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Pakistan 2010
Montag, der 11. Oktober

Wir standen so nach und nach auf. Dieses lästige Zeltzusammenpacken jeden Morgen nervte. Ich hasse es, wenn der Tag mir Arbeit anfängt. das zerstört die ganze Gemütlichkeit. Und dann auch noch dieses Billigzelt Marke Manhattan... Als ich den Hering aus dem Boden ziehen wollte und zu faul war, das Werzeug zu bemühen kam mir der geniale Einfall, einfach am Zelt selbst zu rupfen, das würde den Hering schon aus dem Boden ziehen. So hatte ich mir das jedenfalls gedacht, aber die Physik nicht mit einkalkuliert., denn die Folge war, daß nun die Öse am Zelt abgebrochen war, der Hering aber immer noch genauso fest in der harten Erde stak wie zuvor. Nun mußte ich doch das Werkzeug bemühen und hatte als dreingabe noch ein kaputtes Zelt...

"Wie schaut's aus mit weiterfahrt?", fragte ich Didi. Doch der meinte, daß er selbst nicht genau weiß, was geht. "Hast es gehört, das Geballere in der Nacht?", fragte er. "Ja, bestimmt eine Hochzeit..." "Nach Hochzeit hat sich das nicht angehört", meinte Didi. Wir machten uns nicht die Mühe, zu erkunden, was da losgewesen war. Manche Wahrheiten will man einfach nicht ergründen. Die Franzosen hatten schon längst Aufstellung genommen und warteten aufgeregt darauf, daß es endlich weiterging. Doch es ging nicht weiter. Ich packte den Laptop aus, stellte ihn auf den Laptop-Koffer und diesen auf die Haube. Dann fuhr ich den Rechner hoch und übertrug die Bilder von der Kamera und die Tracks vom GPS. Irgendwann bemerkte ich, daß ungefähr hundert Leute dabei genauestens beobachteten.

Ein Auto, ein LapTop, ein Depp: Die Attraktion in Loralay...

Ich sah zu, nur das nötigste zu erledigen und den Rechner dann wieder wegzupacken. Ruhig arbeiten kann man so eh nicht, wenn ständig eine fremde Hand zwischen Auge und Bildschirm herumfuhrwerkt. Da hätte Microsoft mal was zu tun, nämlich hierfür einen Pop-Up-Blocker zu erfinden. Aber abgesehen von solchen Kleinigkeiten fühlte ich mich hier nicht besonders unwohl. Das sind keine Afrikaner, die sich benehmen wie Affen un überall herumturnen. Die meisten von ihnen hielten einen gewissen Abstand und wenn sie etwas sagten, konnte man zumindest ein Bemühen um eine gewisse Sensibilität feststellen.

Ich packte anschließend den Rechner weg, meine Kamera aus und zog los. Es gibt Talente, die schießen genau in solchen Situationen Bilder, die sie hinterher für teures Geld an Bilderbuchverleger verkaufen. Da mir hierfür sowohl jegliches Talent als auch die nötige Hardware fehlten, setzte ich wie immer auf Masse. Einfach drauf losschießen, das eine oder andere gute Bild mag vielleicht gelingen. Die spätere Auswertung ergab, daß ich mit meiner Annahme falsch lag - oder auch richtig, aber die Masse einfach zu gering war.

Um 10:00 Uhr ging es tatsächlich un wahrhaftig los. Mir war es egal, denn ich hatte es nicht eilig. Wir hatten mindestens drei Monate Zeit. Aber hier herumzuhängen hatte auch wenig Sinn, also fuhren wir einfach mit den anderen mit. Wir quälten uns im Konvoi durch die Ortschaft

Der Konvoi: Rechts im Bild die Franzzosen, die die Spitze bildeten, ganz hinten die Deutschen, Didi bildete sinnvollerweise das Schlußlicht.

