Gammel in Mexiko 2003
Samstag, 21. Juni

Morgens wurde wieder gekellnert. Als weniger los war ging ich in die Rezeption und räumte alles ins Auto, was nicht mehr gebraucht wurde. Peter kam und gab mir das, was von der Scheibe übriggeblieben war. Und dann kam er nochmals und brachte mir ein kleines Päckchen von Nora. Der Tag war somit gerettet, pfeif auf die Scheibe. Draußen saßen zwei Amerikanerinnen, alter etwa zwischen 50 und 60. Die eine davon malte das Hotel ab, die andere saß daneben und rief mich herbei, um sich vorzustellen. Sie heiße Jennifer, sei aus Texas. Sie wollte jetzt in Playa bleiben, sie könne den Polizeistaat nicht mehr ertragen. "Schön, das zu hören, ich bin gerade auf dem Weg dorthin." Ob ich denn verrückt sei. Alle, die können, die sehen zu, daß sie von dort abhauen und ich will dort hin. Ob ich denn noch zu retten sei. Wer mehr über ihre Ansichten und Theorien wissen möchte, der besuche ihre Page. Jedenfalls beschrieb sie mir die USA als die reinste Hölle und erklärte mir, was ich alles tun sollte: Das Auto waschen, den Bart schneiden, andere Klamotten anziehen, besser, mich ganz neu einkleiden und die Militärklamotten verbrennen. Dann muß natürlich der Che-Guevara-Aufkleber weg und was überhaupt mit dem Auto sei. Da sollte ich mir am besten ein neues kaufen. "Ja, geht's denn noch? Vielleicht auch noch eine Geschlechtsumwandlung oder sowas?"

Sie war zweifellos diejenige, die am schwärzesten malte. Alle Amerikaner, die hier lebten rieten mir davon ab in die USA zu fahren. Sie hatten schon ihre Gründe, warum sie es vorzogen, hier zu leben. Ich würde den leuten auch abraten, nach Deutschland zu fahren. Aber alle anderen taten dies in einem Ton, der zu sagen schien: Mir gefällt es dort nicht, aber für Dich mag es interessant sein, die Geschmäcker sind verschieden. Doch sie versuchte schon fast, mich davon abzuhalten. Wieso ich denn nicht in Playa bliebe? Ich hätte doch hier nun mittlerweile einige Leute, die durchaus bereit wären, mir eine sehr gute Starthilfe zu geben, wieso ich davon nicht Gebrauch mache? Ich versuchte ihr zu erklären, daß mich das Klima umbringt und daß ich in Playa das Gefühl habe, festzusitzen. Ich werde nun von hier gehen, ich habe hier zwei Monate auf eine verdammte Scheibe gewartet und ich bin jetzt, nach zwei Monaten, nicht einmal soweit, wie ich am Tag meiner Ankunft war. Immer noch keine Scheibe, aber damals hatte ich noch Geld und einen LapTop. Jetzt fehlt beides und obendrein die Scheibe. Toller Fortschritt. Nein, es war genug, ich wollte nicht mehr. Der Diesel muß rollen, sonst kommt wird der Mensch stumpfsinnig. Und ich wollte versuchen, in die USA zu gelangen. Sie konnte mich davon trotz aller Überzeugungsarbeit nicht abbringen. Sie versuchte es aber auch noch auf die psychologische, schließlich ist sie Doktor der Psychologie: Ich würde weglaufen wollen. Aber ich kann nicht weglaufen, weil ich das, wovor ich weglaufe mit mir trage, als würde ich versuchen, vor einem Rucksack davonzulaufen. Das hab ich schon des öfteren gehört. Auch da war nichts zu machen. Es macht ja Spaß, also ist es egal ob ich weglaufe oder nur laufe. Im übrigen tu das nicht ich, sondern der Diesel. Der läuft wie eine Eins, und dafür wurde er schließlich gebaut. "They run forever..." Dann wurde sie auch noch religiös. Ich dachte immer, das sei ein Drittweltproblem, aber mitnichten. Sie war durchaus eine nette Frau, das ganz ohne Zweifel, aber sie konnte mich nicht die Bohne überzeugen.

