Acht Jahre und 519.000 Kilometer 200D
Mitten in der Nacht steht plötzlich Gabi kreidebleich neben dem Auto und weckt mich. "Besold! Wach auf! Was geht hier ab?" Was hat es denn schon wieder? Man hörte Knaller. Wieviel Uhr war es überhaupt? "Komm bitte mit auf's Zimmer. Ich zahl's auch, ist mir wurscht! Aber ich weiß nicht, was hier abgeht! Alle spinnen!" Klar! Wenn einem auf der Autobahn hunderte von Geisterfahrern entgegenkommen... So eine Scheiße! Was soll das denn nun? "Geh wieder schlafen!", sagte ich und drehte mich auf die andere Seite. "Jetzt, Besold!" "Ja, ist ja gut." Ich warf das Bettzeug auf den Fahrersitz, nahm mein Gepäck und ging mit aufs Zimmer. "Was ist denn?" (...der Grund für den Zwergenaufstand?", sollte man hinzufügen.) Sie schilderte - oder versuchte es zumindest. "Da spielt einer im Zimmer nebenan immer das gleiche Lied." Das ist ja ein dringender Notfall... Ihre Theorie war, daß das irgendein Code sein könnte. "Aha..." "Und die Kirchenglocken läuten sturm! Und keiner ist da, keiner macht die Tür auf!", erzählte sie ganz aufgeregt. Mal ehlich... Es ist halb fünf in der Nacht. Da macht deswegen keiner die Tür auf, weil die Verrückten höchstwahrscheinlich alle um diese Uhrzeit schlafen. "Und da wird doch geballert! Hörst Du das nicht?" Ja, und? Das sind bestimmt nur Knaller. Schüsse hören sich anders an.
Doch das sicherste Anzeichen dafür, daß es sich bei dieser Knallerei nicht um eine große Gefahr handeln konnte, war das Verhalten der Leute, die wir sahen. Meinte sie, die bleiben alle nur deswegen so ruhig, weil es ihnen egal ist, ob sie sterben oder nicht? Ich versteh die Logik nicht - mal unterstellt, da steckte sowas wie Logik dahinter, woran ich immer mehr zweifelte. Logik kommt vom griechischen "LogoV" und bedeutet "Wort, Rede, Vernunft, Sinn". Die letzten beiden Worte kann man im Zusammenhang mit Gabi getrost streichen. Bleiben Wort und Rede, aber davon reichlich.
Der Gedankengang eines jeden normalen Menschen: Wäre da was, würde sich die ganze Gegend in heller Aufregung befinden, aber dafür gab es nicht auch die allergeringsten Anzeichen. Da wäre schon längst Geschrei ausgebrochen, einer hätte im Vorbeilaufen vielleicht gebrüllt, wir sollen schauen, daß wir wegkommen.
Aber nichts dergleichen. Absolut nichts, auch nur ansatzweise. Die einzigen, die aufgeregt waren, waren wir zwei. Sie ohne ersichtlichen Grund, und ich weil sie mich aufregte. Ich legte mich ins Bett und schlief weiter. So eine Blödheit!
Das Auto zwischen Tankstelle (links) und Hotel (rechts). |
Um sechs Uhr stand ich auf und ging in die Dusche. Ich sollte an der Rezeption fragen, was das in der Nacht war. Die Rezeptionistin erklärte, daß heute die Feier für die Nuestra Señora der geplatzten Reifen stattfindet. Das erklärt auch das kirchenglockengeläut. Na, also. Klar regte Gabi sich nun über dieses "Affetheater" auf, wobei sie natürlich übersah, daß die Leute das hier wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten so machen, und daß es außer ihr niemanden gestört hat. Vielleicht solltest Du die Dorfgemeinde wegen Lärmbelästigung und Vortäuschung falscher Tatsachen anzeigen. Es gibt bestimmt irgendwo ein Protestlokal. Ich kam immer mehr zu der Überzeugeung, daß Gabi irgendwie dumm sein muß. Ist mir vorher nicht so bewußt gewesen, denn sie kann schon schlau daherreden, hat auch ihr Studium fertiggemacht. Sie kann also durchaus - in Ihrer Umgebung - den Eindruck erwecken, recht Intelligent zu sein. Aber hier draußen zeigt sich deutlich das Fehlen einer jeden Aufnahmefähigkeit, das Unvermögen, Zusammenhänge zu erkennen, geschweige denn, danach zu handeln. Es ist einfach nichts da. Null. Nicht einmal die Bereitschaft dazu.
