Ich war schon relativ zeitig wach. Unsinnigerweise, denn Almut und Ines waren ja nicht da, folglich auch kein Frühstück. Ich denke, es war wegen der Sonne. Das ist der einzige Nachteil in diesen Wüstengegenden. Kaum ist die Sonne da, ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Ich setzte mich in Ines' Zimmer und begann zu tippen. Da ging auch schon die Tür auf und Ines und Almut begrüßten mich. Cool... doch Frühstück. Sie verloren auch keine Zeit. Das Telephon klingelte, unbekannter Teilnehmer. Um die Uhrzeit konnte es nur Tina sein, die gerade vom Löwen zurückgekommen sein mußte. Ich ließ ausklingeln und rief dann zurück. Marokko verteuert das ganze noch mal um über das Doppelte. Hinterher machte ich die Rechnung und kam auf 142 Dollar. Soviel hatte ich selbst im Löwen noch nicht an einem Stück liegen lassen. Aber was soll's. Ziel ist ohnehin, zu beweisen, daß ein Flugticket billiger gewesen wäre...
Darnach ging ich hinunter zum Frühstück, meine Milch war nicht exbar, da Almut es in letzter Zeit besonders komisch findet, die Milch bis weit über den Sättigungspunkt hinaus zu zuckern, allerdings nicht mit Zucker, wie sich das gehört, sondern mit dem Vanillekaba. Das kratzt den Hals auf und fühlt sich an, als würde man glasierten Stacheldraht verschlingen. "Du beschwerst Dich doch immer darüber, daß überall Zucker fehlt...", vernimmt man sie dann, wobei sie einam mit der unschuldigsten aller Mienen entgegenblickt und hilflos mit den Schultern zuckt.
Ein paar Stunden nach dem Frühstück zog ich
mit Ines los. Wir gingen durch die Medina auf der Suche nach irgendeinem
dämlichen Obstzeug. Ich brauchte Cola und eine Fliegenpatsche. Das
Cola fand ich. Ein Esel trappte Ines auf den Fuß, was eigentlich
logisch ist, wenn man durch dieses Chaos mit Badeschlappen laufen muß.
Aber wie diese Mädels so sind blieb es bei einem sehr nüchternen
"Dummer Esel", und weiter ging es. Ich mußte mich schon
etwas zusammenreißen, nicht laut loszulachen. das hätte man
sehr leicht mit Schadenfreude verwechseln können. Ist es meistens
auch, aber in dem Fall war mehr Ines' Reaktion dafür verantwortlich.
Steigt mir ein Esel auf den baren Fuß, dann wird schon mal als erstes
reflexartig gebrüllt, als nächstes der Esel gekickt und in den
darauf folgenden Stunden jagt ein Fluch den anderen. Selbstbeherrschung
war nie meine Stärke. Damit soetwas nicht vorkommt, empfiehlt es
sich, festes Schuhwerk zu tragen. Schnürstiefel mit Stahlkappen.
Doch von diesem Highlight abgesehen, gab es sonst auch noch allerlei interessantes
Zeug zu sehen. Die Metzger in diesen arabischen Ländern, zum Beispiel.
Sie entzücken das europäische Auge mit der überaus ansprechenden
Art und Weise, wie sie Ihre Ware bewerben. Nicht dieses plumpe, dämliche
Hervorheben von niedrigem Fettgehalt, wie es etwa in Deutschland üblich
ist, bei der ich mir jedesmal denke, daß man so etwas doch besser
vertuschen sollte, oder wahlweise den Kunden gleich mit "He, Du fette
Sau!" ansprechen. Nein, die Araber haben ihre eigenen Marketing-Gags,
wie man am Bild unten zweifelsfrei erkennen kann.
