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Pakistan 2010
Dienstag, der 19. Oktober

Die anderen frühstückten im Garten, ich zog es vor, auf das Frühstück zu verzichten, und stattdessen auszuschlafen. Der Fahrer muß ausgeschlafen sein - besonders hier, wo 80% der anderen Autofahrer am Steuer entweder schlafen, oder von Haus aus hirntot sind. Am ganz späten Vormittag fuhren wir alle zusammen nach Taxila. In Islamabad und in Taxila kamen wir in einen Stau, den man hier weniger durch geschicktes Fahren, wie etwa in der Türkei oder in Italien, sondern ausschließlich durch lauten Hupen und Schreien aufzulösen versucht. Wenn einmal einer mitdenkt und Platz läßt, damit der Gegenverkehr abbiegen kann, kommt ganz sicher ein Intelligenzbolzen aus dem Nichts daher und stellt sich in die Lücke. Und da steht er dann. Diese Transferleistung, die Lücke zu lassen, damit der andere wegfahren kann und nicht mehr im Weg ist, die konnte man nur bei ganz wenigen Leuten beobachten. Man kann nur hoffen, daß eine verdunkelte Limousine mit irgendeinem Minister oder Polizei kommt, die den Weg irgendwie Idiotenfrei macht. Meistens hofft man allerdings vergebens. Hier wurde auch der Spruch geboren: "Aaaah! Diss is ro'od, why are you standing on ro'od?" Den kann man hier überall benutzen, weil meistens Leute auf der Straße stehen, die da nichts verloren haben: Polizisten, Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, Hunde, Esel, Pferde, Maultiere, Maulhelden, Kinder, you name it. Und bezeichnenderweise sind ausgerechnet die unbemannten Esel- und Pferdekarren die, die die vernünftigste Fahrweise an den Tag legen. Leider sahen wir davon nicht sehr viele...

In Taxila gibt es irgendwelche buddhistischen Sachen. Aber ich konnte das alles nicht so recht einordnen. Diese Religionen sind sowieso nicht mein Metier. Ich bin auch sehr für Religionsfreiheit: Wenn man sich so umsieht, dann muß man nämlich feststellen, daß die friedlichsten Gegenden meist die sind, die frei von Religion sind.
Wenn die Durchhalteparolen ihren Weg vom Bumper-Sticker zum amtlichen Straßenschild gefunden haben, so ist das meist ein deutlicher Hinweis darauf, daß man sich in einem heißen Kandidat für einen Titel wie "Drecksstaat" oder "Kackland" befindet.

Ansonsten ist keine Religion besser, egal, ob es Jesus-Jünger, Allah-Affen oder Moses-Mongos sind, die ihren Müll predigen, sie sind alle gleichermaßen wertlos und zeigen nur, wie blöd der Mensch eigentlich ist, der sich für so gescheit hält. Am Großteil der Menschheit gehen die Erkenntnisse der brillianten Köpfe spurlos vorbei. Wider besseres Wissen, klammern sie sich an ihre Götzen, mit denen sie versuchen, ihre Welt zu erklären. Aber es ist einfacher, alles mit Gott zu erklären, als sich Wissen anzueignen und versuchen, die Dinge zu ergründen. So ist es überhaupt nicht verwunderlich, daß die Schnittmenge der religiösen Menschen und der dummen Menschen relativ hoch ist. Wobei man nich religiös sein muß, um sich das eine oder andere Stück in diesen Museen anzusehen. Daher blieben wir bis zum späten Nachmittag und sahen uns die Ausgrabungen und die umliegende Gegend an, bevor es zurück zum Haus ging.

Die Briten könnten von ihrer ehemaligen Kolonie tatsächlich noch etwas lernen, wenn sie denn wollten...

Morgen wollten Heike und Didi weiterfahren, also war für heute "das letzte Abendmahl" angesetzt. Nur Heike und ich fuhren zum Melody-Food-Park um etwas kleines zum Essen aufzustellen. Wir hatten wenig Zweifel, daß es "klein" ausfallen würde, aber ebenso wenig Hoffnung, daß es gut sein könnte. Angesichts der Käsespätzle, die für heute Abend geplant waren, war das aber nicht schlimm...

Wir fuhren wieder heim und die anderen bereiteten das Abendessen vor. Ich nahm derweil Arnie in die Obhut. Dem Bub muß man ja was beibringen - nicht, daß er mit 12 zu blöd ist, einen Laptop aufzuklappen. Mann! Ich hab in dem Alter englische Spiele ins Deutsche übersetzt und hab es mit 36 immer noch zu nichts gebracht! "Geh!", sag ich zu ihm, und stell ihn auf den Boden. Er fällt hin. "Typ, Du bist noch blöder als Dein vater, und das will was heißen! Steh auf!", sag ich. Nichts. Er bleibt einfach auf dem Boden und macht keine Anstalten sich zu bewegen. Sitzt da und lacht mich aus. "Jetzt steh halt auf, Du Depp!", sag ich. "Haha!", kommt zurück. "Na, dann nicht. Dann bleibst halt blöd!" Wenn man aber wegläuft, dann geht das Geplärr los. Womit hab ich das verdient? Also, Kind aufheben, in die Küche gehen und blöde Sprüche klopfen... "Wie schaut's aus? Ist das Essen schon fertig?" Mehr als "Magst auch was dazu beitragen, daß es noch schneller geht?" kam aber nicht. "Nein, ich muß auf das Kind da aufpassen" kam mir über die Lippen geschossen. "Obwohl", verbesserte ich, "mag mir jemand das Teil hier abnehmen? Ich glaub kochen kann ich besser als Baby-Sitzen". Irgendwer nahm mir das Kind tatsächlich ab und ich verlegte mich darauf in der Küche recht hilfreich im Weg zu stehen.

