Persien 2006
Montag, 18. September

Gegen halb eins kam jemand an unseren Tisch. Er sprach Deutsch, sah aber aus wie ein Einheimischer. Ich konnte ihn nicht einordnen.
Er: "Isch habe gehört, Ihr habt Probleme"
Ich: "Ach, woher denn? Nur eine kleine Unpäßlichkeit. Woher wissen Sie das?"
Er: "Isch mache gerade meine Papiere. Habe nicht gewußt, daß man braucht Carnet."
Ich: "Hatten wir auch nicht..."
Er: "Jetzt hab isch auch Problem, weil isch hab kein Carnet. Und was macht Ihr ohne Geld? Ihr müßt doch Benzin kaufen, das kostet Geld."
Ich: "Der Tank ist voll, wir kommen bis Erzurum, dort treffen wir einen Bekannten."
Er: "Und daß Bekannter fährt her und bringt Euch Geld, Ihr zahlt und könnt weiterfahren?"
Ich "Wieso sollten wir zahlen? Ist doch nicht unsere schuld."
Michl: "Genau. Die haben uns nämlich unseren Paß nicht..."
Ich: "Sei still!"
Er: "Aber wenn es die einzige Möglichkeit ist, hier wegzokommen..."
Ich: "Dann bleiben wir solange hier, bis sich eine andere Möglichkeit auftut."
Er: "Isch weiß jetzt auch nicht, was isch machen soll mit meinem Carnet. Gibt's da andere Möglichkeit?"
Michl: "Nein, aber, das Auto ist ja schon draußen, es geht nur darum, daß wir..."
Ich: "Darum geht's schon lange nicht mehr. Halt einfach die Fresse, Alter!"
Michl: "Ah! Ich sag nichts mehr..."
Ich: "Ohne Carnet brauchst Du halt die Firma, die für Dich bürgt. Mußt halt aufpassen mit diesen Schmierigen Typen da", ich zeigte ganz offen auf einen Agenten, der sich immer noch im Café aufhielt und gerade aufgestanden war, um sich einen Tee zu holen.
Er: "Isch würde an Euerer Stelle einfach zahlen."
Ich: "Auf keinen Fall. Sollen die zahlen, die schuld daran sind. Ich zahle nichts. Die können uns nicht ewig festhalten. Und bei der momentanen politischen Situation sind Geiseln das letzte, was der Iran brauchen kann."
Er (ganz entsetzt): "Aber Ihr seid doch keine Geiseln. Ihr braucht nur zahlen, dann dürft Ihr weiterfahren."
Ich: "Das ist die Definition für Geisel."
Er: "Isch muß jetzt weiter, isch glaub, meine Papiere sind fertig."

Er ging nach unten. Seltsame Begegnung. Er schien sich für unser Problem mehr zu interessieren, als für sein eigenes. Und er war erstaunlich gut informiert. Wahrscheinlich hatten ihm die Agenten das erzählt, aber warum so detailliert? Ich wurde vom ersten Augenblick den Verdacht nicht los, daß er uns aushorchen wollte. Und entsprechend geantwortet: Nur was er wissen muß. Auch war das Wort "Geisel" gefallen. Das ist wichtig. "Und Du Arsch ", zischte ich Michl an, "hältst gefälligst die Fresse, wenn Du nicht gefragt bist. Das hab ich Dir in den letzten Wochen schon ein paar Mal gesagt und wenn Du es nicht kapierst, wenn ich's Dir sag, dann hau ich Dir das nächste Mal in die Fresse, und zwar so lange, bis Du technisch nicht mehr in der Lage bist, dazwischenzuquatschen. Wenns Dein Hirn nicht kapiert, Deine Anatomie kapierts!" So was Bescheuertes! Mit dem Typen war irgendwas faul, das merkt jedes Kleinkind. Der braucht nicht alles zu wissen. "Ah!, OK, ich halt in Zukunft das Maul", sagte Michl. Das hatte ich schon ein paar Mal gehört. "Gut. Geduld ist nämlich noch nie meine Stärke gewesen..."