Als wir neulich nach Buga fuhren, entwickelte sich so ein pseudointellektuelles Gespräch. Wir sprachen über die Schulzeit und kamen auf den Griechischunterricht. Damals sagte unser Dr. Seifert, daß man sich die Note der letzten Schulaufgabe der 9. Klasse ansehen soll, um seinen Wissensstand zu beurteilen und nicht die Zeugnisnote. Eigentlich logisch. Muß man normalerweise auch nicht näher ausführen. "Finde ich jetzt zwar nicht, aber gut." An dieser Stelle unterbricht man und fragt, warum. "Weil für den, der die erste Schulaufgabe schreibt, der Stoff genauso schwer zu lernen ist, wie für den, der die letzte schreibt." Dr. Seifert hätte das nun rot angestrichen und "Zusammenhang?" dahinter vermerkt. "Nun: Die erste Schulaufgabe geht über die ersten paar Lektionen, die letzte über den gesamten Schuljahresstoff. Wenn ich also in der letzten Schulaufgabe einen 6er bekomme, dann ist mein Wissensstand gleich Null, obwohl ich vielleicht das Alphabet beherrsche und in der ersten Schulaufgabe noch einen 1er hatte, die gesamtnote also vielleicht ein 4er ist. Jetzt verstanden? Es geht nicht darum, wie schwer der Stoff für wen ist, sondern es geht rein um die Beurteilung des momentanen Wissensstandes bei Schuljahresende. Funktioniert nicht.
Hinzu kommt dann noch die Art, den Kopf schräg zu stellen und so zu reden, als sei der andere der Depp, der nichts versteht. Und täglich zeigt sich, daß es nicht alle anderen sind, die nichts verstehen, sondern daß sie diejenige ist, die nichts versteht, entweder, weil sie es nicht verstehen will, oder weil sie es nicht verstehen kann, weil sie dazu nicht in der Lage ist, weil die Kapazität einfach nicht ausreicht. Auch nicht um ganz einfache Sachen einzusehen. Wenn ich sage, das mit den Ampeln ist nun mal eine freundliche Empfehlung, sagt sie darauf, daß das Quatsch sei, sonst bräuchte man keine Ampeln aufhängen, wenn jeder gehen und fahren darf wie er will.
Dieses Beispiel hatten wir in der Praxis, als wir zu Fuß vor dem Malecón in Guayaquil waren und auf die andere Straßenseite mußten. Fußgängerampel zeigt grün. Links und rechts der Straße zig Menschen, die Linksabbieger fahren durch, die Leute warten, bis die Autos durch sind. Einzig und allein marschiert Gabi über die Straße und regt sich dabei über die Autofahrer auf, die zwar auch grün haben, aber in Deutschland hat schließlich der Fußgänger vorrang. Und, nur weil ich grün habe, heißt das nun mal nicht, daß deswegen kein Auto kommt. Spätestens, wenn sie die einzige ist, die bei grün über die Ampel geht, alle anderen aber stehenbleiben, weil eben Autos kommen, müßte Gabi sich fragen, ob sie etwas falsch macht, oder alle anderen. Aber der Sachverhalt liegt ganz klar auf dem Tisch: Alle anderen sind dumm sind. Warum bleiben alle stehen und warten nur nicht bis grün ist, sondern bis keine Autos mehr kommen? Weil es hier wohl so ist, daß eine Ampel sowas wie eine Empfehlung ausspricht, und nicht, wie in Deutschland einen Befehl. Es ist einfach so, das kann man gut oder schlecht finden, aber man sollte es einfach erkennen. Und wenn sie dann von einem LKW zusammengefahren wird, weil der Fahrer sich in seiner natürlichen Umgebung ganz normal verhält und eben nicht damit rechnet, daß sich ein Boller von 1,20 m über die Straße wälzt, nur weil die Ampel grün ist, dann ist das Geschrei groß, dann wird nach dem Rechtsstaat geschrieen, vielleicht finden sich sogar ein paar Zeugen, die bestätigen, daß die Ampel grün war, aber auch gleichzeitig, daß ja jedem klar gewesen sein muß, daß man da jetzt nicht über die Straße gehen kann, wenn Autos kommen. Ist doch logisch... Und dann wird jeder sagen: "Hast Du nicht gesehen, daß da Autos kamen? Warst Du betrunken?" "Aber die Ampel war doch grün!" "Aber es kamen doch trotzdem Autos!" Diese Endlosschleife beende ich nun mit einem gewissen Armin Schütz: "Es braucht eine gewisse Intelligenz, um einzusehen, wie dumm man ist."
