zu, daß sowas Humbug sei. "Das ist doch bei uns genauso", warf ich dazwischen. "Was?", fragte Almut fast entsetzt. "Es ist zwar ein großer gradueller Unterschied, aber kein prinzipieller", berichtigte ich mich, indem ich die Übertreibung aus meiner Aussage nahm. "Denn wie anders erklärt sich, daß wir zwar verschiedene Parteien haben, daß die sich aber in den Grundsatzauffassungen der Politik alle identisch sind? Und ob ich fünfzig Parteien habe, die alle mehr oder weniger gleich sind, oder eine einzige Partei (bei uns heißt das dann freiheitlich-demokratische Grundordnung, wobei das Wort freiheitlich alein schon wie der blanke Hohn klingt): Ein prinzipieller Unterschied ist nicht vorhanden, der Unterschied liegt lediglich in der Bandbreite, das ist alles. Und wer davon abweicht, bekommt eins auf den Deckel - wobei auch da wieder Unterschiede bestehen - graduelle, keine prinzipiellen. Du kannst bei uns diesen oder jenen Bundestagskasper wählen, diese oder jene Partei, aber es ist völlig egal, wieviele Abgeordnete von welcher Partei im Bundestag sitzen. Aber geh doch mal hin und wähl eine Partei, die den Euro abschafft, oder die aus der EU austritt, oder die die Hohenzollern wieder auf den Thron bringt. Hä? Geht nicht. Kannst nur wählen zwischen einer Partei, die die Mehrwertsteuer um 1% erhöht und einer, die sie um 2% erhöht - wobei sich von selbst versteht, daß vor der Wahl die Steuersenkung immer groß auf den Fahnen aller Parteien steht. Welches Gesetz schreibt denn vor, daß man Wahlversprechen auch einlösen muß? In den westlichen Demokratien jedenfalls keines. Da ist das System hier viel ehrlicher, es sagt: 'Mund zu und tu was ich Dir anschaffe', während es in den westlichen Demokratien heißt: 'Beschwer Dich nicht, Du kannst ja frei bestimmen', und doch muß man tun, was die Obrigkeit anschafft. Nee, nee. Die einzige echte Wahl, die man hat ist die, sich nach woanders zu begeben. Und die Wahl hat man auch hier - es ist nur schwieriger als bei uns." Doch ich konnte trotz allem weder Dariusch, noch Almut grundlegend umstimmen - obwohl ich recht hatte. Wie soll ich gegen zwei Demokraten ankämpfen, wenn ich als Waffe nur die reine Vernunft zur Verfügung habe? Da diskutiert es sich mit den Zeugen Jehovas ergiebiger. Wenigstens fiel es dadurch das Warten leichter.

Minutenlang kreisten zwei weisse Tauben über der Kaserne. Das war ein Bild, das es verdient hätte, festgehalten zu werden. Die Gefangenen, mit ihren hängenden Köpfen und zerlumpten, staubigen Kleidern, auf dem dunkelgrauen Asphalt des Hofes, dahinter ein Soldat in eintönigem Oliv, das Sturmgewehr geschultert, ins Nichts blickend, das alles durch hohe Mauern ringsum begrenzt, die vor langer Zeit in bunten Farben gestrichen worden waren. Und weit über dem Stacheldraht, der gleichsam die Grenze zwischen diesem tristen Bild und dem tiefen Blau des wolkenlosen Himmels bildete, schwebten verloren die zwei strahlendweißen Friedenssymbole. Photographieren war streng verboten, daher ließ ich es bleiben. Es hätte unsere Situation nicht verbessert. Aber ich sah ihnen ewig hinterher. "Wenn mal was gar nicht ins Bild passt, dann die zwei weißen Tauben da", sagte ich. das Bild war sowieso schon verrückt genug. Die einzigen, die hier nicht aussahen wie Verbrecher, waren die Gefangenen. Die Soldaten sahen eben aus wie Soldaten, aber jeder Polizist wäre als Verbrecher durchgegangen, ganz zu schweigen von den beiden, die aus dem Peugeot ausgestiegen waren. Verkehrte Welt. "Was haben die überhaupt angestellt?", fragte ich Dariusch. Wie ein Gefängnis sah das hier ja nicht aus. "Die sind vermutlich aus Pakistan oder Afghanistan und wollten sich nach Europa durchschlagen. Da gibt es viele", meinte er. Ich fragte nicht weiter nach, was wohl mit denen geschehen würde. Es zeigte jedenfalls deutlich, daß unsere Lage so weit entfernt war von allem, was man als Notfall bezeichnet, daß man sich wehleidig vorkam, wenn man nur darüber nachdachte. Man verliert da leicht den Blick dafür.

