Panamericana-Tour 2002
Mittwoch, 31. Juli

Natürlich verloren wir uns um ein Uhr noch im Casino. Casinos fand Catarina faszinierend, denn in Brasilien gibt es ja keine. Verboten. Daß die Brasilianer sich überhaupt trauen irgendetwas anderes als sich selbst zu verbieten ist an sich schon erstaunlich, um nicht zu sagen dreist. Ich weigerte mich konsequent, auch nur einen Cent im Casino zu lassen. Lieber unterhielt ich mich mit zwei Einheimischen, die recht unmotiviert durch die Straßen steuerten. Genug ist genug. Ich hatte bereits bei meinem ersten Casino-Besuch zuviel verloren. Aber Catarina schien das nicht zu stören, denn er verspielte ein Monatsgehalt nach dem anderen und fand es hinterher auch noch witzig. Erst als der Morgen zu grauen begonnte - es war bereits halb Funf - fanden wir eine YPF-Tankstelle, wo wir uns dann zur Nacht niederließen. Wieder war man so freundlich, uns in die Halle hineinzulassen, denn es regnete. Wir hatten es zuvor bei der Feuerwehr versucht, aber die meinten, daß das nicht ginge. Warum, das blieb uns schleierhaft. Aber wir verbrachten eine sehr angenehme Nacht. Kuschlig warm war es im Schlafsack und das Auto durften wir auch auf die Hebebühne ins Trockene stellen. Das ist ein Leben.

Übernachtungsplatz Mendoza (km 739.893)
"Auch nicht mit Fürsten und Grafen tauschen wir Jungens, Ahoi!!!"

Wir durften auch relativ lange ausschlafen. Am Morgen hatte es aufgehört zu regnen. Um viertel nach Neun ging es weiter mit Ziel Santiago de Chile. Der Himmel war wolkenbehangen. Hochnebel. Man konnte die Anden kaum sehen, aber wir wußten, sie lagen unmittelbar vor uns, gleich mußte der Anstieg losgehen. Gewaltige Bergmassive lagen vor uns, darunter auch der Aconcagua, der höchste Berg außerhalb Asiens. Nur sehen konnt man davon nichts. Noch nicht. Irgendwann demnächst würden wir die Wolkendecke durchbrechen und da oben scheint die Sonne. Dieses Massiv trennt Chile von Argentinien und es zieht sich hinauf, am Pazifik entlang bis nach Alaska, wenn man so will. Es würde uns also eine Weile begleiten. Das hier war der zivilisierte Teil der Anden, könnte auch in Europa sein. Weiter im Norden, in Peru geht dann die Wildnis los. Aber soweit waren wir noch lange nicht.

Die Straße geht hier immerhin auf 3.500 Meter hoch, wir befanden uns auf etwa 400 Höhenmetern und Catarina fiel es schwer zu glauben, daß wir wirklich so weit hochmußten, denn man sah noch gar nichts davon und er dachte, wir müßten eine riesige Felswand vor uns sehen, drei Kilometer hoch und mächtig, höher als alle Wolken. Aber dem war nicht so. Wir fuhren durchs Flachland. Und bis zur Stunde wußten wir nicht, ob der Paß frei war oder nicht.

Vor uns, irgendwo im Nebel, der mächtige Andenkordon.

Gegebenenfalls mußte eine Übernachtung dort oben in Kauf genommen werden, aber das ist sicher etwas, was man mal gemacht haben muß. Das störte keinen von uns beiden. Gabi hatte sich letztes Jahr strikt geweigert, dort oben zu übernachten - habe gar nicht gefragt, warum, denn auf eine vernünftige Begründung hätte ich da soweiso vergebens gewartet. Wir hielten direkt auf die Anden zu, folgten der Straße und warteten auf den Anstieg. Wir bretterten mit etwa 100 km/h über die leere Straße.