Ich bestellte etwas zu Essen und tippte den Tag noch fertig. Das dauerte etwa eine Stunde. "Verdammt. Schon wieder zwanzig vor zwei!", bemerkte ich, "Zeit zum Ablegen." Ich wollte zahlen. "No, my friend. It's OK", sagte der Verkäufer. "Thanks a lot! See you tomorrow." Ich machte mich fertig und legte mich hin. Es war sehr windig. Wenigstens hielt das die Mücken von uns fern. "Da war grad noch eine seltsame Erscheinung oben. Autoschieber, vermutlich. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß ihn die Agenten geschickt haben müssen", berichtete ich Almut. Die Jungs, die die LKW auf der anderen Seite des Zauns desinfizierten brachten uns heissen Tee.

Das nördliche Torhäuschen (20), von unserem Platz aus gesehen.

11:50 Uhr: Almut schlägt Alarm. "Aufstehen! Es geht los." Ich war innerhalb von wenigen Minuten fertig. Wir wollten zur Zollverwaltung. Babak und einer der Agenten warteten schon. Wir stürzten zum Taxisammelplatz und fuhren mit dem dunkelblauen Saïpa los bis unten, vor das Tor. Dort bogen wir links ab und gingen zum Zollgebäude. Es war punkt Mittag, als wir dort angekommen waren. Wir stürmten Babak hinterher, es ging hinauf in den dritten Stock. "Können die sich hier keine Aufzüge leisten? Was machen die nur mit dem ganzen Geld, das sie unschuldigen Passanten abnehmen?", keuchte ich. Almut lachte mich aus. "Jaja, lach Du nur. Wenn Du erst einmal in mein Alter kommst, findest Du solche Schikanen auch nicht mehr witzig", motzte ich weiter, "eine Gemeinheit! Einen alten Mann erst die Treppen hochjagen als wie einen Rekruten und dann auch noch auslachen... Keuch!"
Im dritten Stock angekommen durften wir erst mal warten. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, es machte alles einen wenig seriösen Eindruck. Einen Anspruch erhebe ich an Ämter sowie an Firmen, in denen ich beschäftigt bin: Ich will mir das Recht vorbehalten, der unseriöseste Mensch im Raum zu sein. Und dieses Recht sah ich hier zutiefst verletzt.

Vierzig Minuten warteten wir, dann wurden wir in das Zimmer des "General Managers" gebeten. Dort hieß es wieder warten. Der Manager selbst saß hinter einem mächtigen Schreibtisch, auf dem ein kleines Tischbanner mit der Iranischen Nationalflagge stand. Dahinter Khomeini und Khamenei wachten im Hintergrund über Sitte und Moral. Mehrere Leute kommen hinzu, legen ihm Zettel hin, oder holen andere Zettel ab. Allesamt sahen aus, als würden sie heute zum ersten Mal im Leben einen Anzug tragen. Krawatte hatte keiner, und erst in diesen Tagen wurde mir bewußt, wie viel das ausmacht. Dann lieber in Jeans und Pullover, aber abgetragene Anzüge mit speckigen Hemdskragen... Fehlen nur noch die Goldkettchen. Verwunderlich ist, daß die Leute, die man in Bergdörfern trifft, die auch meistens im Anzug ihre Eseln vor sich hertreiben (kein Witz, ist tatsächlich so), zwar einen ärmlichen, aber lange noch keinen unseriösen Eindruck machen. Auch da ist der Anzug oft verschlissen, auch da die Kragen verschwitzt. Das bleibt nicht aus. Aber bei denen merkt man durchaus das bemühen, aich gut kleiden zu wollen, während es hier vollkommen fehlt. Ich weiß nicht, ob es zu hochgestochen klingt zu sagen, daß die Bergbauern an Kultur viel reicher sind, als diese Schieber hier, denen es offensichtlich nicht auf ein gepflegtes Äußeres ankommt, sondern auf einen schnellen Dollar.
Es ist nicht mehr zeitgemäß, Leute nach dem Aussehen zu beurteilen. Aber das ist eines der eisernen Gesetze, die ich nur dann mißachte, wenn es gar nicht anders geht. Ich verlasse mich auf meinen Instinkt und ich bin damit immer gut gefahren - bisher ist mir nichts Schlimmes passiert. Schlimmstenfalls habe ich es versäumt, nette Leute kennenzulernen, weil mir ihr Aussehen nicht gefiel. Sei's drum, es sind sowieso nur Hypothesen. Auch die Schlaumeier, die immer sagen: "Einen Menschen nach dem Aussehen zu beurteilen, ist als ob man ein Buch nach dem Einband beurteilt." Stimmt zwar soweit. Wenn das Buch gut ist, läuft es einem wieder über den weg. Und welcher von den Schlaumeiern würde in der Disko eine "Alte anlabern", die optisch völlig danebenliegt? Selbst wenn er das täte, bewiese das nur, daß er eben doch ein Depp ist.