Grüne Kolonnen zieh'n in der Sonnen Müde durch Heide und Sand. Neben der Straße Blühen im Grase Blumen am Wegesrand. |
Und wenn es bei einem einfachen Sachverhalt, wie einer Verkehrssituation schon nicht funktioniert, wie soll es bei Sachverhalten funktionieren, die tatsächlich kompliziert sind oder werden können, wie z.B. bei Verschiffungen, bei korrupten Beamten, bei einer brenzligen Situation, bei der man schnell reagieren muß? Es gibt Tausende von Gelegenheiten, einfach nur zu beobachten und Schlüsse zu ziehen, eventuell auch zu analysieren und gegebenenfalls entsprechend zu handeln. Und sie schafft es nicht, es ist nicht möglich.
Das waren so die Gedanken, die ich hatte, und die ich tunlichst für mich behielt. Sicherlich wäre es längst an der Zeit gewesen, ihr das so zu erklären. Aber wie, um Himmels Willen? Wie? Wie macht man jemandem begreiflich, daß er einfach dumm ist, wenn derjenige nicht einmal den Sinn und Zweck einer einfachen Unterschrift versteht? Wenn er nicht akzeptiert, daß Ich war überfordert, ich hatte keine Lösung. Ich bin Handwerker, sie die Sozialpädagogin. Bestimmt hatte sie die Lösung, aber sie würde das Problem nicht erkennen. Ein Teufelskreis! Ich mußte hier operieren und das fällt schwer, wenn man dauernd auf Widerstand sößt. Vor allem dann, wenn er ständig präsent ist, unnötig ist und aus den eigenen Reihen kommt. Almut!!! Wo bist Du? "Einmal mit Profis! Ein Mal..."
Um sieben Uhr ging es Weiter. Das Tagesziel war nun Cartagena, und das sollte zu schaffen sein. Allerdings nicht bis Mittag, das war utopisch. Als wir gepackt hatten und losfuhren, kam ein anderer Tankwart daher und wollte Geld. "Der Tankwart gestern hat gesagt, es kostet nichts!", entgegnete ich. "Doch. 10 Peso..." Das kann er jetzt aber komplett vergessen. "Tut mir Leid, ich habe nur Karte. Gibt es hier eine Bank?", sagte ich. Die alte Masche. Er beschrieb mit den Weg bis zur Bank und ich fuhr hin, und ohne anzuhalten zurück auf die 25. Penner! So nicht...
Die Gegend ließ einen vergessen, daß wir in Kolumbien waren. Nicht nur wegen der erstklassigen Asphaltstraße, sondern auch die Landschaft. Man könnte meinen, man befände sich auf einem Ausflug durch das Allgäu. Nur die Uniformierten am Straßenrand erinnerten daran, daß wir nicht im Allgäu waren. Und die häuften sich. Je weiter wir nach Norden kamen, desto öfter sah man sie. Sie machten mehr den Eindruck von Versprengten als von geschlossenen militärischen Einheiten. Vielleicht waren es auch nur paramilitärische Einheiten, ich hatte keine Ahnung. Was aber sicher war: Die kamen nicht vom Manöver, sondern von der Front. Und sie waren auf dem Weg an die Front - wo auch immer die verlaufen mag.
Das hier ist nicht eine verwahrloste Straße, sondern eine Baustelle. |
Wir kamen an einigen Baustellen vorbei. Aber kein Grund zur Aufregung. Wenigstens wird hier gebaut und ausgebessert. Da freut man sich auch, wenn man mal durch Schlammlöcher fahren muß. Es ist anders als in Brasilien, wo man weiß, daß die Straße, die dort mal verlief nicht mehr existent ist und daß das auch so bleibt. Hier würde wohl in ein paar Wochen eine Asphaltierte Trasse durchführen. Schön! Kolumbien gefiel mir immer besser...