Ab und zu hielt ich an, damit Cat Bilder schießen konnte. "Alter, mach doch die Tür zu, wenn Du aussteigst, hier geht es kalt rein", fegte ich ihn ein paar mal an. Einmal, auf einer Brücke, fuhr ich mit offener Tür einfach los, hielt an und ließ ihn ein paar hundert Meter laufen. "Was war das jetzt?", wollte er wissen. "Ich hab Dir jetzt mindestens fünfzig mal gesagt, Du sollst die Dreckstür zumachen. Gerade auf der Brücke. Was, wenn ich plötzlich rechts ran fahren muß, oder sonstwas ist?" Da kam er mir mit der bescheuerten Ausrede, er hätte diesmal nicht die Türe zugemacht, um die Scharniere nicht zu verschleißen. "Sagst Du das in der Arbeit auch?: Ich habe den Bericht nicht getippt, weil ich die Tastatur nicht verschleißen wollte? So ein Schwachsinn. Wenn das Scharnier kaputtgeht, kommt eben ein neues hin, aber mach die verdammte Tür zu, Affe!"

Als das Auto langsamer wurde gab ich die Ansage durch "Anstieg beginnt".

Kaum hatte der Anstieg begonnen, wir waren gerade eine Stunde und fünf Minuten unterwegs und laut GPS erst auf 1.400 m, sahen wir auch schon den ersten Schnee. Ich den ersten seit Januar, Catarina den ersten in seinem Leben. Klar mußte ich da anhalten und Catarina spielte mit dem dreckigen, halbgefrorenen Matsch herum, wie ein kleines Kind. "Das ist Schnee? Geil! Ich hab mir den viel weißer vorgestellt." "Dort oben ist er weiß, der hier ist schon ein paar Wochen alt, besteht hauptsächlich aus Dreck, wie Du sicher merkst. Das ist jedenfalls kein richtiger Schnee mehr. Komm, hopp, weiter geht's". Wir fuhren weiter. Er hätte wirklich ein paar Kröten in Paraguay für eine Digitalkamera ausgeben sollen, denn bereits hier hatte er fast einen ganzen Film verknipst. Das wird teuer...

Es war auch nur eine Frage der Zeit, bis wir Verkehr vor uns hatten. Die LKW können nicht so schnell, und wir konnten sie nicht überholen da die Wischwaschanlage schon seit Monaten nicht mehr ging. Das wirkt sich das sehr negativ auf die Sichtverhältnise aus. So krochen wir also hinter den LKW her bis wir eine Tankstelle fanden, um die Frontscheibe wieder klarzumachen. Die 740.000 gingen durch. Aber es gab keinen Halt. Scheibe saubermachen, kurz Tanken und weiter. Wenigstens war der Generalkurs nicht mehr Südwesten, sondern Westen. Luftlinie war es nicht mehr weit bis Santiago, aber die Anden und die bevorstehende Grenze ließen es noch ewig weit weg erscheinen. Ich spare es mir hier, alles Bildmaterial zu präsentieren.

Etwas abseits von der gut asphaltierten Straße...