Ein Typ im Zimmer war scheinbar Franzose, schätzungsweise Anfang sechzig. "Wenn der hier weiter ungeniert Französisch redet, krieg ich 'nen Ohrenkrebs!" "Pscht!" "Mann! Ständig wird mir der Mund verboten..." Wir kamen zum Glück bald dran. Der Manager begrüßte uns freundlich über seinen Tisch hinweg. Er schrieb, nach einer kurzen Unterredung mit Babak, während der er mehrmals auf uns zeigte, einen Zettel, mehr so beiläufig, mit einem Ohr am Telephonapparat. Kurz darauf verabschiedete er uns und wir waren wieder draußen. Im Gang erklärte uns Babak, daß er den Zettel tippen und beglaubigen lassen mußte. Wir sollten derweil druaßen warten. Michl, Almut und ich gingen hinunter. Michl steckte sich eine Cigarette an, was mich daran erinnerte, daß ich in der Aufregung vergessen hatte, ein Frühstück zu mir zu nehmen. Cigaretten vor dem Essen, das geht ja gar nicht. "Wart Du mal schnell hier, ich geh mit der Almut was zum Essen aufstellen. Auch Hunger?", fragte ich Michl. "Ah!, naa, eigentlich neet." Dann eben nicht. Wir zogen los. Ich erinnerte mich daran, daß vorhin irgendwas von Lokanta (türkisch für Gasthof) dastand. Ich zerrte Almut in das Restaurant hinein. Es war eigentlich eher sowas wie eine Kantine. Ich ging hinein, zog Almut hinter mir her, wie es sich gehört und schaffte ihr an, herauszufinden, was es hier zum Essen gab. Das, jedoch nahm ihr der Küchenchaf ab, indem er mich in Englisch fragte, was ich denn haben wollte. "Was gibt's denn?" Er zog mich am Ärmel in die Küche und zeigte mir, was es alles gab. "Du sprichst ja wirklich Englisch", sagte ich, ganz erstaunt. "Natürlich, oder klingt das für Dich wie Chinesisch? Also. Was darf's sein?" "Kabob! Mit Reis." "Für zwei?" "Reis für zwei, Kabob für einen." "Kein Problem, nehmen Sie dort Platz, ich bring's Ihnen gleich. Zu trinken?" "Coca-Cola." "Sehr wohl. Bitte..."
Almut war nun der Alarmposten. Zollraumbeobachter, sozusagen. "Falls sich was tut, sag ich Dir bescheid". Damit meldete sie sich ab. Ich aß genüßlich meinen Kabob mit Reis und mangels Almut gleich noch ihre Portion mit. Wie eine schwangere Auster muß ich ausgesehen haben, nachdem ich im Rekordtempo die Monsterportion in mich hineingeschaufelt hatte. So schleppte ich mich wieder zurück zum Zollgebäude. "Kippe!" Michl kramte eine zerknitterte Packung L&M aus den Tiefen seiner Hosentasche hervor.

