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Pakistan 2010
Samstag, der 9. Oktober

In der Früh war natürlich Remmi-Demmi. Die Belutschen scheinen ausgesprochene Tagmenschen zu sein. Dabei ist die Nacht doch viel sympathischer... Und dann beginnt der Tag auch noch mit Arbeit und die weiderum ist definitiv ausgesprochen unsympathisch. Zelt abbauen. Vorher muß natürlich der Inhalt zusammengepckt und verstaut werden. So ein Dachzelt ist eine feine Erfindung, die allerdings weit außerhalb der Grenzen unseres Budgets angesiedelt ist. Es gab einmal eine Zeit, da man als Dozent an der Uni gut Geld verdienen konnte. Unsere Großeltern haben diese Zeiten noch miterlebt. Und wenn Arnie an einer deutschen Hochschule dozieren sollte, wird auf seinem Arbeitsvertrag sehr wahrscheinlich der Name einer Zeitarbeitsfirma stehen.

Abschiedszeremonie in der Früh. Das war der, der am Abend zuvor unbedingt Bier haben wollte.

Wir bekamen einen Levies zugewiesen und brachen um zehn Uhr auf in Richtung Quetta. Egal, wie schnell man fährt, die Legenden und Horrorgeschichten um diese Stadt holen einen immer ein, solange man auf sie zufährt. Al-Qaida soll da ihr Hauptquartier haben, Attentate alle naselang. Also, wenn das wirklich alles stimmt, dann besteht die Stadt aus einem einzigen Trümmerhaufen. Doch erfahrungsgemäß ist alles halb so wild. Das Beispiel kam schon öfter, aber damals, als in Frankfurt Hochwasser war, fragten unsere Bekannten aus Brasilien, ob bei uns alles in Ordnung sei. Natürlich war alles in Ordnung, das Hochwasser war etliche hundert Kilometer weiter nordöstlich. Aber im Ausland wird nur darüber berichtet. Ein Bericht muß sich verkaufen und keine Zeitung kann es sich leisten, darüber zu berichten, daß hier und dort Gänseblümchen von kleinen Mädchen gepflückt und zu einem Strauß gewunden werden. Je katastrophaler die Meldung, desto höher der Absatz. Das ist eine Sache, über die man mit Recht sagen kann, das sei überall so. Nicht anders verhält es sich in Pakistan. Es gibt Bombenanschläge, ja, aber nur in den allerseltensten Fällen werden die mit Wasserstoffbomben ausgeführt, was in der Praxis bedeutet, daß man das Pech haben muß irgendwie in den im Verhältnis zur Landesfläche doch recht kleinen Wirkungsradius eines solchen Sprengstoffgürtels zu geraten. Und sagen wir es doch so: Wollte man mit Absicht genau da hin, würde man schnell feststellen, daß es leichter ist, einen sechser im Lotto zu erzielen, als von einem Selbstmordattentäter beehrt zu werden. Das ist simpelste Wahrscheinlichkeitsrechnung, die kapier sogar ich. Und Heike und Didi mußten auch zugeben, daß alles halb so wild war. Vor Verkehrsunfällen hat komischerweise keiner Angst, dabei ist diese Gefahr ganz konkret vorhanden und die Zahl der Verkehrsopfer übersteigt bei weitem die Zahl derer, die durch Terroranschläge umkommen. Die Terroranschläge sind sogar zu einem gewissen Grad berechenbar. Der Verkehr, hingegen, kann überall zuschlagen. Auf einer kaum befahrenen Straße mitten in der Wüste genauso wie auf einer belebten Straße innerorts, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Aber mit diesem Argument hat zumindest mir noch nie jemand abgeraten in "solche Länder" zu fahren. Doch, grau, mein Freund, ist alle Theorie...

Noch ein Photo von der Polizeistation Dalbandi.

