< Oktober 2010 >
Mo Di Mi Do Fr Sa So
        1 2 3
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31

Pakistan 2010
Mittwoch, der 13. Oktober

Es war nach Mitternacht und wieder kam ein fliegender Wechsel - diesmal mußten wir nicht warten. Wir durchfuhren das Kaff. Nach einiger Fahrzeit wieder ein Wechsel, bei dem wir aber warten mußten. "Die verarschen uns", sagte Didi, "Wir sind durch das Kaff durchgefahren ohne anzuhalten, die wollen uns bis Multan durchschleusen." Er hatte Recht. Wir fuhren nach dem Wachwechsel weiter. "Wir bleiben jetzt einfach an irgendeiner Tankstelle", sagte ich zu Almut. "Wir sind gerade an mehreren vorbeigefahren", bemerkte sie. Es stimmte, aber das konnte ich nun nicht ändern. "Bei der nächsten schönen Tanke halten wir an", sagte ich. Didi war hinter uns, und der drängelnde Franzose vor uns, und der hatte seine PS spielen lassen, um die Polizei zu bedrängen und beide waren aus unserer Sichtweite entschwunden. Sein Drängeln stellte sich nun als Segen heraus, denn nun konnten wir unbemerkt abdrehen. Ich suchte nun nach einer passenden Stelle. Im Augenwinkel sah ich etwas von rechts auf unser Auto zuspringen. Ein Köter wohl. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe auszuweichen, denn eine Kollision war unvermeidlich. hinten rechts schlug er ein, und sofort setzte ein lautes Jaulen ein. "Das kann nicht lange dauern", dachte ich mir. Die Straße ist stark befahren, es kann nicht lange dauern, bis ihm der nächste LKW den Gnadenreifen verpaßt. Und tatsächlich, nur wenige Meter weiter verstummte das Jaulen ganz. Weiter...

Bald nach einem gutegemeinten und schlecht umgesetzten Kreisverkehr sah ich eine saubere, nicht überlaufene und in Orange gehaltene Tankstelle. Ich bog kurzerhand hinein. Didi folgte. Ob nun die Franzosen mitzogen oder nicht, war einerlei. Sollen die weiterfahren und auf uns bis morgen warten. Doch sie fuhren nicht weiter, sondern man sah von unserem Benz aus nur ein Expeditionsfahrzeug nach dem anderen auf das Gelände der Tankstelle fahren. Ich wollte schon auspacken, aber man gab mir den Tip, doch erst beim Tankwart nachzufragen, ob es in Ordnung sei. Das tat ich. Er konnte ein paar Brocken Englisch und wir einigten uns darauf, daß wir hier übernachten durften. Wir, Didi und die verbliebenen drei Franzosen richteten uns für die Nacht ein. Nur der alte Franzose war nicht hier. Der fuhr immer noch der Polizei hinterher. Mit etwas Glück würden die beiden so weit fahren, daß sie die restliche nacht damit verbringen mußten, uns zu suchen. Das war jedenfalls meine Hoffnung. Doch die erfüllte sich natürlich nicht. Kaum hatten wir uns geparkt und hergerichtet, tuachte schon die Polizei auf. Wir könnten hier nicht bleiben. "Natürlich können wir hier bleiben, und das werden wir auch tun. Wir sind seit 18 Stunden am Steuer und jetzt ist es genug", erklärten wir. Der Typ laberte weiter in seiner primitiven Mundart auf uns ein, aber da wir kein Wort verstanden, übergingen wir ihn. Wir, also die Besatzung des 200D, die Initiatoren der ganzen Aktion, hatten natürlich die Arschkarte gezogen, denn im Gegensatz zu allen anderen hatten wir kein Dachzelt, sondern mußten das Zelt auf "Ground Level" aufbauen. Aber was sollten wir tun? Hier war überschwemmungsgebiet, folglich war es es warm und schwül, also gab es Mücken und gegen die hilft nur ein Zelt oder im Auto schlafen. Besser Zelt. Ich fing an auszupacken, da kam der ranghöchste Polizist daher, und gestikulierte, daß wir hier nicht schlafen konnten. Almut war mittlerweile auf dem Plan erschienen, und sagte, daß nun Schlafenszeit sei. Der Polizist fuhrwerkte umeinander und schrie irgendetwas auf Neanderthalisch, doch sie ließ sich nicht davon beeindrucken, sondern legte sich demonstrativ auf den Boden und bettete das Baby auf ihrer Brust. Der Polizist wußte darauf nichts zu erwidern und ging weg. Diese Gelegenheit nutzte ich, um das Zelt aufzubauen. Mit Didis Hilfe ging das ganz flott und Almut und Arnie legten sich also in das Zelt.

