Panamericana-Tour 2002
Samstag, 31. August

Appell war um 09:30 Uhr. Wir machten uns fertig und checkten aus, brachten die Sachen ins Auto und liefen hinüber zum "Viena", wo wir mit zwei Österreichern zum Frühstück verabredet waren. Gegen viertel nach Zehn waren wir da. Yoyo war auch schon wach. Ihm gehörte das Hotel nicht, sondern er spielte hier nur den Manager, während der Besitzer in Österreich war. Nach dem Frühstück unterhielten wir uns noch etwa eine Stunde. Es war Wochenende, und es gab keinen besonderen Grund, hier zu bleiben, wo wir doch nichts erledigen konnten. Die Österreicher und Yoyo empfehlen uns einen Park bei Santa Marta. Soll seh schön sein. Natürlich kam auch unser Vorhaben zur Sprache, nach Zentralamerika überzusetzen. Yoyo, der anscheinend irgendwo in der Karibik auch bei der Seefahrt tätig war, sah kein Problem bei der Verschiffung, nur mit Passagieren sah es seiner Meinung nach schwierig aus. Erst als er auch erwähnte, daß 80% der Offiziere Deutsche seien, fing ich an, ihm zu glauben. Auch mußte er natürlich erwähnen, daß sie uns das Auto komplett zerlegen würden, was bei Gabi sofort zu einer Panikattacke wegen der 38er führte. Natürlich wieder völlig unbegründet, denn gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, daß sie sie finden und den noch unwahrscheinlicheren, daß das ernsthaft Folgen nach sich ziehen sollte: Dann wäre dies ganz alleine mein Problem. Sie hat doch mit meinem Auto nichts zu tun, kann imme noch behaupten, wir hätten uns zufällig in Cartagena getroffen, ins nächste Flugzeug steigen und ab in die traute Heimat fliegen. Natürlich erwähnte sie nichts vor den anderen, aber ich war sicher, daß das das erste war, was zur Sprache kommen sollte, sobald wir im Auto saßen. Nun beschlossen wir nach Santa Marta zu fahren, soll sie ein wenig Sommer, Sonne, Strand und Palmen genießen, vielleicht kommt sie dann drauf, daß alles Schreckliche in Kolumbien bisher nur in ihrem Kopf stattgefunden hat...

Burg von Cartagena
Die Burg von Cartagena.

