Nach dem Frühstück fuhren wir zur Werkstatt. Zu meinem Bedauern mit zwei "Petit Taxis". Diese Fiat von der Abteilung Uno, Tunto, Panda. Gar nicht standesgemäß. Aber die richtigen Taxen fahren erst los, wenn sechs Passagiere an Bord sind und sie fahren feste Routen. Diese Taxen sind in Fez weiß. Die Petit Taxis sind alle rot, bedeutend kleiner, undeutsch, teurer, doch sie fahren dahin, wohin man es ihnen anschafft. Von denen mußten wir auch zwei nehmen, weil die nicht überladen fahren. Ob dies gesetzlich verordnet ist oder nicht, das blieb mir im Dunklen verborgen. Einerseits fahren die 123er nämlich ausschließlich überladen, andererseits kann ich auch nachvollziehen, daß für besondere Autos besondere Gesetze gelten. Eine weitere Erklärung wäre, daß die Fahrer Angst haben, daß ihre Macaroni-Schleudern bei mehr als zwei Personen pro Auto die Grätsche machen. Und wenn die Fahrgäste noch so dürre Hunde sind...
Natürlich kommen die Taxis auch nicht vor das Haus, denn in dem verwinkelten Gewirr der engen und engsten Gassen der Medina, hat nicht einmal ein Fiat genug Platz um zu fahren. Die Läden werden per Hand, Handkarren, Pferd oder Esel beliefert.
Die Fuhre Coca-Cola wird angeliefert. |
Es fasziniert immer wieder aufs Neue, wie präzise die Leute sich hier bewegen. Nicht ein mal kam dieses Gefühl auf, das man in Einkaufszentren zivilisierter Länder bekommt, wenn wieder ein Depp in aller Seeleenruhe vor einem herschlurft und man sich denkt "Geh doch zu, oder bleib daheim." Nichts dergleichen. Man latscht einfach und überholt und drückt sich vorbei und die Leute berühren sich dabei gar nicht. Milimeterarbeit, teilweise, wie schon an anderer Stelle beschrieben. Egal was sie in der Hand haben, sie treffen die anderen nicht. Und bei dem scheinbar dichten Gedränge grenzt das für den Europäer fast an ein Wunder. Freilich habe ich auch den einen oder anderen Zusammenstoß beobachtet. Kommt vor. Der einzige Trottel, der regelmäßig mit seinen Kampfstieel dem Vordermann in die leicht oder gar nicht beschuhten Hacken lief, das war ich. "Shukran, oder Afhuan, oder ich weiß nicht, was Entschuldigung heißt." Aber die meisten beachteten mich gar nicht oder winkten freundlich zurück. "Macht nichts", deutete ich da hinein. Ich brauche da einfach noch etwas Übung, hoffe aber gleichzeitig, daß ich ihrer nicht benötige, denn so schön es hier auch iat, im Auto ist es noch viel schöner, das ist mein Reich, da weiß ich, was ich tu, "Da bin ich Mensch, da darf ich's sein". Im Auto klappt es besser, und zwar wesentlich. Zu Fuß war ich schon immer ziemlich unbeholfen. Nicht einmal Motorräder sieht man, denn auch diese haben Schwierigkeiten. Zwar nicht mit der Enge, aber dafür mit den Stufen.