Veronica Picmanova, die Autorin der Photoreportage: Afghanistan Leben & Sehen: Ungewöhnliche Bilder des Alltags, Widersprüche und Kontraste, die auch gestern zugegen war, gehört auch zu den geladenen Gästen, denn auch heute war ein gemütliches Zusammenkommen bei Olaf angesagt. So ein Job könnte mir auf Dauer auch gefallen - zumindest, wenn er nur aus dem besteht, was ich bisher so sah. Schönes Haus mit Bedienstetem, jeden Tag Party, gutes Gehalt, und zwar steuerfrei und vom Steuerzahler finanziert - ganz in meinem Sinne. Aber: Abitur ist da unabdingbare Voraussetzung. Doch, moment... Wer braucht schon Abitur, wenn man den Doktor auf dem Standesamt gemacht hat? So könnte doch meine liebe Frau Gemahlin den Part übernehmen. Sprich, sie bewirbt sich auf so eine Stelle, ich koordiniere die Bedienstetinnen und um die Partys, und sorge für den Mittelabfluß, und sie kann dann ihrer "Arbeit" nachgehen - was auch immer die Großköpfigen darunter verstehen. Ich nenne die Arbeit der meisten Beamten und beamtenähnlich Beschäftigten gerne "entgeltliche Papierverunreinigung", weil man doch in den meisten Fällen davorsteht und sich fragt, was der da macht, und wozu wir das brauchen?" Ich behaupte mal, mindestens die Hälfte von denen könnte man bei vollem Gehalt heimschicken. Aber das ist nur meine Meinung, vielleicht ist mir das alles auch einfach nur zu hoch - aber ich werde dem Boss diesen Vorschlag bei Gelegenheit mal unterbreiten. Ich finde, er hört sich durchdacht an...

Wie dem auch sei: Es war wieder ein sehr netter und informativer Abend. Veronica hatte einiges zu erzählen über Afghanistan. War ja lange genug dagewesen. Das Gespräch blieb mit Fokus auf Afghanistan/Pakistan, in einschlägigen Kreisen "AfPak" genannt. Ich verstand mittlerweile immer besser, warum Almut immer sagte, daß man lieber auf Pakistan achten solle, statt auf Afghanistan, da das nur ein Nebenkriegsschauplatz sei. Auf den ersten Blick hört sich das wie Unsinn an, da ja tatsächlich der Krieg in Afghanistan stattfindet, und nicht in Pakistan. Wobei, es hier auch ganz schön hergeht, und für die Propaganda wäre es sicherlich kein Ding, ab morgen sofort Pakistan als Kriegsschauplatz hinzustellen, und über Afghanistan überhaupt nicht mehr zu berichten, so daß automatisch für den Rest der Welt es so aussähe, als ob nun in Afghanistan tiefster Frieden herrschen würde. Daß auch hier hauptsächlich mit Propaganda und Desinformation gearbeitet wird, das ist klar, und ein sicheres Anzeichen dafür sind Reporter und Journalisten. Je höher ihre Konzentration an einem Ort, desto unverschämter wird am entsprechenden Ort gelogen. Nicht, weil die Journalisten an sich Lügner sind, sondern weil sie für große Konzerne arbeiten, und sich an die Richtlinien ihres Brötchengebers zu halten haben. Wes Brot ich eß', des Lied ich sing. So einfach ist das. Was sich hier wirklich abspielt, besonders hinter den Kulissen, das steht in keiner Zeitung. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das überhaupt wissen will.

Tatsächlich ist die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan lediglich eine Linie in den für uns gültigen Landkarten. In dem Gebiet leben Paschtunen und das, was uns als "ungoverned areas", also nichtregierte Gebiete, verkauft wird, sind in Wirklichkeit alles andere als nichtregiert. Dort herrschen eben die einzelnen Stämme - schon seit Jahrhunderten. Und wenn die diese Phantasiegrenze nicht anerkennen, dann können sich die, die sie gemalt haben, sich selbst und das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf den Kopf stellen - die Paschtunen scheint das nicht zu interessieren. Die haben noch jeden verjagt. Auf Dauer blieb keiner. Man braucht nicht extra bis nach Pakistan fahren, um sich der ganzen Verlogenheit der "Berichterstattung" der sogenannten "Qualitätsmedien" gewahr zu werden. Nur Idioten glauben das, was in Zeitungen steht. Wer dazu in der Lage ist, die Dinge auch nur zu hinterfragen, der kommt sehr schnell darauf, daß alles nur Lügen, Zerstreuung und Ablenkung ist, was die offiziellen Medien berichtet wird. Wie bei allem, so auch da: Will ich wissen, die es wirklich läuft, darf ich nicht erwarten, daß man mir die Erkenntnisse frei Haus liefert, sondern ich muß dem entweder selbst nachgehen, oder das schlucken, was mir andere vorgekauft haben. Das Märchen von der freien Presse stellt sich dann als ähnliches Phantasiegebilde heraus, wie die "deutsche Autobahn ohne Geschwindigkeitsbeschränkung": In der Theorie stimmt das zwar, aber in der Praxis sieht die Sache oft gegenteilig aus. Wenn man nämlich die Kette verfolgt - und dazu muß man lediglich das Impressum lesen, also das Kleingedruckte - dann kommt man sehr schnell drauf, daß alle Zeitungen, bei aller echten oder gespielten Konkurrenz, doch nur zu ein paar Konzernen gehören, die alle die selben Interessen verfolgen. Da kommt es nicht vor, daß ein Journalist das schreibt, was er für richtig hält. Das macht er ein Mal, und danach kann er sich auf dem Bau als Hilfsarbeiter melden, weil er dann nämlich verschissen hat.


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© by Markus Besold