Viertel nach Zwölf. Endlich waren wir raus aus dem "Deutschen Eck". Bella Italia! Ein herzliches Dankeschön an den Altkanzler Adolf, dafür, daß er dieses schöne Stück Deutschland den Italienern überließ. Wenigstens hier ist es noch nicht gelungen, den gesunden Menschenverstand auszurotten. Auch dieses Stück Autobahn ist großartig zu fahren. Ich legte eine neue CD ein und wir fuhren. In der Nacht, wenn man nicht den blauen Lack sieht, komme ich mir in diesem Auto vor wie zuhause. "Merkst Du, daß wir schon seit genaumer Zeit einfach ganz normal fahren, ohne, daß ich mich über irgendwen oder irgendwas aufregen muß?" "Ja, und ich begrüße das sehr." Da muß man erst nach Italien fahren, damit ich mal ohne Gott und die Welt zu verfluchen einfach nur die Fahrt genieße. Zwar war wenig Verkehr, aber man kann konstant 120 fahren. Hier wird man nicht bei jeder kleinen Baustelle auf 60 runtergebremst. Lediglich ein Schild mit der Aufschrift Baustelle. Das reicht. Habe niegendwo Bremsspuren, oder Unfallspuren gesehen, geschweige denn Tote oder Verletzte. In Deutschland muß vor Jahren mal ein Italiener am Werk gewesen sein, der eine Baustele so abgesichert hatte. Zwei Bullen, die sich wichtigmachen mußten, stiegen aus und inspizierten die Absicherung der Baustelle. Ein Vierzigtonner erfaßte die Bullenkarre und schleuderte sie auf die beiden selbsternannten Baustellen-Inspektoren, die danach ziemlich plattwaren. Vom eigenen Auto überfahren. Das würde mich ankotzen...
Die letzten zwanzig Kilometer ging es in Serpentinen den Ritten hinauf, vorbei an der Stelle, an der mir vor fast zehn Jahren die Hardy-Scheibe gerissen war. Um zehn nach Eins waren wir endlich bei Resi eingetroffen. Viel gab es für uns nicht zu tun: Duschen, zähneputzen, schlafen. Was für ein Scheißtag! So ein Brezenmark wegen Nichts und wieder Nichts. Ich muß schnellstmöglich nach Kanada. Weg von diesem Irrenhaus, bevor ich in eine Polizeistation laufe und Terminator I nachspiele, allerdings wird die Geschichte blöd ausgehen, denn ich bin ich nicht kugelsicher...
Um zehn vor Zwei erreichten wir die Pension. Eigentlich wollte ich gleich schlafen, um am nächsten Tag früh weiterzuziehen. Das klappte nicht. "Scheiß Viecher. Da soll mir mal einer in freier Wildbahn über den Weg laufen. Den bind' ich an die Anhängerkupplung und fahr über die Hammada, bis nur noch ein blutiger Fleischklumpen an der Kette hängt..." Wie immer recht unbeeindruckt von meinen Haßausbrüchen, richtete Almut das Bett und ihr Zeug für den nächsten Tag her.
Das schönste Land der Welt Ist mein tiroler Land Mit seinen Bergeshöh'n Und seiner Felsenwand... |
Um Elf gingen wir zum Frühstücken. Resy setzte sich zu uns und wir unterhielten uns. "Und? Wie war die Fahrt?" "Scheiße. Diese scheiß Bullen... Bloß weil ich keinen Führerschein hab..." Sie hat ein gutes Gedächtnis. "Du hast doch damals schon keinen Führerschein gehabt. Haben sie ihn Dir schon wieder weggenommen oder hast Du ihn immer noch nicht zurückbekommen? Willst Du nicht irgendwann mal langsam erwachsen werden?" "Ich bin verheiratet, das ist schon erwachsen genug..." "Jaja, das meint man immer." Als das Gespräch dann auf Kinder kam, fiel mir ein, daß wir bis Genua noch einen weiten Weg hatten. Wir holten das Gepäck und fuhren los. Beim Umdrehen fuhr ich mich im Schnee fest. "Nein! Jetzt keine Sandblech-Action. Nicht jetzt schon." Ich versuchte, mit den abgefahrenen Sommerreifen die Karre aus dem Dreck zu schaukeln. Doch erst als Resys Tochter samt Mann auf dem Plan erschien und Almut auch noch mit anschob, hatten wir wieder festen Schnee unter den Rädern. Weiter geht's in Richtung Genua.