Wir kamen bei der Werkstatt an, sahen uns die Sache an, waren auch zufrieden, schärften ihnen wieder einmal ein, daß das Auto durch Inspektion muß. Deutsche Inspektion. Dann suchten wir uns ein Lokal, um gemütlich eine Tasse Kaffee bzw. Tee bzw. Milchschokolade zu uns zu nehmen und seltsames, aber doch ziemlich wohlschmeckendes marokkanisches Gebäck zu probieren. Sehr zufrieden. Wir schlenderten wieder heim, da irgendjemand den Plan entworfen hatte, den Nachmittag damit zu verbringen, die Medina auszukundschaften. Anscheinend hatte ich sichtbare Fragezeichen über meinem Kopf, oder ein dermaßen blödes Geschau, daß eines der Mädels den Satz losließ: "Da finden wir sicher auch eine Fliegenpatsche..." Damit war ich schon wieder überzeugt, daß der Plan gut war. Und so schlenderten wir gemütlich zurück in Richtung Medina. Die anderen schlenderten gemütlich. Ich fluchte darüber, daß die deutschen schon wieder zu billig sind, sich ein Taxi zu leisten. So eine Idee wäre mir allerdings vor vier Jahren nicht in den Sinn gekommen. Da hat Amerika wohl etwas damit zu tun. Da muß ich meinen Kritikern Recht geben. Auch das Handy war mir mittlerweile ein treuer Begleiter geworden. In Marokko keine billige Angelegenheit. 4,99 die Minute und dann kommen noch Steuern und Roaming-Gebühren dazu. Ich kam ein wenig ins Überlegen und zum ersten mal mußte ich zugeben, daß an dem Dummspruch "Geld verdirbt den Charakter" vielleicht doch ein Fükchen Wahrheit dransein könnte. Sonst war meine Ansicht immer die, das kein Geld zu haben den Charakter verdirbt. Um es vorwegzunehmen: Die Telephonrechnung, die ich diesen Monat bewerkstelligte belief sich auf gute 1500 US$. Und es hat mich nicht die Bohne gestört, weil ich wußte, daß es davon mehr gibt, sobald ich wieder in den USA sein würde. Mir wäre früher im Traum nicht eingefallen für soviel Geld zu telephonieren. Ein Telephon ist ein Kostenfaktor und von denen brauchte ich so wenige wie möglich. Das Geld zu haben bedeutete mir damals eine Verschiffung, eine Transkontinentalfahrt, zumindest wäre ich damit einige Monate in der Welt unterwegs gewesen. Das war definitiv nicht der selbe Besold, der ziemlich genau vor vier Jahren antrat, um nach Südafrika zu fahren. Ob das gut oder schlecht ist, das wird erst die Zukunft zeigen. Aber ein Wandel war zu verzeichnen.
Doch zurück nach Fez. Wir gingen kurz daheim vorbei,
legten uns ab, rauchten, lasen. Dann packten wir die Medina-Tour an. Wir
gingen diesmal nicht wie üblich nach links, sondern nach rechts,
tiefer hinein in das Gewusel. Sehr interessant, aber müßig,
darüber im Detail zu berichten, denn das ist bereits geschehen. Ich
latschte den anderen hinterher, verlor sie zwischendurch mal, fand sie
wieder, latschte voraus. Immer auf der Ausschau nach einer Fliegenpatsch.
Bald darauf kamen wir an einem Stand vorbei, an dem es jede Menge Fliegenpatschen
gab. Endlich! Die gehört einfach dazu. Ohne geht es nicht. Die ist
sehr wichtig. Einen Marschallsstab für eine Fliegenpatsche. Ich stand
vor diesem Stand und suchte mit eine zur Wagenfarbe passende Patsche aus.
Also Goldbraun, möglichst 476H. Ich merkte aber bald, daß meine
Ansprüche einfach zu hochgeschraubt waren. Wie bei den Weibern. Da
funktioniert es auch nie. Aber bei Fliegenpatschen gehe ich gerne Kompromisse
ein. Wenn nicht meine Wagenfarbe, dann wenigstens die des Wagens,
mit dem wir hier waren: Babyblau. Gekauft! Ich nahm sie an mich wie der
Marschall seinen Stab und marschierte los.
