Libyen 2008 / 2009
Dienstag, 23. Dezember

Überall wurde gebrüllt und getanzt. Ich legte das Buch nach erneutem Anlauf wieder zur Seite und stieg aus. Ohne Bleistift zu lesen ist einfach Quatsch. Vielleicht ließ sich doch noch einer auftreiben. Ich sperrte das Auto ab, zog los, vorbei an lärmenden Menschen. Ein Wohnmobil mit DA-Kennzeichen war auch da, aus dem sehr laut sehr häßliche Töne kamen. Man nennt das wohl Rap. Damit konnte ich nichts anfangen. Warum fahren solche Leute nicht nach Mallorca. Kein Wunder, daß Tunesien so versaut ist. Ich war gespannt, wie Tunesien nun auf mich wirken würde. Ich hatte es als besonders nervig in Erinnerung. Jede Freundlichkeit rührt nur daher, daß sie einem irgendeinen Plunder andrehen wollen... Und sofort am Hafen wird man von Horden von nutzlosen Typen empfangen, die einem beim Formulareausfüllen stören indem sie einen vollbrüllen und hinterher dafür Geld haben wollen. Für die entwickelte ich allerdings umso mehr Sympathie, je länger ich mir diese optische und akustische Umweltverschmutzung mit DA-Kennzeichen besah...

Grandi Navi Veloci "Splendid"
Grandi Navi Veloci "Splendid"
Flagge: Italienisch
Baujahr: 1994
Tonnage: 39.109 BRT
Passagiere: 2000
Besatzung: 600

Ich zwängte mich weiter durch die Autos hindurch, vorbei an zwei Expeditionsfahrzeugen mit italienischen Kennzeichen, allerdings ohne Insassen. Ich ging immer weiter vor und stellte Fest, daß die Splendid mittlerweile eingelaufen war. Wie kann sich so ein Monster von 40.000 BRT von mir unbemerkt in den Hafen schleichen? Und sie schien schon länger hier zu liegen, denn im Frachtraum standen kaum mehr Autos. Ich sah eine Weile zu. Als nur noch vereinzelt Autos aus dem Schiff fuhren, begannen einzelne Autos ausgiebig zu hupen. Innehalb von wenigen Minuten schwoll das zu einem ohrenbetäubenden Hupkonzert an. Ich sah Leute, die an ihrem Fahrzeug standen, mit der einen Hand die ganze Zeit auf der Hupe herumdatschten, mit der anderen irgendwelche Leute anfuchteln, während sie ihnen irgendetwas zubrüllten. Die waren so planlos, daß sie schon fast wieder cool waren. Zwar standen die Autos noch, aber unter die Araber kam Bewegung. Ich ging langsam mitten durch das nun entstehende Gewusel zum Auto zurück...

Kurz nach mir erreichte auch die vorne entstandene Unruhe unseren Abschnitt. "Diesmal kann ich wirklich nichts dafür!", sagte ich zu Almut entschuldigend. Sie betätigte dafür den Hauptschalter und setzte damit die Fanfare in Gang. "Ha! Und wir sind doch immer noch der lauteste von allen!", sagte ich stolz und nickte. Dem Baraber vor uns fiel ein, daß er ausgerechnet jetzt anfangen mußte, den Inhalt seines Gepäckträgers in das Fahrzeuginnere zu räumen. Der Planloseste war ich spätestens hier nicht mehr. Auch das stellte ich stolz fest. Aber, daß hier gehupt und gefuchtelt und gebrüllt wird, bedeutet nicht, daß es auch nur im geringsten danach aussah, als würden sich die Kolonnen bald in Bewegung setzen. Ich entschloß mich also, es so zu machen, wie alle anderen, rumsitzen und ab und zu hupen. Wer weiß, vielleicht bringt es ja was...

Langsam ging es los. Ich schob mich an dem Baraber mit seinem Citroën vorbei, der gerade seinen Gepäckträger leergeräumt hatte. Der fing stieg dann ein und fing an, mich anzufuchteln und irgendwas auf Französisch zu Brüllen. Ich fuchtelte grinsend zurück, nahm meine ganzen Französischkenntnisse zusammen und sagte "Français de Merde". Dann eben nicht... Ich ließ mich wieder hinter ihn zurückfallen, setzte mich dann hinter ein Auto, das links an uns vorbeifuhr, überholte dieses links und war dann an der Kreuzung vor dem Citroën-Baraber. Dann standen wir erst mal wieder, weil die Orange-Jacken, die den Verkehr regelten, nun die anderen fahren und uns anhalten ließen. Nun schwoll auf unserer Seite wieder das Hupkonzert an und ich trug einen wichtigen Teil dazu bei. Wir standen auch noch ganz vorn. Bald hielten sie den Querverkehr an und wir durften fahren. Das geht wahrscheinlich so lange, bis bei den anderen der Lärmpegel erreicht wird, der das Umschalten herbeiführt. Praktisch.

