Heute kamen wir etwas früher los, nämlich schon um halb Acht. Bis Cartagena war es noch ein gutes Stück. Und auf dem Programm stand heute nichts als Fahren. Wir gerieten zwar in eine Polizeikontrolle, aber auch hier keinerlei Schwierigkeiten. Paßte alles, wir durften weiter. Außer den Pässen wollten sie nichts sehen.
Was auffällig war, waren nach wie vor die vielen umgekippten Laster. Ich konnte es mir nicht erklären. Ähnliches sah ich zuletzt vor über einem Jahr auf dem Rückweg von Belém nach São Paulo.
Das gleich in der Früh, kurz nach dem Losfahren. |
Wenn ich die Kamera rechtzeitig zur Hand hatte, schoß ich natürlich Bilder davon. Die Landschaft war nämlich relativ langweilig, wie man sehen kann. Und den ganzen Tag gab es ja nichts anderes zu tun, als drauf zu hoffen, daß sich irgendwas Spektakuläres zeigt, wie heftige Kämpfe zwischen FARC und Regierungstruppen, Bombenanschläge, durch die Luft schleudernde Köpfe und sonstige Gliedmaßen, Blut, das bis nach Venezuela spritzt...
Aber von alledem bekamen wir nichts zu sehen. Die Leute hatten wohl tatsächlich etwas Besseres zu tun. Zum Beispiel Fahrübungen abzuhalten. Mir dämmerte langsam, warum wir davor gewarnt wurden, Nachts zu fahren, und langsam glaubte ich, daß es weniger mit den schlimmen, bösen Rebellen zu tun hatte, sondern, daß eher verkehrstechnische Gründe Anlaß dafür waren.
Gegen Mittag geriet der Verkehr ins Stocken und bald standen wir mehr, als daß wir fuhren. Das wirft und natürlich im Zeitplan zurück. Im Stau war ich auch schon lange nicht mehr gestanden. Höchstens als ich besucht hatte, in São Paulo im Berufsverkehr, vielleicht. Aber das muß schon länger her sein, denn normalerweise schlafe ich während des Berufsverkehrs. Nach einer halben Stunde sah man voraus, daß wieder ein Unfall der Grund für die Stockung war.
Langsam ging es weiter. | Bergung eines Wracks. |
Der Unfall muß richtig häßlich gewesen sein. Da war der Abschlepper total fehl am Platz, was von den Karren übrig war, konnte man wirklich nur noch mit dem Kipplaster abholen. Hier gab's wohl gleich ein paar Tote. Wegen nur einem hätte sich der ganze Aufwand ja auch kaum gelohnt. Frauen sollten einfach keine anderen Maschinen bedienen dürfen, außer solche, die im Haushalt verwendet werden. Wenn Gott gewollt hätte, daß Frauen wichtige Maschinen bedienen, hätte er sie mit einem Hirn ausgestattet.
Und kaum hatte sich der durch diesen Unfall bedingte Stau aufgelöst, ging es geradewegs zum nächsten Mißgeschick, das am Ende so aussah, daß ein Laster quer auf der Gegenfahrbahn lag. Beladen die die falsch? Schlafen sie ein? Oder sind sie einfach nur zu blöd? Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Daß ab und zu mal sowas passiert ist ja normal. Aber hier geht es ja am laufenden Band so.
Ich hatte längst aufgehört, mitzuzählen. |
Der Wald um uns wurde dichter. Die Landschaft erinnerte an die in Zentralbrasilien. Mir gefiel sie nicht. Aber das war bisher das einzige, über das ich in Kolumbien meckern konnte. Auch am dritten Tag kann ich nur feststellen: Das Land gefiel mir. Essensmäßig belegte es zwar nicht die Spitzenplätze, aber damit konnte ich leben. Ansonsten keine Klagen. Zumindest noch nicht. Noch waren wir ja nur im Auto gesessen, hatten zwei Hotels gesehen und waren in zwei Polizei- oder Militärkontrollen geraten. Eine richtige Aussage läßt sich noch nicht treffen, aber einfach die Tatsache, daß bisher alles wie am Schnürchen lief, stimmt zuversichtlich.
Wir hatten sogar Gelegenheit, Straßenausbesserungsarbeiten in Aktion zu beobachten. Das nötigte mir wirklich Anerkennung ab. Die Straßen sind sehr gut und werden noch ausgebessert. Da sollten sich vor allem die Brasilianer eine Scheibe abschneiden. In diesem Drecksland, das aus Schlaglöchern besteht, hab ich nie einen Straßenbauarbeiter gesehen. Dieses Land wurde mir von Stunde zu Stunde sympathischer.
