Brasilientour 2000
Samstag, 23. Dezember

Sinnvollerweise war geplant, noch bei Dunkelheit aufzustehen, zu packen und zu frühstücken und im ersten Morgengrauen loszufahren. Das war die Theorie. In der Praxis kamen wir aber doch erst um halb acht los, nachdem wir wahllos und mit aller Gewalt irgendwelche Sachen vom Frühstücksbuffet verschlangen.
Der Anlasser hatte wieder mal keine Lust, anzuspringen. Das war zuletzt in Mali der Fall gewesen. Damals hatten wir Zeit, aber jetzt eben nicht. Hier mußte man mit der brasilianischen Methode ran. Hammer aus dem Kofferraum, damit dann wie ein Besessener auf den Anlasser eindreschen und sich dabei sagen "Kaputt ist er eh schon", dann zurück in die Kanzel und starten. Klappte wunderbar. Nichts wie los.
Am Kreisverkehr am Ortseingang stand schon Belém angeschrieben. Wunderbar, wenn es auch nicht bedeutete, daß die Beschilderung auch weiterhin so bleibt. Die Straße wurde zusehends schlechter, die Schlaglöcher immer größer. Alles deutete daraufhin, daß wir unseren Schnitt nicht zu halten in der Lage sein würden, was uns aber nicht davon abhielt, es wenigstens zu versuchen.
Es dauerte nicht lange und die unselige Kombination von Landstraße ohne Standstreifen, LKW-Verkehr, keine Schilder, Schlaglöcher etc. machte unser Vorhaben, noch heute Goiás und Tocantins zu durchqueren und mindestens bis Imperatriz zu kommen, zunichte. Eine weitere brasilianische Spezialität ist das fast vollstänige Fehlen von Enfernungs- und Richtungstafeln. Allenfalls kommt man an Schildern vorbei an denen ganz deutlich abzulesen ist, daß darauf einmal etwas gestanden haben muß. Wem sowas wohl weiterhilft...

LKW beim "Walzertanz".

Nun ging es los, die Nadel kam kaum mehr über die 80 km/h-Marke hinaus, denn kaum gab man Gas, mußte man schon wieder drosseln, manchmal sogar anhalten, wenn nur eine Fahrbahnseite benutzbar und schon vom Gegenverkehr eingenommen war. Das Überholen wurde zur Glückssache, denn man mußte noch zusätzlich, vor jedem Überholmanöver, die Beschaffenheit der gesamten Fahrbahn untersuchen einschließlich des Stücks vor dem zu überholenden Fahrzeug. Man braucht nicht glauben, daß die LKW rechtzeitig stehen, wenn etwas sein sollte - selbst wenn sie wollten - sie ziehen einfach nach links und umfahren das Hindernis. Besonders unangenehm ist das Ganze, wenn noch eine unübersichtliche Kurve hinzukommt, auch dann, wenn man selbst nicht überholt. Mehr als einmal fanden wir uns einem dieser fetten Scania-, Volvo- oder Benz-Sattelschlepper gegenüber, der uns auf unserer Fahrbahnseite entgegenkam, weil seine nicht mehr befahrbar war oder bereits ganz fehlte.
Sie hatten sich die Mühe gemacht, ein Schild aufzustellen, das auf Straßenschäden aufmerksam machte. Sehr geschickt, wenn das Schild nicht gewesen wäre, dann hätte wohl kein Mensch gemerkt, daß dieser Schaden hier einst eine Straße gewesen sein soll. Um Geld zu sparen, sollten sie vielleicht in Zukunft Schilder aufstellen mit der Aufschrift "Straße", und zwar für die kurzen Stücke, bei denen der Durchmesser der Schlaglöcher kleiner als 30 cm ist. Und was sie sich da sparen würden! Die bräuchten nicht ein einziges Schild zu drucken. Ich schimpfte weiter, der Daimler holperte weiter, Mamma-Besold ertug das alles sehr geduldig und meinte nur ab und zu: "Achtung, da ist ein Schlagloch!" - "Welches meinst Du jetzt?"
Dann fehlte plötzlich der Asphalt ganz. Dafür war also das Schild gedacht. Völlig daneben. "Straßenschäden" stand da... Welche Straße, bitte?

Man muß sich immerhin vor Augen halten, daß es sich hierbei um eine Hauptverkehrsverbindung handelt.