Eine Stunde, nachdem wir zum ersten Mal losgefahren waren, standen wir vor der Fähre. Zu Fuß hätte das drei oder fünf Minuten gedauert. Mit dem Auto genau 57 Minuten. Wir standen ganz vorne, da kam eine italienische Polizistin und fragte nach dem Zettel für die Ausreise. Was brauche ich einen Zettel für die Ausreise? Ist doch EU. "Nix verstehen", sagte ich. Es kam ein zweiter Polizist hinzu. "Was geht, wo ist das Problem?", fragte ich ihn auf Spanisch. Er antwortete auch auf Spanisch, daß ich den Ausreisezettel abstempel lassen sollte bei der Polizei. "Und wo ist die?" Er zeigt mir den Weg. Ich ging mit beiden Pässen hin, holte unsere zwei Stempel, rannte wieder zum Auto und fuhr los. Nun kam die Polizistin wieder und nahm mir die Zettel ab und wir durften auf die Fähre.

Auf die Fähre...
Auch das zog sich wieder hin.

Um 1:39 Uhr fuhren wir auf die Rampe. Es dauerte ewig, bis wir endlich standen, dabei war der Frachtraum gar nicht so voll. Ein Einweiser schickte mich weiter, ein anderer brüllte ihn an "Porca miséria. Due file di automobili! Due!" Ich mußte fett lachen, aber er regte sich weiter über den anderen auf. Anscheinend wollte er also zwei Autoreihen irgendwo haben. Konnte mir egal sein. Er wies mich an, dichter an den Vordermann zu fahren. Ich wartete bis er weg war und ließ den Benz dann wieder ein wenig zurückrollen. Zumindest soweit, daß der Typ vor mir seine Heckklappe aufmachen konnte. Völlig unnötig, diese Auffahrerei bei den letzten Autos. Der Frachtraum war gerade mal halb voll. Nun kamen die draußen geparkten Sattelauflieger in den Bauch der Fähre. Dafür hatten sie auch ein eigenes Schleppfahrzeug.

Wir packten unser Zeug zusammen. Bevor ich absperrte, überlegte ich noch, ob ich etwas vergessen hatte. Dann gingen wir hoch. Es war bereits halb drei, als wir an der Rezeption standen, wo man man mich nach den Biglietti fragte. Die hatte ich natürlich im Auto. Ich schickte Almut hinunter, um die Tickets zu holen, derweil versuchte ich an der Kasse nur mir den Pässen weiterzukommen. Tatsächlich klappte es auch so, und als Almut mit den Tickets zurückkam hatte ich schon die beiden Schlüsselkarten in der Hand. Die Kabine war auch nicht weit weg. "So! Jetzt erstmal was Anständiges anziehen", sagte ich, zog meine Montur aus der Tasche und stellte fest, daß die Stiefel unten im Auto geblieben waren... "Scheißdreck! Ich muß wieder runter. Kommst Du mit?" Wir stürzten los, in der Hoffnung, der Frachtraum sei noch nicht abgeschlossen. Und noch war er offen. Wir rannten stracks zum Auto. Ich holte die Stiefel, legte die Salonschleicher gleich in den Kofferraum, zog die Feststellbremse fester, legte den ersten Gang ein. Nur für den Fall, daß mein heißersehnter Sturm tatsächlich stattfindet. Ich mag schweres Wetter. Da geht alles drunter und drüber, man darf machen was man will, weil alle anderen damit beschäftigt sind, ihren Mageninhalt bei sich zu behalten, außerdem fliegt alles durch die Gegend. Und Michel hatte mir erst neulich erklärt, daß es um diese Jahreszeit in dieser Gegend öfter zu starken Stürmen kommen soll.

Im Frachtraum
Bereitmachen für die Überfahrt.

Die orangegekleideten Arbeiter ketteten gerade die Sattelauflieger fest, die sich unmittelbar vor den großen Zufahrtsluken befanden. Zwischen uns und ihnen befand sich eine Fläche, etwa halb so groß wie ein Fußballfeld, auf der nicht ein einziges Auto stand. Als ich dann endlich, nach reiflichem Überlegen, beschlossen hatte, daß ich nun alles hatte, was ich auf der Fähre brauchen würde - nicht zuletzt deshalb, weil es mir sowieso erst oben wieder einfallen würde, was ich doch noch gebraucht hätte - gingen wir wieder nach oben. Die Tür, durch die wir gekommen waren, war nun allerdings offensichtlich versperrt, und zwar mit einem öligen Gurt. Man konnte die Klinke nicht herunterdrücken. Ich lief los, um jemanden zu finden, der mir einen anderen Ausgang zeigen konnte oder sonstwas. Mehr als rausschmeissen können sie uns ja nicht und gerade das wollte ich. Allerdings wollte ichmich nicht durch die Sattelauflieger durchzwängen und ging dann wieder in die andere Richtung, um nachzusehen, ob dort vielleicht jemand war. Das war mir dann aber doch zu weit und es sah nicht danach aus, als wäre da jemand, also ging ich wieder zurück. "Für einen Außenstehenden sieht Dein Tun total planlos aus", bemerkte Almut, als sie mich wie ein kopfloses Huhn im Frachtraum auf und ablaufen sah. "Das könnte daran liegen, daß es total planlos ist. Sie ist einfach ein Engel, glaubt immer an das Gute im Menschen und unterstellt immer jedem, daß er sich bei seinen Handlungen etwas denkt. Ich habe schon viel Mist gebaut im Leben, aber das Denken habe ich immer noch den Pferden überlassen. Den Vorwurf muß ich mir nicht anhören.
Ich faßte den Entschluß, den Gut von der Tür zu entfernen und einfach abzuhauen. Wenn sie mich dabei erwischen, dann kann man immer noch sagen, es sei aus Versehen gewesen. Oder die Schuld auf die Frau schieben. Und wenn sie mich nicht erwischen, war es sowieso keiner - wie immer...

