< September 2010 > | ||||||
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In der Früh noch ins Internet-Café. Wir wollten versuchen, den Studenten zu erreichen. Der hatte als Halb-Pakistaner sicher gute Verbindungen, oder zumindest aktuelle Informationen für Pakistan. Aber wenn schon die Dozenten nicht mit Mobiltelephonen umgehen können, was soll man dann von ihren Studenten erwarten? Sie meldete, daß der Student gestern sein deutsches Handy in Betrieb gehabt hätte. Ich fragte nicht nach, ob sie von diesem Handy die Nummer hatte. Ich war mir sicher, daß auch hier hätte die Antwort “nein” gelautet hätte. Nun, gut. Fahren wir halt ohne die Informationen weiter. Irgendwann in ein paar Monaten oder Jahren kommt sicher die Bemerkung: “Hättet Ihr halt was gesagt, ich hätte da und dort den und den gekannt, der hätte Euch weiterhelfen können.” Vor 10 Jahren war es noch etwas Besonderes, von Ländern außerhalb Europas SMS zu verschicken, aber heute, wo es fast überall klappt, solche Stunts abzuziehen, das geht mir einfach nicht in den Kopf.
Nochwas, was mir nicht in den Kopf ging: Wir standen am Auto, plötzlich kam ein London-Taxi angefahren. Irgendwas war falsch mit diesem Bild. Es war nicht die knallorange Farbe. “Der hat das Lenkrad auf der richtigen Seite”, sagte Almut. Stimmte. Was sollte das nun? Die deutschen Autos haben hier das Lenkrad rechts, die britischen Autos hingegen haben die Lenkräder links. Dann fuhr noch ein zweites Taxi vor, auch knallorange, auch linksgelenkt.
Marke: LTI
Wir fuhren los. Unterwegs wieder einige Polizeistationen. Die sind im ganzen Land gleich, wie so eine Art Franchise: Rot weiß, mit der Aufschrift “Police”, dem Aussehen eines Autohauses, und drei Fahnen flattern vor dem Gebäude: Die georgische, die der Polizei und die der Europäischen Union. Schon absurd, aber immer noch verständlicher, als wenn Länder wie die Türkei in die EU wollen. Dann muß man das ganze Gebilde in “Eurasische Union” umbenennen. Sehr sinnvoll, wenn man bedenkt, daß im Falle des Beitrittes der Türkei die EU-Außengrenze plötzlich im Mittleren Osten angelangt wäre. “Sie verlassen nun die Europäische Union”, buchstäblich fünfzig Zentimeter weiter “Willkommen in Persien, der Perle des Orients.”. Wie absurd. Rein tektonisch betrachtet ist Georgien im Gegensatz zur Türkei ja tatsächlich noch Europa, kulturell und geschichtlich betrachtet sind die Georgier auch keine Asiaten in dem Sinne.
Wir hatten noch 5 Micky Maus, also umgerechnet etwa 2 €. Davon wollte ich eine Postkarte losschicken, aber nun finde mal einer die Post. Wir hätten genausogut nach dem Weg nach Disney-Land fragen können. Entweder sie wußten es nicht, oder sie schickten uns zu einem Bau, in dem die Post vor Jahren war, aber mittlerweile eben nicht mehr. Es wurde mir zu blöd und wir fuhren los in Richtung Grenze. Beim letzten Kaff vor der Grenze probierten wir es nochmal. Wir fragten nach der Post. “Nach 100 Metern auf der rechten Seite.” Wir fuhren also etwa 100 Meter, dann fragte Almut noch einmal nach. “Nach der Brücke, aber immer noch auf der rechten Seite.” Wir fuhren über die Brücke und fragten dort nochmal. “An der Brücke, Seite stimmt immer noch.” Wir fuhren zurück. Ich mußte einem Trottel in einem alten Lada ausweichen, der in die Straße hineinfuhr, als gäbe es außer ihm keine Autobesitzer. Die Tretmine hatte mich nicht einmal bemerkt, und das Ausweichmanöver war relativ unsanft. Dann standen wir vor einem Gebäude mit türkischer Aufschrift “Aserbai”-Irgendwas. Nochmal aussteigen, nochmal fragen. “Post? Keine Ahnung…” “Haben sie den Leuten hier ins Hirn geschissen, sag mal!” Aber es hatte 40°C, da kann es schon mal passieren, daß es einem das Hirn versengt. Also wieder dahin, wo wir als erstes gefragt hatten. “Der Taxler weiß das bestimmt.” Almut fragte. Er gab zu verstehen, wir sollen ihm hinterherfahren. Er zog in den Verkehr – einfach so. Der Bus hinter ihm konnte wegen Gegenverkehr nicht auf die Gegenfahrbahn, also bremste er unter zornigem Gehupe vehement herunter. Der Taxler gestikulierte wild. Wie die Deppen. Wir fuhren ihm hinterher, bis er seinen Arm aus dem Fenster hielt und auf ein Gebäude zeigte. Wir hielten. “Wahrscheinlich der sozialistische Zweckklotz da.” Almut ging hinein, kam wieder hinaus und ging ins nächste Gebäude. Nach einer Weile kam sie zurück und hatte es geschafft, eine Postkarte abzuschicken. “Prima! Machen wir jetzt mal was Schweres?”, dachte ich mir. Weiter zur Grenze. Wir fuhren zurück zum Kreisel und fragten an der Tanke nach dem Weg nach Shulaveri. Man schickte uns zurück, am Postamt vorbei. Also wieder zurück, am nächsten Kreisel vorbei. Die letzten zwei MickyMaus in Fanta und Cola investiert. Wenige Kilometer später standen wir an der Grenze.
