< Oktober 2010 > | ||||||
Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So |
1 | 2 | 3 | ||||
4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 |
25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 |
Mr. Jaweed, also Shafiq, und ich fuhren am Vormittag, wie vereinbart, los in Richtung Peshawar. Bis zur Autobahn war Stau angesagt, danach ging es zügig voran. Nicht, daß die Pakistanesen auf der Autobahn besser fahren würden, aber es waren einfach weniger vondenen unterwegs. Da kam man sogar dazu, die Landschaft genießen, die einiges zu bieten hat. Wir fuhren als Erstes zu Shafiqs Bekannten. Wir passierten unzählige Polizei und Militärkontrollen, und ich verstand immer nur den Namen des Bekannten von Shafiq. Danach ließ man uns immer passieren. Doch je näher wir dem Ziel kamen, welches nicht direkt anzufahren war, da überall Straßensperren waren, desto öfter mußten wir warten, und die uniformierten griffen zum Funkgerät. Sie ließen uns erst weiterfahren, als sie eine Positive Antwort hatten. Einmal wurde das Auto durchsucht. Ganz klar war es nicht, wer der Mensch war, zu dem wir auf dem Weg waren. Scheinbar ein ehemaliger Bürgermeister oder etwas ähnliches.
Wieder ein paar Polizeikontrollen und Umleitungen weiter kamen wir dann doch an. Das Haus war riesig, die Eingangshalle glich der eines edleren Hotels. Wir begaben uns hinein, und mußten kurz auf den Hausherren warten. Der W116er, der draußen in der Einfahrt stand, und der aussah, wie aus dem Ei gepellt, gehörte natürlich dem Hausherren. Die Bediensteten brachten uns Tee und Kaffee. Schließlich kam nach einigen Minuten der Hausherr. Ein älterer Herr mit sehr viel Stil und gutem Benehmen, klassisch Europäisch gekleidet, mit Maßanzug und Taschenuhr. Damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Da saß ich nun mit meiner Militäruniform. Shafiq stellte uns vor, und da er schon länger nicht mehr in Peshawar gewesen ist, ließen wir uns sozusagen eine Einführung geben. Er erzählte von der Situation vor Ort. Es hörte sich alles an, wie Erzählungen aus einer anderen Welt. Bombenanschläge auf Schulen und Moscheen, aber auch auf Polizeistationen, was ein Teil der Erklärung für die vielen Kontrollen sein mochte. Aber Peshawar ist sozusagen der letzte Vorposten hier im Land. Alles, was westlich davon liegt ist sozusagen Niemandsland. Nicht, daß da niemand ist, aber dahinter versagt die staatliche Ordnung, um die es im ganzen Land ohnehin nicht besonders gut bestellt ist. Tribal Area, auch No-Go-Area genannt. Genau eine Straße führt von hier aus nach Westen und die nächste Stadt ist schon Jalalabad, Afghanistan. Dazwischen befindet sich das Gebiet, das damals die Mujahedin als Erholungs- und Ausbildungsgebiet nutzten. Das tun sie natürlich auch heute wieder. Pakistan ist ein Verbündeter der NATO. Offiziell gehört das Gebiet bis zur Grenze zu Pakistan.
Aber wie schon erwähnt, interessiert das die Paschtunen nicht. Diese Grenze wird von ihnen weitgehend ignoriert. Pakistan ist in der Situation, bei der man sagen könnte: "Auf zwei Hochzeiten ist schlecht tanzen." Das führt natürlich wieder dazu, daß die Drohnenangriffe auch auf pakistanischem Gebiet geführt werden. "Was? Drohnenangriffe?", fragte ich etwas überrascht. "Ja, Drohnenangriffe", sagte der Hausherr, "deshalb ist es nicht besonders angeraten, mit so vielen Kanistern auf dem Dach hier in der Gegend herumzufahren. Die sehen nicht, ob da ein Tourist im Auto ist, oder einer, der etwas in die Luft sprengen will. Und in dieser Gegend ist die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um einen Touristen handelt, gleich Null. Dieser Gedanke dürfte dem Johnny, der irgendwo in New Mexiko an seinem Video-Game-Bildschirm sitzt wahrscheinlich nicht mal in den Kopf kommen. Ich würde das herunternehmen, wenn ich Du wäre.", riet er mir. Und weiter: "Hier gibt es überall genug Tankstellen, im ganzen Land." Ich erwiderte, daß ich vorhätte, den Karakorum-Highway zu fahren, und daher den Gepäckträger auch nicht abgenommen. Er legte mir nahe, daß zwei Kanister im Kofferraum für den Karakorum-Highway "selbst im derzeitigen Zustand", völlig ausreichend seien - was er mit "derzeitigem Zustand" meinte, das wollte ich lieber gar nicht herausfinden. Aber es ging noch weiter: "Außerdem ist es auch nicht besonders ratsam, sich schon auf Meilen als Tourist zu erkennen zu geben. Ein Tourist - besonders ein deutscher - ist für manche Leute hier sehr interessant. Finanziell, meine ich jetzt. Die Deutschen zahlen bekanntlich gut. Ich würde mir das überlegen, zumal der Nutzen minimal ist. Wie gesagt: Wasser und Treibstoff sind genug im Land - Wasser sogar viel zu viel..." Immerhin wußte ich nun, was in den nächsten Tagen fällig war: Abbau und Einlagerung des Gepäckträgers.