Auf die Autobahn und mit Großer Fahrt in Richtung Süden. Italien macht Spaß. Ich sah einen Wegweiser auf dem "La Spezia" stand. Das kommt auch in "Das Boot" vor: "Wir haben einen neuen Einlaufhafen bekommen. La Spezia. Das liegt bekanntlich im Mittelmeer. Vorher Material- und Brennstoffergänzung in Vigo, das liegt in Spanien." Mußte ich loswerden. "Stand da nicht auch noch Genova drauf?", fragte Almut. Ich blickte auf das Navi. Das hatte soeben gecheckt, daß wir geradeaus gefahren waren und berechnete die neue Route. "Fuck!" Gegen Blödheit hilft kein Navi. Ich schaffe es immer wieder, mich zu verfahren, oder mich trotz GPS zu verlaufen, wie damals am Mathandous. Aber dafür habe ich ja die Almut geheiratet, damit sie mir sagt, wohin ich fahren soll. Wie ich zu fahren habe, das weiß ich. Aber Power is nothing without control.
Dennoch. Italien macht Spaß. Hier fahren auch die LKW vernünftig, was mit ein Grund dafür ist, daß man konstant fahren kann und nicht ständig auf 60 runterbremsen muß. Wenn die LKW 120 fahren, kann man sie schon mal nicht mit 81 überholen. Dadurch bleibt die linke Spur frei und man kommt trotz Geschwindigkeitsbegrenzung und Mautstationen wesentlich schneller voran als in Drecksdeutschland. Wenn ich mich drüber aufrege, daß die Geschwindigkeitsbegrenzungen in Deutschland zu einem großen Teil reinste Schikane sind, kommt gleich ein Superkluger daher und erklärt, daß Deutschland wohl das liberalste Verkehrsrecht in Europa, wenn nicht auf der ganzen Welt hat. "Einen Scheißdreck hat es", ist die Standardantwort. In Deutschland heißt ein Schild mit 120 eben 120. Hier bedeutet es soviel wie "Fahr vernünftig". Vielleicht sind die Strafen hier sogar höher. Ich weiß es nicht. Ich habe nie eine Strafe bekommen in Italien, obwohl ich mich hier auch nicht strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung halte. Man fährt so, wie alle anderen auch und gut ist es. Fährt man in Deutschland so wie alle anderen, kommt man nicht vom Fleck, fährt man wie die Leute hier, ist man bald Geld und Führerschein los. Der Fahrbahnbelag ist erstklassig. Nur das Diesel ist in Italien zur Zeit etwas teuer. Daher fuhren wir mit äußerst sparsamer Fahrweise weiter in Richtung Genua.
Das macht kein Krawall und spart Brennstoff... |
Das Lenkrad begann im Lauf der Weiterfahrt leicht zu Zittern. Erst schob ich es auf den Belag. Dann begann ich, den Reifen zu verdächtigen, der mir schon im Iran unangenehm aufgefallen war: Vorne links war ein Reifen montiert worden, der laufrichtungsgebunden ist, aber in die falsche Richtung lief. Das war auch dem TÜV-Techniker aufgefallen. Es war zu kalt, um dieses Problem zu beseitigen, daher ließ ich ihn dran. Reifen werden bei mir nur gewechselt, wenn sie durch sind.