Um 10:30 Uhr hielten wir an, um irgendwo ein Sandwich zu essen und einen Zapote-Saft zu trinken. Schmeckte gut, und war zudem noch billiger als Coca-Cola. Langsam kamen wir in die Gegend, in der es wieder tropisch wurde, da würden die Säfte das Cola ablösen. Cola kriegt man überall, aber einen frischen Saft aus Tropenfrüchten nicht. Und wenn man ihn noch zusätzlich hinterhergeschmissen bekommt, sollte man zugreifen. In Europa zahlt man für eine künstliche Brühe, die farblich ungefähr an Orangen erinnert Beträge, von denen könnte man sich hier eine fette Wampe mit frischgepreßten Säften ansaufen und hätte hinterher noch Geld übrig. Mir graute dennoch vor der Karibik. Alles heiß, schwül und klebrig. Ekelhaft.
In anderthalb Stunden sollten wir in Cartagena sein, um auf die Fähre zu gelangen, aber das war noch hunderte von Kilometern weit weg. Klar, daß wir die Fähre nicht mehr bekommen würden. Aber was soll's nehmen wir halt die Fähre am nächsten Freitag. Mich störte es wenig. Gabi dafür umso mehr. Verständlich, daß sie dieses Land verlassen wollte, wo doch ständig auf uns geschossen wird und alles ganz furchtbar schrecklich ist... Aber das Thema kam nicht zur Sprache. Ich versuchte, das Beste aus der Situation zu machen, also immer wieder unterschwellig zu betonen, daß doch alles in Ordnung sei. Die Leute hier wollen auch nichts anderes als leben und das tun sie. Ich hatte nicht das Gefühl, Gabi davon überzeugen zu können. Aber wie denn auch? Wie soll ich sie überzeugen, wenn es die Tatsachen an sich schon nicht schaffen, gegen das vorgefaßte Bild in ihrem Kopf anzurennen? Da kann man sich die Fresse fusselig reden, soviel man will, es wird nichts helfen.
Eintrag KTB: 1055 Weiter nach Cartagena 751803
Der Verkehr nahm merklich zu, je mehr wir uns der Küste näherten. Besonders der LKW-Verkehr. War eh schon alles egal, wir würden pünktlich zum Wochenende in Cartagena ankommen, was total sinnlos war. Da konnten wir sowieso nichts machen. Aber vielleicht merkt's ja keiner, dachte ich mir und brachte es gar nicht erst zu Sprache. Stattdessen zog ich das Gespräch wieder in Richtung Tanja. "Ist die wenigstens hübsch?", wollte ich wissen. "Ich finde schon, daß sie hübsch ist", antwortete Gabi. Also ist sie häßlich. "Kommt die nun, oder nicht?" "Sie hat emeint, dieses Jahr würde sie auf jeden Fall mitkommen. Aber erst, wenn wir in Zentralamerika sind." Also gar nicht... Egal. Wäre zwar finanziell interessant gewesen, aber diese Tanja kannte ich nicht. Und noch so einen Blindgänger an Bord brauchte ich so dringend wie ein Loch im Kopf. Erfahrungsgemäß ist Gabi grundsätzlich mit solchen Leuten befreudet, die ihr immer klein beigeben - zumindest hatte ich das so elebt, über Jahre. Daher mußte ich davon ausgehen, daß diese tanja noch eins draufsetzen würde, sollte sie tatsächlich angeflogen kommen. Allerdings sprach nicht viel dafür, denn daß sie kommt höre ich schon seit Peru, und was war bisher? Nichts. Dabei würde es vermutlich bleiben. Höchstens, daß sie vielleicht auf zwei Wochen nach Mexiko kommt.