Kamelfleisch. "Heutige Schlachtung, versteht sich..." |
Unbestritten ist das ein Hingucker. Aber da sieht man mal wieder, wie verschieden Menschen denken, die in verschiedenen Gegenden der Welt aufgewachsen sind. Vielleicht heißt es auch ganz etwas anderes, wenn man den Kamelkopf genau da hinhängt, wo der Kunde sich hinstellen muß, wenn er etwas kaufen will. So ist es mit vielem. Verstehen muß man das auch gar nicht, nicht einmal akzeptieren muß man das, aber man kann es sicherheitshalber zur Kenntnis nehmen. Dagegen spricht nichts.
Über
das leidige Thema Toleranz ensponnen sich im Laufe unseres Aufenthalts
des öfteren Diskussionen zwischen Almut und mir. Da werden wir uns
auch nie einig werden. Wir sind da beide zu radikal. Nur nichts machen,
was als unhöflich ausgelegt werden könnte, sagt die eine. Für's
Denken wird keiner von uns bezahlt, sagt der andere. Da hat man dann einiges
zu tun, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Muß man aber auch
gar nicht. Almut ist schließlich keine Gabi, die einem ständig
vorschreiben will, wie man sich zu benehmen hat. Das finde ich an diesem
Modell sehr angenehm. Leben und leben lassen. Im Gegenteil. Bei Almut
bin immer ich derjenige, der die Diskussion überhaupt erst anfängt,
weil ich mich nun mal gerne über alle möglichen Sachen witzig
mache. "Ich kauf mir jetzt ein Ausgehbubu, pervertier zum Islam und
schrei fünf mal am Tag 'Allah hu akbar' in Richtung Mekka. In der
Islamischen Republik Deutschland mach ich das dann auch so, zum Zwecke
der Anpassung. Gerade zur Zeit, wo ich mich doch unauffällig verhalten
soll..."
Sie läßt sich davon nicht beeindrucken und macht genau so weiter,
wie sie es für richtig hält. Und ich behaupte, sie könnte
jede ihrer Handlungen oder Unterlassungen wissenschaftlich begründen.
Nur ist der Mensch von Natur aus kein Wissenschaftler. Auch kein Roboter,
der nach einem vorgeschriebenen Programm (welch schöner Pleonasmus)
abläuft. Sie ist beides und versteht nicht, daß sich normale
Menschen nicht in ein Verhaltensmuster hineinmathematisieren lassen. Meiner
Meinung nach - die bestimmt wieder danebenliegt - reicht es in solchen
Fällen vollkommen, sich eine grobe Übersicht zu verschaffen
und dann zu ertasten, wie es wo lang geht. Man schaut, was die anderen
machen und macht es ungefähr nach. Was aber nicht heißt, daß
man sich 100% anpassen muß - das habe ich persönlich in Deutschland
in über 15 Jahren nicht geschafft. Wozu denn das auch? Man ist ein
Fremdkörper und man wird es auch immer bleiben - und das ist auch
gut so. Man kann nun mal nicht aus seiner Haut. Und man will es auch nicht
wirklich. Wollte man erst alle Verhaltensregeln eines jeden Landes auswendig
lernen und diese dann Lehrbuchmäßig anwenden, dann käme
man gar nicht in die Fremde. Und man muß auch nicht alles gutheißen,
nur "weil man Gast" ist. Völliger Quatsch. Aber Ansichtssache,
wie immer.
Wir machten uns am Nachmittag auf, um das Judenviertel von Fez zu besichtigen. Ines kannte dort jemanden und unterhielt sich eine Weile, während Joe und ich die Aussicht vom Dach des Gebäudes aus genossen. Auch am Königspalast latschten wir mehrmals vorbei, der allerdings auf mich bekennenden Kuturbanausen mehr kitschig als majestätisch wirkte.
Wie in einem Zeichentrickfilm. Irgendwas mit 1001 Nacht oder so ähnlich. |
Aber auf keinen Fall häßlich. Das wollte ich damit nicht gesagt haben. Überhaupt fiel mir auf, daß es an meinem Marokkobild noch viel zu arbeiten gibt. Das wird sich nie ändern, aber ich bekam so im Laufe dieser Tage einen gänzlich anderen Eindruck, als ich ihn von den paar Tagen Marokko im Jahre 2000 noch in Erinnerung hatte. Wenn man fünf Leute in fünf verschiedene Städte schickt, dann hat man hinterher fünf verschiedene Marokki. Nur natürlich. Aber so ist es eben.