Ich holte das Auto, fuhr zum Viena und holte Gabi ab. Um 11:45 Uhr (km 752.241) fuhren wir los nach Santa Marta. Gabi war seltsam still - ein Zeichen für Anspannung. Ich ständig in der Erwartung eines Donnerwetters war, führte ich es selbst herbei. Diese Warterei ging mir auf den Nerv. Also los:
"Gabi, was'n los? Relax, sit back and enjoy! Was hast Du denn? Es ist doch alles cool. Es tut Dir doch niemand was..." Es dauerte ein wenig, bis sie sich aufrichtete. Dann sagte sie: "Wenn wir erst mal hier weg, in Zentralamerika sind, dann sehe ich das wahrscheinlich auch so wie Du jetzt, dann denke ich mir vielleicht auch, was war ich planlos. Aber momentan habe ich einfach Angst um mein Leben!" Es wäre jetzt ziemlich kontraproduktiv gewesen, laut loszulachen. Ich sah stattdessen aus dem Seitenfenster und überlegte, was ich als nächstes sagen sollte.
"Aber diese große Gefahr vor der Du so panische Angst hast, die ist ja nicht real. Die ist ja nur in Deinem Kopf! Klar kann immer was passieren, aber das wußtest Du schon vorher. Irgendein Idiot, der uns entgegenkommt, pennt ein, Frontalzusammenstoß und aus ist's! Aber das hätte auch in Equador passieren können und es kann in Zentralamerika genauso passieren."
"Jetzt kommt das Geschwätz wieder. Du weißt genau, was ich meine!"
"Nein, weiß ich nicht! Ich habe keine Ahnung, was Du in Deinem Kopf mit Kolumbien verbindest. Wovor hast Du konkret Angst?"
"Wieviele Leute sind hier schon entführt worden von irgendwelchen Guerillas?"
"Ich weiß es nicht. Sag's mir... Ich kenne keine Zahlen."
"Zahlen kenne ich auch nicht, aber fest steht, daß wohl einige entführt wurden!"
"Ja, in Indonesien, da hab ich mal was mitbekommen..."
"Du kannst auch weiterhin alles ins Lächerliche ziehen, aber so brauchen wir nicht weiterreden."
"Es ist doch lächerlich... Was waren es denn für Leute, die hier entführt wurden? Irgendwelche planlosen Deppen, die meinten, auf eigene Faust durch den Dschungel nach Panam gehen zu müssen, oder irgendwelche Junkies, die meinten, sie hätten einen tollen Plan, wie sie billig an Koks oder Hasch kommen und sich in die falschen Viertel verirrt haben. Aber ist einer auf offener Straße entführt worden? Und frag mal die Leute im Viena, ob die von jemanden wissen, der entführt wurde. Den meisten Touristen, die hierherkommen passiert rein gar nichts. Die kommen, geben hier Geld aus und gehen wieder. Fertig."
"Ah, also, weil denen nichts passiert ist, passiert uns auch nichts."
"Jetzt kommt das Geschwätz wieder... Also, weil dem einem Prozent was passiert ist, passiert uns auch was."
"Ich sage nicht, daß was passiert, aber ich sage, daß was passieren könnte."
"Warum bist Du dann überhaupt nach Südamerika? Da kann überall was passieren."
"Aber hier ist die Wahrscheinlichkeit einfach höher."
Und genau hier kann man spätestens die Diskussion beenden. Warum soll hier die Wahrscheinlichkeit höher sein als in Rio? Gerade hier. Nach Rio würde sie natürlich ohne Bedenken gehen. Es ist auch eine andere Geschichte in den Favelas von Bogotá, aber hier? Absoluter Nonsens.
"Und die Knarre kommt weg! Hast ja gehört, was er gesagt hat.", ging es weiter.
"Ich habe gesagt, ich werde eine Lösung dafür finden, und dabei bleibt es. Außerdem ist es meine Knarre. Wüßte nicht, was sie Dich angeht. Selbst wenn alles so wäre, wie Du sagst, dann würde ich im Knast landen und nicht Du, also laß das meine Sorge sein."
"Das glaubst auch bloß Du, daß mir da nichts passiert. Und selbst wenn, was hab ich dann davon, wenn sie Dich verhaften und ich stehe allein in Kolumbien?"
Nun war erst mal Ruhe. Mit Vernunft kommt man da nicht weiter.
"Das hier ist mein Urlaub, verstehst Du? Und ich gebe nicht 5000 DM aus, um Todesängste auszustehen. Da kenne ich bessere Arten, das Geld zu investieren."
Da sollte sie noch mal soviel drauflegen, dann könnte sie sicher und bequem mit Rotel-Tours durch Südamerika fahren. Da hätte sie keinen Ärger, keinen Streß, nichts Unvorhergesehenes und nach einem Monat ist sie wieder am Münchener Flughafen und kann ihrer Verwandschaft von ihren Expeditionen in die Wildnis berichten. Das wäre doch was. Oder nocht besser: Urlaub mit der TUI!

Da wohnen Menschen
Nördlich der Straße nach Santa Marta.

"Ich fliege am Montag heim", brach Gabi das Schweigen. Da war er. Der Schlag, den ich erwartet hatte. Ist wahrscheinlich besser so.
"Wo ist nur die Almut? Der würde es hier gefallen, der würde das Riesenspaß machen..."
"Warum erschießt sie sich dann nicht gleich selber?"
Weil sie nicht dumm ist. Die Frage stellt sich eher im Zusammenhang mit Gabi. Warum erschießt sie sich nicht? Dann bräuchte sie sich auch nicht weiterhin vor ihrem eigenen Schatten fürchten. Es ist doch nichts, es war nie was! Wenn man irgendwo nicht hingeht, nur weil etwas sein könnte, dann ist's besser man bleibt daheim. Und selbst da könnte was passieren. De facto verhält es sich wohl tatsächlich so, daß mehr Deutsche in Deutschland draufgehen, als sonstwo in der Welt. Aber ich drücke es mal mit Dr. Anno Graser aus: "In Stadtbergen geboren - auf der Welt zuhause!"