In einem Konvoi ist es immer gut, wenn man nicht ganz vorne ist. Nicht, daß hier militärische Überlegungen angbracht wären, denn das hier war für uns nur ein großer Spaß. Etwas, das sich nicht vermeiden läßt, wenn man mit dem Auto hier herfährt, und etwas, das man auch gar nicht vermeiden will - sonst kann man ja fliegen. Vielleicht wissen die Franzosen noch nichts davon. Aber dennoch: Will man einen Konvoi zum Stehen bringen, zerstört man erst die Fahrzeuge, die voranfahren, dann die hintersten. Am besten ist man in der Mitte aufgehoben. Wir waren ganz hinten, aber bei einem Konvoi mit sieben Fahrzeugen war das egal.

Im Konvoi durch Loralay.

Wir fuhren, wie wir bald bemerkten, nicht in Richtung Osten, sondern nach Norden. Aber eigentlich wollten wir nach Osten. Vielleicht hatte der Polizist in Quetta sich vertan und meinte "die südliche Strecke" sei gesperrt, oder vielleicht meinte er, man müsse auf der südlichen Strecke bis Loralay und dann auf die nördliche wechseln. Wer weiß. Solange es nicht zurück nach Quetta ging, hielten wir alle still und fuhren brav dem Polizeifahrzeug hinterher. Almut bemerkte, daß wir wohl so führen, als würden wir durch Waziristan fahren. Sie hätte genausogut irgenein anderes Teil nennen können, denn es sagte mir nichts. Doch in diesem Fall herrscht auf Nachfrage kein Aufklärungsmangel. Sie erklärte es mir viel genauer, als ich es wissen wollte / verarbeiten konnte und ich gebe das wieder mit einem Satz, den man im Wikipedia zum Thema findet: "Im Oktober 2009 begann die pakistanische Armee nach mehreren terroristisch motivierten Anschlägen in Pakistan, eine Großoffensive gegen die Taliban sowohl in Süd- als auch Nordwaziristan. Diese Militäroffensive mit mindestens 28.000 pakistanischen Soldaten sowie Artillerie- und Luftunterstützung war bereits im Juni 2009 angekündigt worden." Zugegeben, an diesem Satz muß noch gearbeitet werden. Es soll wohl heißen, daß da ernsthaft geballert wurde - nichts für Bundeswehrbräute auf jeden Fall. "Cool!", dachte ich, "Vielleicht gibt's da kaputte Panzer und der Arnie und ich können damit spielen..."

Aber wir fuhren gar nicht lange. Gerade hatten wir die Ortschaft hinter uns gelassen, da hieß es auch schon wieder Halten. Ich stieg auch um zu erkunden, was der Grund für die Verzögerung war. Ganz vorne, am Ende des Konvois war eine Kreuzung zwischen Teich und Schwimmbad. Da wuschen sich einige Leute. Ich ging also zum Auto zurück, nahm die flüssige Seife, die ich im ITTIC in Esfahan erbeutet hatte, träufelte mir eine angemessene Menge auf die Hand und tat es den anderen gleich. Dann ging ich wieder zum Auto und wartete gespannt darauf, daß es weiterging. Vielleicht nicht ganz so gespannt, denn es versprach nicht besonders spannend zu werden. Die zerschossenen Panzer existierten nur in meiner Phantasie - dessen war ich mir bewußt. Aber so manche kindische Hoffnung hat auch oft den Effekt, daß sie die Zeit beschleunigt, die beim Warten oft länger erscheint als sonst.

Waschpause - auch was Neues...

Dann ging es sang- und klanglos weiter, durch das ach so wilde Belutschistan. Was auffiel, waren diese Wasserkühler und Wachtürme, die im Iran immer ein Augenfang waren, hier aber komplett fehlten. Ab und zu passierten wir einen Polizeiposten, das war's aber auch schon. Die Landschaft war wie immer, aber es war mehr das Hörspiel, das gerade lief, was mich vom Einschlafen abhielt. Einmal konnte ich nur durch eine Vollbremsung eine Kollision mit dem Landrover des Franzosenschädels vor mir verhindern. "Alter! Was bleibt der Froschfresser stehen? Da ist soviel Platz, da kann man noch ein Schloß mit hunder Zimmern hinbauen! Depp!" Er war stehengeblieben, weil ihm ein Laster entgegenkam - oh, wie furchterregend! Aber danach war ich wieder wach. Das passiert mit kein zweites Mal.