Irgendwie schienen alle recht fröhlich...

Ein anderer Polizist, klein, fett und häßlich, kam daher und erklärte uns, in sechs Kilometern gäbe es ein Hotel und dort könnten wir problemlos übernachten, aber hier nicht. Der konnte leidlich Englisch, also ließen wir uns drauf ein. Aber auf unsere Weise: "Wenn das so ist, dann fahre ich mit Euch mit", sagte ich, "Ihr zeigt mir, wo es ist, ich rufe die anderen an und sie kommen dort hin." Doch auf diesen Handel wollte er sich nicht einlassen. Alle sollten mitkommen. "Wieso denn? Wenn in sechs Kilometern wirklich ein Gasthof ist, dann ist es wohl kein Problem, wenn ich mir das ansehe und dann die anderen anrufe", sagte ich und zeigte ihm mein Handy. Ich rief sogar Didi an um zu beweisen, daß eine Verbindung zustandekommt. Alles, was er tun mußte war, uns dort hinzufahren. "Nein, es müssen alle mit", sagte er. "Dann ist da kein Gasthof", stellten wir fest. Er tat recht beleidigt. Ob wir glauben, daß er ein Lügner sei. "Wenn nicht, dann wäre der Handel ja kein Problem. Wir beide fahren da hin, Du zeigst mir den Gasthof. Meine Kollegen bleiben hier, Deine Kollegen bleiben hier. Wenn ich nicht anrufe, oder wenn der Gasthof nicht da ist, dann schlafen wir hier. Wenn da wirklich ein Gasthof ist, dann rufe ich an und die anderen kommen nach", erklärte ich noch einmal, und fragte: "Wo ist das Problem?" Alle müßten mit, sagte er gebetsmühlenartig. "Hier geht keiner mehr weg", sagten wir. Ich ging zum Kofferraum und fing an, verschiedene Sachen auszupacken, da kam der Vorgesetzte des Kasperls, mit dem wir gerade diskutiert hatten und schlug den Kofferraum zu. Das nervte mich einigermaßen und ich machte ihn wieder auf. Da begann er zu brüllen - irgendwas auf Cro-Magnon, was ich nicht verstand. "Alter! Da in dem Zelt liegen meine Frau und mein Sohn und die wollen schlafen, also mach Deine Brüllaffennummer woanders, weil ich kann noch lauter brüllen als Du", fauchte ich ihn an. Er verließ das Terrain - vorerst - um es bei den Franzosen zu probieren. Die ließen sich aber auch nicht beeindruckten, saßen an ihren Campingtischen und aßen. Nun schlugen die Wogen immer höher. Wieder kam der Fettsack, der ein bißchen Englisch konnte mit seinem Hotel in sechs Kilometern daher. "Ja, man hat uns vor etwa 50 Kilometer erklärt, daß es nur noch 10 Kilometer seien und nun sind wir hier. Es reicht. Tut uns Leid für Euch, aber wir fahren nicht weiter. So ist es und so schaut's aus." "Aber in sechs Kilometern ist ein Hotel, da könnt Ihr bleiben..." "Ein alter Scheißdreck ist da (wörtlich: "Hotel my Ass!"), wenn da ein Hotel wäre könnten wir es so machen, wie wir gesagt haben: Ich fahre hin, vergewissere mich, daß da ein Hotel ist und die anderen kommen daraufhin nach. Auf die Weise wäre die Sache jetzt schon längst erledigt. Du läßt Dich nur nicht drauf ein, weil Du genau weißt, daß da kein Hotel ist." Es kam wieder der Vorgesetzte und zog wieder seine Brüllaffennummer ab, die aber nicht weiterhalf, denn niemand nahm ihn ernst, schon allein deswegen, weil hier niemand Urdu sprach. "Jaja, und Weihnachten liegt hier Schnee! Depp..." Wir machten ihm eine Geste, daß er weitergehen solle. Das tat er dann auch mangels Alternative.

Deswegen also die Umleitung...