Es ging höher und höher hinauf, doch es gab keine einzige wirklich kritische Stelle, nie mußte man in den ersten Gang schalten. Für Catarina war nicht nur die Aussicht atemberaubend, sondern auch die Höhe. Ohne, daß man sich dessen richtig bewußt wird, fährt man plötzlich in über dreitausend Höhenmetern spazieren. Die Luft ist ziemlich dünn, das merkte ich weniger an mir selbst, denn solange man nur da sitzt und sich kaum bewegt, geht es eigentlich, aber das Auto arbeitet und an dessen Verhalten merkte man deutlich einige Änderungen. Der Motor klingt ungewöhnlich leise, wie von fern oder durch eine Schallschutzmauer. Auf das Gas sprach es fast überhaupt nicht mehr an und hinten haut es nur so den schwarzen Ruß in die hellgraue Landschaft. Aber romantisch ist es doch, wenn man denn dafür einen Sinn hat. Catarina wurde ziemlich ruhig, wie ein Reptil in der Kälte. Nur noch die allernötigsten Bewegungen verrichten und ansonsten unbeweglich sitzen und alles an sich vorbeirauschen lassen, sogut wie möglich, aber es war eben doch alles zu neu.
Von der Existenz einer solchen Landschaft hat natürlich der durchschnittliche Brasilianer überhaupt keine Ahnung, sowas gibt es dort nicht, und wenn einem noch so oft eingetrichtert wird, Brasilien sei eines der vielfältigsten Länder dieser Erde - was nicht stimmt, aber das erzählt man sich dort. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Brasilien ist ein tropisches Land mit allen seinen tropischen Abstufungen. Das war's. Aber übersieht man eben dort gerne, daß es außer dem tropischen auch noch andere Klimata gibt. Bräuchten sich bloß mal ins verhaßte Argentinien bequemen. Hier waren wir schon durch drei verschiedene Klimazonen gefahren, tropisch war es im Norden, dann wurde es steppenartig und nun alpin. Im Süden geht es noch weiter, aber dahin ging es nicht mehr. Nicht auf dieser Reise. Eines Tages, vielleicht. Man soll bekanntlich niemals "nie" sagen.

"Es ist kein Weg uns zu steil und zu weit
Und keine Schlucht uns zu tief und zu breit
Wir Kameraden der Berge sind gegen alles gefeit."

Wir durchfuhren Skiorte, die genausogut irgendwo in der Schweiz oder in Österreich stehen könnten. Die Lifte fuhren, was fehlte waren die nicht enden wollenden Schlangen davor. Ich wünschte mir meine Skier her, die Regenwolken hatten wir längst unter uns gelassen, es herrschte strahlendes Skifahrwetter, guter Schnee, keine überfüllten Lifte wie man sie kennt: Fünf Minuten Abfahrt, fünfzig Minuten anstehen. Hier war es umgekehrt. Es wäre einfach herrlich - hätte man Skier dabei. Seit Jahren war ich nicht mehr auf den Brettern gestanden. Wieder wanderten die Gedanken Jahre zurück. Wo ist nur die Zeit geblieben?

Andererseits wird man in Jahren auch mit Wehmut der jetzigen Fahrenszeit gedenken. Und man kann nichts festhalten. Panta rei. Nur nicht trübsinnig werden dabei. Wir hielten und nicht lange auf. Als ich festgestellt hatte, daß sich durch Gedanken alleine keine Skier materialisieren, ließ ich wieder aufsitzen und es ging weiter in Richtung Chile. Den Schnee sah ich mir ganz genau an, das war vermutlich für lange Zeit der letzte, den wir zu Gesicht bekommen sollten. Wir zogen unsere Straßen, die wieder alle Gerüchte zu bestätigen und zu widerlegen verstand. Sie war nicht geräumt, sondern trocken, hier hatte seit Tagen kein Schnee gelegen, was wahrscheinlich der Grund dafür war, daß man sie nicht geräumt hatte.

Ein Skiort bei Puente del Inca.