Wieder eine Stunde später gab es keine Zweifel mehr. Es war der Reifen. Ich wollte jetzt nicht anhalten. Wir hatten getrödelt und langsam wurde die Zeit knapp. Die Fähre geht um 18:00 Uhr in Genua. Mittlerweile war es vier Uhr geworden und wir hatte noch gute 200 km vor uns. "Das wird knapp!", stellte ich fest. Zwar hatten wir einen guten Schnitt, aber um Sechs ist Berufsverkehr. Hinzu kam, daß ich mir nicht sicher war, ob ich im Navi das richtige Ziel eingegeben hatte. Dort standen unter Sonderziele zwei Häfen zur Auswahl. Ich hatte mich für den entschieden, der Christoph Kolumbus hieß. Der hat wenigstens einen Namen. Wir fuhren hinaus und tankten für 25 Euro an einer Tankstelle, die auch im südlichen Tunesien stehen könnte. Klar funktionierte hier Almuts Kreditkarte nicht. Meine auch nicht. Aber bei der lag es nicht am Gerät... Ich machte noch ein Bild vom Reifen. Er hatte eine riesige Beule. "Hoffentlich hält der bis Genua durch", sagte ich, als ich mich wieder auf den Sitz niederließ und weiterfuhr.
Nun wurde das Zittern aber so unangenehm, daß ich die Marschgeschwindigkeit herabsetzen mußte. 120 waren nicht mehr drin, denn es fühlte sich an wie Welllech. Ich stellte überlegungen an, ob es nicht doch sinnvoller war, den Reifen zu wechseln, um hinterher mit AK weiterzufahren. Aber es war nun halb Fünf. Anderthalb Stunden noch und etwa 150 km. Ein Reifenwechsel dauert etwa eine halbe Stunde. Das war nicht zu schaffen. Doch mit der Unentschlossenheit war bald Schluß, denn der Reifen platzte. "Scheiße", zischte ich. "Ist er jetzt hinüber?", fragte Almut ganz ruhig. "Ja... Fuck!" Almut und ihre stoische Ruhe steckten mich irgendwie an. Fluchen bringt jetzt gar nichts. "Der Wagenheber ist ganz unten in der Ersatzradmulde, die Stange dazu liegt oben drauf. Ich brauche den Franzosen aus der Werkzeugkiste. Wo sind die Arbeitshandschuhe..?" Als das Auto in einer dieser Buchten stand, sprangen wir beide raus. Noch im rausspringen streifte mir Almut die Warnweste über. "Was soll der Scheiß? Ach, was solls." Ich machte den Kofferraum auf und als ich die Arbeitshandschuhe in der Hand hatte, hatte Almut schon den Kofferrauminhalt an den Straßenrand transferiert und reichte mir den Wagenheber. "What the fuck ist das hier für ein Scheiß? Wo ist der Wagenheber vom Benz?" Er war nicht da.
Reifenwechsel im Rekordtempo. |
Ich eilte mit dem roten A.T.U.-Wagenheber vor, setzte ihn an. Ging nicht. Das Auto lag zu niedrig. "Setz den Wagenheber an!", schrie ich, während ich in den Kotflügel griff und mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft das Auto anhob. Die paar Zentimeter reichten. "Sitzt!", meldete Almut. Ich nahm den Franzosen, der schon parat lag, schraubte den Verschluß zu, setzte die Stange an und übergab: "Hier! Pumpen!", schrie ich gegen den Lärm der Autobahn an. Almut pumpte die Karre hoch, während ich die Radkappe herunterriß und begann, mit dem Radkreuz die Radmuttern zu lockern. "Höher!", schrie ich. "Der ist schon am Anschlag. "Scheiß Bullen! Fuck!" Mir fiel ein, daß wir schon im Iran das Problem hatten. Ich hatte es wohl zeitlich nicht geschafft, einen anständigen Wagenheber an den Start zu bringen. Das rächte sich jetzt. Ich nahm die beiden Reifen vom Dach. Der einen warf ich unter den Unterfahrschutz, bis er fest drinstak, nahm den Franzosen und ließ den Wagenheber wieder ab. "Ich brauch eine Unterlage für den Wagenheber". Zwei Sekunden später stand Almut mit zwei dicken Büchern da. "Spinnst jetzt? So schlimm ist es dann auch nicht." Ich zog aus dem Kofferraum zwei Holzklötze hervor, legte diese unter den Wagenheber, setzte die Stange wieder an, Verschluß zu und "Pumpen!" Ich machte mich wieder über die Muttern her. Nun reichte es. Das Rad flog runter, das neue Rad wurde aufgezogen. Ich wollte schon den Wagenheber herunterlassen, da fiel mir das Rad unter der Ölwanne ein. Das nahm ich, legte es wieder auf den Gepäckträger. Das kaputte Rad kam oben drauf, wobei mir der Draht des Reifens durch den Handschuh hindurch die Hand perforierte. Aber ich hatte keine Zeit zum Fluchen. Ich machte die Reifen notdürftig wieder fest, während Almut den Kofferraum einräumte. Der Wagenheber war nicht freizukriegen, also mußte ich wieder das Auto anheben, und Almut zog ihn heraus. "Aufsitzen!", befahl ich, während ich den Wagenheber in den Kofferraum warf und mein Werkzeug verstaute.