Bald darauf, um viertel vor zwei, kam Babak mit einem wichtig aussehenden Zettel aus der Glastür des Zollgebäudes. "Jetzt Polizei", sagte er und wies in Richtung Taxisammelplatz. Der Taxler fuhr sehr besonnen für einen Perser. "Die sind immer noch zu blöd zum Fahren", bemerkte ich. Der Kommentar war allerdings nicht auf unseren Taxifahrer bezogen, sondern auf Szenen, die sich außerhalb des Autos abspielten.

...und wieder mal hat es gescheppert.

Sie lernen es einfach nie. Bald waren wir wieder vor der Kaserne angekommen. Das Handy mußte ich diesmal nicht abgeben. Wir durften hinein. Zwar meinte der Bulle aus dem kleinen Raum neben der Gefangenenzelle, wir sollten morgen wiederkommen, doch Dariusch sah einen Offizier vor dem Hauptgebäude an seinem Auto, einem schwarzen KIA, herumhantieren und sprach ihn an. Der schien allerdings zu sehr mit seinem Auto beschäftigt. Es startete nicht. Mal sehen. Die Lichter brannten, aber das Auto startete nicht. Er fummelte an irgendwelchen Kontakten rum. Ich nahm seinen Platz ein, bog die Anschlüsse zurecht und siehe da - es sprang an. Wunderbar. Minuspunkte gab es dafür sicherlich nicht. dariusch unterhielt sich mit dem Oberagenten. Dem am wenigsten schmierigen von den dreien. Dann redeten sie mit dem Polizisten, der wiederum kurz darauf mit seinem Mobiltelephon in der Weltgeschichte telephonierte. Dann legte er auf und redete weiter.

Währenddessen kam wieder ein Peugeot in dunkelgrün-metallic auf den Hof gefahren und meint, sein Auto neben den schwarzen KIA parken zu müssen. Es erfordert einiges Geschick, sich mit einem Auto dieser Größenordnung an dem Fahnenmasten vorbei in die Parklücke hineinzumanövirieren. Das Geschick besaß er freilich nicht und streifte erst den Fahnenmasten, um dann frontal gegen die Wand zu donnern. Man hörte Plastik knirschen und knacken. Ich nahm die Hand vor die Augen und wendete mich ab. "Das ist jetzt nicht wirklich passiert, oder?", fragte ich, doch als ich Almut erblickte, die nur den Kopf schüttelte, wußte ich: Doch. Es war keine Einbildung, sie sind und bleiben einfach zu blöd - zum wievielten Mal wiederhol ich mich eigentlich? "Das glaubt Dir auch niemand, wenn Du es erzählst..." Der Typ, schmierig, wie erwartet, stieg aus, als wäre Debilität das Selbstverständlichste von der Welt, und ging in das Gebäude.

Wir gingen wieder. Der Oberst war zuhause und nicht erreichbar. Sinnlos, hier noch länger rumzustehen. Sitzstreik können wir immer noch dann machen, wenn alles andere nichts geholfen hat. Wir fuhren zu Dariusch. Seine Mutter brachte Mittagessen. Er erzählte, daß er einmal einem Nigerianer über die grüne Grenze geholfen hätte. Er wollte in den Irak und jenseits der Grenze ist ja auch Kurdengebiet. Das hätte seinerzeit um die 1000 US$ gekostet. Almut war von der Idee sofort begeistert, so daß wir einem Ausweichplan ins Auge faßten:
Das Auto war nun draußen. Wir könnten den nächsten Touristen, der vorbeikäme bitten, das Auto in die Türkei zu fahren. Zu Fuß sind die Aussichten allemal besser und der Irak hat auch seine Reize, vor allem als Studienobjekt für Almut. Oder wir zahlen für Michl, er fährt mit dem Auto rüber und wartet dort auf uns. Das Risiko ist überschaubar. Nicht mal Mich würde es schaffen, in 30 Metern den Benz auf Null zu schrauben. Doch zunächst wollten wir sehen, wie weit wir hier kämen. Der Heutige Versuch verlief nun im Sande, weil der Oberst nicht da war und - typischerweise - auch keine Vertretung. Wenn diese Leute hier nur Englisch könnten, dann könnte man vielleicht etwas ausrichten, aber nur mit Persisch geht das schlecht...

