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Pakistan 2010
Donnerstag, der 14. Oktober

In einem Federbett ausschlafen. Das mußte man einfach auskosten. Man ist fast versucht, den Wecker auf 6:00 Uhr zu stellen, nur um bewußt weiterzuschlafen. Aber das würde dieses dumme Kind wecken, das mich dann zum Klettergerüst umfunktionieren würde, daher ließ ich das bleiben, denn das erhöht die Chancen, daß ich wirklich ausschlafen konnte. Doch irgendwann war es doch soweit und ich stand auf und begab mich zum Frühstücks-Buffet. Ich mußte feststellen, daß das hier das beste Hotelfrühstück darstellte, das wir auf der ganzen Fahrt zu uns nahmen. Es war wirklich alles da, was man sich wünschen konnte, denn das Angebot von Hotel One ging weit über die übliche Auswahl von hartgekochtem Ei, Ziegenkäse und pfannenkuchenartiges Brot hinaus.

Daraufhin beschlossen wir, alle gemeinsam zu Olaf nach Islamabad zu fahren. Heike und Didi wollten eigentlich irgendjemanden treffen, irgendwo nördlich von La Whore, aber der war noch nicht da. Daher stand dem Vorhaben nichts im Wege und Almut machte es klar, daß wir mit zwei Fahrzeugen vorfahren konnten, statt nur wie ursprünglich vorgesehen mit nur einem. Sei überhaupt kein Problem, und schon gleich doppelt nicht, weil Heike und Didi ihr Zimmer sowieso dabeihatten. Wir sollen mit sechs Stunden rechnen von hier bis Islamabad. Allerdings waren das die Angaben von Olaf, der mit seinem SUV gerne ungefähr doppelt so schnell unterwegs war wie wir. Aber es konnte von uns aus neun Stunden dauern. Wer es eilig hat kann bekanntlich fliegen...

Hier eine Coca-Cola-Bushaltestelle in Lahore.

Wir fuhren durch die Stadt, wunderten uns nicht mehr darüber, warum wir zum fünften Mal von immer wieder den selben Fahrzeugen überholt wurden, oder warum Leute in eine Lücke hineinfahren, obwohl sie dadurch alles blockieren, und auch nicht darüber, daß sie Hupen als einzige plausible Lösung für das selbstverursachten Problems kannten. Was Pakistan allerdings bisher vermissen ließ, war das Phänomen, daß die Leute beim Einsteigen in ein Fahrzeug eine Metamorphose zu durchlaufen scheinen. Im Iran ist das wohl so: Sobald die Leute in ein Fahrzeug einsteigen, mutieren sie. Als Fußgänger sind sie sehr freundlich, umgänglich, rücksichtsvoll, meist auch sehr gebildet. Wenn sie hinter das Steuer steigen mutieren sie zu hirn-, sinn-, und rücksichtslosen Zombies. Ob das hier wohl auch so war? Noch hatten wir nicht viele Punjabis ohne Auto getroffen. Was noch auffiel, waren die vielen Frauen, die man immer nur als Beifahrer und immer nur im Damensitz auf den Mopeds sah. Ich wartete immer nur darauf, daß es so ein Teil mal im hohen Bogen herunterhaute, aber die saßen da recht fest im Sattel, sozusagen. Punjab schien außerdem wieder fest in der Hand von Coca-Cola zu sein. Erst jetzt fiel uns nämlich auf, daß in Belutschistan immer nur Pepsi-Werbung zu sehen gewesen war. Ganze Gebäude hatten statt der Wandfarbe, die Fraben und den Schriftzug von Pepsi.

Die Autobahn selbst folgt ihren europäischen Vorbildern. Alles andere ist landestypisch.

Dann erreichten wir die Autobahn. Die Fahrt verlief vollkommen ereignislos und auch die Landschaft war nur noch mäßig interessant. Die Wüste hatten wir hinter uns gelassen, in Belutschistan Und schon hier mußte ich feststellen, daß dieses Belutschistan bisher der beste Teil des Landes war, und daß sich Punjab anstrengen mußte, um mitzuhalten. Doch Anstrengung schien hier sowieso ein Fremdwort zu sein, wenn man sich so umsah. Die Autobahn war zwar durchaus mit einer europäischen Autobahn vergleichbar. Und prompt waren überall auch Radargeräte aufgestellt. Wenn man in einem 200D sitzt kann man die natürlich getrost ignorieren, denn man schafft es nicht, geblitzt zu werden - und selbst dann wäre das mit dem fremdländischen Kennzeichen egal.

Wir hielten einmal an, bei einem KFC an einer Raststätte. Die Preise waren wider Erwarten sehr moderat. Ich hätte eigentlich das Gegenteil erwartet. Für einen Einheimischen Eselskarrenfahrer waren die zwei Euro pro Menü zwar sehr viel Geld, aber normalerweise hätte ich hier höhere Preise als in Europa erwartet. So, wie es eben in Afrika oder Südamerika der Fall ist. Dort zahlt man für europäisches Niveau deutlich höhere Preise als in Europa. Doch in Asien scheinen die Uhren tatsächlich anders zu ticken.

Der Begriff "Überlänge" bekommt eine neue Bedeutung...