Es kam wieder der Deutsche aus Bogotá, wir tranken wieder ein paar Bier. So eine Arbeit möcht ich auch mal haben. Verdient nicht schlecht, freie Zeiteinteilung und immer irgendwo in der Weltgeschichte sein auf Firmenkosten... Als er ging, schliff ich weiter den Boden. Ich mußte nun endlich fertigwerden, nachdem ich etwas getrödelt hatte, während Peter weg war. Getrödelt ist vielleicht nicht das richtige Wort, denn ungemütlich habe ich es mir nie gemacht. Aber nun wollte ich weg, am liebsten sofort, aber ohne Panik. Mir ging das Schleifpapier aus und ich fuhr mit dem Benz los, um neues zu holen. Leider hatte Manzanilla schon zu und es war Samstag abend, also erst am Montag wieder. Verflucht... irgendwas wollte mich hier festhalten, ich spürte es ganz deutlich. Wahrscheinlich der Sensenvater, wer sonst? Ich fuhr zurück zum Hotel und traf Jaime, den spanischen Maler. Er kam freudig auf das Auto zu. "He, Mann, ich dachte, Du wärst schon gefahren, das Auto war weg, ich hab gerade hier rumgefragt, ob Du schon weg wärst. Schön, Dich nochmal zu sehen, wann fährst Du?"
"Morgen"
"Wohin? USA?" Ich nickte. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Dir dort gefallen könnte", fuhr er fort, "Du bist ein freiheitsliebender Mensch, sonst wärst Du nicht auf die Art hergekommen. Dort fühlt man sich dort keine Sekunde frei. Für mich war es bedrückend, ich hab Dir ja erzählt, daß ich dort ein paar jahre war. Es ist alles tot, ab und zu sieht man einige Mexikaner ein Bierchen trinken und dann kommt die Polizei und alle gehen in ihre pinche Häuser... Das waren jedenfalls meine Erfahrungen. Aber Du mußt Deine eigenen machen. Für mich war es nur beklemmend, das Land ist zwar schön, die Leute sind von einer unsäglichen Ignoranz und Arroganz, die ganze Lebensart und Lebensqualität ist Mist, auch wenn Geld da ist und es nicht die dritte Welt ist. Gesellschaftsleben, so wie Du es hier in Lateinamerika kennengelernt hast, wirst Du dort nicht finden. Und hier wird es auch immer schlimmer, ich überlege mir, nach Asien zu gehen." Irgendwie zog ich wieder meine Parallelen, wie ich es immer mache. Es war ähnlich wie damals, als ich in Marokko auf dem Weg nach mauretanien war. Keiner verlor ein gutes Wort über Mauretanien, doch mir hat es gefallen, ich würde jederzeit wieder hinfahren. Bleibt abzuwarten, wie es diesmal aussehen wird. Ich war jetzt schon, tausende von Kilometern entfernt, auf die Folter gespannt.

Ich rief Alberto an: "Servus, Du, kannst Du nicht ein Schleifpapier aufstellen? Manzanilla hat zu und es ist Samstagabend. Ich will den Scheiß hier aber fertig kriegen, sonst komm ich hier nie los. Kannst Du ein 50er papier vorbeibringen?" "Sicher", meinte er, und ich wollte schon aufatmen, "am Montagmorgen bring' ich es Dir mit". Ei, der hat da was falsch verstehen wollen. "Nein, Schnucki, ich brauche das Papier, wenn möglich gestern. Kannst Du Dich bitte auf Deinen Roller schwingen und ein Papier holen für 50 Peso? Ich zahl Dir auch das Benzin, aber ich brauch das Papier jetzt." "Ja, mal schauen, was da noch geht..." Ich holte das verbrauchte Papier aus dem Müll und schleifte weiter den Boden am Eingangsbereich. Mühsam. Das tat ich eine halbe Stunde, plötzlich flog mir ein Gegenstand auf den Rücken. Ich blickte auf und sah einen lachenden Alberto. Ich bat Pedro, ihm aus der Kasse gegen Beleg 50 Peso auszuhändigen, gab ihm noch ein paar Peso für das Benzin und machte mich an die Arbeit. Den hinteren Teil des Ladens würde ich nicht mehr fertig kriegen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil der Lack aus war. Die letzte Dose ging zur Neige. Pedro wurde schon drängelig, er meinte, ich soll endlich Schluß machen und morgen weiterpinseln, denn er muß noch den ganzen Staub wegmachen. "Neee, Alter, heute nicht. Ich mach hier fertig, und wenn ich bis um fünf in der Früh brauche. Morgen bin ich hier weg auf Nimmerwiedersehn." Doch es dauerte gar nicht so lange.

Punkt halb Elf war der Laden fertig.

Zur Feier des Tages spendierte ich mir und Pedro ein Bier. Die CDs waren mittlerweile auch fertiggebrannt und ich saß noch mit José und Lourdes eine Weile vor der Rezeption. Sie fragte mich, ob ich sie morgen nach Cancún fahren könnte. "Klar, kein Problem..." Dann ging ich in die Rezeption. Höchste Zeit, daß es weitergeht. Morgen um die Zeit liege ich irgendwo zwischen Chetumal und Veracruz, wenn alles glattläuft.


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