Dariusch erzählte weiter, daß vor kurzem Ahmadinejad hier gewesen war, um eine Rede zu halten, im Rahmen seines Programms, die Regierung näher an die Bevölkerung zu bringen. Dummerweise wollten die Leute hier nicht hören, was es zu sagen hatte und daher haben ein paar Saboteure die Lautsprecher beschädigt. Die Rede fand also nicht statt. Und vor einigen Wochen hätte es Ärger mit den Türken gegeben, weil sie iranische Freiwillige, die sich zum Krieg gegen Israel gemeldet hatten, an der Grenze abgeblockt hätten. "So funktioniert das auch nicht... Menschenskinder! Muß man denn denen alles erklären?"
Das nütze nichts. Seien lauter Deppen, meinte er. Wer läßt sich schon für 300.000.000 Rial totschießen? "Brauchen die immer noch Freiwillige?", fragte ich - sind immerhin fast 30.000 Euro. Der Krieg sei schon lange vorbei. "Blöd... Naja. Solange Israel existiert, gibt es Hoffnung..."

Nach dem Mittagessen verabschiedete sich Dariusch. Er mußte zumUnterricht. Wir sollten einfach bleiben und uns ein wenig ausruhen. Ich sah mir sein Bücherregal genauer an. Vielleicht war etwas auf meinem Niveau dabei. Ganz unten im Eck fand ich ein Taschenbuch von Walt Disney und zog es heraus. Französisch. Da mir alles andere zu kompliziert war, legte ich mich auf den Boden und begann zu lesen und zu übersetzen. Almut korrigierte ab und zu. "Ich dachte, Du hattest Latein an der Schule", sagte sie irgendwann. "Hatt ich auch. Latein und Griechisch, alles andere gehört nicht auf den Lehrplan, sondern an die Volkshochschule", antwortete ich Überzeugungsgemäß. "Nie Französisch gehabt?", fragte sie. "Natürlich nicht. Das ist war für Schwuchtel!" "Und woher kannst Du dann die Aussprache?" "Ich war mal Westafrika - falls Du Dich erinnerst."

Hier ein klassischer Saïpa. Dieser dient als Shuttle zwischen dem Unteren Tor und der Grenzstation. Passagiere werden auf der Ladefläche transportiert.

Unser Gespräch wurde dadurch unterbrochen, daß Dariusch zurückkam. "Jetzt will ich aber wissen, wie die Geschichte ausgeht", sagt Almut, "Du nicht?" "Ich weiß schon, wie sie ausgeht. Die deutsche Fassung hab ich schon x mal gelesen..." Nun ging Almut ein Licht auf, und sie wunderte sich nichrt mehr, warum die Übersetzung so gut geklappt hatte. So leicht lassen sich Frauen heutzutage beeindrucken, es ist doch wirklich nicht zu fassen.
Michl hatte die ganze Zeit über mit geschlossenen Augen geschlafen, nun hatte er sie halbwegs offen. Wir unterhielten uns Dariusch. Der meinte beiläufig, falls alles scheitert, könne er uns zum Stadtverwalter begleiten. Vielleicht könnte der was für uns tun. "Was machst Du eigentlich so, wenn Du nicht gerade an Grenzen festsitzst", fragte Dariusch Michl. Doch der war sichtlich überfordert. Gerade eben erst aufgewacht, dann gleich reden sollen und das auch noch auf Englisch. Er versuchte es zwar, aber mehr als "Ah! I... Äh. Ei... Ah!" kam dabei nicht raus. Ich lachte mich schief, selbst Almut - normalerweise mit einer Engelsgeduld ausgestattet, aufgeschlossen für alles, bat Michl höflich um Erlaubnis, für ihn zu antworten. "Du bist so ein Spast. Unglaublich. In der Türkei kriegst ein Efes, damit Du Dich wieder mal halbwegs artikulieren kannst."