Durch das Vormittagsgewusel von Dalbandi arbeiteten wir uns zum Ortsrand und, dort angekommen, konnte man den Diesel laufen lassen. Nur bei Gegenverkehr dessen Masse die eigene übertraf, mußte man abbremsen und von der Straße fahren. In der Praxis sieht das so aus: Kommt einem ein Taxi oder eine Rikscha entgegen, dann hält man die Spur, kommen einem LKW entgegen, macht man Platz. Leider waren die LKW in der überzahl, so daß es ständig wir waren, die ab in die Botanik mußten. Nicht, weil und der LKW sonst absichtlich rammen würde. Wenn man nicht ausweicht, dann weicht der LKW aus - sofern er einen wahrgenommen hat. Doch der Steinhagel, der dann folgt ist sehr unangenehm für alles, was aus Glas ist. In unserem Falle ist das ziemlich viel. Ich hatte in England eine Firma gefunden, die Plexiglasschützer für den 123er herstellt. Die hat ihren Sitz zwar in Australien, aber man kann die Teile in England bestellen. Aber: man muß sie auch bestellen, sonst kommen sie nicht an. Das war auch genau der Grund, warum wir ohne losgefahren waren und es ist erstaunlich, daß wir es bis hierher mit heilem Glaswerk geschafft haben. Das war das erste Mal, denn die Türkei hat bisher noch immer ihren Zoll gefordert. Diesmal war sie leer ausgegangen, und vielleicht würde das auch so bleiben, denn bei allen bisher besprochenen Rückfahrvarianten war die Türkei nicht vorgekommen...

Wie wo was weiß OBI...

Wir fuhren an einem OBI-Laster vorbei, der uns im Iran bereits aufgefallen war - wenn es nicht ein anderer gewesen ist. Das sind wohl auch die Auswirkungen der Globalisierung. Abgesehen von Autoherstellen wie Mercedes oder Toyota, blieben solche Sachen eine Domäne von Brause- und Cigarrettenherstellern.

Die Straße war schön. In dem Tempo sollten wir in wenigen Stunden in Quetta sein. Hotel suchen, Geld wechseln, Stadtbummel. Wenn wir Glück hatten, würde uns die Polizei direkt zum Hotel fahren und das Suchen würde entfallen. Die Pakistan-Mappe im GPS war nicht "routable", sprich, man konnte keine genauen Adressen eingeben. Ich müßte praktisch im Lonely Planet das Hotel heraussuchen, diesen Punkt in das Gerät eingeben und ihn anschließend ansteuern. Almut kann zwar hervorragend Kartenlesen, aber vom digitalen Zeitalter ist sie noch so weit entfernt, wie Leonardo Da Vinci vom Bau eines Atom-U-Bootes. Und ihr das zu erklären ist etwa so sinnvoll, wie es einer 100-Jährigen zu erklären. Da fehlt einfach jeglicher Bezug. Und so geht es ihr wie es allen Leuten geht, an denen der Fortschritt vorbeigeht: Degradiert zum Ersatznavigator und einzusetzen in dem Fall, daß das GPS ausfällt und man auf analoge Karten zurückzugreifen gezwungen ist. Kann man bestimmt irgendwann brauchen. He! Wie wird bei Emmerichs Independence Day die Welt gerettet? Morse-Code. Da haben wir den Beweis...

Drosseln und Ausweichmanöver einleiten...

Der Straßenbelag wurde schlechter, der Höhenunterschied zwischen Asphalt und Bande teilweise so groß, daß wir aufpassen mußten, nicht aufzusitzen beim Ausweichen. Es gab nur gewisse Stellen, an denen man gefahrlos hinunterfahren konnte. Ich versuchte es, diese Manöver mit dem geringstmöglichen Geschwindigkeitsverlust zu verbinden - bis bei einer dieser Aktionen ein heftiger Schlag vorne rechts mich davon überzeugte, solche Mongo-Aktionen lieber zu lassen. Wir sind schließlich im Urlaub und nicht auf der Flucht. Die Gegend ist wunderschön und wenn man ein bißchen nachdenkt, kommt man zu dem Schluß, daß es eher sinnvoll ist, die Geschwindigkeit herauszunehmen, um die Landschaft zu genießen. Ja: Wenn...