Ich war mir sicher, ich würde hier ohne Geld, aber auch ohne Klotz am Bein besser vorankommen. Verhungern würde ich schon nicht.
"Warum nimmst Du es nicht einfach als Übung?", fragte ich sie. "Als Übung für was denn? Sowas wird mir in Augsburg nie passieren!" Was war denn passiert? Hatte ich am Ende doch etwas verpaßt? Fest stand: Mit so einem Beifahrer nie wieder. Sowas ist in Italien gerade noch zu akzeptieren, aber hier ist das das letzte, was man brauchen kann. Hier braucht man Leute, auf die man sich verlassen konnte. Und diese Voraussetzung war hier nicht gegeben. Der Ami würde sagen: "That's a recipe for desaster", auf Deutsch hieße das: Da ist die Katastrophe vorprogrammiert...

Die Straße nach Santa Marta führte über einen schmalen Landstreifen. Links von uns war die Karibik, rechts von uns eine Lagune. Eigentlich sehr schön. Aber ohne Klima hätte ich darauf keine große Lust. Ab und an mußte der Scheibenwischer betätige werden, da die Scheiben von außen beschlugen. Das sicherste Anzeichen dafür, daß die Luftfeuchtigkeit draußen langsam in den roten Bereich rückte.
Wir passierten einige Mautstellen, tankten einmal auf dem Weg und kamen bald in Santa Marta an. Nun mußten wir uns ein Hotel suchen. Bei einem checkten wir ein, ich besah mir die Räume, war aber mit dem Preis-Leistungsverhältnis nicht zufrieden. Außerdem hatten die hier schon wieder keine getrennten Betten. Also ging ich wieder und das Hotel war offiziell ausgebucht.

18:30 Uhr (km 752.511): An der Strandpromenade fanden wir dann doch noch ein Hotel, das zum gleichen Preis ein attraktiveres Angebot hatte. Erstens war es direkt am Strand, zweitens war das Zimmer eher meiner Vorstellung entsprechend. Hier blieben wir bis Montag. Und vor allem konnte man im Hof parken, hatte das Auto also im Blick und der Weg zu ihm war sehr kurz. Irgendwann waren wir fertig zum ausgehen. Ich zog mir die zivisiertesten Klamotten an, die ich hatte, merkte aber bald, daß das nur mir auffiel - und das nur, weil ich es wußte. Was soll's, wir gehen ja nicht auf den Opernball...

Als wir über die Straße zum Strand gingen sah ich links ein Pärchen. Das müssen Deutsche sein, dachte ich mir. Ich bildete mir ein, sie schon mal gesehen zu haben. Sie winkten herüber und so schwenkte ich ein und ging in ihre Richtung. Sie waren ein wenig älter als wir, hießen Mika und Tamaris. Er war Deutscher, sie aus der Eidgenossenschaft. Angenehme Zeitgenossen. (Endlich mal wieder normale Leute). Wir gingen zusammen in einen dieser Läden, in denen sie frische Tropenfruchtsäfte verkauften und ließen uns nieder.

Mika und Tamaris
Mika und Tamaris.

Sie waren mit dem Motorrad unterwegs und kamen aus Richtung Venezuela. Und sie hatten von uns gehört. Sieh hatten das Auto vorhin auf der Straße gesehen. Irgendwelche Argentinier hatten ihnen erzählt, daß sie unterwegs Deutsche getroffen hätten mit einem alten Mercedes, die in Richtung Norden unterwegs waren. Und sie erzählten uns wiederum, daß die Argentinier Probleme bei der Einreise nach Venezuela bekommen hatten. Sie mußten im Niemandsland übernachten. Auch denen war also nicht der Kopf weggeschossen worden. Vielleicht ist Kolumbien am Ende doch nur ein Land mit Problemen, wie jedes andere auch, nur etwas anders gelagert?
Wir gingen später noch mit den beiden zum Essen. Den Tag beendeten wir relativ früh und gingen zurück ins Hotel - Turismar, hieß es. Was morgen auf dem Programm stand blieb ganz und gar Gabi überlassen.


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