14:30 Uhr, Kilometer 324.950: Ankunft an Grenze Georgien – Armenien. Ich stellte mich hinter einen Lada, der mit offener Haube hinter einem LKW stand. Der Fahrer kam und gab mir zu verstehen, daß ich vorbeifahren soll. Wir waren das einzige Auto. Die Ausreise ging recht schnell. Ich gab die Pässe und die Fahrzeugpapiere ab, dann mußte ich in die Kamera grinsen, Almut auch. Arnie durfte weiterschlafen. Er lag im Kindersitz mit einem nassen Tuch auf dem Kopf und schlief. Die Polizistin inspizierte ihn nur von der Nähe. “You are so sweet”, ging dann wieder, gab uns unsere Papiere und wir waren fertig. Warum können nicht alle Grenzen so easy sein? Da war die Grenze Italien – Griechenland um einiges nerviger. Von mir aus können sie Griechenland rauswerfen und Georgien dafür aufnehmen. Meinen Segen haben sie. Wir stoppten nach der Ausreise noch am Duty-Free-Shop, wo die Stange L&M für 6,40€ zu haben war. Auch hier sind die Preise nicht in Lari oder US$ angegeben, sondern komischerweise in Euro.
Mit schönen Grüßen von der US-Botschaft.
Nun zu den Armeniern. Hier war schon etwas mehr los an der Grenze. Ich stellte mich hinter einem leeren Sattelschlepper an. Da standen wir nun erst mal eine Weile, bis ein Soldat in lustigem Flecktarn ans Auto kam und nach den Visa fragte. Ich antwortete auf Arabisch, daß wir keine hätten. “Ma fiesch visa.” Er sagte also, ich solle an der Schlange entlang bis nach ganz vorne fahren, was ich auch sofort tat. das Auto wurde neben dem Polizeigebäude abgeparkt und wir stiegen aus. Alle drei Pässe wurde abgegeben. Laut Reiseführer kostete ein Transitvisum für 3 Tage 20€, ein Touristenvisum für 21 Tage 30€. Auf Ramadan im Iran hatte Almut soviel Lust wie auf ein saftiges Steak, also beschlossen wir, das 21-Tage-Visum zu nehmen und noch eine Woche in Armenien herumzulungern und erst nach dem 8. in den Iran einzureisen. Dann war Ramadan vorbei. Ich war erst etwas skeptisch, denn was Almut als “langweilig” bezeichnet ist für mich meist doch witzig, und das, was sie als “spannend” bezeichnet führt bei mir gewöhnlich zum sofortigen Einschlafen. Allerdings hatte ich keine Lust, auf Essen zu verzichten, weil vielleicht irgendein Kaftanträger dann beleidigt sein könnte. Mir geht Ramadan genauso am Allerwertesten vorbei wie die Fastenzeit im Christentum, aber hier ist gerade keine Fastenzeit, also hört sich der Vorschlag doch gut an. Es stellte sich bald heraus, daß sich der Reiseführer irrte. Er war ja mittlerweile auch schon zwei Jahre alt. Die Visa kosteten nicht 15.000 Micky Maus pro Person, sondern 6.000 für uns beide. Arnie zählt nicht. Das war mal erfreulich. Ich wechselte das Geld und kam wieder, füllte irgendwelche Formulare aus und schon hatten wir die Visa. Nur noch abstempeln lassen und wir durften weiter. Das war ja einfach. “Frau! Kom!”, sagte ich zu Almut und wir wollten schon weiterfahren. Doch nun kam einer in weißem Uniformhemd daher und wollte in den Kofferraum schauen. Dann fragte er nach dem “Car Passport” – ich vermutete, er meinte den Paß, in dem das Auto eingetragen war. Ich gab ihm meinen Paß. Er verlangte nach wie vor nach dem “Car-Passport, not you passport”. Ich gab ihm also die englischen Fahrzeugpapiere. Nun war er zufrieden, behielt aber meinen Paß dennoch. Er meinte, ich solle parken, also sagte ich zu Almut, sie solle wieder aussteigen. Sieht aus als würde alles