Bei einem Posten hieß uns unser Begleiter anhalten und aussteigen. Seine Schicht war zu Ende, und er übergab uns an seine Kollegen. Wir mußten uns abermals in ein Buch eintragen. Das übernahm ich, denn das konnte ich mittlerweile ganz gut. Ich kannte alle erforderlichen Paß-, Visa- und Fahrzeugdaten auswendig. Almut und ich hatten die gleichen Paßnummern, nur verdreht, und Heike und Didi hatten die gleiche bis auf die Endstellen. Heike war 123 und Didi hatte 124 - einfach. Bei den Visa das gleich Spiel die begannen alle fünf mit VE6025 und waren dann durchnumeriert von 20 bis 24 - nur Arnie hatte eine 71. Ich klappte das Buch zu und sagte: "Fertig! Krieg ich jetzt eine Kalaschnikow?" Aber auch dieser Trick funktionierte nicht und ich ging zu meinem Bedauern wieder leer aus... Unsere Ablösung war noch nicht da und wir mußten warten. Ich bot ihnen an, auf den Levies zu verzichten, und die Kalaschnikow alleine mitzunehmen, aber auch darauf ließen sie sich nicht ein. Aber wir wurden zum Tee eingeladen, verteilten Chips und ich war dabei behilflich, den Fliegenbestand zu dezimieren, in der stillen Hoffnung, daß sie mich mit einer Kalaschnikow belohnen würden. Aber das taten sie nicht. Stattdessen schickten sie uns ohne Begleitung los mit dem Hinweis, wir sollten in zwei Kilometern beim Posten eine Wache abholen.

Vor der Weiterfahrt an einem weiteren Polizeiposten.

Wir stiegen ein und fuhren los, darüber rätselnd, was mit "zwei Kilometern" gemeint gewesen sein könnte. Wir wußten mit Sicherheit nur eines: daß in zwei Kilometern garantiert kein Polizeiposten ist. Aber uns war es recht. Der Posten würde uns schon anhalten und wenn nicht, ist die logische Konsequenz daraus, daß wir einfach weiterfahren. Um die Kommunikation war es schlacht bestellt. Die iranischen SIM-Karten funktionierten hier nicht mehr, und selbst wenn, hatte Didi kein Guthaben mehr.

Zwischendurch wurde die Straße mal wieder schlechter. Der Asphalt war weg und wir arbeiteten uns mit 20 oder 30 km/h über Schotter, durch kleine Ortschaften hindurch, bis wir wieder Asphalt unter den Rädern hatten und es einigermaßen zugig weitergehen konnte. Natürlich war nach zwei Kilometern kein Polizeiposten gekommen, wie wir es uns gedacht hatten. Oder er hatte sich so geschickt versteckt, daß wir ihn nicht sahen. Und wir fuhren also weiter. Viel falsch konnten wir nicht machen, es gab schließlich nur eine Straße und die führte nach Quetta.

Asphalt fehlt...

Irgendwann kamen wir tatsächlich an einem Polizeiposten vorbei. Doch statt uns eine Eskorte auf's Auge zu drücken, winkte man uns einfach weiter. Wir mußten uns nicht einmal in einem dieser Bücher eintragen. Für Verzögerungen sorgte allein der Straßenzustand. Aber auch der war nicht zu schlecht. Vor einem Bahngleis hielten wir an einer Hütte an, die als Laden zu dienen scheint. Da gab es sogar einen funktionierenden Kühlschrank und ich investierte die paar Scheine, die Almut noch von letztem Jahr übrig hatte in Cola. Keine richtige Cola, sondern so ein Pepsi-Abklatsch. Vier Flaschen für umgerechnet weniger als 40 Cent. Entsprechend schmeckte sie auch. Purer Süßstoff. Was das nur für eine Manie ist mit diesem Zeug! Ich weiß gar nicht, wann wir das letzte mal einen Fettsack gesehen hatten, und Pakistan war gewiß auch der falsche Ort, um nach denen zu suchen. Die Leute hier brauchen Kalorien und nicht irgendeine kalorienarme Plörre. Bäh! Klassische Fehlinvestition. Weiter geht's.

