< Oktober 2010 > | ||||||
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"Was will man in Afghanistan überhaupt erreichen?" Das scheint keiner zu wissen. Ohne Ziel, ohne Sinn, schickt man da also Leute hin, mit der Aussage, sie sollen dort die "deutsche Freiheit" verteidigen. Nach neun Jahren haben sie sie immer noch nicht gemerkt, daß man nichts verteidigen kann, was nicht existiert. Sie hätten ihnen wenigstens erzählen können, daß sie das sagenhafte Einhorn finden sollen, dann wäre es eine lustige Schnitzeljagd in atemberaubender Landschaft geworden. Olaf meinte, daß er nach dem Afghanistaneinsatz auf dem Markt in Hamburg erst gemerkt hatte, daß er die deutsche Freiheit doch für schützenswert halte. Ich habe diese Aussage so verstanden, daß man also in die beschissensten Ecken der Welt gehen muß, bevor man an Deutschland etwas Gutes findet - das war zumindest meine Interpretation. Inwiefern allerdings die Afghanen - und ausgerechnet die, die sich nicht in Deutschland befinden - diese ohnehin mehr als zweifelhafte Freiheit in Deutschland bedrohen, das hat mir immer noch niemand erklärt.
Die Märchen für die Presse wurden von vornherein übergangen. Diesen Blödsinn von wegen Demokratie, Frauenrechten, Terrorismusbekämpfung glaubt mittlerweile keiner mehr - zumindest nicht hier. Einige behaupten, die Bundesregierung schickt die Bundeswehr deshalb dort hin, damit sie dann einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bekommt. Hat denen keiner gesagt, daß da nur die Großen zutritt haben? Wenn da jede Bananerepublik plötzlich aufgenommen wird, dann können die bald einen neuen Sicherheitsrat aufmachen. Andere meinen, es ginge eigentlich um Pipelines von Rußland hinunter zum indischen Ozean. Was ganz sicher ist, ist daß sich einige Leute dort eine goldene Nase verdienen - sonst wäre der ganze Krieg ja sinnlos. Es ist allerdings sehr schwierig, ihre Namen herauszufinden. Wenn man in das Dickicht von Konzernen, Firmen, Tochterfirmen, Subunternehmer usw. eindringt, dann verliert man schnell die Orientierung. Über das Thema kann man endlos debattieren, aber zu einem Schluß wird man nicht kommen. Es gibt viele gutbezahlte Leute, die das auch nicht hinkriegen. Ich hatte den ganzen Abend nichts getrunken und konnte Britta daher heimfahren. Sie wohnte zur Zeit in einem Guesthouse hier in der Nähe. Und Heike und Didi hatte sie eingeladen, auf dem Weg nach Indien bei ihr in Lahore vorbeizuschauen, wo sie nun eigentlich wohnte.
Gegen Mittag fuhren wir zur Friedrich-Naumann-Stiftung und aßen dort zu Mittag. Diese Stiftung gehört zur FDP, die Heinrich-Knöll-Stiftung zu den Grünen, die Hans-Seidl-Stiftung zur CDU und wie die von der SPD heißt, das weiß ich nicht mehr. Rosa-Luxemburg-Stiftung, glaub ich. Die erste Frage, die sich wohl jeder unbefangene Beobachter stellt ist die danach, was denn diese Parteien davon haben, daß sie ihre Stiftungen nach Pakistan schicken. Denn, daß es hier keine einzige Wählerstimme zu holen gibt, das müßte selbst das dümmste Parteimitglied kapieren. Doch Olaf erklärte den Sinn und Zweck des ganzen so, daß es auch mir plausibel klang. Ich kürze es ab und vereinfache: man will den Pakis Mercedesse und BMW verkaufen, aber dazu muß man sie soweit bringen, daß sie sich solche deutschen Produkte überhaupt leisten können. Schule, Bildung, Menschenrechte, Gesundheitssysteme, Infrastruktur und die vielen anderen schönen Sachen, die dazu notwendig sind, sollen daher auf einen gewissen Stand gebracht werden. Was dazu vor allem erforderlich scheint, sind Idealismus und Optimismus. Olaf hatte von beidem mehr als genug. Zumindest war das meine Einschätzung, denn er arbeitete richtig. Er könnte genausogut für Mittelabfluß sorgen und Mittags dann zum Golfspielen gehen. Wer sieht's denn? Ich bot mich an, ihm beim "Mittelabfluß" behilflich zu sein, aber er meinte, daß die Mittel auch sinnvoll abfließen müssen. Dabei konnte ich ihm natürlich weniger behilflich sein.
Viel Propagandamaterial gab es hier und ich stellte Fragen zu diesem und jenem Thema. Olaf sagte grinsend und augenzwinkernd: "Propaganda machen immer nur die anderen. Bei uns heißt das Aufklärung." Klar, wie konnte ich nur. Der ganze Name von der Stiftung ist "Friedrich-Nauman-Stiftung für die Freiheit" - da schrillen bei mir natürlich alle Alarmglocken. Wenn Deutsche von Freiheit sprechen, dann ist das immer so, als würden Blinde über Farben erzählen. Viele Sachen waren schlüssig und ergaben Sinn, und vieles von dem sollte man meiner Meinung erst einmal in Deutschland durchsetzen, bevor man es in Pakistan versucht, z.B. eine freie Marktwirtschaft, statt diesen Bastard zwischen sozialistischer Planwirtschaft und kapitalistischer Marktwirtschaft, wie man es in Europa nun mal so hat. Auf einem Prospekt las ich, daß der Staat nicht ständig in das Leben seiner Bürger eingreifen soll - wo in Deutschland der Staat allgegenwärtig ist.
Mehr und mehr wurde mir klar, daß es sich zwar um eine deutsche Stiftung handelt, die aber zum Glück nicht den Pakistanern das deutsche Auslaufmodell andrehen will. Alles, was man hier so zu lesen und was man als Antwort auf Fragen bekam entsprach eher dem US-Modell. Aber abgesehen von diesem kleinen versehentlichen Etikettenschwindel kann man die Arbeit der Stiftung durchaus unterstützen. Die amerikanischen NGOs (Non-Governmental Organizations) selbst, die in Pakistan sehr zahlreich vertreten sind, scheinen solche Sachen auch anders anzupacken: Der Erfolg wird bei denen wohl daran gemessen, wieviel Geld abgeflossen ist. Das sind teilweise auch monströse NGOs, die die hier auffahren. So eine kleine deutsche Stiftung kann da schon allein vom Budget nicht mithalten. Mir gefällt es natürlich zu sehen, daß mit den USA verglichen, alles andere relativ schmalspurig daherkommt, allerdings muß man auch zugeben, daß gerade in diesem Fall weniger manchmal mehr ist. Mit den Leuten aktiv zusammenzuarbeiten bringt halt mehr, als ihnen nur das Geld zu geben, denn die geben das Geld sowieso nur für Autos und Schnickschnack aus und der eigentliche Zweck wird oft gänzlich verfehlt.
Vor einiger Zeit war vor der dänischen Botschaft nebenan eine Autobombe hochgegangen. Muß wohl irgendwie mit den Mohammed-Karikaturen zusammenhängen. "Der Islam", so hört man immer wieder - wenn man denn Ohren hat, "produziere rückständige und verarmte Gesellschaften". Ich dachte immer, das Wort "verarmt" bezöge sich ausschließlich auf die materielle Armut, aber je mehr sich solche Geschichten häufen, desto mehr kommt es mir so vor, als überträfe die geistige Armut die materielle bei weitem. Allein schon diesen Schwachsinn auch noch zu glauben zeugt nicht gerade von geistigem Reichtum. Die Pakistaner, die wir bisher getroffen haben, gehörten zur Crème de la Crème, hatten entweder lange in England oder den Staaten studiert und teilweise auch lange dort gewohnt. Es handelt sich dabei um Ausnahmen und diese waren alles andere als ein Spiegelbild der pakistanischen Gesellschaft.
Am späten Nachmittag ging ich durch den Melody-Food-Park, der sich nur wenige hundert Meter vom Haus befand. Auch hier soll mal eine Bombe hochgegangen sein, aber davon sah man nichts mehr. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Gerücht. Ich ging durch und sah mir an, was es hier so zum Essen gab. Überwiegend Chicken, natürlich. Hier Fisch, der allerdings nicht in frage kam, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie weit die nächste Küste weg ist und sowas wie eine "Kühlkette" wohl kaum existieren dürfte. Ich entschied mich für etwas, das so ähnlich aussah wie ein Kabob, wie man ihn aus dem Iran kannte und fuhr heim. "Shit!", stellte ich fest, als ich draußen den Tisch gedeckt hatte, "Brot vergessen!" Also nochmal los und Brot holen. Als ich jedoch zurück gekommen war, lag mein Essen auf dem Boden. Ich weiß schon, warum ich nicht für Katzen bremse... Jedoch legte sich mein Ärger sofort nach dem ersten Bissen. Man kann sagen, es war eh für die Katz'. Soll sie meinetwegen den Rest auch noch fressen - aber ihr war es wohl auch zu scharf gewesen, sonst hätte sie alles aufgegessen. Kulinarisch gesehen war Pakistan auf meiner persönlichen Liste eher in den hinteren Rängen zu finden. Was der gemeine Pakistaner "Essen" nennt ist in aller Regel einfach nur scharf. Vielleicht ist es auch einfach nur ein weiteres Wort, das es in Urdu nicht gibt. Aber man muß ja nichts essen, was einem nicht schmeckt, man kann auch selber kochen. Und wenn man auch dazu keine Lust hat: In Pakistan gibt es wieder McDonald's. God bless America! Abends wurde nochmal gegrillt. Allein schon deshalb, weil man in Europa nicht mehr im Garten gemütlich grillen kann, um diese Jahreszeit.
Als Olaf erzählte, daß die pakistanische Verkehrspolizei von deutschen Bullen ausgebildet wurde, da ergab plötzlich alles einen Sinn und ich stellte laut fest: "Das erklärt alles. Ich habe mich schon gewundert über diese überflüssigen, sinnentleerten und völlig hirnlosen Kontrollen. Wie sollen die Kontrollen auch anders ausfallen, wenn die Bullen heir von überflüssigen, sinnfreien und völlig hirnlosen Idioten trainiert worden sind? Daß ich da nicht von selbst draufgekommen bin..." Eines hatte ich jedenfalls schon gelernt: Zeichen zum Anhalten seitens der Polizei soll man grundsätzlich ignorieren. Und wenn da so ein windiger Idiot neben einer Betonsperre steht, und seine Handgelenke wie so eine Tunte abwinkelt, dann ist das kein Zeichen zum Anhalten, sondern eine Aufforderung, ihn zu ignorieren und weiterzufahren - so sehe ich das zumindest. Wenn ich wirklich anhalten soll, dann werden die sich schon irgendwie bemerkbar machen.