Diesmal vermieden wir es, bis an die Grenze zu fahren, um dann wieder umzukehren, sondern wir fuhren einige Kilometer vor dem eigentlichen Grenzübergang von der Straße herunter in die riesige Halle. Die Lernkurve war also noch da. Wie konnte ich beim letzten mal nur diesen Schilderwald übersehen? Es war bitterkalt. Früher, als ich jung war, trug ich im Winter nie eine Jacke. Sommer wie Winter gab es eine Einheitskleidung und fertig, entweder war es zu kalt oder zu warm, aber immer lag es an der Temperatur, die Kleidung machte nichts falsch. Aber das war eben damals, in jungen Jahren. Nun hatte ich meine Bundeswehrjacke an und sprang in der Halle wie ein Geißbock von einem Fuß auf den anderen, die Hände tief in den Taschen vergraben und den Ohrenschutz der Gebirgsmütze bis zum Anschlag heruntergezogen. Das war ich einfach nicht mehr gewohnt. Und dabei merkte ich die Höhe. Irgendwie fühlt man sich ganz leicht, jedes Geräusch scheint eigenartig unterdrückt und man schnaubt wie ein Stier. "Friert's Dich etwa?", fragte mich der Grenzposten, als ich endlich dran war. "Klar. Ich bin kein Andino, sondern Alpino..." Er gab mir die Papiere zum Ausfüllen, aber derer zu wenige. Ich fügte hinzu: "Das Auto übrigens auch..." Er sah zum Fenster seines Kabuffs zum Daimler hinüber. "Was ist das für ein Kennzeichen?" "Deutsch." Daraufhin kapierte er meine Anspielung von vorhin und gab mir die Papiere für den Wagen. Catarina bekam andere Papiere, denn er war Angehöriger eines Mercosur-Staates. "Fahren Sie das Auto hier her", befahl mir der Grenzer noch. Nichts lieber als das. Ich verschwand in der warmen Kanzel, fuhr das Auto neben das Kabäusle und füllte die Papiere in der wohligen Wärme des Innenraumes aus. Der Motor lief durch, das störte auch in der Halle keinen. Man bat mich nur, etwas weiter vorzufahren, da der Motor die Grenzer bei der Unterhaltung störte. Ich kam mit den Papieren zurück und man bemühte sich, jemanden zu finden, der das Fahrzeug durchsuchen sollte. Bei der Ausreise... so ein Unsinn. Endlich kam einer in das Postenhäuschen, aber der hatte keine Lust in die Kälte rauszugehen um unser Auto zu durchsuchen. "Sind doch Touristen, oder?", fragte er in die Runde, alle sahen sich das Auto an und meinten dann: "OK, fahren Sie weiter. Gute Fahrt." Wir bekamen unsere Stempelchen, saßen auf und fuhren weiter in Richtung Chile.

Um 15.34 Uhr (km 740.130) waren wir an der Grenze zu Chile angekkommen. Die Prozedur hatte sich nicht geändert. Erst die Immigration, dann der Zoll. Man mußte unterschreiben, daß man keine Milchprodukte und Früchte usw. dabeihatte, was hinterher auch kontrolliert wurde. Dann durften wir weiter. Geld wechselten wir keines, die Maut, so hieß es, könne man auch mit der Kreditkarte bezahlen. Ich hatte sowas nicht, aber Catarina. Doch er schien nicht ganz durchzublicken, wie so ein Teil funktionierte, denn er hob immer nur soviel ab, wie wir für die nächsten Tage brauchen würden. Daß er jedesmal dafür Gebühren zahlt und es daher besser sei, in jedem Land einmal eine größere Summe abzuheben, sagte ich ihm zwar, aber das änderte nichts. Er führte sehr detailliert Buch. Alle Beträge, die das Auto verließen wurden genauestens notiert, am Ende eines Landes wurde dann durch zwei geteilt und umgerechnet in Dollar. Die wollte er haben, denn der Real war in den letzten Tagen abgestürzt und wer weiß wieviel er jetzt noch wert war. Es ist mmer besser, Dollar zu haben, anstatt eine dieser südamerikanischen Fufu-Währungen, denn Dollar ist Dollar und bleibt Dollar. Alles andere ist Spielgeld. Micky Maus, wie mein Alter Herr es immer nennet.
Nach der Einreiseprozedur fuhren wir weiter und bald schon lagen die Caracoles Chilenos vor uns, die "Chilenischen Schnecken". Das sind die Serpentinen, die von den Anden wieder hinunter ins Tal führten. Als erstes fiel auf, daß die Straßen schlechter wurden. Es waren hauptsächlich LKW unterwegs. Das schöne Argentinien lag hinter uns, es ging buchstäblich wieder bergab.

Hinab ins Tal.