Wir kamen an einer Moschee vorbei, die da mittendrin in dieser engen Medina erbaut war und die sogar einen ansehnlichen Hof hatte, gingen wieder hinaus und flossen wieder in der Menge mit. Irgendwie geriet diese ins Stocken. Ich war der längste von uns, konnte aber dennoch den Grund dafür nicht erkennen. Erst als wir uns langsam vorarbeiteten und die Aufregung immer größer wurde, wußten wir, daß da wohl ein etwas größeres Problem anlag. Ich bemerkte inige Meter vor uns einen Menschenfreien Raum und dachte erst an eine Schlägerei. Aber das wäre in der tat ungewöhnlich. Es war auch keine Schlägerei, sondern ein am Boden liegendes Pferd, an dem sich die Menschenmenge vorbeidrückte. Es war ziemlich ausgemergelt und überladen und man merkte ihm an, daß es es nicht mehr lange machen würde. Neben dem Pferd ein alter Mann, über den man dasselbe sagen könnte, der verzweifelt versuchte, dem Pferd aufzuhelfen. Manche packten mit an, versuchten, das Pferd an den Ohren oder am Schweif hochzuziehen. Aber es klappte nicht. Es konnte nicht mehr. Es lag nur da und schlug im liegen ab und zu mit den Hufen aus. Vor denen mußte man sich noch etwas in Acht nehmen. Wir drückten uns irgendwie vorbei. Was hätte man auch tun sollen? Hätte ich nur ein paar Mexis aus den Staaten mitgenommen, dann hätte ich mitanpacken lassen... So ein Pferd wiegt einiges, und wenn es noch so ausgemergelt ist. Das hier schätzungsweise 300 kg. Wenn es nur 290 kg gewogen hätte, dann hätte ich selbstverstäsndlich selbst mit angepackt. Ich wußte nicht, wer mehr zu bedauern war. Das Pferd, oder der alte Mann, dessen einzige Einkommensquelle wohl dieses Pferd ist oder war. "Die Augen geradeee-aus! Vorwärts, Marsch...", mit der Fliegenpatsche wies ich in die Richtung in die es gehen sollte. Nur nichts anmerken lassen und erstrecht nicht anfangen, selbst darüber nachzugrübeln. Das kann ich immer noch tun, wenn ich dereinst gar nichts mehr zu tun habe und in irgendeiner Ecke vor mich hinsieche, was noch früh genung der Fall sein wird.
Wir latschten weiter und kamen in das Gerberviertel. Unnötig zu sagen, daß davon ein fürchterlicher Gestank ausging. Eine Mischung aus Verwesung, organischem Müll und Exkrementen. Einige Touristengruppen waren auch hier. Zumeist mit einem Taschentuch vor der Gosch. Aber ich hatte keine Zeit, mich durch den Gestank ablenken zu lassen, denn hier waren Milliarden von Fliegen, an denen ich die Fliegenpatsche ausprobieren mußte. Ines wollte unbedingt noch in einen der zahlreichen Lederwarenladen gehen. Während sich Ines und Almut sich darin umsahen gingen Joe und ich auf ie Terrasse des Ladens und sahen uns das Treiben dort unten an. Viel zu sehen gab es natürlich für uns nicht, die wir weder von Lederherstellung noch von der -verarbeitung den blassesten Schimmer hatten. Alles, was wir sahen waren viele große bunte Pottiche, einige Häufen Tierfelle und einige Menschen, die scheinbar planlos zwischen diesen Pottichen herumsprangen und abgehackte Laute von sich gaben. Ob das Arabisch war oder irgendetwas anderes, das verochten sie wohl selbst nicht zu sagen. Ringsum alte Behausungen, die ihre besten Tage schon weit hinter sich gelassen hatten, ohne jedoch dabei ihren Charme eingebüßt zu haben.