Wir rollten wieder an. Vorbildlich. Nur Dreizehn Minuten hatte das ganze gedauert mit drittklassigem Material. Eingespieltes Team, da kann man nichts sagen. Nun aber mit AK in Richtung Genua. Natürlich hatte ich mir den falschen Hafen ausgesucht. Ein Schild, auf dem eindeutig eine Fähre aufgemalt war, lotste uns von der Autobahn hinunter. Ich korrigierte die Eingabe am Navi. Nun waren es nicht mehr 50, sondern 85 km. Und wir hatten nun weniger als eine Stunde. Das war nur mit viel Glück zu schaffen. Unter Mißachtung aller Geschwindigkeitsbegrenzungen brachen wir die Serpentinenstrecke hinunter. Nebenbei versuchte ich, eine Verbindung mit dem Hafen zu bekommen, aber das klappte nicht. Irgendwann kam der Verkehr zum stehen. Um Punkt sechs Uhr standen wir in einem Tunnel. "Scheiße! Was machen wir jetzt?", fragte ich, als könnte Almut die Fähre anhalten. "Entweder die Fähre hat verspätung, oder wir müssen die nächste nehmen..." Es ging weiter. Um 18:13 Uhr fuhren wir in den Hafen. Ich fuhr einfach in Richtung Schiffe und jedes Mal, wenn mich einer Umleiten oder mir den Weg versperren wollte, schrie ich immer nur "Splendid". Das war der Name der Fähre. Schon bei der zweiten orangenen Weste hatte ich herausgefunden, daß wir soeben ein Problem gegen ein anderes ausgetauscht hatten. Die Fähre war nicht nur verspätet, sie war noch gar nicht da. Der Typ mit der orangenen Weste parkte uns ein und erzählte spannende Geschichten. "Echt? Cool! Kannst Du das vielleicht auf Spanisch, oder langsam wiederholen? Ich hab nämlich kein Wort verstanden", sagte ich auf Spanisch. Er wiederholte recht unbeeindruckt, was er eben auf italienisch gesagt hatte. "Zum Glück sind wir nicht bei den Franzocken gelandet..." Almut fragte nach, was denn Sache sei. Mich irritiert immer noch, daß sie kein Spanisch kann. Deutsch, Englisch, Französisch, Arabisch, Persisch, Russisch, Portugiesisch versteht sie mittlerweile auch, jetzt will sie auch noch Paschtu anfangen. Aber kein Spanisch. Das kriegt man doch so nebenbei mit. Solange sie kein Spanisch spricht, nehme ich sie nicht ernst, habe ich hiermit beschlossen. "Der meint, die Gesellschaft war früher tunesisch, ist jetzt von den Itakern aufgekauft worden, deshalb hat die Autoridad vom Hafen in Tunis eine Schwierigkeit gemacht mit dem Ergebnis, daß die Fähre hier erst um 23:00 einläuft. Wir hatten also mehr Zeit als uns lieb war. Mindestens fünf Stunden.