Meiner Meinung nach ist die Andenüberquerung hier einfach zu kurz. Es hört sich mächtig an, ist aber im Prinzip nichts anderes, als wenn man von Oberammergau nach Bozen fährt. Die Strecke ist ist nur länger, der Paß höher und man hat an der Grenze Papierkrieg - das ist der ganze Unterschied. Und wie in Italien, so gibt es auch in Chile eine Maut. Hätten wir nur etwas mehr Zeit gehabt, dann wäre das nicht so schlimm gewesen. Ich erklärte, daß man uns an der Grenze gesagt hätte, man könne auch mit Kreditkarte zahlen. "Kreditkarte? Nein. Mautkarte, ja." Vielleicht sollte ich in Zukunft nicht einfach fragen, ob man mit Karte zahlen kann, sondern auch diese Karte näher definieren. So eine Mautkarte hatten wir natürlich nicht, man konnte sie hier auch nicht kaufen. Ich hatte noch ein paar alte 100-Peso-Scheine, aber die wollte irgendwie keiner Annehmen, denn die waren schon seit über zwanzig Jahren aus dem Verkehr gezogen. Mist! Dabei sahen sie nigelnagelneu aus.

Bei der ersten Mautstation ließ man uns passieren, weil wir noch ein paar argentinische Peso hatten, aber bei der nächsten sah die Sache anders aus. Die argentinischen Peso reichten nicht mehr aus. Ich ging los mit meinen alten chilenischen Pesoscheinen und verkaufte zwei davon an Zöllner für jeweils 100 Peso. Kein wirkliches Geschäft für mich, aber die wollten einen haben, denn sie hatten noch nie so einen gesehen. Die waren noch gar nicht auf der Welt, als diese Scheine eingestapft worden waren. Es fehlte immer noch einiges. Wir fragten bei Autos mit argentinischem Kennzeichen, die in die Gegenrichtung fuhren, nach, ob sie vielleicht unsere argentinischen Münzen gegen chilenische Scheine eintauschen würden. Bald hatten wir alle argentinischen Münzen weg. Keine Währung mehr zum Tauschen. Auch keine Real - wer hebt auch so einen Müll schon auf? Aber wir sahen einen brasiliansichen LKW und Cat schnorrte den Fahrer an. Der gab uns das, was noch fehlte und wünschte uns das Beste und viel Glück auf unserer Reise und Gottes Segen und was nicht noch alles.

"Gott ist größer", steht auf dem Spritzlappen. So zog er dann von Hinnen... Vielen Dank, auch.

Die Speicherkarte meiner Kamera war voll geworden in den Anden, ich mußte nun anfangen, Bilder zu löschen, um Platz für neue zu machen. Es muß einfach ein LapTop her, dann hat man ein Problem weniger. Hoffentlich klappte das. Catarina hatte eine normale Kamera mitgenommen, die aber in den Anden das Transportieren verweigerte, komische Geräusche machte und dann wieder normal funktionierte. Die spulte wieder auf Bild eins, obwohl er bereits neun Aufnahmen gemacht hatte. Ich erklärte ihm, daß er einfach die Linse zukleben sollte und vierzehn mal (deutsche fünffache Sicherheit) den Abzug drücken sollte, damit wäre der Film wieder in seiner ursprünglichen Stellung und er könnte weiterphotographieren. Aber das war ungefähr so effektiv, als wollte man einem Walroß erklären, wie ein Taschenrechner funktioniert. Die Kamera wurde eingemottet, um die neun Aufnahmen nicht zu verlieren. Dafür zog er eine Billigkamera heraus und machte damit bis zum Ende der Fahrt Aufnahmen von deutlich schlechterer Qualität.