doch ein wenig länger dauern. Natürlich. Der Zoll. Ich glaube, bei mir sind die 40°C auch nicht spurlos vorbeigegangen. Wie konnte ich auch nur annehmen, daß Armenien diese Institution abgeschafft hätte? “So eine Blödheit!” Ich ging dem Zöllner hinterher, der gab meine Papiere einem anderen Zöllner, der einem dritten und ich immer dem hinterher, der die Papiere zuletzt hatte. Aber dann stellte ich fest, daß er sie gar nicht hatte, sondern nur einen Stoß fremder Papiere. Ich fragte ihn nach meinem Paß. Er konnte kein Englisch, ich kein Armenisch. “Passport”, sagte ich, und versuchte mit beiden Händen einen Vogel nachzumachen, der gerade wegflog und pfiff dazu. Er zeigte auf das Büro. Dort wiederholte ich mein Theaterstück. Ein Zöllner suchte in verschiedenen Schubladen und zauberte meinen Paß hervor. “Auch kein schlechter Trick. Und? Machen wir was?” Er gab ihn einem anderen Zöllner und das Hütchenspiel begann von neuem. Bis zum vierten Zöllner konnte ich den Paß verfolgen, dann landete er auf einem Schreibtisch, an dem drei Zöllner saßen. Vor dem Tisch eine Traube von etwa fünfzehn Leuten – was aber die Zöllner nicht aus der Ruhe brachte. Die Temperatur betrug etwa 50°C, die Luftfeuchtigkeit war vermutlich dreistellig. Ich wartete. Und wartete. Und wartete noch länger. Nach einer Stunde sagte er mir, daß er mir einen Zettel geben würde, mit dem ich zur Bank gehen sollte und dort eine Ecology-Tax bezahlen sollte. “OK”. Dann bearbeitete er irgendwelche anderen Papiere. Nach einer weiteren halben Stunde gab er mir dann besagten Zettel. Vier Zeilen. Dafür steht man schon mal anderthalb Stunden an.
Ich ging zur Bank und zahlte die Ecology-Tax: 21.500 Micky Maus. Easy come, easy go. Bei den Visa gespart, hier eindeutig draufgezahlt. Als ich mit dem Zettel zurückkam war die Menschentraube immer noch nicht kleiner. Aber einer, der ganz vorne am Tisch stand, kam und sagte mir auf Deutsch, ich solle mich hinter ihm anstellen. Kurz darauf kam ich dran. “You have to pay 1.000 here. OK?” Ich legte ihm einen Tausender hin, etwa 2,30€. Klar, brauchst nur sagen. Wer will sonst noch Geld? Ich bemerkte, daß Almut mit dem Kleinen im Raum stand und sich mit jemandem unterhielt. Der kannte den Typen, der mich nach vorn bestellt hatte. Das hätte ich schon vor einer Stunde machen sollen. Einfach Frau und Kind da hinstellen, das Kind fängt an zu plärren und plötzlich geht alles ganz schnell. Warum bin ich nicht gleich auf die Idee gekommen? Ach, ja, die 40 Grad… Dann ging alles recht zügig: Stempel hier, Stempel da, Unterschrift hier, Unterschrift da, dann hinaus, ein anderer Zöllner untersuchte den Kofferrauminhalt und dann endlich waren wir fertig und konnten los. Noch eine letzte Kontrolle am Ausgang und wir waren frei. Erste Station Alaverdi. Dort gab es – Überraschung – ein Kloster. Wenn wir schon mal da sind… Ich fuhr hin, parkte das Auto, aber da ich mehr an einer großen Grube interessiert war, von der ab und zu ein enormer Lärm herüberwehte, blieb ich am Auto. Almut kam nach einer halben Stunde heraus und redete Deutsch mit einer älteren Frau. Ich stellte fest, daß es bereits 19:00 Uhr war und nicht, wie wir dachten, 18:00 Uhr. Seltsamerweise zeigte das Telephon schon 19:00 an, das GPS sowieso, das stellt sich ja automatisch um. Aber warum die Borduhr eine Stunde nachging? Wir hatten wieder eine Zeitzone überfahren.
Es waren noch zwei Touristen da. Ein Italiener aus Triest, der gut Deutsch sprach und mit einer Australierin verheiratet war. Sie waren fünf Wochen hier mit Mietwagen. Er war Hobby-Photograph und hatte eine recht ansehnliche Kameraausrüstung umhängen – alles analog, versteht sich. Auch sie bestätigten, daß Yerevan wesentlich teurer war als der Rest des Landes. Und es gab auch solche Scherze wie Strom- und Wasserrationierung. Selbst in der Hauptstadt neben dem Bahnhof.
Als wir wieder zurückfuhren, kam mir der Fluß etwas seltsam vor. Ich hielt an und sah ihn mir genauer an. Dann dämmerte es mir, wie Jesus es damals wohl geschafft hatte, über dem Wasser zu laufen. Der ist hart wie Beton. Da schaffe es ja sogar ich, über Wasser zu laufen. So entstehen also Gerüchte. Irgendein Bio-Fritze läuft über einen See aus Erde, die aussieht wie Wasser, und plötzlich ist er der Messias. Wie der Fluß allerdings in der Fließbewegung erstarrt, das bleibt weiterhin ein Rätsel.
Ein sehr seltsamer Fluß unterhalb des Klosters Akhtala.
Wir fuhren irgendwann aber dann doch weiter, um eine Unterkunft zu suchen. Weit kamen wir nicht, da sah ich an der Hauptstraße ein Hotel und fuhr das auch gleich an. 7.000 für die Nacht für beide. 15 €. Das geht. Durch einen Speisesaal von der Größe einer Turnhalle ging es zu den Zimmern . Die hatten zwar keine AirCondition, aber sie waren nicht schlecht. Sogar mit eigenem Eßzimmer und der Tisch glich mehr einer Rittertafel – aus Vollholz und mit gepolsterten Stühlen mit sehr hoher Rückenlehne. Draußen gab es direkt am Fluß eine Terrasse mit Tischen. Die Speisekarte wurde gereicht und das Essen praktisch vor das Zimmer serviert. Sehr gutes Essen für umgerechnet nicht mal fünf Euro. Dazu eiskalte Cola. Und rauchen darf man natürlich auch. Das Bild wurde nur von ein paar Milliarden Insekten getrübt, die durch das Zimmer schwirrten. Seltsame Viecher. Keine Mücken, keine Fliegen, sondern irgendwas wie Motten oder so. Die elektrische Fliegenklatsche fand zwar reiche Beute, aber mit der allein wurde ich der Lage nicht Herr. Es waren einfach zuviele. Ich ging zum Auto und holte das Insektenspray, das vermutlich noch aus Libyen oder Tunesien dort lag. Die Aufschrift war jedenfalls auf Arabisch. Damit leuchtete ich kurz in das Zimmer hinein, und da war es natürlich um die Viecher geschehen. Da rührte sich kein Schwanz mehr. Allerdings hielt ich es da selbst auch nicht lange aus und begab mich auf die Terrasse. Die Wirtin kam dann irgendwann und fragte ob ich Wasser bräuchte. Natürlich nicht. Als ich dann nach einer Weile aufs Zimmer ging, verstand ich, was sie gemeint hatte. Sie meinte nicht Mineralwasser, sondern eben Wasser. das einzige fließende Wasser weit und breit war das im Fluß, genau hinter der Terrasse. Dabei hätte ich das auch gleich checken können – ich war ja schließlich vorgewarnt. Dreck aber auch. Als ich in das Eßzimmer zurückkam, war das schöne Gedeck unter toten Insekten begraben. “Ha! Ausradiert!” – so soll es sein. Nun konnte man hier sitzen bei Licht, ohne ständig von diesen Drecksviechern belästigt zu werden.