Panamericana-Tour 2002
Dienstag, 30. Juli

Um 07:45 Uhr ging es schon wieder weiter nach Mendoza. Ich kippte vor Fahrtbeginn eine Dose Ölschlammspülung in den Motor und zwang mich dadurch, den Ölwechsel bald zu machen. Ich hatte gar nicht mehr in Erinnerung, daß es in Argentinien doch so viele Mautsationen gab. Als wir nach Süden gefahren waren haben wir ein- oder zweimal etwas Geld an Mautstationen abgedrückt. Aber vergleicht man es mit Brasilien kann man sich nicht wirklich beschweren, immerhin hat man hier als Gegenleistung eine richtige Straße unter den Rädern und das ist viel wert, wenn man nicht zusätzlich zur Maut auch noch einen neuen Satz Stoßdämper und eine Spureinstellung braucht.

Sonnenuntergang hinter San Luis
Sonnenaufgang hinter San Luis. Rechter Scheinwerfer ausgefallen.

Wir fuhren den ganzen Vormittag und legten dann an einer schönen Tankstelle an der Landstraße eine Mittagspause ein - ausmahmsweise Pünktlich zu Mittag. Ölwechsel, Filterwechsel, auch die Diesel Vor- und Hauptfilter wurden ersetzt. Der Tankwart hatte uns zwar extra gebeten, keine Sauerei zu machen, aber er war auch damit einverstanden, als ich ihm erklärte, daß ich keinen Ölwechsel machen könne, ohne um mich herum alles vollzusauen. Ich würde es aber hinterher wieder aufwischen, sogut es ging.

Wir fuhren den Benz über die Grube und machten uns ans Werk (km 739.819). Der Abstand zwischen dem Ölauslaß und dem kleinen Eimer betrug über zwei Meter, daher ging natürlich, wie immer, der erste Strahl daneben und im Nu war die an sich gelbe Grube schwarz. "Du bist doch so eine saublöde Sau! Kannst nicht den Eimer unter das Scheißding halten und ihn erst auf den Boden stellen, wenn das Öl schon fließt?", erklärte Cat geduldig. Gute Idee eigentlich - nur draufkommen muß man. Ich stellte fest, daß die obere Schraube am Klimakompressor schon wieder locker war und regte mich furchtbar über diese verfluchte Schraube auf. Die lockert sich immer, der Kompressor hängt dann schief und jedesmal bricht eine der Aufhängungen dadurch ab. Catarina machte sich an die Arbeit. Nachdem die ganze Sauerei erst angerichtet und danach wieder aufgewischt war, waren drei Stunden vergangen. Die Grube war wieder sauber, aber dafür sahen wir hinterher so aus, wie die Grube zuvor. Duschen waren aber immerhin vorhanden und wir machten davon reichlich Gebrauch. Einer bewacht das Auto, der andere benutzt die Dusche.

Catarina beim kritischen Betrachten der beim Ölwechsel entstandenen Sauerei.

Nun kam es noch mal drauf an. Die Dieselfilter waren leer, es mußte erst Kraftstoff angesaugt werden, ich hatte aber keine Lust, mit der Hand zu pumpen und ließ einfach den Motor die Arbeit machen. Leider war auf der uralten Batterie nicht mehr genug Saft und sie war leer, bevor die Filter voll waren. Das stand ich dann und sah recht betreten in die Gegend. Ich hab's befürchtet, doch die Faulheit hatte wieder mal gesiegt. Nach einer Stunde kam dann Catarina aus der Dusche. "Verdammt nochmal! Ein einziges Scheißhaus hier. Dann noch so 'ne Badenutte an Bord!", brüllte ich ihm auf Deustch entgegen - das läßt sich so schlecht auf Portugiesisch übersetzen - aber die Botschaft hat er verstanden und meinte, daß ich selber schuld sei, weil ich alles voller Öl gemacht hätte. "Laß doch das Öl dran. Erstens ist das männlich und zweitens rostet man dann nicht so leicht. Das ist mir nämlich passiert. Resultat: Wir haben ein anderes kleines Problem: Ich hab die Batterie leergeorgelt."
"Hast Du Volldepp nicht vorhin mit Deiner tollen Handpumpe angegeben, die den Kraftstoff wieder in den Filter tut, extra dafür, daß man eben nicht orgeln muß?"
"Ja, aber die muß man halt auch benutzen, ich dachte, das geht schon..."
"Du bist so ein Vierbeiner, es ist einfach unglaublich, Deine Faulheit bringt uns noch mal ins Grab. Und jetzt? Jetzt müssen wir warten, bis hier einer kommt, der uns Starthilfe gibt." Oder anschieben. Wir versuchten es ein paar mal, aber erfolglos, es fehlte zu viel Diesel im System. Ich ging derweil duschen. Als ich wieder aus der Dusche kam meinte Catarina: "He, Tier, geh mal da hin und frag den Typen, ob er uns Starthilfe gibt. Ich hab's versucht, aber der versteht mich nicht." Ich ging hin und fragte und er kam und gab uns Starthilfe. "Versuch's mal mit Spanisch, du Trottel", erklärte ich Cat, "lern's, dann kannst auch Du 'ne vollwertige Sprache, nicht nur diesen Indianerdialekt, den Ihr Portugiesisch nennt." Während ich das Auto zum Laufen brachte, stand der Mensch, der uns Starthilfe bot, daneben und fragte, ob ich aus Deutschland sei. "Ja, woher weißt Du das? Ich seh nicht besonders deutsch aus, laß mich raten, das Kennzeichen, stimmt's?" "Nein, Dein Akzent, aber Du lebst schon seit vielen Jahren in Argentinien, oder?" "Nein, eigentlich nicht, ein Jahr insgesamt, doch nun bin ich nur auf Durchreise." "Ja, viel Glück. Ihr Deutschen seid das beste Volk der Welt."
"Was heißt hier Ihr Deutschen?" Ich zeigte auf Cat und fuhr fort: "Dieser Höhlenmensch da, zum Beispiel ist Brasilianer."
"Das Auto ist auch aus Deutschland, nicht wahr?" Ich nickte bejahend. Er sah es sich an. "Schon gut rumgekommen. Das sieht man. Nur Deutsche können solche Autos hervorbringen."
"Mitllerweile auch nicht mehr", winkte ich ab, "alles nur noch Plastik. Selbst Mercedes produziert nur noch teuren Schrott." Er glaubte mir keinen Fetzen. "Ist wahr. Das hier ist die letzte Meisterleistung, die die auf die Straßen brachten. Danach ging's bergab."