Und wieder ein verunglückter Sattelschlepper. Wer hätt's gedacht? |
Um 15:40 Uhr kamen wir in eine Polizeikontrolle. Die dauerte etwas länger als die anderen. Der Polizist nahm unsere Päße und verschwand in seinem Auto. Ich stieg derweil aus und rauchte eine Cigarrette. Ein junger Soldat stand hinter dem Auto, ich gesellte mich zu ihm. "Und? Was geht bei Euch so?" "Kontrolle, halt." "Und was macht der andere da drinnen jetzt? Polizeikontrollen sind ja ok, aber wenn dann eine Zeremonie draus wird... Weißt ja selber. Wir verschwenden hier nur unsere Zeit." Er meinte, ich sollte mal zu seinem Chef gehen und ihn fragen. Gabi stieg auch aus. "Darf ich ein Bild machen", fragte ich den jungen Soldaten. "Das weiß ich nicht. Mußt den Chef fragen..." Der Chef kam und erklärte, es würde noch eine Weile dauern, da er einen Interpol-Check durchführen müsse. Das übersetzte ich so für Gabi. Der Vorgesetzte zum Untergebenen: "Hast Du ein Wort verstanden, von dem, was er gerade gelbert hat?" "Ni mierda..." Ich sagte zum Chef, daß ich eigentlich noch vorhätte, in Cartagena eine Fähre zu erwischen. "Kein Problem, Ihr könnt gleich weiter", sagte er. Gabi stieg wieder ins Auto. "Cigarette?", fragte ich den kleinen und hob ihm die Packung hin. "Nein, danke, ich rauche nicht!", lehnt er freundlich ab. "Nichtraucher sterben am Schluß auch alle, das weißt Du schon, oder?" "Ja, aber Raucher sterben früher" Ich grinste ihn an. "Junge, Du hast Dir genau die reichtige Ecke für solche Sprüche ausgesucht...", lachte ich. Das sollte eine Anspielung drauf sein, daß er wohl an einer Bleivergiftung stirbt, lange bevor sich bei mir die ersten Anzeichen von Lungenkrebs bemerkbar machen. Da Gabi nun weg war, fragte ich ihn: "Wie schaut es denn hier so aus? Ist alles unter Kontrolle, oder muß man damit rechnen, daß die FARC irgendwelche Aktionen startet? "Will ich nur wissen, ich bin sozusagen neu hier, weißt Du?" Tagsüber sei alles unter Kontrolle. Bei Nacht garantiere niemand dafür. "Führt Ihr denn Nachts keine Kontrollen durch?" "Nicht an der Straße. Zu gefährlich!" Gut zu wissen. Wir hatten auch nachts bisher keine Kontrollen erlebt.
Der Chef kam zurück, gab uns die Pässe zurück, sah auf die Uhr und meinte, daß wir es bis Cartagena schon schaffen müßten. Und bei Dunkelheit empfahl er uns, die Straße zu verlassen. Wegen Un- und auch Überfällen. Also weiter. Schnell noch den Eintrag vorgenommen:
1540 Polizeikontrolle (Interpol-Check)
1605 Weiter nach Cartagena 752090
Wir waren keine halbe Stunde unterwegs, da standen wir schon an der nächsten Kontrolle. (KTB: 1630 Polizeikontrolle 752113). "Ja, sachmaa... Was geht denn hier bei Euch? Schon wieder?" "Ist zu ihrer eigenen Sicherheit. Die Pässe, bitte." Diesmal war es wieder Polizei, allerdings hatten die nun blaue Uniformen an, und kein Flecktarn. Die Kontrolle lief routinemäßig ab und wir durften bald weiter. Bis Cartagena waren es gerade noch knappe hundert Kilometer, aber auf dieser kurzen Strecke kamen wir in drei weitere Kontrollen. Einmal Heer, einmal Polizei. Und die letzte Kontrolle vor der Stadt war Marineinfanterie. Es erinnerte mich an die Polizeikontrollen in der Türkei damals, als wir uns dem Kurdengebiet näherten. Ich dachte, die Krisengebiete lägen hier im Dschungel und nicht an der Küste. Lassen wir uns überraschen... Auch ansonsten gab es noch einige Aufenthalte.
An einer Tankstelle vor Cartagena. |
Einmal mußten wir tanken - da führt kein Weg daran vorbei. Dann trieb wieder einer seine Rindviecher über die Straße. Und so kamen die Verzögerungen alle an der Küstenregion. Zwar wäre alles grundsätzlich auch schneller gegangen, aber wir rasten ja sowieso schon. Hauptschuld trug mein nicht vorhandenes Interesse, überhaupt pünktlich anzukommen, welches ich allerdings nie offen bekundete. Ich tat immer so, als wäre ich auch scharf darauf, Kolumbien auf dem schnellsten Wege zu verlassen.