Doch sie ließen nicht locker. Eine Weile später fuhr ein weiteres Polizeiauto vor und es stieg ein Fettsack aus, der damit beschäftigt war, seine Uniform mühsam zuzuknöpfen. Didi, Heike und ich gingen zu ihm. Er sagte höflich auf Englisch: "Dera Ghazi Khan gefährliches Gebiet. Taliban, Kidnapping, viele Probleme. Verbotenes Gebiet für Ausländer, bitte verlassen jetzt!" Wir erklärten, warum das nicht möglich war, daß wir schon seit 18 Stunden am Steuer saßen und daß nun Schluß mit Lustig sei. Seine Antwort: "Dera Ghazi Khan gefährliches Gebiet. Taliban, Kidnapping, viele Probleme. Verbotenes Gebiet für Ausländer, bitte verlassen jetzt!" Dann kam der Brüllaffe wieder hinzu. Didi hielt ihm seinen Schlüssel hin: "Das ist ein LKW, wenn Du den fahren darfst, bitte. Ich fahre nicht mehr, ich bin über meiner Zeit." Damit konnte der Menschenaffe aber auch nichts anfangen. "Die wiederholen eh nur immer das selbe, sollen wir nicht einfach ins Bett gehen?", fragte Heike. Hätte ich ein Dachzelt, hätte ich sofort zugestimmt. Aber so führten wir die Diskussion weiter. Aber nach dem fünften "Dera Ghazi Khan gefährliches Gebiet. Taliban, Kidnapping, viele Probleme. Verbotenes Gebiet für Ausländer, bitte verlassen jetzt!" gaben wir auf uns zogen uns zu den Autos zurück, und machten ein iranisches alkoholfreies Bier auf. Da kam wieder der, der Englisch konnte und versuchte uns zu überreden. Keine Chance. Die Franzosen zogen sich nun langsam in ihre Zelte zurück. Dann bewegte sich der Fettsack wieder auf uns zu. Um das Gebrüll vom Zelt fernzuhalten, gingen wir ihm entgegen. "Dera Ghazi Khan gefährliches Gebiet. Taliban, Kidnapping, viele Probleme. Verbotenes Gebiet für Ausländer, bitte verlassen jetzt!" "Jaja", sagten wir, "ist schon Recht." Er wiederholte seinen Satz, und fügte hinterher noch hinzu: "Sonst" und eine Geste des Schlagens. Das soll er mal machen, Touristen schlagen. Am besten mit dem 70-jährigen anfangen und dann mit dem 9-monatigen weitermachen. Didi ließ sich dadurch schon mal überhaupt nicht beeindrucken. Die Körpersprache war interessant: Während Didi einen Schritt auf den Fettsack zuging, ging der Fettsack einen Schritt zurück, und damit hatte er eigentlich schon verraten, was Sache war. Ich versuchte es nocheinmal mit der NOC, auf der Stand, daß man und Polizeischutz geben muß unterzeichnet von ein paar wichtigen Leuten. Von Touristen verschlagen stand da nichts. Seine Antwort: "Dera Ghazi Khan gefährliches Gebiet. Taliban, Kidnapping, viele Probleme. Verbotenes Gebiet für Ausländer, bitte verlassen jetzt!" Lesen konnte er offenbar nicht - zumindest nicht lateinische Schriftzeichen. "Hoffentlich kommen die Taliban bald, um uns vor Euch zu beschützen!", schrie ich. Er antwortete zur Abwechslung mit: "Dera Ghazi Khan gefährliches Gebiet. Taliban, Kidnapping, viele Probleme. Verbotenes Gebiet für Ausländer, bitte verlassen jetzt!" Ich sagte "Yes..." Er sagte "Good!" und ich fügte hinzu: "...morgen früh!" "Nein, nicht morgen früh, jetzt, sonst" und wieder die Geste des Schlagens. Langsam füllte sich die Tankstelle mit Polizeiautos. Die, die nun ausstiegen hatten eine andere Uniform an. Da stand was von "Elite" und "No Fear" auf den Polohemden. Einer von denen kam und salutierte vor dem Fettsack. "Do you speak English? This clown doesn't.", sagte ich und zeigte auf den Fettsack. Er sah mich an, sah den Fettsack an, dann sagte er: "No, Sir", wobei ich mir sicher war, daß er mich genau verstanden hatte. Also kehrte beiden wortlos und demonstrativ den Rücken zu und ging zum Auto. Didi und Heike waren immer noch dort, wo wir die Autos geparkt hatten. "Das Problem ist, daß die uns nicht schlafen lassen werden", sagte ich. Auf einmal knallte es ein paar hundert Meter entfernt. Es waren Schüsse. Aber kein Polizist verfiel in Hektik, keiner reagierte darauf auch nur irgendwie. "Seht Ihr, wie gefährlich es hier ist?" "Naja, das waren jetzt keine Böller", sagte ich zu Heike und Didi. "Ja und?", erwiderte er, "in Lorelei hat es auch geknallt... Das heißt ja noch nichts." "Aber sie werden uns nicht schlafen lassen", stellte ich erneut fest und machte eine Kopfbewegung zum Brüllaffen, der lautstark gegen einen Franzosenkarren klopfte, in dem die Leute schon schliefen, oder zumindest zu schlafen versuchten.