Was wir an diesem Tag auch noch des öfteren sahen, waren Soldaten, die am Straßenrand marschierten. Allgemein bekannt ist, daß man Militärangehörige oder militärische Geräte in keinem dieser Länder photographieren darf. Daß ich das tat, störte Gabi nicht. Vielleicht, weil man die Bundeswehr auch knipsen darf und sie die Bundeswehr für Militär hält. Haben schließlich auch Flecktarn an.
Mich interessierte, was zum Beispiel dieser kleine Trupp hier zu suchen hatte. Die könnte doch jeder vom Busch aus ohne Schwierigkeiten wegknallen. Mitten in der Pampa laufen drei Soldätchen unmotiviert die Straße entlang. Es sind wieder so Sachen, die ich mir genausowenig erklären konnte, wie die umgefallenen Laster, die man alle fünf Minuten sah.
Kolumbien ist ein Land im Krieg. Zwar nicht im klassischen Sinne, aber es wird auch in diesem Krieg scharf geschossen, nur die Fronten sind nicht ganz klar. Doch das gilt auch beispielsweise für Rio. Dort herrscht seit Jahren ein Drogenkrieg. Und doch wimmelt es dort nur so von Touristen. Der Unterschied, meiner Ansicht nach, ist der, daß der Drogenkrieg hier nicht nur in den Städten stattfindet, sondern im ganzen Land - die Kokaplantagen sind schließlich nicht in der Stadt. Die Frage bleibt aber dann: Wieso kommen die Touris nach Rio, und wieso fürchten sie sich vor Kolumbien so sehr. Hüben wie drüben findet man sie auf dem Land kaum. Immer nur in den Städten. Und hier an der Küste gibt es sicher auch schöne Hotels, in die sie sich zwei Wochen hineinflacken können. Und billiger ist es obendrein. Aber mit meiner Theorie, daß Pauschaltouristen dumm sind, liege ich weder falsch, noch bin ich damit alleine. Hauptsache alles durchgeplant, damit man den Urlaub genießen kann, alles schnell, denn man hat ja nur zwei Wochen, und vor allem billig muß es sein.
Wäre interessant zu wissen, was genau mit den Gören passiert, wenn dieser Laster umkippt. |
Um 16:55 Uhr (751.408) erreichten wir die Stadtgrenzen von Medellin. Medellin hat ebenso wie Cali, Berühmtheit erlangt durch den Export von Kokain. Die komplette Geschichte steht wieder bei Wikipedia, hier nur die Kurzfassung. Der prominenteste Bürger dieser Stadt ist wohl der berühmte Pablo Escobar, der das Medellin-Kartell anführte und sich natürlich über die Konkurrenz in Cali nicht sehr erfreut zeigte. Das Medellín-Kartell galt als das gewalttätigere von beiden Kartellen. In den 80er Jahren wurden die Einnahmen des Kartells auf zwischen 25 und 35 Milliarden Dollar geschätzt, was zu einem Aufschwung hier im Lande führte, von dem andere lateinamerikanischen Länder nur träumen können. Und die Drogenbosse erfreuen sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit - ist ja klar: Im Gegensatz zu den Politikern haben sie die Taschen schon voll. Und die Politiker verdienten selbst am meisten, wenn sie einfach wegsahen und die Drogenbarone machen ließen. So war es für alle besser. Nur die Amis hatten ein Problem damit.
Und dann kam es, wie es kommen mußte. Die USA verstärken den Druck auf die kolumbianische Regierung, die den Druck auf die Barone verstärkte. Escobar, kein Kind von Traurigkeit, mußte aufstehen und auf den Tisch klopfen, um zu zeigen, wer der Herr im Hause ist. Dann wird hier ein Präsidentschaftskandidat weggemacht, und es brach der offene Kampf zwischen dem Medellin-Cartell und der Regierung aus, die nicht nur von den USA, sondern auch vom Cali-Kartell unterstützt wurde. Das war dann zuviel und alles ging elend zuschanden. Pablo Escobar kam in ein Luxusgefängnis, wurde von seinen eigenen Leuten bewacht, machte weiter seine Geschäfte und alles lief einigermaßen, bis er zwei Brüder im Gefängnis exekutieren ließ und somit das Kartell spaltete. Und diese abgespaltene Gruppierung machten nun Hatz auf Escobar und seine Getreuen. Die Regierung mischte auch irgendwie mit und zum Schluß der Schuß, der Escobars Leben beendete und damit auch das des Medellin-Kartells. Das Cali-Kartell trat an seine Stelle. Dabei kann man sich doch alles aufteilen: So liest man zum Beispiel, daß das Medellin-Kartel hauptsächlich für Florida zuständig war, während das Cali-Kartell sich hauptsächlich auf den Neu Yorker Raum konzentrierte. Aber auch, daß das Heer zusammen mit dem Medellin-Kartell operierte, während die Polizei weitgehend vom Cali-Kartell gesteuert wurde.