Um fünf vor halb drei kamen Babak und der Typ von der Gesellschaft an, begrüßen uns kurz und gehen dann direkt weiter in das kleine Büro, in dem der beleidigte Polizist saß. Dariusch ging mit, meinte aber, es sei besser, wenn wir hierblieben. Er würde uns rufen, falls er uns brauchte. Er nahm nur die Pässe mit. Ich hasse diese Anspannung. Die Tür blieb offen, man hörte sie reden. Selbst wenn man die Sprache beherrschte, man hätte nichts verstanden, es waren nur Wortfetzen, die der Wind herüberwehte. Bald wurde es lauter. Nun hätte man etwas verstanden. Es hörte sich allerdings nicht gut an. Dann wurde es wieder leise. "Das geht schief...", sagte ich, sah in den Boden und schüttelte den Kopf. "Och, nö. Ich glaub, das klappt", sagte Almut mit ihrem sonnigen Gemüt. Ganze zwanzig Minuten dauerte es, dann kamen Dariusch, Babak und der Oberagent aus dem Büro. "This foolish man thinks he is God!", sagte Dariusch. "Der Colonel sagte, mit einem Schreiben des Zolls wäre es in Ordnung. Hier ist ein Brief in dem steht, daß der Zoll die Schuld auf sich nimmt und daß man Euch fahren lassen soll. Morgen wird ein anderer an Stelle dieses Idioten da sein.", erklärte er und schien wütender als wir alle zusammen. "Woher hast Du das gewußt?", fragte Almut, "ich liege mit meinem Gefühl immer falsch." "Das", erklärte ich ihr, "liegt daran, daß Du sowas wie Gefühl nicht hast. Ich kann Dir nicht sagen, warum ich das Gefühl hatte, daß es schiefgeht. Vielleicht war es die Tatsache, daß man nicht ewig rumreden muß, wenn alles klar ist, vielleicht ist es aber auch nur, weil ich ein hoffnungsloser Pessimist bin, oder ich sage einfach immer, daß es schiefgeht. Wenn ich falsch liege, vergißt das eh jeder in der Euphorie und wenn's wirklich schiefgeht, dann bin ich der Mann mit dem feinen Gespür."

Wir fuhren in die Stadt und gehen mit Dariusch in ein Imbißlokal. Der Laden daneben gehört ihm, es ist ein Übersetzungsbüro für Englisch und Französisch. Läuft scheinbar gut - was zu erwarten ist in einer Gegend, in der wahrschienlich außer ihm keiner Englisch spricht, geschweige denn Französisch. Er bestellte Sandwichs und wir saßen eine Weile da, aßen und besprachen den Plan für morgen. "Vielleicht", so Dariusch, "wäre es ganz gut, wenn wir einen Brief vom obersten Zoll-Boss hätten..." Er rief Babak an. Was sie miteinander redeten, weiß ich nicht.

Im Café neben Dariuschs Laden.

Als auch Michl aufgegessen hatte, gngen wir aus dem Lokal. Dariusch ging voran und führte uns zu sich nach Hause. Wir nahmen im Wohnzimmer Platz, das, charakteristisch für den Orient, statt mit Sessel oder Stühlen, nur mit Teppichen und Sitzpolster ausgestattet war. Nur in der Ecke stand eine Art Schreibtisch und an zwei Ecken im Zimmer waren Bücher. An der hinteren Wand Bücher über alles Mögliche: Staatsrecht, Islam, einige Titel in Französisch. An der anderen Wand waren Bücher zu tausenden gestapelt. Es handelte sich, wie er erklärte, um eine Publikation von ihm selbst, die allerdings nicht vertrieben werden dürfe.