Verblüfend fand ich, daß diese enge, verwinkelte Medina doch mehr als genug Platz für das eine oder andere Paralleluniversum bietet. Wenn man die Gerbergegend verließ, dann waren es nur ein paar Schritte und schon erinnert nichts mehr daran. Wir gingen teilweise durch Tunnel, teilweise durch Gassen, in die die Sonne nicht hereinscheinen konnte, dann wieder durch strahlenden Sonnenschein. Obwohl man immer in der Medina ist und das auch weiß, wechselt alles unerwartet, zufällig und auf sehr seltsame Art und Weise. Während wir da so durchwanderten, einander immer wieder verloren, wiederfanden, kam mir eine Zeile aus der Zueignung von Goethes Faust in den Kopf und wollte nicht mehr hinaus für den Rest des Tages: "Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage des Lebens labyrinthisch irren Lauf, gleich einer alten, halbverklungnen Sage, kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf..."
Nachdem wir uns fast totgelatscht hatten, kehrten wir gegen drei Uhr Nachmittags wieder zum Haus zurück in blieben dort eine Weile. Ich wollte noch bei der Werkstatt vorbeifahren um zu sehen, wie weit die mittlerweile waren. Wieder ging es mit dem Petit Taxi hin. Während Ines und Almut einige Besorgungen besorgten, bileben Joe und ich in der Werkstatt. Die Jungs dort erklärten uns, daß sie Halter für die Stoßstange benötigen würden. Die gab es auf einem Schrottplatz irgendwo außerhalb von Fez. Entweder Almut oder Ines mußte mir mir mit. Ich kann mch ja mit denen nur sehr schlecht verständigen. Mein Französisch war noch schlechter als mein Arabisch, und selbst dieses konnte als "kaum vorhanden" bezeichnet werden. Die Karosseriearbeit war jedenfalls zu meiner Zufriedenheit schon sogut wie abgeschlossen. Und sie hatten auch recht sauber gearbeitet muß ich sagen. Jetzt mußten sie nur noch sauber lakieren und die Sache kann sich sehen lassen. Während wir die Teile besorgen, sollten die schon das lakieren abschließen. Das wollten sie noch in der Nacht erledigen, damit morgen nur noch die Scheinwerfer, Zierleisten, Stoßstangen usw. montiert werden mußten. Damit zeichnete sich also auch schon das badige Ende des Werkstattaufenthalts ab.
Langsam nahm er wieder ein ganz respektables Aussehen an. |
Wir fuhren wieder zurück zur Medina und holten auf dem Weg noch etwas zu Essen, was uns einen weiteren Heimweg bescherte, worüber allerdings niemand traurig war. In diesem Teil der Medina waren wir noch nicht gewesen - oder er sah einfach tagsüber anders aus. Ich jedenfalls konnte mich nicht erinnern, jemals hier gewesen zu sein - was nichts heißen soll. Ich kenne mich eh nirgendwo aus, keinen Sinn für Orientierung.
Wir hängten sogar noch eine Sichtsehen Tour dran durch uralte Gemäuer. Stundenlang spazierten wir durch Fez. Wenn man nur mit dem Auto hier durchfahren könnte, dann ließe es sich hier monatelang aufhalten. Mich macht es nunmal nervös, wenn ich erst eine Viertelstunde latschen muß, bis ich am Automobil bin. Zu weit weg. Das war aber auch schon der einzige Nachteil. Über alles andere kann man hinwegsehen. Zu fortgeschrittener Stunde, es war schon mindestens neun, begaben wir uns heim und dort aufs Dach. Da war es Nachts immer am gemütlichsten. Es war dort auch relativ kühl. Eine feine Sache.
Da läßt sich das Abendfladenbrot genießen. |
Wir saßen noch eine Weile da und merkten nicht, wie der Lärm der Medina immer weiter abklang. Irgendwann legten wir uns auf dem Dach dann schlafen. Vielleicht hatte es doch einen Sinn, so früh ins Bett zu gehen. Die Sonne würde schon in aller Herrgottsfrüh herunterknallen. Wenn man bis um drei oder vier Party macht, dann muß man eben mit drei Stunden Schlaf auskommen. Kann ich nicht.
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