Nun kramte ich einige Sachen aus dem Kofferraum, natürlich nicht unbehelligt. Es war schon nach zwei Uhr morgens. Natürlich konnten wir das Spiel bis in der Früh durchhalten, aber der Zweck der ganzen Sache war es gewesen, endlich zu schlafen, doch dieses Ziel würden wir definitiv nicht erreichen. Wäre es ein Posten, der Geld wollte, dann hätte diese Taktik funktioniert - besonders gut, weil die Franzosen in ihrer Eile sowieso bezahlt hätten. In solchen Fällen kann man es gut aussitzen. Aber hier hieß aussitzen tatsächlich aussitzen - das Ausschlafen kam dabei zu kurz. Und in der Zeit, in der wir uns hier mit geistig Minderbemittelten herumschlagen könnten wir auch Kilometer machen - so Leid es mir für erklärte Nachtfahrtgegner auch tat.

Wir packten langsam zusammen und machten uns also auf dem Weg. "Fette Sau!", sagte ich noch zum Fettsack, aber den interessierte es nur, daß wir endlich fuhren. Und immerhin haben wir ihn von seinen Nutten weggeholt. Wir fuhren weiter. Nun hatten sie es aber eilig. Der Wechsel kam auch bald, ich bestätigte ihn mit dem erhobenen Mittelfinger. Half natürlich nichts. Weiter mit der nächsten Eskorte. Dann fuhr einer der Franzosen unvermittelt ins Gelände. Die Polizei hielt an. Wir blieben am Schotter stehen neben den ausgestiegenen Polizisten. "Wo fahren die hin? In fünf Kilometern kommt ein fünf Sterne Hotel - wir waren mittlerweile fast fünfzehn Kilometer gefahren, seit es hieß, daß in sechs Kilometern ein Hotel käme. "Wir wollen kein verschissenes Hotel, wir wollen schlafen", bellte ich zurück. dann gab ich Gas und fuhr den Franzosen nach, Didi hinterher und die restlichen Franzosen auch. Leider hatten die sich in eine Sackgasse manövriert und als wir ankamen waren sie im Begriff umzudrehen. Wir drehten auch um, und als wir wieder an der Kreuzung ankamen, hatten uns die Polizeifahrzeuge wieder im Geleit und wir mußten ihnen folgen. Der eine sperrte nämlich den Weg nach rechts, von dem wir gekommen waren, umdrehen war nicht möglich und der andere fuhr los. Überholen war nicht drin. Als das letzte Fahrzeug des Konvois, in dem Fall der G, die Kreuzung passiert hatte, fuhr das andere Polizeiauto los und nun befanden wir uns wieder zwischen den beiden Polizeifahrzeugen und fuhren über eine beschissene Straße weiter in Richtung Osten. "Scheiß Pakis", fluchte ich vor mich hin. Dann blendete Didi hinter mit ein paar Mal auf, hupte und blieb stehen. Das Polizeifahrzeug hinter ihm konnte ihn natürlich auch nicht überholen, ohne im Supf zu versacken und mußte stehenbleiben. Ich fuhr ein paar Meter im Rückwärtsgang zurück, blieb auch stehen und stieg aus. Ein Polizist stand am Fahrerfenster des G. Heike und Didi waren am Brüllen. "Erzähl kein Scheiß! Die Taliban sind nicht gefährlich, das was Ihr hier veranstaltet, das ist gefährlich! Schau Dir mal allein diese scheiß Straße an!" Der Polizist versuchte zu erklären, daß wir in zwei Kilometer schlafen konnten. Heike war schon am Ausflippen: "Du bist ein Lügner, genau wie alle anderen! Den Müll erzählen sie uns schon seit über hundert Kilometer!" Da platzte auch mir der Kragen und nun fing ich auch an auf den Bullen einzubrüllen: "Ein alter Scheiß ist in zwei Kilometer. Genau deswegen fahren hier alle Touristen nur durch und wollen nach Indien. Keiner will sich Dein verschissenes Land auch nur mit dem Arsch anschauen, Du scheiß Paki!"