Und damit war der Anlaß auch schon hergestellt, über das Regime zu schimpfen. Und da ich persönlich am Regime in Teheran nichts auszusetzen hatte, war also für Unterhaltung gesorgt. Das Thema gibt ja einiges her. Dariusch machte eine Bemerkung, die uns allerdings etwas überraschte: "Die meisten Leute hier wären froh, wenn die Amis einmarschieren würden. Zumindest hier in der Region." Nun war es nicht ich, der sofort in die Parade fuhr, sondern Almut, die von Berufs wegen immer an der Quelle von Nachrichten aus dem Mittleren Osten sitzt. "Frägt sich nur, wie lange", sagte sie und führte das Beispiel Irak an. Es hat auch im Irak viele gegeben, die einen Einmarsch zunächst begrüßt hätten, die gegen Hussein waren, und die sich mittlerweile nichts sehnlicher wünschen, als die Verhältnisse, wie sie unter Hussein waren. Die Amis haben ein Talent dafür, sich wie die Axt im Walde zu verhalten. Ein Fehler, den die deutsche Armee schon über 60 Jahre zuvor in Rußland begangen hatte. Und wenn man sich so ansieht, wer bei den Amis an vorderster Front steht - sicher keine Harvard-Absolventen - dann hat man den Beweis dafür, daß sich das nicht ändern wird. Und auf der anderen Seite stehen Moslems, stolze Völker, die von Natur aus nachtragend sind - letzteres ist, nebenbei, auch meine beste Charaktereigenschaft. Das sind keine dämlichen Deutschen, denen man ein paar Kilo Rosinen schenkt und ein paar McDonald's hinstellt und schon ist man wieder der beste Freund.

Dariusch darf auch offiziell hier nicht unterrichten, tut es aber trotzdem. Irgendwie windet er sich durch die von der Regierung erlassenen Verbote, hat seine Beziehugen, Verbindungen, Bekannte. Geht schon alles, irgendwie und doch schien er nichts mehr zu hassen, als dieses System und macht dagegen im Untergrund Front, wo er nur kann. Und Touristen scheint er systematisch abzufangen, sobald sie die Grenze passieren. Er hätte immer nur gute Erfahrungen gemacht und steht mit den meisten von ihnen immer noch in Kontakt. Die einzige Ausnahme war eine Amerikanerin, die sofort die Flucht ergriff, als er sie ansprach. Sein Traum ist es, in Frankreich fertigzustudieren. Dariusch ist sehr francophil veranlagt, was mir natürlich sofort wieder neue Nahrung bot, Kontra zu geben. "Franzosen gibt es nur drei Sorten: Schwarzafrikanische, Moslemische und Schwule." Er schüttelte den Kopf. Das stimme nicht, Frankreich ist ein sehr geschichtsträchtiges Land. "Ja, aber nur weil ein Italiener die Führerschaft übernommen hat, der den Faulpelzen gezeigt hat, wie man Geschichte schreibt, wo die doch massive Schwierigkeiten haben, ihren eigenen Namen zu schreiben." Aber all meine Argumente, so sachlich ich sie auch vortrug, stießen bei ihm auf taube Ohren. "Franzosen sind nur angenehm, wenn man gegen sie Krieg führt, weil sie immer noch dem gleichen Vierpunkteplan vorgehen: 1.) Verstecken, 2.) Davonlaufen, 3.) Sich ergeben, 4.) Kollaborieren." Selbst Hitler sei ein großer Bewunderer der Franzosen gewesen und hätte Paris als die schönste Stadt der Welt bezeichnet. "Ja, aber das nur, weil er nie in Esfahan war." Man konnte einfach Vernunft sprechen, wie man wollte, Dariusch blieb bar jeder Einsicht. Ich gab es schließlich auf. "Once this madness is finished", sagte ich zu Almut, "werden wir mal sehen, wie man dem Monsieur weiterhelfen kann. Studienplatz gibt es keinen, aber vielleicht einen Frankreich-Urlaub. Wir könnten ihm die wenigen zivilisierten Bauwerke in Frankreich zeigen - den Atlantikwall, zum Beispiel, was hältst Du davon?"

Wir wollten an der Grenze zurück sein, bevor es dunkel wurde. Gegen sechs erhoben wir uns langsam vom Boden und gingen hinaus. Das Wohnzimmer lag etwa zweieinhalb Meter über dem Garten. Michls Schuhe lagen so auf der Treppe, daß man drüberstolpern mußte. Um diese Gefahr zu beseitigen, verlegte ich den einen Schuh in den Garten. Dann zog ich mir meine Stiefel an, was jedes Mal eine kleine Zeremonie ist, die einige Minuten dauert. Währenddessen stand Michl mit einem Schuh bekleidet und versuchte herauszurfinden, was nicht stimmte. Erst, als alle anderen ihre Schuhe anhatten, fiel ihm auf, daß sein zweiter Schuh fehlte. "Ah! Das gibt's doch nicht. Wo ist mein Schuh? Ich hab ihn doch da hingestellt." Ich mußte laut loslachen. "Von wegen gestellt! Du hast ihn in Richtung Haus geworfen und gehofft, daß er neben dem anderen landet. Den wird irgendjemand in den Garten geräumt haben, schätz ich." Bevor sein Hirn meine Worte vollständig verarbeitet hatte, kam Dariusch schon an mit einem Schuh in der Hand und einem unterdrückten Grinsen, das in sein Gesicht eine leicht rötliche Färbbung hineinpresste. Almut versuchte sich wieder mal als Spaßbermse, hatte aber kaum Erfolg.