Dennoch war die Eintönigkeit der Fahrt so groß, daß ich einmal erst einen Umgekippten Laster als solchen erkannt hatte, als ich an ihm vorbeigefahren war. "Scheiß! Ich hab gedacht, das was ein Check-Point!", sagte ich zu Almut. Der Laster war umgekippt und die Besatzung hatte die Ladung - wohl Weizensäcke - säuberlich hinter der Unfallstelle gestapelt. Die sahen aus wie die Sandsäcke, die manche Polizeiposten hier haben. Erst der grüne Defender im Rückspiegel ließ mich genauer hinsehen...

Die wollten Wasser, konnten sich aber nicht richtig artikulieren...

Doch sie bekamen ihr Wasser. Uns blieb die verlegenheit erspart, unser schäbiges, lauwarmes Leitungswasser hergeben zu müssen. Die Franzosen reichten ihnen eisgekühltes Wasser, das sie dankbar annahmen. Dann begaben sie sich wieder zurück in ihren "Hock"-Posten vor den "Weizsäcken"...

An einer Stelle hatte und die bescheidene Leistung des 200D einen Abstand von mehreren Kilometern vom Konvoi eingbrockt. Ich versuchte aufzuholen. Hinterher sollte sich herausstellen, daß der alte 200D uns wohl ein Botschaft mitteilen wollte: Abseilen und weiterfahren. Das taten wir dank mir aber nicht. Da haben wir es wieder: Denken ist für die Studierten. Ich war heilfroh, als ich an einer Kreuzung die anderen eingeholt hatte. Die hatten da gehalten um zu tanken. Wir mußten nicht tanken, aber ich tat es dennoch - statt einfach so zu tun, als hätte ich nichts gesehen und weiterzufahren. Nein, der Besold bleibt stehen... Es fehlte sowohl das Polizeifahrzeug, als auch das ein oder andere Franzosengefährt. Wir zogen es dummerweise vor, darauf zu warten, daß der Konvoi wieder vollständig war, übersahen dabei die Tatsache, daß wir gar kein Konvoi waren. Wir reisen eigentlich separat von den Franzosen. Doch irgendwas hinderte uns und "Heidi", wie das Gespann Heike & Didi kurz genannt wurde, daran, weiterzufahren. Stattdessen besichtigten wir diese Raststätte, besuchten das Restaurant, um zu sehen, was auf dem Menü stand, tankten und sahen uns einen dieser Circus-Laster von der Nähe an.

Erinnert stark an dieses Puff, das ich in Mexiko mal besucht hatte...

Aber nicht unoriginell, muß man sagen. Labine aus Holz, innen alles sehr kunstvolle mit Sofa und Samt ausgestattet. Sogar ein Deckenventilator hingunter dem Fahrzeugdach. So ziehen diese verwegenen Lasterfahrer hier im Schneckentempo durch die Gegend. Man traut sich gar nicht zu fragen, was er im Monat verdient. Fahrteschreiber, Arbeitsstunden, gesetzliche Regelungen, alles Fehlanzeige. Es wird gefahren, bis man im Graben liegt. Hut ab vor diesen Typen.