Ich ließ mir den Weg zum Schalter erklären, nahm die Papiere und ging los. Der Winter ist die Hauptreisezeit für Sahara-Touristen, so las ich kürzlich. Aber hier war davon nichts zu merken. Ich fand nur drei Fahrzeuge mit Sahara-Ausrüstung, alle drei Italiener. Ansonsten nur Plastik-Europäer - Europäer mit Migrationshintergrund, wie sie heißen, also Baraber, deren Gepäckträger sehr abenteuerlich aussahen. Da waren Wohnungseinrichtungen, Kühlschränke, Waschmaschinen, Roller, Fahrräder, Rasenmäher, Badewannen, und was nicht noch alles. Bezeichnend war, daß sie entweder französische oder italienische Kennzeichen hatten. Die mir deutschem Kennzeichen hatten einen deutlich kleineren Gepäckträger, aber dafür waren die Autos so voll, daß man sich wundern mußte, daß da noch zwei oder drei Insassen Platz hatten. Vor de Schlaterhalle war einer, der gerade Zeug aus dem Innenraum auf den Gepäckträger räumte. Bestimmt hatten ihn die Drecksbullen in Deutschland rausgezogen und ihn dazu gezwungen. Drecksladen! Wo bleibt die AirForce? "Make a parking lot out of it!!!"
Ich ging in die Schalterhalle. Überall standen Baraber in allen Größen im Weg, dabei brauchte ich sie doch jetzt noch gar nicht. Ihr Auftritt kommt erst später. Keine Organisation, die Jungs. Ich kämpfte mich bis zum Schlater durch, legte einen Ausdruck vor, kramte nach den Pässen, doch noch bevor ich die vorlegen konnte, hatte mir die Schalterin schon die Tickets in die Hand gedrückt. Das ging aber flott. Allerdings benötigte ich für den Rückweg wieder zwanzig Minuten. Nach fast einer Stunde war ich wieder am Auto. Ich hatte vom Orangenen erfahren, daß genau hinter uns eine Shopping Mall war. Dort wollte ich was zum Essen aufstellen. Doch dazu mußte ich erst Almut um Geld angratteln. "Du, geh weiter! Da gibt's bestimmt ein Brot. Soll ich eins holen?" Sie rückte die Kohle raus und ich zog los. Ich ging die Mall auf und ab, aber das einzige was ich fand, war ein McDonald's. Ich kann allem widersteh'n, nur der Versuchung nicht. Mir macht's Vergnügen, ihr zu erliegen...
In einer Sternennacht am Hafen, Geht ein Seemann niemals schlafen... |
Am Auto zurück erklärte ich Almut, daß ich ein Brot nur mit Hackfleisch und Salat gefunden hatte. Sie zog nochmal los und kam eine halbe Stunde später mit einem großen Baguette wieder. "Also, entweder Du bist blind, oder Du wolltest mich ver...hohnepiepen!", grinste sie. "Wieso?" "Riesengroß war da ein Coop. Einfach nur gerade durch." Dort mußte man, wie bei einem Amt, eine Nummer ziehen, und bekam dann sein Brot. Almut wunderte sich etwas, daß die das nicht auf die Reihe kriegen, einfach soviel Brot zu bestellen, daß man dafür keine Nummern ziehen muß. "Pssst!", das ist nicht wichtig. Dafür wird man nicht auf Schritt und Tritt überwacht, bevormundet, gemaßregelt, angepflaumt. Das paßt schon so, wie es ist. Wenn es kein Brot gibt, dann findet sich schon etwas anderes. In fucking Deutschland hätten wir überhaupt kein Brot mehr bekommen, weil dort um die Zeit schon alles zu ist. Ladenschlußgesetz und Abortdeckelverordnung. Witzig, daß gerade dort so über Nazis geschimpft wird...