Um halb acht abends kamen wir in Santiago an (740.200 km). Wir parkten das Auto in einem Parkhaus und suchten uns ein Internet-Café. Nach dem dritten Versuch wurden wir fündig. Es war zwar im Begriff zu schließen, aber wir konnten die Dame überreden, uns fünf Minuten ins Netz zu lassen. Ich rief meine eMails ab. Eine Antwort meiner Schwester: "Nein, ich hab das Geld nicht überwiesen, der linkt mich sonst ab. Der soll erst den Rechner schicken." An dieser Stelle bin ich geplatzt. "Die ist doch so blöd wie sie fett ist!!!", Catarina sah mich erschrocken an. "Was los, Typ? Spinnst Du jetzt? Was schreist denn so rum?" Ich konnte direkt fühlen, wie mein Schädel rot anlief und fast zu platzen drohte. Ich ging weg vom Computer, das nervte mich jetzt. "Die ist doch so bescheuert", fuhr ich mit meinem Vortrag fort, "die ist zu blöd, 300 Euro zu überweisen. Ich hab ihr gesagt, sie soll einfach das Geld überweisen, aber was macht sie? Sie versucht, zu denken. 'Der linkt mich ab', die ist längst abgelinkt worden, schon bei der Geburt. Und selbst wenn es so wäre, es ist nicht mal ihr Geld. Der Computer liegt jetzt in Berlin, es ist der 31., in vier Tagen fliegt die ander' los, eine Überweisung dauert mindestens drei Tage, dazwischen liegt das Wochenende, von der Deutschen Pest AG ganz zu schweigen, das kann nicht mehr klappen..." Wieso kann man sich seine Geschwister nicht aussuchen? Ich hätt längst andere. Ich bin dafür, daß der erstgeborene das Recht haben sollte, zu entscheiden, ob das neue Baby großgezogen werden soll oder nicht. Catarina hatte sich das alles angehört, mich dabei mit großen Augen angeschaut, als wäre ich nicht ganz dicht und er fragte dann: "Von wem redest Du überhaupt, von der die wir in Lima abholen?" "Quatsch, von meiner bescheuerten fetten Schwester, natürlich." Und noch mehr ärgere ich mich über mich selber, weil ich einfach zu blöd bin um zu checken, daß die überhaupt nichts kann. Das war schon bei der Gelenkwelle so, die ist einfach zu blöd und ich weiß das seit über zwanzig Jahren und fall immer wieder darauf rein. Wenn sie es wenigstens mit Absicht machen würde, dann hätte es noch was, aber das ist pure Blödheit in ihrer klarsten und reinsten Form. Komm jetzt, mach hin mit Deinem Dreck, da. Ich muß jetzt was fressen, damit ich kotzen kann..." Um die Karte zu entladen hatte ich weder Zeit noch Nerven. "Scheiß Fette! ..."

Wir liefen durch die Gegend auf Umwegen zum Auto zurück, fragten immer ab und an, wo man billig was zu Essen bekäme. Am meisten bekamen wir die Antwort "Im Barrio Bellavista". Wir fuhren also dort hin, parkten das Auto vor dem Restaurant und aßen irgendwas. Irgend ein älterer Chilese vom Nebentisch hörte uns Portugiesisch sprechen und mußte seiner Bewunderung für Brasilien Ausdruck verleihen. "Riesenland, Immens, Kolossal..." Ich erklärte ihm, daß Rußland noch viel größer, Immenser, Kolossaler sei und zusätzlich auch noch eine Kulturnation. "Na, und? Größe ist doch nicht wichtig, Rußland liegt am Boden." Merksch was..? Er merkte es jedenfalls nicht. Es gibt nun mal verschiedene Nationen, die zu verschiedenen Teams gehören. Diejenigen, die sich auf das Gewinnen spezialisiert haben und diejenigen, die auf das Gegenteil spezialisiert wurden. Deutschland gehört zu ersteren und ist ein gutes Beispiel. Es wurde total vernichtet, ist aber trotz alledem nicht in die dritte Welt gebombt worden, das geht einfach nicht, es ist Europa. Hingegen kann ein Drittweltland nicht zu den großen zählen, das ist von der geschichtlichen Entwicklung her nicht vorgesehen. Das muß man natürlich, wie alles, mit dem richtigen Maßstab betrachten, versteht sich. Verstand er nicht.


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