Im Anschluß an den Besuch fuhren wir zur Uni. Shafiq war ob der Ausführungen seines Bekannten etwas beunruhigt. Zumindest machte er den Eindruck, weil er nun ständig den Himmel abscannte. "Suchst Du nach Drohnen?", witzelte ich. "Du mußt unbedingt den Gepäckträger herunternehmen. Ich habe da auch nicht daran gedacht. Mist!", sagte er. "Ja, ich mach ihn gleich morgen runter. Wir können jetzt auch gleich heimfahren, und morgen oder übermorgen wieder herkommen. Ich wollte sowieso nochmal länger her", sagte ich. "Jetzt sind wir schon so nah an der Uni, da können wir noch kurz vorbeischauen, vielleicht ist ja jemand da. Bei der nächsten Einfahrt Rechts", sagte er. Wir fuhren an einer ewig langen Mauer entlang. Das mußte wohl die Mauer des Campus sein. Bei einem Tor bog ich rechts ab, aber das war verschlossen. Shafiq stieg aus und ging zum Wachhäuschen, auf dem ein Uniformierter heruaskam. Er fragte wohl danach, wie man denn in die Uni käme. Der Uniformierte beschrieb ihm den weg, indem er mit dem Bayonett der Kalaschnikow eine Skizze in die Erde zeichnete. Shafiq kam wieder zum Auto. "Also: Zurück, dann die nächste links, und die dritte Einfahrt wieder links", sagte er. Ich folgte den Anweisungen. Wieder ein Tor, diesmal aber offen. Wieder ein Uniformierter, ein Zeichen zum Anhalten. Shafiq sprach auf Urdu mit dem Wächter, der erst zum Telephon griff, dort mit jemandem redete, und uns erst dann passieren ließ. Nun waren wir in der Uni. Wir gingen hinein, und Shafiq ließ nach einem Raum für ein Monat und einem Paschtu-Lehrer fragen. Das gelang sogar nach einigem Hin und Her. Ich mußte ein Formular ausfüllen, ein paar Rupies hinüberschieben, und es paßte. Ich sollte mich am 1. November melden. Schön, daß das so gut geklappt hat. Allerdings hatte das wohl unmittelbar mit Shafiq zu tun. Alleine hätte ich wahrscheinlich nicht mal die Wache geschafft.
Nun aber nichts wie zurück zur Basis. Es wurde bereits dunkel. Es gab tatsächlich einige Waffengeschäfte, allerdings hatten die alle zu. Aber wir müssen ja ohnehin öfter hier herkommen. Beim nächsten Mal ohne Gepäckträger und ein bißchen besser vorbereitet. Als wir aus Peshawar herauswaren, war es bereits Kuhnacht. Auf der Autobahn war alles ruhig. Man hätte auch meinen können, man wäre irgendwo in Westeuropa unterwegs. Zwischen Islamabad und Peshawar lagen jedenfalls Welten. Das konnte man schon auf den ersten Blick erkennen. Islamabad war mehr so eine sterile Planstadt und hatte mit dem restlichen Pakistan nichts gemeinsam. Peshawar war eine typisch pakistanische Stadt. Neulich fragte jemand bei Olaf auf der Party, wo denn Herr Sowieso sei, woraufhin die Antwort kam: "Der hat gerade angerufen. Er ist noch in Pakistan, ist aber in einer halben Stunde hier." Auf Deutsch hieß das: Der Herr war in Rawalpindi, das ist die Stadt, die praktisch an Islamabad angrenzt.