Nach erfolgter Starthilfe brüllte der Diesel wieder mit altvertrautem ehernen Klang.
"Dröhnt die Musik der Motoren, geben wir nichts verloren..."

Das kommt in Argentinien sehr oft vor, diese Bewunderung für die Deutschen im allgemeinen und besonders für Adolf Hitler, wie auch in diesem Fall. In anderen Ländern kann man das durch die koloniale Vorgeschichte erklären, in Afrika zum Beispiel, denn dort waren die meisten Länder durch Franzosen oder Briten kolonisiert und die gingen mit den Einheimischen nicht besonders nett um und die Deutschen haben also in ihren Augen gegen ihre Unterdrücker gekämpft und ihnen sauber eingeheizt - zwar aus anderen Gründen, aber das interessiert sie nicht. Was die Deutschen von einem Sieg stets abhielt, war Amerika und auf Amerika, den Unterdrücker Südamerikas, schiebt man hier in allen Schichten einen Haß. Überall in Südamerika eigentlich, mal latent, mal offen - ist einfach so. Aber hier in Argentinien ist das nicht mit der kolonialen Vorgeschichte zu erklären, denn hier waren keine Franzosen und auch Engländer nur kurz. Denn General San Martin (glaub ich) hat die Tommies zwar mit hämmernden Schlägen zum Lande hinausgeschlagen, allerdings hört man oft, daß man besser dranwäre, wenn er die Engländer hiergelassen hätte. Fragt man, warum, dann erhält man meist als Antwort: "Schau Dir Australien an und dan schau Dir Argentinien an." Kaum Haß auf die Engländer, wenn dann wegen der Malvinas (Falklands), keinen Haß auf die Franzosen, außer der normalen Abneigung, die jeder normale Mensch gegen dieses arrogante Völkchen hegt, aber dann doch so eine Bewunderung für die Deutschen. Das ergibt auf den ersten Blick keinen Sinn. Auch nicht, wenn man das Malvinas-Debakel (Falkland) berücksichtigt. Auf jeder Straße sieht man die Schilder mahnen: "Las Malvinas son argentinas", "Die Falkland sind argentinisch." Aber die Deutschen spielen dabei ja keine Rolle und in der Zeit, auf die man sich hier bezieht schon gar nicht. Aber lassen wir das Thema. Soll jeder selber herausfinden.

Wir fuhren weiter. Der Ölwechsel war längst überfällig, man spürte förmlich, wie das Auto - wie von einer Riesenlast befreit - sanft dahinglitt und man merkte sogar eine Reaktion wenn man das Gaspedal betätigte. Um 17:00 Uhr kamen wir in Mendoza an (km 739.882). Nettes Städchen, im Sommer sicher eine feine Sache. An diesem Tag war es etwas kalt. Und das Städchen war ziemlich verschlafen, alles hatte noch zu. Aber wir fanden ein sehr feines Restaurant, wirklich erstklassig. Zunächst erfuhren wir von seiner Existenz, weil wir überall nach einem schicken Lokal fragten. Argentinien war so verdammt billig geworden, daß man sich wirklich ein sattes Mahl genehmigen konnte, ohne die Reisekasse zu sehr zu strapazieren. Catarina ist da als Brasilianer eh verwöhnt und es werden essenstechnisch harte Zeiten auf ihn zukommen, je weiter es nach Norden geht. Mir war das Terrain da oben nicht ganz unbekannt und ich hatte ihn bereits vorgewarnt. Aber vorerst ging es noch nach Süden, wir entfernten uns immer mehr von Lima, dieweil der Stichtag 5. August immer näherrückte.