Marokko und Tunesien sind zweifellos die Länder, in denen die Religion keine so große Rolle spielt, wie in manch anderen Staaten der arabischen Welt. Und dennoch: Mit Europa verglichen ist das hier der reinste Gottesstaat. Ich habe es auch in der westlichen Welt erlebt, daß Religion eine Rolle spielt. Meist in den Köpfen der Leute. Meine Theorie, daß die Leute umso gläubiger sind, je beschissener das Land ist, in dem sie leben, mußte ich revidieren, als ich in die USA kam. Da mußte ich einsehen, daß dieser christliche Wahn sich nicht auf die westlich orientierten Entwicklungsländer beschränkt. Man braucht sich nur den Obergotteskrieger Bush anhören und man muß feststellen, daß selbst ein Hussein nicht derartig mittelalterlich klang, was die Religion anging. Dabei spielt der Redner hüben wie drüben nur eine untergeordnete Rolle. Was bedenklich stimmen sollte, ist das Publikum, zu denen die beiden sprechen. Man kann zwar behaupten, daß die Islams sowieso einen an der Waffel hätten, doch dann müßte man in der Folge dieser Behauptung automatisch einräumen, daß die Amerikaner die noch größere Klatsche haben müssen. Entweder, weil ein Präsident so einen Müll verzapfen kann, ohne erschossen zu werden, oder, schlimmer noch, weil er tatsächlich damit jemanden an-, womöglich gar aus der Seele spricht.
In Europa hat man das im Laufe der Zeit überwunden und man ist draufgekommen, daß Staatsideologien doch mehr hergeben, als dieser religiöse Unrat. Man glaubte diesen religiösen Sondermüll längst auf dem Schutthaufen der Geschichte, aber in Übersee versucht man immer noch, diesen wiederzuverwerten. Daß dieses Zeug weitaus schlimmer strahlt als dreißig Tschernobyls, das weiß man dort anscheinend noch nicht, ansonsten müßten diejenigen, die ganze Völker mit dieser Pest überziehen, Pfaffen, Laienprediger, Fernsehpfarrer, Bush und Consorten, und viele Tausend andere, die in der Religion mehr sehen, als einen Aberglauben, längst die Bäume und Laternenmasten von Anchorage bis Feuerland zieren. Nun aber genug mit den Ausfällen - ab und zu muß das einfach sein...
Wir gingen über riesige Umwege langsam wieder auf den Weg nach hause. Wir hatten es nicht eilig. Es war kein Auto da, das tatendurstig auf den Fahrer wartet. Wir hatten alle Zeit der Welt. Almut besorgte sich noch ein paar Gewürze. Die sammelt sie anscheinend. Ich frage mich immer wozu. Sie ißt nur Brot und trinkt nur Wasser. Vielleicht würzt sie an besonderen Festtagen das trocken Brot? Wer weiß...
Ich brauchte natürlich Cigaretten, weil sie mir schon wieder ausgegangen waren. Ich hatte die leere Schachtel in der Hand und sah mich nach einem Mülleimer um. Natürlich fand ich keinen. Hätte mich auch gewundert. Als ich bewußt darüber nachdachte, wunderte ich mich, daß ich überhaupt danach suchte. "Ines! Was macht eigentlich ein Marokkaner, wenn er seit einer halben Stunde mit einem Müll in der Hand umeinanderläuft und keinen Mülleimer findet?" "Ein Marokkaner läuft nicht mit Müll in der Hand herum, schon gar nicht eine halbe Stunde..." Ich verstand, sagte mir "When you come to Rome, do like the Romans do", und im hohen Bogen flog die leere Kippenschachtel auf die Straße, wo sie wohl hingehört. Sich anzupassen fällt manchmal gar nicht so schwer, wie man oft denkt.