Das ist natürlich alles sehr verwirrend, denn Gabi hatte doch neulich gemeint, das Heer und/oder die Polizei seien auf unserer Seite... Aber die sind doch auf verschiedenen Seiten. Beides gleichzeiteg verstößt ja gleich gegen Naturgesetze, also was denn nun?
Ich wollte ein wenig durch dieses Medellin fahren und es mir ansehen. Das war natürlich ohne brauchbaren Stadtplan gar nicht so einfach, und ohne den stießen auch Gabis navigationskünste, die den meinigen haushoch überlegen sind, an gewisse Grenzen.
Spätestens hier erkannte ich: Wir hatten uns eindeutig verfranzt... |
Es war sicherlich noch nicht die kaputteste Gegend, aber es erinnerte mich doch stark an die brasilianischen Favelas. Und in die geht man besser nicht hinein, wenn man nicht weiß wie, wo und mit wem. Ähnlich wird es sich hier verhalten, schätze ich. Ich verlasse mich immer auf mein Gefühl und hier hatte ich kein gutes. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit, an einer Stelle, an der ich in einem Schwung wenden konnte, drehte ich um und folgte der Beschilderung zum Zentrum. Das klappte einigermaßen. Kolumbien überraschte nämlich auch durch brauchbare Beschilderung innerorts wie außerorts. Auch hier wieder: Im Vergleich zu den anderen Ländern in Südamerika.
Im Zentrum fuhr ich noch ein paar Runden auf und ab. Alles friedlich, jeder ging seinen Geschäften nach, keine Spur von irgendeiner Gefahr. Die kriegt man zwar meist auch erst dann mit, wenn es zu spät ist, aber man entwickelt irgendwann ein Gefühl dafür, wann es nur scheinbar friedlich ist und wann nicht. Wann irgendeine Gefahr irgendwo lauert. Der erste Anhaltspunkt ist das Verhalten der Leute. Das ist das wichtigste Anzeigegerät für Gefahren. Machen sie einen nervösen Eindruck, oder sind sie entspannt? Gehen sie ohne bestimmten Grund (z.B. Ladenschluß) etwas schneller, oder schlendern sie friedlich dahin? Klammern sie sich an ihre Handtaschen, oder haben sie sie locker über der Schulter hängen? Das sind alles kleine Anzeigen, die man irgendwann abzulesen lernt, wenn man irgendwo aufgewachsen ist, wo ständig irgendwer aus dem Bekanntenkreis ausgeraubt oder überfallen wurde.
Eine Sache, die bei mir z.B. immer sofort Alarm auslöst: Herumlungernde Typen. Solche, die gerade keiner Tätigkeit nachgehen, sondern einfach nur in die Gegend schauen. Im brasilianischen Gaunerjargon sagt man: "Die filmen". Die schauen also nach Opfern. Passiv kann man zum Beispiel folgendes dagegen tun: Nicht aussehen wie ein potentielles Opfer, also nicht den Anschein erwecken, als hätte man Geld, auf keinen Fall. Aktiv gibt es auch einiges, das man tun kann: Wenn möglich einfach woanders hingehen. Ich meine nicht, panikartig die Flucht zu ergreifen, aber wenn es keinen besonderen Grund gibt, sich an dem Ort aufzuhalten, ist es am besten, man geht weiter. Es gibt aber Situationen, bei denen man nicht einfach weg kann. Wenn man z. B. auf jemanden wartet, oder in einen Laden muß, der sonst zumacht. Erstens den Abstand zu dem Typen so groß wie möglich halten. Zusätzlich hat es sich bewährt, wenn man ihm durch Augenkontakt mitteilt, daß man ihn bereits wahrgenommen hat. Wenn man ihm klarmacht, daß man weiß was er vorhat, ist man uninteressant, da sucht er sich leichtere Beute. Dieser Trick funktioniert natürlich nicht im Armani-Anzug, und auch nicht, wenn man allein irgendwo steht und der Typ gerade eine Knarre auf einen richtet.