Im Las Tinajas

Das Restaurant hieß "Las Tinajas" und es war wirklich erstklassig. Es hatte nur leider noch nicht offen und so überbrückten wir die Zeit in einem Internet-Café. Catarina wunderte sich, warum es hier so viele davon gibt, während man in Brasilien vergebens suchen kann und wenn man fündig wird, auch noch Unsummen hinblättern muß. "Willkommen in der Zivilisation". Er ist im Gegensatz zu den meisten Brasilianern kein Patriot. Ich glaube, es beim Bericht einer früheren Fahrt erwähnt zu haben: Als sein Bruder einmal sein Motorrad mit einer brasilianischen Fahne zieren wollte, hat er sie zerrissen mit der Bemerkung: "Leiste selbst was, dann brauchst Du nicht stolz auf dieses Drecksland zu sein." Damit hatte er vollkommen recht. Dieser Nationalstolz der Brasilianer ging mir schon als Kind auf die Mütze.

Wir erkundigten uns nach der Schneelage, aber hinterher waren wir so schlau wie zuvor. Als Antwort gab es alles. Von "alles freigeräumt" bis "alles zugeschneit". Ich schickte Gabi ein eMail damit sie sich darauf einstellt, irgendwo in Lima sich ein Hotel zu nehmen. Ich glaubte nicht mehr wirklich daran, daß wir es pünktlich schaffen würden. Wie sollten wir? Lima war noch ewig weit weg und wir hatten keine Woche mehr übrig. Es lag keine Meldung meiner Schwester vor über den Stand der Dinge, die den LapTop betreffen. Normalerweise sage ich immer: "Keine Meldungen sind gute Meldungen", doch bestätigen Ausnahmen die Regel. Ich erinnere mich da noch genau an die Gelenkwellengeschichte, als ich den Aufenthalt überziehen mußte. Jemand, den ich nie gesehen hatte in meinem Leben stiftet eine Gelenkwelle, ein anderer, den ich ebenfalls nur unter "Phillip S." aus dem Internet kannte, fährt durch die halbe Republik und liefert sie daheim ab, aber die eigene Schwester schafft es nicht, sie zur Post zu bringen. Da muß erst ein ehemaliger Klassenkamerad aus München anfahren, um sie zur 300 m entfernten Post bringen. Warum ich sie überhaupt damit beauftragt hatte, sich um den Rechner zu kümmern, lag daran, daß mein Vater sich gerade in Südamerika befand und das nicht erledigen konnte. Ich schickte ihr ein eMail: "Wie schaut's aus? Geld überwiesen? Ist der Rechner schon da? Den muß einer zur Gabi bringen."

Aber nun erst mal Essen. Im "Las Tinajas" durften wir uns fast eine Stunde anstellen, aber es lohnt sich. Es kostete sieben Peso, also umgerechnet nicht einmal drei Dollar pro Person. Unvorstellbar, daß genau das selbe Mahl noch vor einigen Monaten nicht auch nur entfernt in Betracht gezogen werden konnte. Ebenso unvorstellbar wie der Gedanke, daß dieser brutale Unterschied von den Einheimischen kaum bemerkt wurde, denn für sie änderte sich nichts, sieben Peso sind sieben Peso, schon immer gewesen. Diejenigen, die harte Dollar verdienten waren fein raus. Ich versuchte, so viel in mich hineinzustopfen, daß ich auf der ganzen Reise nichts mehr zu Essen brauchte. Klappte natürlich nicht. Der menschliche Körper ist dafür zu unwirtschaftlich angelegt, er denkt nicht mit. Aber beide fraßen wir nach der Devise: "Wer weiß, wann wir wieder so was Feines kriegen." Morgen sollte es über die Anden gehen. Clärenore Stinnes brauchte dafür Monate. Wir rechneten mit zwei Tagen, oben lag auch noch ein Grenzübertritt an.
Als wir das Restaurant verließen, gab Catarina noch sein Kleingeld an Straßenkinder. "He, Du Depp, denk mal mit und laß den Käs' in Zukunft. Die werden davon nicht weniger, im Gegenteil." So ein Depp. Bald pfeifen es die Vögel von den Dächern, daß da zwei spendierfreudige Gringos unterwegs sind, die nur zur Tarnung wie Obdachlose aussähen.


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