Als wir aufbrachen, konnte ich es nicht lassen, Michls Schuh wieder den in Garten hinabsegeln zu lassen. "Sind wir heut wieder witzig?", fragte er mich, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sein Schuh auch wirklich nicht mehr da lag, wo er ihn hingetan hatte. "Ich konnt jeytzt einfach nicht anders..." "Du bist so ein Kind!", pöbelte mich Almut an, während sie den Schuh holte, "Und außerdem bringst Du unseren Gastgeber in Verlegenheit." Immer diese Studierten. Dies nicht sollen, das nicht dürfen. "Stimmt gar nicht. Schau ihn an, der platzt selber gleich vor lachen." Ich zeigte auf Dariusch, der ein Grinsen im Gesicht und einen roten Kopf auf dem Hals trug. "Ja, aber im Gegensatz zu Dir weiß er, daß sich das nicht gehört und deswegen sollst Du sowas nicht machen." "Ach, Mann! Nichts darf man..."

Es war gegen sechs Uhr nachmittags, als wir aufbrachen. Wieder ging Dariusch mit zum Taxi. "Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende, voller Glück und voller Sonnenschein", pfiff ich auf dem Weg vor mich hin. Ich stellte die Frage in den Raum, wie lange es wohl noch dauern würde, bis wir hier loskommen. Die 96 Stunden haben wir schon bald voll. "Aber schau! Mit unseren 10-Tage-Transitvisa haben wir es nun schon fast auf einen Monat gebracht", sagte Almut, wie immer recht fröhlich. Man muß sie einfach mögen, geht gar nicht anders. Die macht sich keine Birne um nichts, es kommt, wie es kommt, man kann's eh nicht ändern. Nie hört man sie schimpfen, fluchen, immer ist sie gut aufgelegt und hat ein Sonnenscheingesicht auf. Als ob sie auf einer grünen Wiese liegt und im heit'ren, nimmerendenwollenden Sommer ein gutes Buch liest. Ihr Verhalten schien zu sagen: "Wenn wir morgen loskommen, ist das gut, wenn nicht, umso besser. Immerhin haben wir hier keine Ausgaben und sind bestens versorgt." Als wir am unteren Tor ankamen, wollte der Taxler wieder kein Geld haben.

Diesmal schlenderten wir hoch. Wir hatten Zeit, es gibt keine Eile. daher kam es auch, daß wir erst um dreiviertel Sieben zuhause waren. Ich durchwühlte die CD-Spindel. "Verdammte Kacke! Wo hab ich nur die CD hin?" Ich suchte wie ein Besessener, wurde aber nicht fündig. Dabei ging mir dieses Lied von Phil Collins nicht aus dem Kopf: "Oh! Think twice, cause it's just another day for you and me in paradise..." Ich hatte schon die ganze Zeit versucht, es vor mich hinzupfeifen, traf aber keinen Ton. Na, dann nicht. "Was liegt denn da?", fragte ich in die Nacht - oder Michl. Die Antwort blieb sich gleich. Ich beugte mich hinunter und versuchte, in der Dunkelheit zu erkennen, was da unter der Beifahrertür lag. "Hä? Wieso liegt hier ein toter Vogel? Ich hab ja schon von Pferdeköpfen, Rinderzungen usw. gehört. Aber tote Spatzen???" Nachdem ich den entsorgt hatte, bereitete ich mich auf meine allabendliche Beschäftigung vor.