Wir gingen noch an Deck und sahn uns Genua bei Nacht an, das immer kleiner wurde und hinter der Kimm zu verschwinden begann. Ich schnippte die Kippe über Bord. "Laß uns verschwinden!", sagte ich. Es war kalt. "Wo ist das Red Bull?", fragte ich. "Das ist im Auto", sagte Almut. "Das ist jetzt ein Scherz, oder?" "Nö! Du hast nicht gesagt, daß Du das haben willst". "Du bist doch für das Denken zuständig", krantelte ich sie an. "Nö. Jetzt bin ich verheiratet, jetzt gehorche ich nur noch Befehlen." Grrrr... Wir hatten den Maracuja-Sirup und eine halbe Flasche Wodka, die Almut noch aus Usbekistan mitgebracht hatte. Die Mischung schmeckte gar sehr gut. Der Sirup war so süß, daß ich Mühe hatte, ihn mit dem Wodka zu verdünnen. Ich ging an die Bar, um Eis zu schnorren. Dahinter waren irgendwelche Ostasiaten tätig, die Englisch sprachen - im Gegensatz zu den Offizieren, die nur irgendwelche Badschaggendialekte beherrschten. Es gelang mir ohne Schwierigkeiten, eine Tüte Eis und zwei Strohhalme zu schnorren. Nach wenigen Minuten waren Wodka, Sirup und Eis zu einem leckeren Cocktail geworden und ausgetrunken.

Ich liebe Innenkabinen. Da kommt einem die Sonne nicht blöd. Man verliert jegliches Gefühl für die Zeit. Als ich wieder aufwachte, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte. Das wäre auch so geblieben, hätte Almut nicht mangels Beschäftigung die Zeitansage-Dame gespielt: "Es ist 13:20 h. Bitte beachten, daß wir eine Stunde Zeitverschiebung haben..." Ich wollte meinen Rechner anstöpseln, um eine DVD anzusehen. Der Akku war leer. Aber das war leichter gesagt als getan. Im Bad war eine Steckdose, aber die schien abgestellt zu sein. "Hier ist auch noch eine Steckdose", meinte Almut und zeigte auf die Schalter über der Koje. Ich steckte den Rechner an. Aber der dumme deutsche Schukostecker schien für die italienische Dose zu dick zu sein. Auch mit Gewalt ging nichts. "Scheiße! Kein wunder, daß wir den Krieg verloren haben, mit solchen Verbündeten..." Nun ging der Stecker nicht mehr aus der Wand. Als ich dann die brasilianische Methode ausprobierte, tat es einen Schepperer und mir kam die halbe Wand entgegen.

Made in Italy
Made in Italy...

Nun reichte es. Ich Stemmte mich mit dem Fuß dagegen und riß solange am Kabel, bis es mir entgegenkam. Dann warf ich es wütend gegen die Wand. "Aua!" Also nichts mit DVD. Ich packte den rechner wieder weg und richtete den entstandenen Schade sogut es ging. "Wann kommen wir an?", fragte ich. "Rechne mit 24 Stunden ab Abfahrt", sagte Almut. "Na, gut. Dann gute Nacht..." Ich schlief weiter und wachte gegen kurz vor sechs wieder auf. Nun war ich ausgeschlafen. "Fertigmachen zum Decksspaziergang!" Ich wollte den Sonnenuntergang anschauen. Doch dafür war es leider zu spät. Um nicht ganz umsonst aufgestanden zu sein, versuchte ich noch ein Salami-Baguette für 2,77 € statt für 3,50 €. Das funktionierte auch nicht. Es kann ja nicht immer alles funktionieren. Im Empfangsbereich war ein Monitor angebracht, der die aktuelle Position der Fähre anzeigte und noch vieles Mehr, wie z.B. Uhrzeit, Geschwindigkeit, geographische Position. Was fehlte war die ETA, die Expected Time of Arrival. Die konnte man an der Position zwar erfragen, aber der Elektronik ist im allgemeinen eher zu trauen als Italienern. Die sagten 00:45 Uhr. Ich stellte auch fest, daß der Handyempfang auf dem Schiff gewährleistet war. Das Gerät zeigte immer "TIM WINS LTD." an. Sehr angenehm.


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© by Markus Besold