Erster Einkauf in Pakistan.

Wir fuhren weiter, immer in Richtung Quetta, die Landschaft änderte sich nur minimal. Für Abwechslung sorgte ein sehr gut asphaltiertes Stück und ein ausgebrannter Bus. Keine Ahnung, wie das passiert ist, aber der Hügel direkt neben der Straße wies auch Brandspuren auf, dafür war ein Stück Hügel irgendwie auf die Straße befördert worden. Was fehlte waren Anzeichen dafür, daß der Bus von der Straße abgekommen, mit dem Hang kollidiert und wieder auf die Straße geschleudert worden sein könnte. Auch führte die Straße nicht den Hang hinauf, an eine Stelle, von der er hinuntergepurzelt sein könnte. Andererseits wies er Beschädigungen auf, die nicht von einem Brand herrühren konnten. Sehr seltsame Angelegenheit. Wir blieben nicht stehen, sondern fuhren weiter.

Da muß was passiert sein...

Und kurz danach hielt und ein Posten an. Hier mußten wir uns wieder in ein Buch eintragen und anschließend warten, bis ein Begleitfahrzeug kam, das uns vorausfuhr. Es wurde angefordert und nun blieb es dem Herrgott überlassen, wann es eintraf. Das kann in ein paar Minuten sein, genausogut kann es aber sein, daß es Stunden dauert. Wer weiß das schon? Die Polizisten mit Sicherheit nicht. Hier konnte auch wieder keiner Englisch. Man kann ja über die Spanier sagen was man will, aber in deren Kolonien kommt man mit der Landessprache sehr weit. Die Engländer haben hier wohl wirklich nur den Müll abgeladen: Inches, Meilen, auf der falschen Straßenseite fahren...

Wegweiser nach Deutschland, nehm ich an...

Das Begleitfahrzeug tauchte wider Erwarten doch sehr schnell auf und wir konnten nach nur wenigen Minuten weiter. Es war ein Toyota Hilux und auf der überdachten Pritsche saßen zwei Levies mit Kalaschnikows. Unnötig zu erwähnen, daß ich auch diesmal keine abbekam. Ich versuchte, am Begleitfahrzeug dranzubleiben, aber das war mit dem überladenen 200D keine einfache Angelegenheit. Es dauerte nicht lang und das Begleitfahrzeug war verschwunden. Entweder es war denen zu blöd, im Schneckentempo vor sich hinzutuckern, oder sie hatten gar nicht gemerkt, daß sie uns verloren hatten, jedenfalls waren sie weg. Erst kurz vor Quetta wurden wir wieder von einem Posten angehalten, der uns ohne Begleitschutz nicht weiterfahren ließ. Es war recht windig geworden. Wir stiegen aus und trugen und in das Buch ein, während die Polizisten ein Begleitfahrzeug anforderten. Das mußte wohl aus Quetta kommen, so wie ich es verstanden hatte. So standen wir dann an der mittlerweile zur Autobahn gewordenen Straße und warteten auf den Geleitschutz. Und der ließ sich Zeit.