Nach dem Essen setzten wir die Fahrt in Richtung Islamabad fort. Es ging noch ein Salzgebirge hoch, und dann waren wir auch schon im Landeanflug - genau zu Sonnenuntergang. Es war dunkel, als wir die Außenbezirke erreichten und wir standen natürlich sofort im Stau. Ich nahm die Gelegenheit wahr und sah mit die Einheimischen Kennzeichen an. Ich dachte mir, es wäre eine gute Idee, mir ein einheimisches Kennzeichen prägen zu lassen, damit wir in Peshawar nicht schon von weitem als Ausländer auffielen. Und natürlich mußte der Gepäckträger verschwinden. Aber vorrangig galt mein Interesse den Kennzeichen. Ich mußte zu meinem Bedauern bald feststellen, daß das Kennzeichensystem dasselbe war, wie das System, das hinter der Fahrweise der Pakis steckt. Beide Systeme, wiederum, waren wie das vierköpfige menschenfressende Fischungeheuer von Abberdeen: Sie existieren nicht. Jedes Kennzeichen sah anders aus. Schwarz auf weiß, weiß auf Schwarz, geschwungene Schrift, gerade Schrift, ohne Serifen, mit Serifen, manchmal war das Kennzeichen groß wie ein Kofferraumklappe, mal brauchte man eine Lupe, um es überhaupt zu finden, kurz: Kein Kennzeichen stimmte mit dem anderen überein, weder von den Farben, noch von der Schrift, noch von der Größe, ja nicht einmal darin, ob Buchstaben und Zahlen oder nur Zahlen verwendet wurden. Manche hatten auch DIN-Format, waren weiß oder Geld und wiesen einen blauen Streifen an der linken Seite auf. Aber das war nicht unbedingt das Schlechteste, denn den Kauf des Kennzeichens konnten wir uns damit sparen. Wir fallen auch so nicht auf.

Der Hindus...

Das einzige Telephon, das ich bei mir hatte und das funktionierte, das war das amerikanische. Aber wie es der Teufel will, war genau an dem der Akku leer. Ich malte mir aus, was passieren würde, wenn ich während der Fahrt versuchte, die SIM-Karten zu wechseln. Lieber nicht. Didi gab mir sein Handy und Almut rief von seinem Apparat aus bei Olaf an und sagte bescheid, daß wir in islamabad seien. Dann gaben wir das Handy zurück an Didi für den Fall, daß wir uns verlieren mochten. "Er wohnt in G-3", gab ich bescheid. Beim nächsten Halt rannte ich wieder zum G und berichtigte mich. "Falsch. Am G-3 ist er ausgebildet, aber wohnen tut er in G-6". Islamabad ist eine Planstadt und deshalb in Sektoren und Quadranten aufgeteilt, nach dem bewährten Schachbrettmuster. Das ist für Orientierungsidioten wie mich keine schlechte Sache.

Wir kamen an eine Abzweigung, an der hilfreicherweise ein Schild aufgestellt war, auf dem zwei Pfeile zu sehen waren. Der eine zeigte auf 8 Uhr, der andere auf 4 Uhr. Was man damit hätte anfangen sollen, das stand natürlich nicht dabei, und daß die eine Straße nach links, die andere nach Rechts abzweigte, das sieht selbst der allerdümmste Mensch auch ohne dieses sinnlose Schild. Und natürlich wählte ich von beiden Möglichkeiten genau die Straße, die uns in die Irre führte. Hier war wohl eine ewige Baustelle. Das GPS meinte, wir sollten umdrehen und links abbiegen. Das Umdrehen funktionierte noch einigermaßen, aber um an der Stelle links abzubiegen hätte ich das Brückengeländer durchbrechen müssen. Wieder umdrehen und dann sollten wir rechts abbiegen. Auch da stand das Brückengeländer im Weg - ganz zu schweigen davon, daß die Straße erst etwa 15 Meter weiter unten weiterging. Wir verfuhren uns durch die Nacht, bis wir schließlich doch in G-6/3 angelangten. Den Rest übernahm dann Almut, die hier 2009 einige Zeit verbracht hatte.

Das Tor war auf, dahinter ein großer Garten und eine - man möchte fast sagen stattliche Villa - verbarg sich hinter tropischen Bäumen. Die Einfahrt hatte von der Länge her Platz für vier bis fünf Autos, also parkten wir ganz hinten, Didi versetzt davor, so daß wir an ihm vorbei hinausfahren konnten, wenn es denn sein mußte. Ein Zwei-Meter-Hüne begrüßte uns und hieß uns willkommen. Olaf arbeitet hier in Islamabad für die Friedrich-Naumann-Stiftung. Ich hatte den Namen noch nie gehört, aber ich war mir sicher, das würde sich in den nächsten paar Tagen ändern.

Wir gingen hinein, ich operierte die überlebenden Alkoholika aus den Verstecken - nur das Bier, für Olaf auf den Orkneys angeschafft, das hat das Auto weggerafft. Es kam und kam nicht zum Vorschein, wo immer ich auch suchen mochte. Olaf ließ seinen Diener aufschärfen. Es gab mehrere Biersorten zur Auswahl und wir entschieden und für Augustus Bräu - das erste echte Bier mit Alkohol seit über sechs Wochen. Da ist die Marke vollkommen fünfrangig. Wir ließen uns im Garten nieder und unterhielten uns. Almut zog sich mit dem Kleinen zurück. Anwesend war außer uns noch ein Gast Olafs. Ein einheimischer Professor, der gut Englisch konnte. Wir saßen noch lange in der Beleuchtung des schönen Gartens und ließen uns sozusagen in das Land einweisen. Pakistan scheint ein interessantes Pflaster zu sein, besonders mit dem Afghanistankrieg gleich um die Ecke. Hier operiert alles Mögliche, US-Drohnen fliegen Angriffe, Geheimdienste sind überall, aber auch die berüchtigten privaten Unternehmen, wie Blackwater.


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© by Markus Besold