Wir hatten zwei Whisky-Flaschen als Gastgeschenk dabei. Während wir hier herumstanden, konnten wir die ja verstauen. Ich holte mein Werkzeug heraus und ließ die beiden Flaschen verschwinden. Danach setzte ich mich wieder ins Auto und nahm meine Lektüre zur Hand. Ein Freund hatte mir zum Geburtstag vor ein paar Tagen von Oscar Wilde "The Picture of Dorian Gray" geschenkt. Schon nach wenigen Seiten stellte ich fest, daß ich einen Bleistift brauchte. "Hast Du einen Bleistift?" Füller, Kugelschreiber, alles da, aber kein Bleistift. Aber in Büchern schmiert man nicht mit Kugelschreibern herum. "Wer Bücher mit Kugelschreibern beschmiert, beschmiert auch Menschen mit Kugelschreibern", so oder so ähnlich hat es mal irgendein Thomas Mann gesagt. Ich sah mich draußen um. Außer lärmenden Arabern sah man nicht viel. Die wollte ich nicht fragen. Die wissen sicher nicht mal, was das sein soll. Die essen mit den Händen vom Boden. Wenn die Besteck sehen, galuben die, der Zahnarzt ist zu Besuch. Lieber bei riechtigen Europäern nachfragen. Hinten vor der Hafenmauer sah ich gerade in diesem Augenblick einen Expeditions-LKW einlaufen. Er parkte irgendwo weit vorn direkt am Pier. Die hatten bestimmt einen Bleistift. Ich lief dem LKW hinterher, aber irgendein Uniformierter fragte nach meinem Biglietto oder sowas. "Hab ich! In Hosentasche!" Er streckte die Hand aus. "In Hosentasche von Frau in Auto!" - der Spruch geällt mir immer wieder... Aber zurück mußte ich trotzdem. Ich holte den Ausdruck und ging wieder zurück. Er sah sich den Ausdruck an und winkte mich durch. So einfach kann man sich in Italien Zutritt zum Hafen verschaffen. Aber auf die Idee muß man erst mal kommen. Ich ging durch und gleich zum benachbarten Pier. Der UniMog war nichts zu sehen. Es waren nur ein paar Autos da, aber einen Unimog sah ich nicht mehr, er war wie vom Erdboden verschluckt. Es war überhaupt kein LKW zu sehen, hinter dem er hätte versteckt sein können. Also ging ich wieder hinaus. Auf dem Weg zu rück zum Auto sah ich wieder zum Pier. Da stand der weiße UniMog. Das Kennzeichen war weiß, könnte also ein deutsches sein. Ich ging wieder zurück, den Ausdruck brauchte ich nicht mehr vorzuzeigen. Ich habe ein Talent dafür. Egal wo ich hinkomme, beim zweiten Mal erinnert man sich immer an mich. Entweder falle ich so unangenehm auf, oder es ist tatsächlich mein Mundwerk, oder an meiner Karl-Valentin-Figur. Oder es ist eine Kombination von alledem. Das ist meistens sehr praktisch, aber es machte mir schon oft zu schaffen, nämlich jedes Mal, wenn ich etwas unauffällig machen will... Als ich wieder am Pier stand, war der UniMog wieder weg. Entweder ich spinne, oder ich geh jedesmal durch ein Portal und lande in einer anderen Dimension. Beides schloß ich aus. Spinnen tun immer nur die anderen und das mit diesen Portalen gibt es nur im Fernsehen. Ich sah mir den Pier genauer an. Da stand ein heller Baby-Bomber, ein dunkler Kombi und eine helle Limousine. Alle drei mit Dachgepäck. Nun ging ich wieder hinaus auf die Straße und schaute wieder da hin, wo gerade vor wenigen Minuten noch der Unimopg stand. Ich sah den Baby-Bomber, die Limousine und den Kombi. Den UniMog aber weit und breit nicht. Wo war er hin? Ins Meer gefahren? Ich hatte nichts getrunken und keine Drogen genommen, war stocknüchtern und auch nicht übermüdet. Aber für das hier hatte ich keine Erklärung. Aus dem Gelände kann man nur weg, wenn man entweder in die Fähre fährt - aber da stand keine - oder wenn man wieder zur Einfahrt rausfährt. Dann hätte er an mir vorbeikommen müssen...
Ich befaßte mich nicht weiter damit. Das war mir zu schräg. Stattdessen setzte ich mich wieder ins Auto und las ohne Bleistift weiter. Um Elf blickte ich kurz auf. Almut war eingeschlafen, von der Fähre war weit und breit nichts zu sehen. Also stieg ich aus, rauchte eine Zigarette, stieg dann wieder ein und las weiter. Es war kalt. Ich ließ den Motor an und ließ ihn laufen...