Als wir ernsthaft darüber nachdachten, doch einfach weiterzufahren, kam der weiße Landrover der Franzosen angefahren, und fragte nach jemandem der Englisch konnte. "Bleibts Ihr hier, ich mach das", sagte ich zu den anderen, und fuhr dem Franzosen hinterher. Wir passierten einen Posten, der und ungehindert passieren ließ und fuhren auf einen Hof. Dieses Kaff hieß Killa Sayfulla, und was wir hier sollten, wußte niemand. Ich sollte einfach nur übersetzen, weil der Franzose, seiner Natur entsprechend, kein Englisch konnte. Er geleitete mich hinein zum stellvertretenden Ortskommandanten. Das war ein Typ, viel jünger als der Franzose, nicht viel älter als ich. Und der offenbarte mir, daß wir ein Problem hätten. Wir hätten keine NOC, daher dürften wir nicht weiter. Wir müßten nach Quetta zurück und sie dort beantragen. Ich überlegte erst, wie zu verfahren sei. Ihm gleich blöd kommen? Mir konnte es egal sein, aber Heike und Didi waren sicher daran interessiert, daß es möglichst bald irgendwie weiterging. Und "How to Win Friends and Influence People" von Carnegy, das ich irgendwo heruntergeladen hatte, eigentlich um mein Englisch zu verbessern, war ja nun einige Male an Bord abgespult worden. "Give it a try", dachte ich, und tat so, als wäre ich gar nicht hier, um uns zu helfen, sondern ihm. Und ich legte los. Nicht wir hätten ein Problem, sondern er. Und es täte mir sehr leid, daß er sich jetzt mit uns dämlichen Touristen herumschlagen müsse, obwohl er in seiner hohen Position sicherlich Besseres zu tun hätte und ich wollte ihm dabei helfen, sein Problem möglichst schnell zu beseitigen. Er erklärte, daß vor einigen wochen ein paar Briten dagewesen wären, die eine Ausnahmegenehmigung zwar bekommen hätten, aber die Leute in Quetta hatten keine Lust, das ständig zu tun, denn es sei nicht ihre Aufgabe. "Schon klar", sagte ich, "das ist eine saublöde Situation für uns alle. Aber jetzt sind wir nun einmal hier und nach Quetta zurück führt kein weg. Das Problem verursachen nicht wir, das Problem verursachen auch nicht die Leute in Quetta. Aber es ist ein Problem, und es ist ein Problem, daß Sie ständig ausbaden müssen. Sehen Sie: Jeder einzelne Tourist, der in Taftan einreist, der braucht - egal, wohin er fährt - eine NOC. Warum informiert man ihn darüber nicht bei der Einreise, oder spätestens in Quetta? Es wäre doch einfach, ein Plakat an der Grenze aufzuhängen. Dann bliebe allen der Ärger erspart." Carnegy hin oder her, ich hatte alle Argumente auf unserer Seite - also auf seiner und unserer. HInzu fügte ich noch, daß es ein Unsinn sei, Touristen noch länger hier festzuhalten, wo es doch so ein gefährliches Gebiet sei. Wenn wir extra nah Quetta zurückfuhren, war das ein unnötig langer Aufenthalt. Wenn man uns hier schon nicht haben will solle man doch zusehen, daß man uns hier möglichst schnell hinausbefördert, alles andere ist ja unsinnig. Es sei kein Problem, sondern eine Formalität. "Warum existiert diese Formalität?", fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte. Es seien einige Sachen in der Vergangenheit vorgefallen, und daher sei der Gesetzgeber bestrebt, Touristen möglichst schnell durch diese Gebiete zu schleusen. Daher habe er diese Formalität eingeführt. "Nun, gut", entgegnete ich, "also ist der eigentliche Sinn der Sache, Touristen hier nicht länger als unbedingt nötig zu dulden. Wenn wir aber nun nach Quetta zurückfahren - und das werden wir nur tun, wenn jemand für die Kosten aufkommt - dann ist ja schon der eigentliche Sinn des Ganzen in Frage gestellt, richtig? Wir leben im Jahre 2010, da gibt es Telephon, Fax und Internet. Das ist also nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist, daß noch mehr Touristen im Anmarsch sind, wer weiß, wieviele? Diejenigen, die ich persönlich kenne, die werde ich explizit darauf hinweisen, daß sie sich in Quetta eine NOC besorgen, aber ich kenne nun mal nicht alle Touristen. Vielleicht stehen morgen wieder x Touristen da mit dem selben Problem. Wir sollten es irgendwie bewerkstelligen, daß diese vorab informiert werden und nicht hier Ihre Zeit verschwenden, denn offensichtlich hat diese Region außer Touristen noch ein paar weitere Probleme..." Er meinte, er würde die zuständige Stelle kontaktieren, und zusehen, daß ihm eine NOC per Fax zugesandt werde. Dazu bräuchte er alle Pässe aller beteiligten. Das sei kein Problem. Ich fuhr los, um die Pässe von Didi und Heike zu holen. Natürlich kontrollierte mich nun auf dem Rückweg der Posten. Einigermaßen genervt fuhr ich die Deppen an, daß ich wohl schon etwas angestellt hätte, wenn ich wollte, denn vor noch einer Stunde hatten sie mich einfach durchgewinkt. Sie ließen mich weiterfahren. Angekommen, machte ich mich daran, ein Formular zu erstellen (!) und es auszufüllen. Ich füllte alles au, was in meinem Gedächtnis war, also alle relevanten Daten von mir, Almut, Arnie, Didi und Heike, dann reichte ich das Formular weiter an die Franzosen - soweit es mein Französisch hergab, hatte ich es in Englisch und Französisch erstellt.