Einige Eindrücke vom Stadtzentrum Medellin. |
Doch hier sah alles friedlich aus, daß man fast sagen könnte, daß die meisten der 3 Millionen Einwohner die Nacht überleben würden. Mit anderen Worten: Kein Grund zur Panik. In Medellin verzweigen sich wieder mehrere Straßen. Wir mußten auf der 25 bleiben, die bis nach Barranquilla führt. Kurz vorher geht es nach links ab in Richtung Cartagena, unserem Ziel. Ich fragte einen Mofa-Fahrer, wie es denn auf die 25 geht. Er fuhr uns voraus, ich ihm hinterher. An der Hauptstraße, die zur 25 führte hielt er denn am rechten Rand in einer Parkbucht an. Ich stoppte links neben ihm und ließ Gabi das Fenster hinunterkurbeln. Ich bedankte mich. Er sagte: "Es sind hier nicht alle Leute so wie ich und..." "Ja, Alter, ist gut! Tschüß!", quatschte Gabi auf Deutsch dazwischen. "Jetzt sei endlich Du mal still, wenn Du nicht gefragt bist!", zischte ich sie an, und wandte mich wieder dem Mofafahrer zu. Was soll das denn? Spatzenhirn! Er riet mir jedenfalls dazu, die Stadt zu verlassen bevor es dunkel wurde, und nicht in den Vororten anzuhalten. "Kein Problem. Wir haben noch einen weiten Weg. Vielen Dank nochmal!"
Um 19:00 waren wir wieder auf der 25 in Richtung Cartagena. Wir fuhren noch anderthalb Stunden, verließen dann die Straße und fuhren in ein kleines Kaff Namens Santa Barbara. Als wir in dem Kaff waren, schien es gar nicht mehr so klein. Es hatte immerhin mehrere Hotels. Dort suchten wir uns zunächst etwas zu Essen, doch es schien alles geschlossen zu sein. Irgendwo kam ein Typ mit Sonnenbrille, Seidenhemd und Stoffhose ans Auto, fragte, wo wir her seien und verlangte nach den Pässen. Ich hielt sie ihm unter die Nase, er sah sie durch und gab sie wieder zurück. "Wo gibt's denn hier noch was zu essen?", wollte ich wissen. Hauptsächlich hier an dieser Straße. Es dürfte schon noch das eine oder andere offen haben. Keine Ahnung, was das für eine Gestalt war. Aber seine Show war nicht schlecht.
Wir fanden einen Karren, der noch irgendeine Art Burger verkaufte. Absolut kein Vergleich zu diesen göttlichen Burgern aus Buga, aber man konnte es immerhin essen. Danach ließen wir uns ein Hotel empfehlen. Das genannte Hotel fanden wir um halb Neun, und es war in einer Tankstelle integriert. Sah sehr gepflegt aus, es paßte überhaupt nicht in die Gegend. Nicht, daß die Ortschaft unaufgeräumt gewesen wäre, aber wer vermutet hier mitten im Nichts ein solches Hotel - sogar mit Postkarten an der Rezeption!
Ich bat um ein Einzelzimmer und fragte, ob es klarginge, daß ich draußen beim Auto übernachte. Die Rezeptionistin meinte, ich sollte das mit den Leuten von der Tankstelle ausmachen. Wir gingen zurück zum Auto, Gabi holte ihre Sachen und ging auf's Zimmer. Ich ging in die Tankstelle und fragte nach, ob ich als Hotelgast das Auto in der Halle parken durfte. "Kein Problem", sagte der Tankwart. "Kostet das extra?", wollte ich wissen. "Nein, aber die Halle muß spätestens um sieben wieder frei sein, denn da muß gearbeitet werden." "Kein Problem. Danke!", sagte ich und ging zum Auto zurück, richtete meinen Schlafplatz her und legte mich schlafen. Wegen Insekten machte ich mir keine Sorgen. Wir befanden uns mittlerweile schon wieder weit über der Dienstgipfelhöhe von Mücken. Auch die Temperatur war angenehm kühl, so daß man sich in den Schlafsack einmummeln konnte. Lange würde das nicht mehr so bleiben. Die Karibik begann da, wo unsere Fahrt vorerst enden sollte. Ich mochte gar nicht daran denken. Und anders als in Benghasi, würde hier nicht aus dem Plan werden, sich ins Auto zu legen, Radio und Klima anzumachen, denn dann war mit Sicherheit Geschrei angesagt.