Wir schauten natürlich noch bei der Werkstatt vorbei, um den Patienten zu besuchen. Allmählich nahm er wieder Formen an. Sehr schön. Die haben das drauf - zumindest sehe ich das so. Wie es der TÜV sieht, das werden wir erleben. Aber immer wieder wurde ihnen eingeschärft, daß das Auto durch Inspektion muß. Durch deutsche Inspektion. Wir sahen ihnen noch eine Weile bei der Arbeit zu. Ines und ich gingen mal in ein Café, unterhielten uns über das Land und die Leute. Sie hat ja länger unter ihnen gelebt und sie war auch sehr zufrieden. Sie ist ohnehin ein lockerer Typ, die sich, wie Almut nur äußerst selten über Sachen ärgert. Persönlich habe ich das noch nie erlebt. Paßt schon alles. Wenn ich nur denke, wie oft eine Blondine, die nachts allein in Fez unterwegs ist, von Leuten blöd angemacht werden muß, würde ich es sogar verstehen, wenn sie im Laufe der Zeit eine gewisse Antipathie aufbauen würde. Aber davon fehlte allerdings jede Spur. Und sie verfügt über eine für Frauen ungewöhnliche Lernkurve. In der relativ kurzen Zeit, in der sie hier war hat sie nebenbei noch Französisch gelernt.beide, sowohl Almut als auch Ines, sind äußerst brauchbar für Fernreisen aller Art. Die beiden sind auch keine Reisezweckgemeinschft, denn beide wohnen in Leipzig und treffen sich auch daheim regelmäßig. Ich kann da in der Heimat nicht mithalten. Auch wenn ich in Leipzig wohnen würde, würden wir uns nicht oft sehen. Nicht nur deshalb, weil die beiden sich langsam zu Bette begeben, wenn ich mal über das Aufstehen nachdenke, sondern auch, weil die beiden nebenbei noch Ihre Arbeit bzw. ihr Studium haben und auch sonst, im Gegensatz zu mir, neben dem Autofahren noch weitere Hobbys haben. Lernen und Sport, um nur zwei Tätigkeiten zu erwähnen. Ich behaupte, daheim wären wir uns in Jahrhunderten nicht über den Weg gelaufen. Zu unterschiedlich die Interessen, die Kreise der Personen, mit denen sich jeder umgibt, die Lebensweisen. Doch hier draußen sieht die ganze Sache anders aus. Das ist der einzige gemeinsame Nenner, der uns verbindet. Dieser dafür aber umso stärker. Ich kann mir keine besseren Reisekumpanen vorstellen als, Ines, Almut & Brüder. Da mache ich gerne Abstriche bei der Kost. Bevor es wirklich schlimm wird und ich mangels rohen Fleisches zur reißenden Bestie werde, beiß ich ein Stück einer Kuh oder eines Kameles ab - oder gehe zu McDonald's.
Erst weit nach Einbruch der Dunkelheit kamen wir daheim an. Und wieder fanden wir uns auf dem Dach des Hauses zusammen und ließen die Nacht über uns hereinbrechen. Sehr schön. Und wieder wunderte ich mich darüber, daß Araber auch leise sein können. Sterben die über Nacht? Man hörte nur ein paar Köter bellen, ansonsten nur eine schon fast als unheimlich zu bezeichnende Stille. Nicht, daß mich Lärm stören würde. Eigentlich stört keinen von uns Lärm. Das ist eine typisch mitteleuropäische Neurose, daß man aufwacht, sich erzürnt und die Polizei holt, weil einer möglicherweise mit den Füßen den Boden betreten hat um elf Uhr nachts. Ein paar Wochen in Afrika und man gewöhnt sich das ganz schnell ab - oder man wird blöd. Doch wenn ich etwas hasse auf dieser Welt, dann Hunde und ihr Gebell - das war das einzige, was man in dieser Nacht hören konnte.
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