Der Kommandant meinte, er warte auf eine Antwort. Ich ging hinaus und setzte mich zu einigen Pashtunen, die da recht bärtig vor der Tür saßen. Sie boten mir einen Platz in ihrer Mitte an. Ich bot ihnen im Gegenzug Cigarretten an, die sie dankend annahmen. "Muslim?", fragte einer und zeigte auf meinen Bart. "No. Tourist", sagte ich, ohne den Blick von der Rauchschwade zu lassen, die ich gerade in die warme Nachmittagsluft geblasen hatte. "American?", fragte ein anderer. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, an dieser Stelle einfach mit "Yes" antworten zu können. Aber bevor ich nun ausholte und ihm erklärte, daß ich eigentlich mit meinem Herzen schon längst Amerikaner bin, aber mein Paß anderer Meinung sei, sagte ich einfach "German" und wartete auf das "Germany! Very good! Germany! Heil Hitler!", doch diesmal kam nur das "Heil Hitler" alleine und ich mußte grinsen. "Heil Hitlär!", erwiderte ich und schon war die Stimmung aufgelockert und alle waren plötzlich sehr Mitteilungsbedürftig, einer gab mir einen Klaps auf die Schulter, daß ich beinahe meine Cigarrette verlor. Allein ihr Englisch und mein Pashtu reichte nicht aus, um ein vernünftiges Gespräch anzufangen. Alles, was ich schaffte, war ein auswenidggelerntes und falsch wiedergegebenes paschtunisches Sprichwort, das übersetzt soviel heißt wie: "Wenn Du nicht die Waffe liebst, so nenne Dich nicht ein Mann." Das sorgte für noch mehr Begeisterung und einige davon versuchten, die fehlerhaften Stellen auszubessern. Aber sie waren nicht besonders erfolgreich, weil ich zu dieser Sprache absolut keinen Bezug habe und nichts assoziieren kann.

Auf dem Flur im Innenhof saßen einige Franzosen, die sich über den unnötigen Aufenthalt ärgerten. Ich ging vorbei und meinte: "C'est l'Afrique!" und sie erwiderten: "Nein! das ist schlimmer als Afrika!" Ich lächelter, zuckte mit den Schultern und führte es darauf zurück, daß der Unterschied darin bestand, daß sie in Afrika die Sprache konnten und hier nicht. Mittlerweile stellt es sich als ein großer Vorteil heraus, daß unsere deutschen Vorväter zu blöd waren, Kolonien zu erobern. Die deutsche Sprache wurde dadurch nicht beeinträchtigt, es kommt nicht jeder Neger angelaufen und wedelt mit dem deutschen Paß und - das wichtigste - wir sind dazu gezwungen, andere Sprachen zu lernen. Natürlich haben es die Holländer noch geschickter angestellt was die Sprachen angeht, aber dafür haben sie die Nachteile noch deutlicher auf ihren Straßen. Die echten Deppen in dem ganzen Geschäft bleiben wohl die Skandinavier...