In Cartagena selbst kamen wir um 17:55 Uhr (km 752.221) an. Natürlich hatte spätestens um sechs Uhr alles zu und wir machten uns gar nicht erst die Mühe, zu Navemer zu fahren, sondern suchten uns gleich ein Hotel. "Was sagt der Lonely Planet?" Gabi las heraus, daß es da ein "Hotel Viena" geben soll. Das fuhren wir an. Es dauerte eine Weile, bis wir es fanden, denn es war hinter einer Hauptstraße in kleinen Gäßchen versteckt. Parkplatz hatte es keines, es war verschlossen und man mußte klingeln. Ich ging hinein und wurde von einer Frau empfangen, die mich an einen Man weiterverwies. Der sprach mich auf Spanisch an, aber ich stellte schnell fest, daß er wohl Deutscher sein mußte. Er hieß "Yoyo". In Wirklichkeit Jürgen, aber das kan hier keiner aussprechen, also einfach Yoyo. Wir unterhielten uns eine Weile. Das ist immer gut, wenn man irgendwo neu ankommt, um sich zu orientieren. Leider war hier im Hotel nichts mehr frei, allerdings konnte er mir einige Hotels und auch Parkplätze in der Gegend empfehlen. Es waren auch noch andere Deutsche im Hotel untergebracht. Von erfuhren wir, daß wir gerade zur rechten Zeit gekommen wären, denn der Präsident sei auch schon da. Das erklärte die vielen Kontrollen auf dem Weg hierher. Mein Gedanke: Dann war ja alles ok. Zwar war auch das wieder ein Grund für Gabi, sinnlos durch die Gegend zu paniken und zu chaotisieren, aber da konnte man nichts dagegen tun. Was kann einem besseres passieren, als daß der Präsident da ist? Mehr Sicherheitsvorkehrungen würde es hier höchstens bei einem Papstbesuch geben. Aber die Mühe, das erklären zu wollen, sparte ich mir. Das erkläre ich mal einer Parkuhr, die versteht mich eher. Es war einfach zum Verzweifeln. Was habe ich nur angestellt, daß ich es verdient habe, mit einer nutzlosen Heulsuse in Kolumbien zu landen? Was hat sie denn? Es tut uns doch niemand was! Mittlerweile war ich mir sicher, daß es hier keinesfalls besser, sondern höchstens schlimmer werden würde. Ich dachte, spätestens in Kolumbien würde sie es kapieren, wie es läuft. Aber weit gefehlt! Sie kapiert einfach nichts! Auf die kommende Woche freute ich mich in dem maße, wie man sich allgemein auf einen Bauchschuß freut... Ich mochte gar nicht dran denken, was los sein würde, wenn es tatsächlich mal zu einer Krisensituation käme. Hier spielte ich zum ersten mal ernsthaft mit dem Gedanken, sie heimzuschicken. Den verwarf ich dann allerdings wieder. Was mache ich hier ohne einen Pfennig Geld? Höchstens, ich lasse mir vorher noch Geld schicken und hebe es mit ihrer Karte ab. Aber das ginge allerfrühestens am Montag.
Ich machte mir auch gar keinen Vorwurf, nicht Gas gegeben zu haben. Selbst wenn wir jetzt auf dem Weg nach Panama wären, das hätte nichts besser gemacht. Sie wußte es nicht, daher kam es ihr auch nicht komisch vor, daß ich seinerzeit für 2.995 km auf übelsten brasilianischen Straßen nur drei Tage gebraucht hatte, während wir nun, auf gut asphaltierten Straßen und wesentlich besseren Voraussetzungen für 2.269 km ganze fünf Tage brauchten. Also für 75% der Strecke 66% mehr Zeit benötigten. Das fiel weiter nicht auf. Wir verabredeten uns am nächsten Tag zum Frühstück, zogen dann weiter. Wir mußten in ein Hotel, bevor sie alle ausgebucht waren. Und das Auto mußte getrennt auf einem bewachten Parkplatz untergebracht werden. Um 21:00 Uhr fanden ein Zimmer im Hotel Villa Colón. Ganz gepflegt aber relativ teuer...