Während ich meine Sachen zurechtrückte, kam ein Zöllner an. Ein etwas älterer und er war wohl neu hier. Jedenfalls hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen. "Why you don't go? Why you here?" Ich versuchte ihm zu erklären, daß ich gerne gehen würde, man mich aber nicht läßt. Wenn er so freundlich wäre, das Tor aufzumachen. "Police", sagte er. Hat der jetzt ernsthaft geglaubt, wir warten hier, weil wir nicht wüßten, daß man zu Polizei muß, bevor man ausreist? "Whatever", sagte ich und packte weiter mein Zeug zusammen. Er ging wieder, sagte aber "wait here". Wo sollte ich denn hin? Dafür kam Almut. Das bemerkte ich schon von Weitem. Nicht, weil sie so laut war, sondern, weil jemand komische Geräusche machte. Eine Art Zischen, oder Pfeifen. "Du, ich glaub, da redet einer mit Dir", hieß ich sie an der Stellung willkommen. "Ich heiß nicht Pfft. Und wenn ich auf jeden höre, der mich anzischt oder pfeift, oder gurgelt, dann komme ich gar nicht weiter." Da stand nun der Zöllner und da er gesagt hatte, ich solle warten, ging ich nun hin. "Kann ich jetzt gehen?" "Nein, Du hast keinen Stempel." "Ah, OK. Ich meinte nur, weil Sie sagten, ich solle warten." "Hat sich erledigt." Er fragte mich, ob ich einen Tee wollte. "Ja, klar, warum nicht?" Wir gingen in sein Büro. Darin saß ein weiterer Zöllner, der mir irgendwie bekannt vorkam. Ich begrüßte ihn. "Du erinnerst mich?" Ich versuchte es. "Sorry. So viele Uniformen..." Er half mir auf die Sprünge: "Ich SMS schicken an Kollegen." "Ah, natürlich. Du bist Gestapo! Klar, logisch. Wie konnte ich vergessen? Wo ist Kollega? Lange nicht gesehen." "Kollega Dienst woanders." Wahrscheinlich in Gulag oder so wo. Den habe ich wirklich nach unserem Gespräch nie wieder gesehen, obwohl wir verabredet waren - was im Iran was heißt, nicht so, wie in arabischen Ländern, wo man kommt, wenn man Lust hat, und es bleiben nicht, wenn nicht. Ich holte Almut herbei. Wir blieben eine ganze Weile dort. Der ältere lud uns zu sich nach Hause zum Mittagessen ein. Er rief eigens seine Frau an. "You must come", sagte er zu mir. "If you don't come", er zog seinen Revolver aus dem Holster und fuchtelte mir damit vor der Nase herum. "OK, ich schau vorbei..."

Nachdem wir unseren Tee ausgetrunken hatten, beschlossen wir, erst eine Runde spazieren zu gehen, bevor wir uns wieder ins Café setzten. Ich hakte Almut an meinem rechten Arm ein und spazierte los, um das Gelände herum, bis wir vor dem Einreisetor (02) standen. Hier ging es auch nicht weiter. Als wir wieder kehrt machten, rief eine Stimme hinter uns irgendwas. Ich blieb stehen, drehte mich um. Da stand ein alter Mann, der selbe, der uns vor Wochen das Tor geöffnet hatte, und fragte nach den Pässen. "Aaah!", sagte er und nickte, "Passport Problïamm..." Ich sagte "No Problämm.", nahm mir die Pässe wieder und schlenderte weiter.

Auf dem Rückweg fiel uns ein FIAT Wohnmobil auf mit GI-Kennzeichen, wohl Giessen, oder Ähnliches. Vermutlich irgendwelche Rentner auf dem Weg nach Indien. Aber warum mit einem FIAT? Sobald man Italien verläßt gibt es dafür keine Ersatzteile mehr. Selbst in der Türkei nur für die alten Modelle. Und für Wohnmobile schon gleich gar nicht. Aber es waren keine Personen in der Nähe, so daß wir nicht nachfragen konnten. "Der Wolfsburger ist auch schon weitergefahren...", sagte ich zu Almut und deutete auf den Platz, auf dem eine C-Klasse mit Wolfsburger Kennzeichen etwa zwei Tage lang gestanden hatte, "So kommen und gehen sie, einer nach dem anderen. Wir sind gekommen, irgendwann sind auch wir mit dem Gehen dran", philosophierte ich mit ernster Mine vor mich hin. "Die 96 Stunden haben wir jedenfalls nun voll", bemerkte Almut.
Ich setzte mich noch für ein paar Stunden ins Café und tippte meine Berichte. Nicht lange für heute, denn wer weiß, wann wir morgen wieder aufstehen müssen. Punkt Mitternacht lag ich im Bett und kurz darauf war ich auch schon weggeknackt.


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