Dann stieg ich wieder ein und wir fuhren weiter. Ich wußte doch, daß mit diesen Punjabis irgendwas nicht in Ordnung war. Doch tatsächlich, nach einigen Kilometern wurden wir alle auf die Polizeistation gebracht. Was in Belutschistan entschuldigend angeboten wurde, mußte man sich in Punjab herbeibrüllen. Wir fuhren auf den kleinen Hof und brachten alle Fahrzeuge so in Position, daß wir alle Platz hatten. Der G bildete sozusagen den Schlußstein. "Parachute ici patt problem?", fragte ich die Besatzung des Landys neben uns. Sie lachten. "Tent!", berichtige sie mich. "Ah, tongt! Das ist ja einfach..." War kein Problem. Und wenn sie wissen, daß wir da liegen, würden sie schon nicht in ihrer blinden Eile über uns drüberfahren am nächsten Morgen. Ich stellte das Zelt auf, dann tranken Heidi, Didi und ich noch ein iranisches Bier. Die Polizisten entschuldigten sich für das Verhalten ihrer Kollegen und ich entschuldigte mich für unser Aufbrausen. "Der Bullen von grad vorhin war der einzige bisher, der uns keinen Scheiß erzählt hat", stellte ich fest. "Trotzdem: Arschgesichter!" Um kurz nach drei Uhr früh kamen wir zu unserer Nachtruhe. Wenige Meter neben uns bretterten die LKW über diese unsägliche Straße, alles schepperte und klirrte in einer unbeschreiblichen Lautstärke. Der kleine schlief zwar schon seit Stunden selig, aber all das wird Dr. Almut Amish allerdings nicht davon abghalten, mir bei der nächsten Gelegenheit zu sagen, ich solle den Fernseher ausschalten, weil der Kleine schlafen muß.

Um acht ging es weiter in Richtung Lahore. Immer noch im Konvoi. Wir fuhren als die letzten beiden Fahrzeuge, doch hinter uns war kein Polizeiauto als Schlußlicht. Und selbst wenn, wenn der Tank leer ist, dann muß getankt werden. Wir hatten zwar noch Diesel in den Kanistern, aber wenn da schon eine Tankstelle ist, dann tankt man einfachheitshalber eben dort. Wir fuhren hinaus, und tankten wieder voll. Der Staub gestern hatte die Hupe zerfressen. Alles was man hörte, wenn man auf die Hupe tappte, war das Heulen des Kompressors. Kompressorhupen sind einfach untauglich für staubige Gebiete. Die Lektion hatte ich nun gelernt. Und auch meine Sonnenbrille hatte gelitten. Die war im handschuhfach gelegen und der Feinstaub in Kombination mit Vibration hatten genau am Augmittelpunkt einen kreisrunde Stelle freigelegt. Klassische Sichtfeldbeeinträchtigung, ich mußte, um klar sehen zu können, den Kopf in den Nacken legen. Unangenehm auf Dauer. Ich modelte die Kabel der Hupe so um, daß wenigstens die Standardhupe funktionierte, dann fuhren wir weiter.