Der Franzose, dem ich vorhin beinahe hinten draufgerauscht war, saß vor dem Gebäude im Außenhof auf der Pritsche seines Ländis und aß zu Mittag. Ich sah einen geplatzten Reifen auf seinem Dach. Und dann die aufgeschrammte rechte Seite seines Wagens einschließlich provisorischen Rückspiegels. "Que pasó?", fragte ich. In der Türkei auf der Autobahn sei ihm ein Reifen explodiert und das ganze Gefährt daraufhin erst ins Schleudern, dann ins Wanken gekommen, dann sei es umgekippt. Irgendwie hätten sie das Auto wieder auf die Räder bekommen und er sei weitergefahren. Das kann einem 200D nicht passieren. Nicht nur wegen des viel niedrigeren Schwerpunktes, sondern weil die Geschwindigkeiten, die für so einen Stunt notwendig sind, auch bergab mit Rückenwind nie erreicht werden...

Ich fuhr los und holte die anderen, danach gingen wir in die Ortschaft, um während der Wartezeit einige Einkäufe zu erledigen, für die wir sonst irgendwo anhalten hätten müssen. Ich zog mit Almut, Heike und Didi zu Fuß los. Bis zum ersten Geschäft ging es gut. Wir kauften dies und jenes, der Ladenbesitzer lud uns alle auf eine Cola ein, nur weil wir fremde waren. "Keine große Sache", mag man sich denken, aber das wäre ungefähr so, als würde ein deutscher Wirt irgendwelche Leute zu einem Saufgelage einladen, nur weil sie sein Land besuchen. In Deutschland würde man da als Fremder wohl eher verdursten. Wir bedankten uns so gut wir konnten, denn Geld wollte er keines, und zogen weiter. Die Menschenansammlung um uns herum wurde immer größer. Die Kinder zupften immer an Arnie herum, der gar nicht begeistert schien. So nahm ich ihn auf meine Schultern und entzog ihn damit den Kindern. Nun sah er von oben auf sie herab und quietschte vergnügt. Wir ließen uns durch die Menge nicht beirren und gingen weiter. Einer, der gut Englisch konnte, arbeitete sich an uns heran. Ob er uns etwas helfen könne. "Wir suchen einen Laden, der Eier verkauft", sagte ich, nachdem ich mich erkundigt hatte, was wir eigentlich überhaupt wollten. Er lotste uns zum Laden eines Verwandten und bat uns, dort zu warten. Er würde die Eier besorgen. "Wieviele?", fragte er noch. "Sechs", sagte irgendeiner von uns. Nun standen wir im Laden. Die Menge draußen wurde immer größer.