Wir stiefelten los, um ein Taxi zu nehmen. Dariusch kam mit um ein Taxi anzuhalten. Auf dem Weg blieb er kurz stehen und unterhielt sich mit jemandem, der gerade aus dem Lokal kam, in dem wir am frühen Nachmittag gesessen hatten. "Das ist ein Bekannter. Er arbeitet im Justizministerium. Ich habe ihm Euren Fall geschildert, vielleicht fällt ihm etwas ein", sagte Dariusch und stellte uns kurz vor. Dann hielt er ein Taxi an und wir fuhren in Richtung Grenze. Es war 18:20 Uhr, die Sonne war bereits untergegangen.

Links der Große, rechts der Kleine Ararat.

Ich wollte das Auto nicht unbedingt länger als notwendig alleine lassen. Wer weiß, was denen sonst so einfällt. Zwanzig Minuten später waren wir an der Grenze. Wir holten noch Cigaretten, dann gingen wir hoch. Ein Schwarm Mücken schwirrt um das Auto, als wir ankamen. Ich hatte einige Mühe, die Viecher zu töten oder in die Flucht zu schlagen. Almut meldete sich ab zum Haarewaschen, ich blieb da und beobachtete das Tor (21 / 22). Zu diesem Zweck begab ich mich in die Kanzel und warf den Motor an. Ein gelber Scania-Bus stand eine Weile links neben uns und wartete, bis die Passagiere komplett sind. Dann erst fährt er los. Das Tor geht auf, während der Bus hindurchfährt, verläßt der Polizist das linke Torhäuschen und läuft hinter dem langsam fahrenden Bus entlang, in Richtung auf das andere Torhäuschen. Dann gibt er ein Zeichen, und das Tor auf iranischer Seite geht zu. Das türkische geht unmittelbar darauf zu. "Keine Chance..." Zumindest nicht, wenn man nicht bereit war, zum Zwecke der Flucht, jemanden plattzufahren. Einmal war die Ersatzteillage in der Türkei war nicht besonders, zum anderen müssen die Türken auch mitspielen, denn wenn die einen in den Iran abschieben, dann gibt's richtigen Ärger. Ich ließ den Motor weiter laufen - er braucht schließlich auch Bewegung - und stieg aus. Die Flutlichter auf türkischer Seite gingen mit einem Mal aus. Nach einer Weile sah ich, daß nicht nur die Flutlichter, sondern alle Lichter aus waren. Kurze Zeit später sprang die Notbeleuchtung an. Die war mehr als dürftig.