Die Franzosen waren weg, und es gelang uns auch nicht mehr, sie einzuholen. Egal. Die Diesel laufen auch ohne Franzosen. Irgendwann wurde die Straße tatsächlich besser. Überall sah man nun deutlich die Folgen der Überschwemmungen. Es würde noch Monate brauchen, bis das hier wieder brauchbar ist. Wir fuhren durch Multan. Eine Drecksstadt. Alles voller Müll und Dreck und die Straßen in einem unbeschreiblichen Zustand. Man wußte auch nie, ob man durch Wasser von der Flut oder von der Kanalisation fuhr. Es stank jedenfalls bestialisch. Und überall Rinder, Eselskarren, Rikschas, Müll, Schlaglöcher, LKW, Kleinbusse. Alles hupt einfach nur sinnlos und fährt weitgehend ohne System. Es gibt nur eine Regel: Vorfahrt hat der, der mehr Masse hat. Dem Beobachter zeigt sich bald, daß die intelligentesten Wesen, die am Straßenverkehr teilnehmen, von Natur aus Vierbeinig sind... Zwischen den Autos krochen, krabbelten und humpelten Bettler herum. Es glich einer Freak-Show, bei der sie wetteiferten, wer seine jeweilige Behinderung besser zur Schau zu stellen vermochte. Wer mehr Mitleid erregt, bekommt anscheinend mehr Geld. Schlimmer waren die, die tatsächlich buchstäblich am Boden krochen, denn im zähfließenden Verkehr sieht man die nicht immer gleich, wenn man dich dem Vordermann folgt. Da meint man dann recht schlau, man kann am Vordermann vorbeifahren, stellt aber dann fest, daß der Vordermann ausgeschert ist, um einen Bettler zu umfahren, wärend man selbst dabei ist, diesen eher umzufahren. "Oh! Da ist ja einer!", nimmt man zur Kenntnis, und bleibt brav hinter dem Vordermann...

Was soll man dazu sagen?

Die Art der Fahrweise ist zwar ein bißchen besser als im Iran, aber sie kann immer noch getrost und ohne schlechtes Gewissen als beschissen und hirnlos bezeichnet werden. Dafür kommen hier diese idiotischen Rikschafahrer hinzu, denen nicht nur das Hirn, sondern auch Augen und Ohren zu fehlen scheinen. Und dann sitzt noch ein Idiot wie ich am Steuer, der, sobald er auf der Autobahn ist, alles rausholt, was der Daimler hergab. "Olé, olé! Ich bin der Schnellste! Olé!" - und Fuß aufs Gas. Vor mir einer dieser dunkelgrauen Mitsubishi-Busse, der Schlangenlinien fährt. Ich komme mit 110 angeschossen und bestimmt leuchteten ein paar Fragezeichen über meinem Kopf auf. "Wo will denn der Idiot hin?", fragte ich mich. Ich zog nach links, um zu überholen, aber da zog auch er nach links. Vollidiot. Also zog ich wieder nach rechts und wollte da überholen, aber genau da fällt ihm ein, er muß auch nach Rechts. Aber deutlich nach Rechts. Er bremst herunter und will einen U-Turn machen. Ich haue die Bremse und gleichzeitig die Hupe rein, bevor der Dreckspaki zumacht. Rechts von uns ein 40 cm hoher Randstein. Im Zweifel nun den Kleinbus rammen. Doch da war noch Platz. Und überhaupt nichts wäre passiert, wenn nicht irgendein Hirntoter den Randstein auf die Straße geschmissen hätte. Mit etwa 80 km/h erwischte ich den auf der Straße liegenden Radsteinstein. Das Auto machte einen Satz, es schepperte, alles war in Staub gehüllt. Scheiße! da ist mindestens die Radaufhängung im Arsch. Aber der Benz fuhr noch. Der bus fuhr auch weiter, und in dem Moment bereute ich es, die Kalaschnikow dem Wächter zurückgegeben zu haben. Ich hielt links am Standstreifen an und inspizierte das Auto. Die Abschlußleiste der hinteren Tür fehlte, und die Wagenheberaufnahme hinten rechts war nicht mehr funktionsfähig. "Spinnt der, oder was?", fragte Didi. "Ist halt ein scheiß Paki", winkte ich ab und machte mich zu Fuß zurück, um zu schauen, ob sonst noch was am Auto fehlte.

So sah das ganze danach aus...