Es ist unglaublich. Der gesamte Schwerlastverkehr vom und zum Norden des Landes fließt über diese Straße. Ein flüssedurchzogenes Land, das sich gerne mit den USA vergleicht und das weder eine Eisenbahn noch eine Binnenschiffahrt nötig hat, alle Transporte über die Straßen abwickelt und es selbst dann nicht schafft, diese wenigstens einigermaßen instandzuhalten, kann noch so große Shopping-Centren bauen, es ist und bleibt eine Karikatur. Milliarden, von irgendwoher geliehen, um eine Hauptstadt in den Busch zu pflanzen, anstatt sie für solch grundlegende Sachen aufzuwenden. Das ist mal klassische Mistwirtschaft. Klingt's arrogant? Ist auch so gemeint...
Nun gut, das Schimpfen alleine bringt einen hier auch nicht weiter. Für Unterhaltung auf diesem Stück sorgte eine junge Schnepfe, die ich verdächtige, Tochter eines Großgrundbesitzers aus der Gegend zu sein. Brettert da mit ihrem nagelneuen Chevrolet Corsa (entspr. unserem Opel Corsa) über die Löcher, die oft einen halben Meter tief sind, als wäre dieses unsägliche Stück Acker eine glatte Asphaltstraße. Als sie an uns vorbeifuhr hörte man nur ihr Bodenblech, wenn es mal wieder auf Grund ging. Genau in der Manier glaubte sie, gleich auch noch den LKW vor uns überholen zu müssen. Der machte ihr aber dann doch einen kleinen Strich durch die Rechnung, indem er von ganz rechts nach ganz links fuhr, um ein ausgewaschenes Stück zu umfahren. Zu ihrem Glück wußte sie noch, wo die Bremse war, erst sah man die Bremslichter aufleuchten, dann nur noch eine Staubwolke. Selbst schuld, ich konnte mir das Gelächter nicht verkneifen. Der LKW ließ sich überhaupt nicht stören, fuhr langsam wieder nach rechts und noch während die Schnepfe sich hupend über den LKW-Fahrer ausließ fuhren wir auch gleich noch links an ihr vorbei. Es dauerte etwas länger, bis sie wieder da war, vermutlich mußte sie sich erst ein paar Minuten darüber wundern, warum ihr Motor ausgegangen war.
Es ging noch eine ganze Weile auf diesem Untergrund weiter und diesem Stück folgte danach sehr schlechter Asphalt. Irgendwann wurde die Straße aus unerfindlichen Gründen ein wenig besser und man konnte wieder ein wenig aufs Gas gehen. Schlaglöcher waren nur in den Niederungen.
Je weiter man in den Norden kommt, desto afrikanischer werden die Verhältnisse. Es kam mir alles nur viel trostloser vor, denn in Afrika war man lächelnde Menschen gewohnt, wenn man so durch die Dörfer fuhr. In Afrika waren die Dörfer arm, hier würde ich sie eher als heruntergekommen bezeichnen.
Nach ein paar Stunden Fahrt ward es weit vor uns ziemlich schwarz und duster und es blitzte wie in schlechten Gruselfimen. Gewitterfront. Wir fuhren genau darauf zu. Es dauerte auch nicht lange und wir hatten sie bald erreicht.

"Fern im Norden stehen dunkle Wolken..."

Es verhielt sich nicht wie üblich, daß es erst dunkel wurde und dann zu regnen begann, sondern man fuhr bis unmittelbar vor dem Gewitter in strahlendem Sonnenschein. Man fuhr auf eine Wand zu, hinter der man von außen nichts mehr erkennen konnte. Der LKW, der etwa 100 m vorausfuhr, schaltete seine Lichter ein, ich tat es ihm gleich. Ich beobachtete, wie er in die Gewitterfront einbrach und kurz darauf sah man keine Sillouette, nichts mehr, außer den Lichtern und die waren auch bald verschwunden. Von Rolf Hermichens berühmten Ruf "Hinein!!!" begleitet brachen auch wir einige Sekunden später ein in diesen brodelnden Hexenkessel. Es setzte urplötzlich der Lärm der dicken Hagelkörner ein. Sichtweite beträgt wenige Meter, Geschwindigkeit sofort herunternehmen. Reden war zwecklos, es mußte gebrüllt werden, die Wischer leisteten schwerste Syssiphusarbeit. Ich tastete mich an den LKW heran, konnte anhand seiner Schlußlichter seine Bewegung erkennen und schloß auf. Von der Straße sah man nichts, auch nicht unmittelbar vor dem Bug. Die Scheiben liefen an, ich schaltete die Klima an und selbst das Rattern des Gebläsemotors war nur bei genauem Hinhören zu vernehmen. Das ging dann erstmal so weiter, bis es stark nach verbrannten Plastik zu stinken begann und aus den Lüftung feiner Rauch kam. Abschalten... und die Scheiben mit irgendeinem Wisch so frei wie möglich halten. Nach etwa 20 Minuten ging das Hageln in Regen über, der immer dünner wurde. Es schien überstanden. So etwas ähnliches hatte ich einmal in dem Bericht eines Kongoreisenden gelesen und hatte es für leicht übertrieben gehalten - nun wußte ich es besser. Der Kongo liegt übrigens etwa auf gleicher Höhe, nur weiter im Osten, daher kann das vielleicht doch am Äquator liegen.
Etwa eine Stunde dauerte es und es war wieder heiter Sonnenschein, als ob es den ganzen Tag nicht anders gewesen wäre.

Die Ruhe nach dem Sturm...

Die Straße war wieder halbwegs in Ordnung, es herrschte nach wie vor reger LKW-Verkehr, doch das Überholen gestaltete sich eben Aufgrund des besseren Belags einfacher. Wo es nur ging wurde Vollgas gefahren. Wir verließen den Staat Goiás und kamen nach Tocantins hinein. Diesen Staat gab es zu meiner Zeit noch nicht, den haben sie vor einigen Jahren woanders abgetrennt. Er ist daher noch ziemlich neu und die Straßen sind noch sehr in Ordnung. Natürlich wird auch dieser Staat nach einigen Jahren verfaulen, wie alle anderen, die Straßen werden verkommen und er wird genauso aussehen, wie die anderen auch, aber noch war es nicht so weit.
Wir fuhren wieder an Gurupí vorbei, wo wir 1985 mangels Alternative in einem mehr als schlechten Hotel übernachten mußten. Eigentlich wollten wir heute bis Imperatriz, was an der Nordgrensze von Tocantins liegt. Wir schafften es aber leider nur bis zur Mitte, 340 km nach Gurupí war für uns Schluß, denn um 20:30 Uhr, es war längst dunkel geworden. Also quartierten wir uns in Guaraí ein. Als erstes merkte ich, daß es hier wohl keine Sommerzeit gibt und es daher erst 19:30 Uhr war. Die Gesamtstrecke betrug bis hierher 1.972 km, davon 906 heute, der Schnitt betrug 69 km/h, der schlechteren Straßen wegen ist er um 7 km/h gefallen - geht eigentlich...


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© by Markus Besold