Afrika 2000
Die Überfahrt
Donnerstag, den 19. Oktober

Verschwunden das Land,
Verschwunden der Strand
Schiff auf hoher See.
Nur Himmel und Meer
Rings um uns her
Alles, was ich seh...
Leis' die Wellen wiegen,
Die Möwen heimwärts fliegen.
Golden strahlt die Sonn'
Das Herz ist voller Wonn'
Heimatland, ade!

Genau so sah dieser Morgen aus, als ich nach dem Frühstück an Deck ging, um dir obligatorische Post-Frühstück-Cigarette zu rauchen. Ein herrlicher Sonnenschein und nur die weite blaue See. Nicht wie auf dem Mittelmeer, wo man viel Phantasie braucht, um es blau werden zu lassen, sondern es war wirklich ein sattes Dunkelblau, wie in den Filmen. Dazu der frische Seewind und der salzige Geschmack des Atlantiks.
Wir fuhren mit 13,5 kn (ca. 20 km/h) kurs 210°. Danach legte ich mich aber wieder hin. Es gibt keine Termine. Fast keine Termine, denn am Nachmittag war eine Seenotübung angesagt, an der auch die Passagiere teilnehmen mußten. Beim Alarm legten wir also unsere Schwimmwesten - Tauchretter gab es keine - an, begaben uns an Deck, und stellten und vor dem Rettungsboot auf. Der Chief Officer stoppte die Zeit und hielt darnach einen wortreichen Vortrag. Ich verstand nichts außer "Watch your life-belt. If it's too loose - you'll lose your life, if it's too tight - you'll lose your life, and if you don't put it on before you jump into the water - you'll lose your life. If the neck is too tight, you'll break your neck; as well you've got to bring a hammer and a knife - or what will you do, if you have to cut some ropes?" Gut. Er hat auch bestimmt irgendeinen Tip gegeben, wie man sein Leben nicht verliert, aber das kann keiner verstanden haben. Kann wohl nicht wichtig gewesen sein.
Kunhi Kammerdiener erschien mit Brot, Wasser und einer Decke und sah wie immer etwas verstört in die Gegend. Der war echt 'ne Marke, er murmelte immer etwas vor sich hin und wenn er mit jemandem redete, dann wurde dieses Gemurmel nur lauter aber keineswegs deutlicher. Ich wußte nie, ob er gerade Englisch, Hindi oder gar nichts redete.
Als die life-belt-duty aufgehoben war, ging wieder jeder seiner Tätigkeit nach, Almut also Zitronenbrauen. Wir genossen unseren Urlaub auf See. Das war unsere erste richtige Seefahrt. Die Tunesien-, Türkei-, Skandinavien- und erstrecht die Marokkofähren sind richtige Nußschalen gegen diesen Pott und von Hochseetauglichkeit kann schon gar keine Rede sein. Auf einen Sturm würden wir aber auf dieser Strecke vergeblich hoffen, sagte man uns. Es sei hier immer recht ruhig.
Almut machte heute die Generalabrechnung. Ich habe noch keine genauen Zahlen, aber Afrika selbst war sehr billig. Das Teuerste war zweifelsohne die Verschiffung. An die 11.000 DM hatten wir ausgegeben, wobei über die Hälfte für das Schiff draufging. Den zweitgrößten Posten stellte das Diesel, auch kein Geheimnis.
Ich fragte mal ganz elegant nach, wie das mit dem "Über-Bord-gefallen-werden" ist. Ich hörte öfter mal, daß Passagiere von Frachtern geworfen wurden. Azied, der x-te Offizier, etwa 24, sah mich ganz verwundert an, wer mir denn diesen Blödsinn erzählt hätte. Was ich wohl glaube, was loswäre, wenn im Zielhafen zwei Leute zu wenig ankämen, das Meer sei doch kein rechtsfreier Raum. Gut zu wissen. Freilich käme es ab und zu vor, daß jemand über Bord fliegt - nicht auf diesem Schiff, versteht sich - aber allgemein. Dabei handelt es sich meist um blinde Passagiere, die einen Haufen Ärger für diejenigen bedeuten, die sie an Bord haben. Deshalb würde das Schiff auch vor dem Ablegen gerade in afrikanischen Häfen auf das gründlichste durchsucht. "They hide on places you can't imagine..."
Abends suchten wir uns einen windstillen Platz um gemütlich eine Cigarette zu rauchen. Almut Nahm zur Abwechslung auch eine. Der Himmel war bedeckt, es war zappenduster und mit Sternen war nicht viel los. Wir wunderten uns über die Zufälle im Leben. Mir fiel jener Sommer 1998 ein, als ich einfach mal so aus Quatsch nach Libyen fuhr. Daß wir Ines und Almut überhaupt trafen scheint im Nachhinein so absurd. Was suche ich in der Cyrenaika in einer griechischen Ausgrabungsstätte? Kultur hat mich noch nie interessiert. Wir hätten sie vermutlich nie getroffen, wenn wir Mohammeds Einladung angenommen hätten und in Zillah übernachtet hätten, wenn wir nicht zwei Stunden damit "verloren" hätten, das Auto bei einer verfrühten Nachtplatzsuche auszugraben, wenn wir in al-Beyda wie geplant zum Essen angehalten hätten, wenn... Der Zufall wollte es, daß wir kurz vor Schließung in Kyrene ankamen und Ines und Almut - die Wenns auf dieser Seite entziehen sich meiner Kenntnis - kurz nach uns dort aufgetaucht sind, unser völlig überladenes Auto sahen und wir ins Gespräch kamen. Wir setzten daraufhin den Weg für ein paar Tage gemeinsam fort, fuhren noch einmal in die Sahara hinein und im Jahr darauf ging es wieder mit Almut & Bruder nach Libyen, wo wir beschlossen, im Jahr 2000 nach Namibia zu fahren. Gut, das klappte nicht, aber auf einem Versorger nach Südamerika zu fahren ist auch nichts schlechtes. Es ärgerte mich noch Tage später, daß ich damals kurz nach Zillah das Auto in den Sand gesetzt hatte, aber Schweijk würde sagen "Es hat alles einen tiefen Sinn". Ich wage eine Vermutung: Wir wären bei Mohammed geblieben und erst einen Tag später in der Cyrenaik gewesen. Dann wäre ich 1999 mangels Begleitung nicht nach Libyen gefahren und hätte in Folge dessen nie einen Anfall von Größenwahn bekommen und wäre deshalb und weil niemand migefahren wäre jetzt nicht auf einer etwas anderen Kreuzfahrt, sondern würde in Deutschland in der sozialen Hängematte liegend darauf warten, daß irgendwer vorbeikommt und mir meinen Führerschein wiederbringt. Allein der Gedanke läßt mich schaudern, daher müßte ich eigentlich Michl Metzger auf Knien dafür danken, daß er mich damals in die Pampa gejagt hat und dem Schicksal, daß alles so lief, wie es die gute alte Zarah Leander singt:
Keiner weiß im Augenblick, ist's Unglück oder Glück, was das Leben gibt und nimmt.
Manchmal ist es nur ein Zufall, manchmal ist es so bestimmt...


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