Davon darf man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Nun waren wir im Laden und der Ausgang war versperrt. Draußen waren ungelogen mindestens zweihundert Leute. Die hintersten wußten vielleicht gar nicht, was es da gab, aber sie wußten, daß es da was gab. Und sie wurden immer mehr. Ich nahm ein Bild und ging dann hinaus. Dabei hielt ich die Arme offen, als wollte ich sagen "Ein bißchen Luft zum Atmen durchlassen, bitte". Ich stellte mich vor die Tür und achtete auf Schreier. Eigentlich schrien sie alle irgendwie, aber die Gruppendynamik ist etwas, was man nicht unterschätzen sollte. Wäre da ein Schreier, dann hilft nichts anderes. Man muß direkt durch die Menge zu ihm durch und ihm einfach nur ruhig in die Augen schauen, wie einem bellenden Köter. Dann hat man eine Chance. Haut man ihm auf die Fresse, ist man tot, macht man auf Opfer, ist das Resultat ähnlich. Wir hatten uns ohne Polizeischutz davongestohlen, und nun wußten wir, wozu der Polizeischutz da war. Ein alter Mann mit einer Kalaschnikow kann wohl keinen Al-Qaedaner beeindrucken, denn die sind auch bewaffnet und dazu noch trainiert. Aber die einfachen Leute, die kann er den Touris vom Leib halten. Doch schreier gab es hier keine. Ein alter Mann kam zu mir und sagte etwas auf einer Sprache, die ich für Arabisch hielt. Ich antwortete, ebenfalls auf Arabisch: "Ich bezeuge: Es gibt keine Gottheit außer Gott und Mohammed ist sein Prophet." Er nickte anerkennend, lacht, und verbesserte mich. Ich stellte mich besonders blöd an und sprach ihm nach. Aber er war sichtlich zufrieden, hielt mich für einen Möchte-Gern-Islam und wandte sich den anderen zu. Derweil kam der andere Typ mit einer Tüte Eier an. Er verscheuchte die Menge sogut es ging, gab einem von uns die Tüte, wollte kein Geld und machte uns den Weg zur Polizeistation frei. Die Meute sammelte sich wieder und folgte uns. Sie waren nicht bösartig, wie damals in Urfa, und sie nahm ständig ab, je näher wir an die Polizeistation kamen. Die letzten kehrten um, als wir das Gelände betraten. Das war wohl eine No-Go-Area für sie. "Ja, he! Ja, he! Was machen nachher die?", sagte ich blödelnd und zeigte auf die nicht mehr vorhandenen Autos der Franzosen. Nur noch die deutschen bzw. englischen Fahrzeuge standen da, sprich der G und der Blaue. Wir gingen hinein. Ich fragte, ob schon eine Antwort da sei. Nein. "Und wo sind die Franzosen?" "Die haben es sich im Hinterhof bequemgemacht." Wir sahen nach und taten es ihnen gleich. Ich ging davon aus, daß der Marschbefehl nicht mehr heute eintreffen würde. Die Franzosen, die zu Leben verstehen, hatten sich bereits für die Nacht eingerichtet.

Während unseres "Einkaufs" hatten sich die Franzosen auf dem Hof installiert.

Ich baute das Zelt auf, wobei Heike und Didi immer daruf bedacht waren, daß wir gut geschützt waren. Sie stellten also ihr "Monster" da hin, wo es uns am besten erschien. Alls was sie brauchten, war ein kleines Stück Gelände, das gerade war und die einzige Unannehmlichkeit bestand darin, daß die Füße nicht höher lagen als der Kopf. Wir, hingegen mußten und einen Fleck aussuchen, der nicht nur einigermaßen gerade war, sondern auch noch einen Fleck, auf dem möglichst wenig Steine lagen. Geld kann das alles regeln - nur: Wir hatten keines. Damit gilt es - zumindest hier - sich abzufinden und das beste daraus zu machen. Irgendwann kam aber wider Erwartung doch der Statthalter mit dem Fax an. Nun hatten wir unsere NOC und durften weiter. "Sorry, aber jetzt ist der Tag vorbei. Dürfen wir hier übernachten und morgen früh weiterfahren?", fragten wir. Er ging wieder zurück, erkundigte sich - oder auch nicht - kam dann zurück, und erklärte, wir könnten zwar in Killa bleiben, aber nicht hier auf dem Hof, denn am Abend würden die Türen geschlossen, und dann gäbe es keine Toilette mehr. Er wies seinen lakaien an, uns zu einem anderen Platz zu geleiten. Ich baute das Zelt wieder ab, fuhr wieder den anderen hinterher, die wiederum einem Polizeifahrzeug hinterherfuhren, das uns zu einem Gebäudekomplex brachte. Wir nahmen Aufstellung. Alles säuberlich getrennt: Allemannen auf der einen Seite, Gallier auf der anderen. Wir ließen uns zeigen, wo die Örtlichkeiten waren, und man erklärte uns auch, wo der "Bazar" sei, dann kümmerten wir uns um das Nachtlager. Hinterher stellte sich durch einen dummen Zufall heraus, daß mit "Bazar" nicht der Einkaufsmarkt gemeint war, sondern die Polizeistation. Ich stellte das Zelt im Schutz eines Dachvorsprungs auf, aber so, daß ich dennoch die Gegen überblicken konnte. "Das erinnert irgendwie an so ein libysches Staatsgebäude", sagte Didi, "fragwürdig im Design, luxuriös und vollkommen nutzlos" - und er hatte recht.