Als er endlich ankam, war die Sonne schon fast am Untergehen. Wieder ein weißer Toyota mit Pritsche und Plane. Wir fuhren los. Die zwei Polizisten hatten ihre Waffen quer überm Schoß liegen und die Läufe starrten in unsere Richtung. Wären das Deutsche Bullen, hätte ich angehalten und protestiert, weil die dafür bekannt sind, daß sie in ihrer Blödheit den einen oder anderen Schuß auslösen. Und so eine 7,62 die geht selbst durch einen 123er durch wie durch Marmelade. Aber solcherlei Bedenken befielen mich hier nicht. Im gegenteil. Wir hatten angegeben, daß wir zum Hotel wollten und die fuhren uns voraus. Es ging durch die Vororte, die noch recht aufgeräumt waren, bis das Vorankommen immer zäher wurde. Mit einem Schlag befanden wir uns mitten im Feierabendverkehr. Ich dachte, die sind alle arm, weil sie keine Arbeit haben. Wenn sie keine Arbeit haben, brauchen sie auch nicht in die Arbeit fahren - für mich ganz logisch. Aber es schien ganz so, als würden die Pakis meine Meinung teilen, daß man nicht automatisch beschäftigungslos ist, nur weil man arbeitslos ist. Immerhin kamen wir schneller voran als die anderen Verkehrsteilnehmer, denn die Polizei versuchte ihr bestes, uns durch diese Veranstaltung zu prügeln.

Durch die Vororte von Quetta.

Quetta selbst war nicht weit von meiner Vorstellung entfernt. Es sah mehr aus wie ein Trümmerhaufen, denn wie eine Stadt. Und alles durcheinander, LKW, Autos, natürlich, Rinder, Eselskarren, Rikschas, Mofas, Mopeds, Fahrräder. Sogar ein Pferdefuhrwerk mit Holzrädern von anderthalb Metern Durchmesser. Die müssen uralt sein. Auch die umliegende Landschaft bot einiges fürs Auge. Zunächst einmal tonnenweise Müll. Der sammelte sich überall, wo keine Autos fuhren. LKW-Führerhäuser auf Hausdächern, bewohnte Ruinen, Warensäcke und -kisten, ein Verkehrslärm, mit dem verglichen der tägliche Tumult in Teheran wie ein Friedhof anmutet, Barracken, Autowracks, Bauschutt, abgebrochene und noch nicht abgebrochene Strommasten, Staub, und, ebenfalls meist da, wo keine Autos fuhren, die Einwohner, von denen die meisten zweckmäßigerweise schon von Haus aus grau-braun gekleidet waren. Und die, die nicht diese Farben trugen würden sie spätestens in wenigen Stunden angenommen haben, ob sie das wollen oder nicht. Aber die würde das gar nicht merken, denn sie schienen zu sehr damit beschäftigt zu sein, sich gegenseitig zu überschreien. Und zwischendrin zwei Touri-Fahrzeuge, die möglichst unauffällig zum Hotel wollten.

Die ersten Eindrücke von Quetta.

Der Polizei-Pick-Up fuhr rechts ran, winkte uns weiter, und wir fuhren daran vorbei. Davor war ein dunkelblauer Toyota-Hilux geparkt, der wohl auf uns wartete. Das war allerdings schon Militär, den Uniformen nach zu urteilen. Das Fahrzeug hatte ein festmontiertes und bemanntes Maschinengewehr direkt hinter dem Fahrerhaus und dahinter saßen zwei Soldaten. Die hatten keine Kalaschnikows mehr, sondern jeder hielt ein G3 im Anschlag. Der MG-Schütze klopfte aufs Dach, als wir Position bezogen hatten und wir fuhren weiter. Ein Eskortenwechsel, so nahtlos, wie es der Verkehr eben erlaubte. Ich war mir ziemlich sicher, daß es sich bei dem MG um ein MG-42 handelte, die sogenannte "Hitlersäge". Heutzutage heißt es irgendwie MG-1 oder so ähnlich. Wir fuhren tiefer hinein nach Quetta. In der gegenrichtung sah ich einen schwarzen LandRover fahren, der mir irgendwie bekannt vorkam. Klar! Das war einer von den Franzosen, die wir vorgestern im Iran getroffen hatten. Aber wieso fährt der aus der Stadt raus? Es wird bald dunkel... Na, die werden schon wissen, was sie tun. Der Pick-Up hielt erneut an, die Besatzung steigt aus, vier Mann insgesamt, und sie übergaben uns an eine weitere Eskorte. Um die Steigerungs zu halten hätte es jetzt ein gepanzertes Fahrzeug sein müssen, doch was war's? Ein Mopped. Mit zwei Mann, der eine fährt, der andere hält die Kalaschnikow, damit sie nicht hinunterfällt. Und diese Eskorte schaffte es dann doch, uns zum "Bloomstar Hotel" zu fahren.