Im Iran wäre mir das nicht passiert. Da rechnet man damit, daß jeder Verkehrsteilnehmer ein vollkommen verblödeter Idiot ist. Hier mußte ich das erst noch lernen. Ein Motorradler kam und meinte, in 5 km sei ein Polizeiposten, ich solle das dort melden. Dann ging ich zurück zum Auto mit der Abschlußleiste und einem Stück Reifen in der Hand. Platt war der Reifen nicht, aber ich wollte schauen, wo das Stück hingehörte. Heike hatte das Kennzeichen des Busses aufgeschrieben. Sehr gut mitgedacht. Leider das Kennzeichen vom weißen Bus, nicht vom dunkelgrauen. Und dann hatten wir auch keine Versicherung. Ich inspizierte erneut das Auto. Nichts weiter fand ich - außer einem großen Riß im Vorderreifen. "Paßt schon", war meine Diagnose. Didi hingegen meinte: "Das geht überhaupt nicht, der fliegt Dir um die Ohren!" Meiner Erfahrung nach halten sich solche Reifen noch ein paar tausend Kilometer. Aber er ist der Ingenieur und wenn es den beiden nichts ausmacht, daß wir nun mindestens eine Stunde verzögerung haben würden... Wir fuhren zur nächsten Tankstelle und machten uns an die Arbeit - mit Didis Wagenheber, denn unserer war ja nicht mehr brauchbar ohne Aufnahme. Ich fluchte wie ein Rohrspatz und Didi dann auch, als es ans Räderabmontieren ging. Die Schrauben schienen festgeschweißt. Der Tankwart kam mit einer Verlängerung. Aber doch mußten wir nun schon wieder Reifenpolitik betreiben: Die beiden neuen iranischen Reifen aus Kerman kamen auf die Hinterachse, die beiden hinteren Reifen dafür nach vorne und beide vorderen Reifen auf dem Gepäckträger. Das dauerte über eine Stunde. Dann meinte Didi: "Komm, machen wir mal hin, sonst holen uns die Franzosen noch ein." Ich verstand nicht. "Die sind uns doch schon lang entwischt. Wir haben doch zum tanken angehalten, die holen wir nicht mehr ein.

Men at work...

Nachdem wir wieder den Kofferraum eingeräumt hatten, erklärte Didi, daß die Franzosen nicht vor, sondern hinter uns sein müssen: "Wir sind in einem Kaff an denen vorbeigefahren. Hast es nicht gesehen? Nein, natürlich nicht. Waren ja nur vier riesige Fahrzeuge auf der anderen Straßenseite. Sogar ein Polizist kam auf uns zu und gab uns ein Zeichen zum Anhalten. Und da dachte ich, Du hast ihn gesehen und bist einfach weitergefahren, also bin ich auch weitergefahren. Der Polizist ist dann zurückgerannt, aber die mußten erst noch umdrehen, weil sie ja auf der anderen Straßenseite waren. Deswegen müssen sie noch hinter uns sein..." Ich hatte von alledem nichts mitbekommen, ich war auch nicht mit Absicht weitergefahren, sondern nur, weil ich nichts davon mitbekommen hatte. Aber das war auch gut. Die Bullen waren recht deutsch hier in der Gegend, ebenso sehr nervig und sehr unnütz. Also ohne Bullen weiter.

Wir kamen an einer Verkehrskontrolle vorbei. Sie wollten uns anhalten. ich ging vom Gas, doch Didi fuhr auf, gab Lichthupe und mit beiden Händen ein Zeichen zum Weiterfahren. Ich fuhr weiter und setzte meinen "Ich hab nichts gesehen"-Blick auf. Die hatten zwar einen SUV da stehen, der sicherlich doppelt so schnell war, wie unsere beiden Fahrzeuge zusammen, aber sie nahmen die Verfolgung nicht auf. Das machte sie jedenfalls um Welten sympathischer als ihre Kollegen in "Jailmany", dachte ich mir.

Kletterübungen bei 90 km/h. In Industrieländern Mutprobe, hier in Pakistan ein alltägliches Bild.