Man richtet sich für die Nacht ein...

Irgendwann kam ein Paki daher. Keiner wußte wo genau. Wir baten ihn an den Tisch und ich fragte ihn aus. Das erst, was ich wissen wollte war natürlich: Wo krieg ich eine Kalaschnikow her? Er konnte ganz gut Englisch. In Belutschistan bräuchte man eine Lizenz dafür. Ich mußte lachen. Er auch. "Nein, aber wirklich. Eigentlich braucht man hier eine Lizenz dafür." Er hatte eine Beretta ohne Lizenz. Ich mußte wieder lachen. So kamen wir ins Gespräch. Arnie half auch mit. Weil es mich nervt, einen Sandsack mit mir herumzutragen, drückte ich ihm das Kind in die Hand. Und obwohl das Kind sich weder artikulieren, geschweige denn sprechen konnte, enwickelte sich zwischen den beiden eine kuriose Unterhaltung. "What's your Name?", fragte der Paki. Arnie sah ihn nur mit großen Augen an. "Arnold", antwortete ich, "wie unser Governor." "Du bist ja ein süßes Baby!", sagte der Paki. Arnies Kopf schwenkte nur hin und her, als wollte er sagen: "Nein!" "Willst Du hier bei mir bleiben und Pakistani werden?" Wieder die gleiche Reaktion. Ich lachte laut los. "Hm. Aber Du bist trotzdem mein Freund, oder?", fragte der Paki. Wieder schüttelte Arnie vehement den Kopf. "Der ist so süß. Kann ich ihn mitnahmen?", fragte er mich. "Ja, nimm mit, dann ist hier wenigstens Ruhe", sagte ich. Ich hatte es eigentlich auf die Einheimischen bezogen, er bezog es darauf, daß ich es auf das Kind bezog. Er nahm Arnie und zog von Dannen. Heike, Didi und ich kümmerten uns um das Abendessen. Es sollte Reiberdatschi geben, in Norddeutschland heißen die irgendwie anders. Kartoffelreibekuchen oder so. Lauter Blödsinn. Das kommt nicht von "Reiben", sondern von "Räuber", erklärte ich. Die Räuber, die wohnten früher im Wald und die hatten nichts außer Kartoffeln. Die haben die eben gerieben und in das Ergebnis davon fritiert. Alles muß man erklären...

"Wo ist eigentlich das Kind?", fragte Almut irgendwann. "Das hat der eine mitgenommen", sagte ich. "Dann hol's wieder", wies sie mich an. "Schöne Scheiße", dachte ich, "das hat man nun davon. Kaum ist man verheiratet, schon wird man herumkommandiert. Soll sie doch ihr dummes Kind selber holen...." Aber was soll's. Ich zog los, ging in das Gebäude und suchte das Kind. Irgendwann fand ich es quietschvergnügt unter lauter Pakis. Ich setzte mich dazu und zündete eine Cigarrette an. Wir unterhielten uns ziemlich lange, bis mir einfiel, daß da ein Abendessen war, das auf mich wartete. Dann hatte ich es plötzlich ziemlich eilig. "Kann ich das da mitnehmen? Meine Frau hat danach verlangt", sagte ich und zeigte auf Arnie. "Klar", sagte er. Wir kochen auch grad, und wir bestehen darauf, daß Ihr es probiert. "Klar", sagte ich, nahm das Kind, das sofort zu brüllen begann, sobald ich es in den Händen hatte, und bemühte mich, es möglichst schnell an die Mutter weiterzuleiten...

Dann buk ich noch die restlichen Reiberdatschi, nicht nur für die ohnehin Anwesenden, sondern auch für den Paki, der sich dazugesellte um uns von seiner Reisspezialität kosten zu lassen. "Auä! Scharf!", dachte ich mir. Er dachte sich wohl: "Da fehlt der Geschmack", aber wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. Die Franzosen schliefen längst, die anderen zogen sich auch zurück und als auch der Paki gegangen war, saß ich noch da und schrieb meine Berichte, wenn ich nicht gerade Mücken terminierte...


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