Die beiden gingen mit uns hinein, meldeten uns an, der Kassier wies uns die Zimmer zu. Find einer mal eine offene Bank um diese Uhrzeit. Das Bezahlen mußten wir also auf morgen verschieben. Wir bekamen noch vom Rezeptionisten zwei plastizifierte Blätter zum durchlesen. Das Hotel ist dazu angehalten, uns nicht vom Gelände zu lassen, ohne vorherige Anmeldung bei der örtlichen Polizei. Sollten wir das Grundstück des Hotels verlassen wollen, so mußten wir das vorher an der Rezeption anmelden, damit die die Polizei herbestellen kann. Geld hatten wir keines, das mußten wir erst wechseln. Kreditkarte nahmen sie hier nicht. Almut, Heike und Didi zogen los, ich blieb da und trug die Sachen hoch ins Zimmer. Ich verließ dann das Hotel doch einfach so und ohne Abmeldung. Wenn jemand fragen sollte, würde ich einfach sagen, daß ich nur nachsehen wollte, ob an der Kreuzung eine Ampel ist. Aber es fragte niemand. Auch den Wächter, den ich erst sah, als ich wieder zurückkehrte, interessierte meine kleine Ausreißaktion nicht die Bohne. Auf dem Weg zur Rezeption begegnete ich einem Engländer. Wir unterhielten uns nur kurz, denn die Polizei war schon da, um ihn abzuholen. Er war Backpacker, hatte also kein Auto und fuhr auf dem Motorrad mit. Kurz darauf kamen die anderen zurück. Natürlich blieb die Geldwechsel-Exkursion erfolglos. Aber das war kein Problem - rauswerfen kann er uns schlecht, sonst steigt ihm die Polizei aufs Dach. Andererseits kommen wir hier kaum weg ohne vorher zu bezahlen.

Parkplatz im Bloomstar Hotel in Quetta.