Schon lange bevor wir nach Lahore hineinfuhren wurde die Stadt durch den immer dichteren Verkehr angekündigt. Ich hatte eine einigermaßen funktionierende Pakistankarte. Wir suchten ein bestimmtes Hotel. Didi's GPS und logische überlegungen schickten uns allerding in eine andere Richtung, als es unser GPS tat. Wir fuhren also doch nach der Logik und ich sah einen Mc Donald's. Den mußte ich sofort als Wegpunkt eintragen. "Rechts! Rechts!", sagte Almut, aber ich fuhr geradeaus weiter, direkt in eine Militärkontrolle. Als ich aufsah merkte ich, daß die rechte Spur durchgewinkt wird, die linke kontrolliert. Zwar hatte uns der Polizist in die rechte Spur gewinkt, aber ich hatte es nicht mitbekommen und war in die linke gefahren. Nun wurden wir kontrolliert. Und Didi, der mir hinterherfuhr, auch gleich mit. Unsere Durchsuchung war schnell vorbei. Auch dabei half der Kleine kräftig mit. Wir fuhren weiter, aber die anderen konnten nicht mitziehen, denn sie wurden aufgehalten. Ich stellte das Auto ab und latschte zurück. Die Polizisten fragten auf das GPS zeigend, was das für ein Gerät sei. "Ein Routenplanungsrechner", sagte Didi. Man weiß ja nicht, ob GPSse hier nicht vielleicht verboten sind. "GPS?", fragte der Polizist. "Routenplaner, halt!", sagte ich. Sie grabbelten noch dies und jenes an. Vor dem umgebauten G stehen sie immer alle wie vor einem Raumschiff. "Und dieser Knochen da?", kam die frage, zum hundertsten Mal auf der Reise. Didi hatte in Jordanien einen Kamelknochen gefunden und nach Landesbrauch befestigt man eben diesen am Fahrzeug. Das soll Glück für die Reise bringen. Er hatte ihn mit Panzer-Tape an der Stoßstange befestigt. Irgendwo im Mittleren Osten fiel er auch mal ab, des Abends. Es war nicht so, daß einer der Klebebandstränge riß und der Knochen nur noch an einem hing, sondern sie rissen gleichzeitig - oder zumindest sehr zeitnah. Und seit Jordanien wurden sie immer und immer wieder gefragt, was das da an der Stoßstange sei. Nun, auch hier wurden wir weitergelassen und wir mußten umdrehen. Nun fuhr Didi voraus. Als die Ampel grün wurde, meinte ein Mofafahrer, sich an dem blinkenden G vorbeidrängen aber geradeausfahren zu müssen, und streifte die vordere Stoßstange de G. Paßt schon. Weiter.

Wir fanden dann mit Hilfe von Lonely Planet und Reisebüros zum Hotel Ambassador, das in der Nähe des Grand Hotels war, das wir eigentlich suchten. Nur das eigentliche Hotel fanden wir nicht. Wir fragten an einer Tankstelle, wo man uns zu einem Gebäude schickte, in dem das Hotel sein sollte, aber wir fanden nichts weiter, als ein Reisebüro. Dort erklärte man uns, daß das Hotel umgezogen sei und beschrieb uns den Weg. Wir fuhren also wie geheißen. Es war nicht nur umgezogen, sondern es hatte auch den Namen in "Hotel One" geändert. Auf den zweiten Anlauf fanden wir es. Es verbarg sich hinter einem großen Stahltor. Davor standen bewaffnete Männer, die uns freundlich das Tor öffneten. Wir parkten und gingen hinein. Dann ging es ans Handeln. Sie gingen auch mit dem Preis runter, und sie nahmen Kreditkarte. Ich hatte sowieso vor, beide Zimmer zu bezahlen, als kleines Dankeschön für das Wechseln der Glühkerzen, das Einstellen der Ventile, und all die anderen ungenannten Gefälligkeiten, die und Heike und Didi im letzten Monat so angedeihen ließen. Außerdem hatte wirklich niemand mehr Lust, noch ewig nach einem billigeren Hotel zu suchen. Lahore war der Scheideweg und wir wollten es uns noch einmal gutgehen lassen, bevor sich unsere Wege trennten.

Die Zimmer waren vom Feinsten: Klima, TV, alles da, der Preis nach dem Handeln sehr moderat, und nebenan war ein schickes Restaurant, das ich auch mit Heike und Didi aufsuchte. Wir ließen uns ein paar Pakistanische Spezialitäten auftischen. Zwar gab es an der Qualität nichts zu bemängeln, aber für mich zu scharf. Mag scharfes Zeug nicht. Was soll das überhaupt? Wenn ich haben will, daß mir die Fresse brennt, dann trinke ich Salmiak, ansonsten kann ich immer noch meinem Essen die gewünschte Schärfe hinzufügen. Aber ich kann keine Schärfe herausnehmen, die schon im Essen steckt. Es konnte jedenfalls nicht mit dem iranischen Kabob mithalten. Bei weitem nicht - und preislich sowieso nicht.


[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold