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Das böse Erwachen kam. Ich wurde geweckt durch einen Anruf von Almut, die mich fragte, ob ich sie, Didi und Heike bei dem Restaurant am Berg abholen konnte. Dunkel konnte ich mich erinnern, daß ich gefragt wurde, ob ich mitwollte, aber ich hatte es vorgezogen auszuschlafen. Es war früher Nachmittag, also machte ich mich fertig und fuhr los. Das GPS wies den Weg. Auf dem Weg war wieder alles voller Affen.
Ich holte alle ab, aber wir fuhren nicht direkt nach hause, sondern noch am Kohsar Market vorbei, um verschiedene Besorgungen zu erledigen. Ich übernahm Arnie, setzte ihn auf meine Schultern und ließ die anderen machen. Ich hatte noch die Promille vom Vortag im Gesicht und als ich aus dem Laden hinausging, hatte ich schon vergessen, daß ich ja eine Last zu tragen hatte. Kopfeinziehen hatte ich ihm in der kurzen Zeit noch nicht beibringen können und ich bemerkte nur einen kurzen Ruck und dann jede Menge Gebrüll. "Oh!", machte ich, und nahm Arnie herunter, der nun einen roten Streifen quer über der Nase hatte, der durch die Klimaanlage verursacht worden war. "Alter! Mußt auch ein bißchen schauen!", versuchte ich ihm zu erklären. Doch schon zwei Minuten später schien er den Schmerz vergessen zu haben und war wieder damit beschäftigt, meine Mütze in diverse Pfützen zu werfen...
Wir fuhren Heike und Didi heim, dann fuhren wir mit Shafiq - Olafs anderer Gast - los, um Kohle für die für den Abend angesetzte Grillparty zu besorgen. Wir fuhren zum Aabpara Market und fragten uns dort zu einer einheimischen Familie durch, die Kohle verkaufte. Die Familie war, nach der Bekleidung und Behausung zu urteilen bitterarm. Doch sie hatten irgendwie doch an die zehn Kinder. Und alle, die unter einem Meter groß waren, rissen sich darum, mit Arnie zu spielen.
Wir kauften die Kohle, blieben noch eine Weile und gingen dann wieder. Irgendwie scheint die Familienpolitik hier durchdachter zu sein. Zwar werden die Kinder dieser Familie auch nie Ingenieure, aber der Staat muß sie auch nicht das ganze Leben lang durchziehen. Von den Pakistanesen kann Europa scheinbar doch noch was lernen...
Didi kümmerte sich um die Marinade für das Fleisch. Dann trafen die Gäste ein. Es waren viele interessante Leute dabei. Eine Journalistin, Britta, die mittlerweile bei der Heinrich-Knöll-Stiftung arbeitete, die lange in Afghanistan gewohnt hatte, eine andere, die auch lange in Afghanistan war. Mit den beiden unterhielten wir und hauptsächlich. Ich erklärte, daß ich die Absicht hatte, nach Afghanistan zu fahren. "Vor fünf Jahren wäre das kein Problem gewesen, aber wenn Ihr jetzt einfach so drauflosfahrt ist es Selbstmord", sagte sie. Nun, wir hatten nicht vor, einfach so drauf loszufahren. Heike und Didi hatten überhaupt nicht vor, nach Afghanistan zu fahren. Almut war schon im Bett, also blieb nur ich. Sie bot an: "Wenn Ihr nach Afghanistan fahrt, dann müßt Ihr Kontakte haben, die Euch durchreichen, sonst wird das ein Himmelfahrtskommando. Ich kann die Kontakte herstellen. Habt Ihr ein Visum?" Natürlich hatten wir das nicht. Doch das Visum für Afghanistan war nicht das Problem. Das bekommt man ohne weiteres. Aber wir hatten nur ein Single-Entry für Pakistan, was bedeutet, daß wir uns in Afghanistan um ein neues Pakistan-Visum kümmern müßten. Eine ziemlich blöde Situation. Aber ich hatte nun drei Monate Zeit, mir eine elegante Lösung einfallen zu lassen.
Neben Britta war auch noch eine andere Freundin der beiden gekommen - aus München. Auch sie hatte einige Jahre in Afghanistan verbracht und sogar ein Buch darüber geschrieben. Olaf erzählte von seiner Zeit mit der Bundeswehr in Afghanistan. Die ersten Kontingente seien schon in Ordnung gewesen. Doch irgendwann wurde das ganze erst zur Selbstbeschäftigung, dann zur Selbstverwaltung. Damals, beispielsweise, wurde in seinem Bereich ein Handgeld verteilt wurde, damit der Bundeswehrmitarbeiter beim Händler um die Ecke einkaufen kann und nicht nur in seinem gepanzerten Fahrzeug hockt. "Sonst seid Ihr nichts anderes, als ein weiteres Fahrzeug im Stau", so sagte er. Und was diese Schwarz-Rot-Goldene Fahne am Oberarm sei, das müsse man den Leuten erklären. Die sollen wissen, was man hier macht, und was erreicht werden soll. Bis da hin alles gut. Aber dann passiert irgendwo anders irgendwas, eine Bombe, ein paar Tote, irgend sowas, was im Krieg eben üblich ist. Und die Bundeswehr - obwohl nicht selbst davon betroffen - wird sofort in die Kaserne zurückgerufen. "Was ist mit denen passiert, die mit der Bundeswehr kooperiert haben?", fragte Didi. "Die waren dann hinterher meistens tot", erklärte Olaf. Auch hier bedeutet "gut gemeint" nichts anderes als "schlecht gelaufen".
Man schickt keine Soldaten in einen Krieg und erklärt dann die Sicherheit der Soldaten zur obersten Priorität. Das ist so, als würde man ein Rennauto bauen, aber auf der Rennstrecke alles dafür tun, daß kein Verschleiß am Rennauto eintritt. Wäre schlauer, man ließe es in der Garage. Wenn die Priorität die Sicherheit der Bundeswehrmitarbeiter ist, dann wäre es am besten, sie würden einfach in Mittenwald bleiben. Nicht nur, weil ihnen dort nicht viel passiert, sondern mehr deswegen, weil sie dadurch hier keinen Schaden anrichten. Darauf scheinen sie sich spezialisiert zu haben.
Den ersten Schaden nahm der deutsche Ruf, der gerade in diesem Teil der Welt immer ein sehr guter war. Nun kommen diese Karikaturen hier angestolpert, denen man in der Ausbildung nicht einmal gezeigt hat, wie man sich die Stiefel bindet, und machen dieses schöne Bild der Deutschen kaputt. Der deutsche Soldat, wie man ihn sich hier so vorstellt, ist meistens schwarz-weiß, aus dessen Antlitz strahlt Unbeugsamkeit und Entschlossenheit, der Blick ist in die Ferne gerichtet, er hat ein scharf geschnittenes Gesicht aus Erde, auf der mutgeschwellten Brust breitet der Reichsadler stolz seine Schwingen und die ganze Haltung spricht für sich: Es ist ein Jäger, ein Draufgänger. Das Bild ist nicht mehr wirklich Zeitgemäß, besonders nicht dort wo die Gutmenschen wohnen. Und doch ist es ein Bild, das um Welten sympathischer ist, als die Wirklichkeit: Und die kennt jeder, der schon mal diese an Bahnhöfen herumlungernden Gestalten in ihrer bunten Faschingsuniform herumlungern hat sehen. Und selbst die sind noch besser als die Bilder, die man im Fernsehen sieht - die Deutsche Welle scheut sich nicht, diese Bilder in alle Welt hinauszustrahlen. Bilder, die jedem Bürger eines normalen Staates die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. Eine offensichtlich übergewichtige Abiturientin mit kurzen Haaren und Brille in Flecktarnuniform, dazu einen modischen, himmelblauen Schal, sichtlich nervös auf den Zehenspitzen wippend, stottert und krächzt irgendwas ins Mikrophon - von Gehalt keine Spur. Diese verwöhnten Vetteln, die den Hindernisparcour nur schaffen, wenn man ihn in eine Shopping-Mall verlegt, will man ernsthaft in einen Krieg schicken, der von Leuten geführt wird, die von Kindesbeinen an mit der Kalaschnikow in der Hand aufgewachsen sind? Wer hat denen denn in den Kopf geschissen? Man selbst schaut sich das alles kopfschüttelnd an und fragt sich, was wohl im Kopf eines Taliban vorgehen mag, der sich so einen Bericht vielleicht anschaut. Da kann man für die Gören nur hoffen, daß er sich tot oder zumindest kampfunfähig lacht.
Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen, das müßte mittlerweile auch der Dümmste kapiert haben. "Muß eigentlich irgendein Bundeswehrler nach Afghanistan?", fragte ich in die Runde, und ich präzisierte: "Ist es so wie im Krieg, daß man an die Wand gestellt und erschossen wird, wenn man sich weigert?" Es wurde mir erklärt, daß das nicht der Fall sei, aber daß es schnell passieren könne, daß man dann nicht nur aus der Bundeswehr rausfliegt, sondern auch, daß man eine Menge Geld zurückzahlen müsse. Da muß man kein Genie sein, um zu schlußfolgern: "Gut, also wenn ich die Wahl habe zwischen einer Kugel im Leib, oder einem Anschiß und Geld zurückzahlen, dann nehme ich lieber das Letzere - mal ganz abgesehen davon, daß man einfach den Finger heben und das Zahlen an den Staat auslagern kann." Egal, wie man es dreht und wendet, die Bundeswehr ist viel, nur keine Armee. Und der klassische Bundeswehrmitarbeiter ist alles andere als ein Soldat. Er geht nach Afghanistan, weil er damit relativ risikolos gutes Geld verdienen kann, weil es sich gut macht im Lebenslauf. Vielleicht glaubt er sogar den Blödsinn, den ihm die Propaganda eingetrichtert hat von wegen "Freiheit", jenes Wort, das alle Despoten, Päpste und Politiker von jeher im Munde führen. Die ganz Einfältigen haben vielleicht sogar die Vorstellung, daß die "deutsche Freiheit" wirklich am Hindukusch verteidigt werden muß. "Deutsche Freiheit", wer den Begriff erklären will, der muß immerhin soviel Phantasie besitzen, sich einen schwarzen Schimmel vorzustellen, doch ich bezweifle, daß ein Bundeswehrmitarbeiter, der diesen Blödsinn wirklich glaubt, überhaupt sowas wie Phantasie besitzt.
Die Bundesbräuteschule ist nun seit 2001 hier am Hindukusch. Es sind ungefähr 30 Leute gestorben - man scheut sich das Wort "gefallen" zu verwenden - die meisten werden wohl Austreten mit Drauftreten verwechselt haben und haben aus Versehen beim Pinkeln eine Mine entdeckt, oder sie sind mit ihren Stöckelschuhen umgeknickt und einen Abhang hinuntergefallen, jedenfalls kann man davon ausgehen, daß die eigene Tolpatschigkeit mehr Opfer gefordert hat, als die bösen Taliban. Ich glaube, es war Peter Scholl-Latour, der 2008 gesagt hatte: "Hätte man ein siebenjähriges Manöver mit scharfer Munition abgehalten, es wären mehr Leute gestorben." Sieben Jahre, dreißig Tote. "Ist das ein Krieg? Ich bitte Sie, da ist ja bei jedem Nebelunfall auf der A3 mehr los..." Es ist aber trotzdem witzig zu sehen, wie sich der gewöhnliche Bundesbürger heutzutage einen Krieg vorstellt. Hätten diese Kasperle verweigert und wären als ZivildienstleistendInnen in ein Altersheim gegangen, hätten sie garantiert mehr über die Bedeutung des Wortes Krieg erfahren, als in ihren Luxus-Wohncontainern am Hindukusch - soviel ist sicher...
Zwischenfälle wie der Angriff auf die zwei im Schlamm festgefahrenen Tanklastzüge sprechen auch für sich. Zwei festgefahrene Tanklastzüge - wie furchteinflößend! Und schon wird die Bundeswehr damit nicht mehr fertig, versteckt sich unter dem Bett in der Kaserne und wimmert nach Uncle Sammy - wie ein kleines Kind, das Angst im Dunklen hat und unter der Bettdecke nach der Mutter schreit.