Zum Abendessen sollte es Tomaten und Nudeln geben. Ich holte aus dem Kofferraum noch den allerletzten Rest von der Salami. Nach einigem Suchen fand ich ihn unter den Ölkanister ganz links im Kofferraum. Irgendwie fühlte sie sich schmierig an, aber es roch nicht nach Öl. "Was ist das schon wieder für ein Scheiß?", fragte ich mich selber. Der Geruch kommt mir doch bekannt vor... Natürlich. Ich hatte es geschafft, den Werkzeugkasten so zu plazieren, daß er auf der Spülmitteldose und der so erzeugte Druck durch den Deckel entwich und den halben Inhalt in den Kofferraum beförderte - genau auf meine Salami. Ich spülte also das Spülmittel ab, schnitt sie in kleine Stückchen und sie wurde doch noch teil der Soße. Schweinefleisch hat hier seltenheitswert, es wäre zu schade, es verkommen zu lassen. Didi warf den Benzinkocher an, Heike ging hoch zum Duschen, es versprach ein gemütlicher Abend zu werden. Ich ging zum Auto, um das GPS zu holen. Wie aus dem Nichts kam plötzlich ein Expeditionsfahrzeug nach dem anderen auf den Hof gefahren. Eins, zwei, drei, vier, fünf Stück. "Was ist denn das hier? Französische Revolution?" Vom G-Modell war nichts mehr zu sehen. Der war von allen Seiten eingeparkt. Sechs Touri-Fahrzeuge auf einem Fleck. Und alle schliefen in den Fahrzeugen. Wenn es in dieser Stadt einer auf Touristen abgesehen hat, dann Heil und Sieg und Fette Beute. Eine bessere Chance bekommt er nicht. Es gibt nur ein Hotel in der Stadt, das in Frage kommt, und Touristenfahrzeuge fallen nun einmal auf. Man braucht kein brillanter Taktiker zu sein, man muß nur Schaden anrichten wollen. Dazu hatten sie hier eine sehr gute, wenn nicht gar die beste Gelegenheit. Aber das Glück ist bekanntlich mit den Einfältigen und wenn es vielleicht noch Zweifel gab, ob ich das alleine hinkriege, stand spätestes mit dem Einzug der Franzosen fest, daß wohl die Göttin Fortuna höchstpersönlich als Gast im Bloomstar weilte. Wenn hier und heute nacht nichts passiert, dann kann man die Sicherheitslage in Belutschistan völlig anders bewerten, soviel steht fest. Und alle Berichte vom Auswärtigen Amt gehören dann da hin, wo sie meiner Meinung nach sowieso ungelesen hingehören, da wo das ganze Amt hingehört - oder zumindest die Leute, die dort "arbeiten": In einen Kastortransport - wenn möglich in Sibirien endgelagert...

Französische Invasion.

Einer der Franzosen war bis an die Ellenbogen voller Motorenöl. Wir wollten wissen was los war. Bei dem weißen Landi, links im Bild, war die Dieselpumpe verreckt. Die hätte er auswechseln lassen. Dieselpumpe? Ich weiß gar nicht, ob wir sowas auch haben. Braucht man das? Nun, kann ja sein, aber ich weiß ganz sicher, daß bei unseren Fahrzeugen die Dieselpumpe nicht im Tank ist. Bei diesem Landi schien das so zu sein. "British engineering", war mein Kommentar dazu. Neben uns stand ein grüner Landi, mit einem silbernen Kasten links hinten. Ich fragte Didi, was das denn sei, und er erklärte es mir. Aber ich konnte mit der erklärung nichts anfangen und Didi erklärte es auf eine einfachere Art, so daß ich es auch verstand: "Wir können mit dem Geld, was das kostet ungefähr zwei Jahre Urlaub machen." Der hat's kapiert: "Keep it simple!" Es ist also etwas, was man nicht braucht, und was sehr viel Geld kostet. Die Truppe war irgendwie erst vor ein paar Wochen in Frankreich losgefahren, sie wollten nach Indien und Nepal und wieder zurück innerhalb der nächsten sechs Wochen. "Rentner-Rallye" fiel mir dazu spontan ein. Wobei ich nicht sagen kann, daß ich das unsympathisch finde. Ihre deutschen Kollegen bleiben daheim und rufen bei den Bullen an, wenn ein unbefugter auf einem Behindertenparkplatz parkt. Die hier machen wenigstens was Sinnvolles mit ihrer Rente. Wobei man sich darüber streiten kann, wie sinnvoll es ist, eine Rennveranstaltung daraus zu machen. Gerade wenn man in Rente ist hat man doch Zeit. Und das Geld hatten sie offensichtlich auch. Da würde ich mir doch sechs Jahre Zeit lassen.

Wir aßen zu abend und als Heike und Didi sich zurückzogen, blieb ich noch eine Weile und vervollständigte meine Berichte. Schon über einen Monat hinkte ich hinterher. Aber in ein paar Tagen würden sich unsere Wege scheiden und dann habe ich wieder Zeit zum tippen. Wie soll es denn überhaupt weitergehen ohne Versorgungslaster. Wieder auf uns allein gestellt. Nichts mehr mit kochen, alkoholfreies Bier trinken und Blödsinn reden...


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© by Markus Besold