Almut kam zurück. "Keine Chance, hier durchzubrechen", meldete ich ihr, "aber wir können auf das Angebot vom Agenten zurückgreifen, wenn alle Stricke reißen", fing ich an, schon mit jenem Unterton, daß irgendwo an der Sache ein Haken sein muß. "Welches Angebot?", kam die Gegenfrage, wie erwartet. "Also. Die haben uns doch gestern angeboten, sie würden uns das Geld auslegen. Dann fährt einer von denen mit rüber und wir geben ihm das Geld zurück." Almut sah mich abwartend an. "Naja, und da dachte ich mir, wir können uns dann drüben weigern, ihm das Geld zu geben und die Warterei drüben fortsetzen. Er kann uns nicht zum Geldabheben zwingen. Oder: Die werden vermutlich einen Paß behalten, aber er weiß nicht, daß Du zwei hast. Wir fahren rüber, lassen ihm Deinen Paß da und holen in Ankara den anderen ab. Oder: Wir fahren mit ihm nach Dogubayazit und unterwegs hat er einen kleinen Unfall - wen interessiert's? Die Türken sicher nicht." Es war auch einfach Mist, daß die 38er in meinem Auto lag, und nicht in diesem. "Einmal hat man eine Verwendung dafür, dann ist sie nicht da", fluchte ich. Almut hatte ein Problem mit derlei Methoden. Es entspann sich eine Grundsatzdiskussion:
Mein Standpunkt war, daß es völlig legitim ist, einen Betrüger über's Ohr zu hauen. Man gelangt zum Ziel, und schlecht ist es auch nicht, wenn einer von seinen eigenen Methoden zu schmecken bekommt. What goes arround, comes arround. Das hier waren Anfänger. Und ich habe brasilianisches Blut in mir, bin sozusagen der geborene Betrüger. Die Chancen standen nicht schlecht.
Almuts Standpunkt war der, daß man ein gegebenes Wort nicht brechen dürfe, auch so einem Zigeuner gegenüber. "So ein Schwachsinn!", wetterte ich los, "Man kann nicht ausschließlich mit den erlaubten Mitteln einen Kampf führen, wenn sich der andere nicht dran hält. Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft. Anders geht's nicht - oder man verliert", versuchte ich ihr klarzumachen. Ich konnte sie allenfalls zu dem Standpunkt beleidigen, daß sie darauf bestand, möglichst lange auf solche Methoden zu verzichten. Motzend ging ich, mit meinem LapTop bewaffnet ins Café (08). "Meine Güte! Ich geh jetzt abwarten und Teetrinken. Ihr könnt meinetwegen einen Gutmenschen-Wettbewerb veranstalten und Euch hinterher freuen, daß Ihr gewonnen habt. Huhu, Platz eins und zwei. Könnt die Agenten fragen, ob sie mitmachen, dann wärt ihr schon zu fünft."

Almut und Michl an unserem Stammplatz im Café.Ich betrat den Raum, schloß den Rechner an, und während er hochfuhr, versuchte ich den Raum fliegenfrei zu patschen. Es gelang mir fast. Die schmierigen Agenten waren auch schon da. Und diese Uhrzeit noch? Seltsam. Almut und Michl kamen auch. "Jetzt bitte! Schau Dir doch mal diese Gestalt an! Den würde nicht mal seine Mutter vermissen, wenn er im Straßengraben verfault", sagte ich zu Almut und deutete mit dem Kopf auf den Schmierer links hinter mir. "Das sind deren Methoden, nicht unsere." "Nein, certainly not. Wir sind doch Gutmenschen, wir sind was Besseres, wie konnt ich das nur vergessen", äffte ich durch die Gegend. "Hol mal einer einen Tee!", sagte ich zu Michl, während ich bereits begonnen hatte, das Reisetagebuch zu tippen. Neben mir das Heft mit den Notizen.
Hinter uns fanden sich einige Polizisten ein. Sie saßen am Tisch, tranken ihren Tee und rauchten Cigaretten.
Dieses heimtückische Schweigen im Raum, das seltsamerweise immer eintritt, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann - wer kennt es nicht. Das war schon in der Schule so. Man dreht sich um, sagt zu seinen Hintermann "Was willst denn, Du Arsch?" - genau eine Sekunde nachdem der Lehrer "Ruhe" befohlen hatte (was man natürlich überhört, bei dem Geräuschpegel) und somit genau in der Sekund, in der die Ruhe eingetreten war.
So war es auch hier. Der Aufseher, der mich mittlerweile beim Namen kannte, sagte: "Markus! Markus!", als ich vom Computer aufblickte, zeigte er auf mich und fragte genau in dieses plötzliche Schweigen hinein: "Journalist?" Nun hielt das Schweigen an, ich konnte spüren, wie alle Blicke zu mir herüberwanderten. Ich sagte "No", allerdings so, daß unklar blieb, ob es stimmte oder nicht. Der Stapel Tageszeitungen, den ich neben dem Rechner hatte, mag diesen Eindruck verstärkt haben. Ich tippte weiter. Ab diesem Zeitpunkt konnte man von verstärkter Polizeipräsenz im Café sprechen. Immer wieder stand ein Zitronengelbes Hemd hinter mir und spähte interessiert auf den Bildschirm. Und immer war ein Polizist im Raum. Das konnte Zufall sein, aber warum waren an allen anderen Tagen keine Polizisten hier? Das machte eigentlich gar nichts. Die sollen ruhig wissen, daß nichts geheim bleibt. Ich schrieb und schrieb und ließ mich nicht stören. Almut ging ins Bett, sprich: Sie legte sich zwischen Auto und Zaun auf den Randstein. Michl und ich blieben noch eine Weile.


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