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Pakistan 2010
Samstag, der 14. August

Es war halb eins, als wir die nächste (also die letzte) Ausfahrt erreicht hatten und wieder auf einer Straße waren. Nun ging es auf der Landstraße weiter in Richtung Budapest. Ganz Österreich bestand aus Totalsperren, in Wien fuhren die öffentlichen Verkehrsmittel nicht, alles war überschwemmt. Mir haben sie gesagt, daß es in Pakistan mit der Flut so schlimm sei, von Österreich hat kein Mensch ein Sterbenswort erwähnt.

Halb zwei. Natürlich trat nun das ein, was ich befürchtet hatte. Ich wurde müde. Wir sollten schon fast vierhundert Kilometer weiter sein, wenn nicht an der ungarischen Grenze, dann bereits dahinter. Aber nein! Ich fuhr hinaus auf einen Rastplatz und schlief eine halbe Stunde. dann ging es weiter Richtung ungarische Grenze. Um halb vier schlief ich nochmal eine halbe Stunde. Wehmütig denk ich an die Zeiten zurück, als 34 Stunden am Stück noch locker von der Hand gingen…

Es war nun kurz vor sechs, als wir die ungarische Grenze passierten. Fünf Stunden später als angedacht. Da hier ein Kennzeichenwechsel anstand hatte ich ein Problem mit der Vignette. Die ist anders als die österreichische. Man zahlt und hebt die Quittung auf, auf der das Kennzeichen vermerkt ist. So ein Dreck aber auch. Hier an der Grenze die deutschen Kennzeichen draufzuklatschen wäre doch etwas dreist, also kaufte ich zwei Vignetten, eine für A-AA 627 und eine für MYX 658X. Um sechs ging es dann weiter. Es war schon zu hell für meinen Geschmack. Es dauerte nicht lange und wir kamen in eine Nebelbank. Jawohl! Gott erhalte den Bodennebel und die Fliegerzulage! Ich fuhr auf einen einfachen Rastplatz und holte die deutschen Kennzeichen hervor. Halterung auf, englische Kennzeichen raus, deutsche wieder rein. Die englischen Kennzeichen verschwanden in einem Versteck im Kofferraum.

Nun waren wir wieder deutsch unterwegs.

Ohne weiteren Aufenthalt weiter. In Serbien würden sie nämlich die grüne Versicherungskarte verlangen, die ich für die englischen Kennzeichen nicht hatte. Für die deutschen hatte ich sie, allerdings fehlte da der nationale Fahrzeugschein, mitllerweile “Zulassungsbescheinigung Teil II” genannt. Die Narren in Berlin sind wohl nur noch damit beschäftigt für die profansten Dinge neue Schimpfnamen zu erfinden… Um kurz nach halb zehn parkte ich das Auto im Schatten eines Baumes an einer Raststätte und schlief etwas länger. Als wir weiterfuhren funkte ich nach Belgrad, daß ich den Termin wohl nicht einhalten könnte. Erst drei Stunden naach dem vereinbarten Werkstatttermin standen wir überhaupt an der Grenze. Und da war ein Stau. Nichts katastrophales wie in der Nacht, aber es dauerte immerhin einige Minuten. Der Grenzübergang erwies sich als wesentlich unkomplizierter als erwartet, was zum einen daran lag, daß die Visumspflicht seit einigen Monaten aufgehoben war, zum anderen erwies sich Arnie als recht guter Grenzbeschleuniger, da die Zöllner alle mehr an ihm interessiert waren, als am Inhalt der Kanister oder des Kofferraumes. Auch gaben sie sich mit dem internationalen Zulassungsschein zufrieden. Stempel in den Paß, “Willkommen” und weiterfahren.

Mein letzter Grenzübergang in dieses Land im Jahre 1999 war wesentlich aufwendiger gewesen. Auch die Fahrt nach Belgrad, denn damals waren sogut wie alle Brücken zerschossen waren. Aber nun fuhren wir ungebremst durch. Nur bei Mautstationen wurde gehalten, drum stießen durch Fels und Verhau wir vom Walde der Karawanken hinab zur Sawe und Drau. Wir hatten 36 Grad, die verdammte Klima funktionierte nicht. Ohne Klima wird hier nicht weitergefahren – und wenn doch, dann nur nachts. Zum Kotzen ist das! Immer diese deutschen Billigheimer. Da wo ich wohne, da ist ein Auto erst ein Auto, wenn es gewissen Mindestanforderungen entspricht, und zu diesen gehört nun mal eine Klimaanlage. Immerhin gut, daß man in Mitteleuropa nur 30 Jahre gebraucht hat, um das einzusehen. Auf anderen Gebieten wird es noch Jahrhunderte dauern. das nächste, worüber ich mich lautstark auslassen mußte, weil mir keine andere Wahl blieb, war das Navi. Da sind für Serbien genau 5 Straßen gespeichert, und keine mit Namen, sondern nur mit Buchstaben und Kennzahl, z.B. E 75. Nun heißt es aber, daß da ganz Europa de Luxe drauf sein soll. Türkei ist drauf – ist aber nicht Europa. Iran und Pakistan hatte ich draufgeladen, aber wo ist denn Serbien? Also, wenn das nicht Europa ist, then I don’t know what is. Aber ich hatte zumindest die geographische position von Google Earth auf das Navi übertragen und konnte den Punkt ansteuern. Als wir dort waren, standen wir neben einer Kombination von Müllhalde und Markt, die früher einmal ein Trümmerfeld gewesen zu sein schien. Ulica Antifasisticke Borbe – Straße des Antifaschistischen Kampfes. Schön, daß die Straße ihrem Namen alle Ehre macht, aber hier war weit und breit keine Wohnung zu sehen, geschweige denn eine Milicia. Ich rief an und fragte mal vorsichtig nach. Wir sollen zur Arena fahren, zur Ostseite. “Arena? Ostseite? Almut! Mach was!” Sie begann mich dort hinzulotsen, als dann Betscher anrief und mic per Telephon genau zur Wohnung lotste. “Garmin – I’ll deal with you later!”

Milicia stand schon auf der Straße und begrüßte uns recht herzlich. Das ist also auf diesem 12-jährigen Mädchen geworden, das wir damals für die Dauer des Krieges zu ihren Verwandten nach Deutschland holen wollten – und an der deutschen Bürokratie scheiterten. Ich parkte das Auto, ging hoch und irgendwie war diese drückende Müdigkeit doch auf einmal wieder verflogen. Almut blieb hier, ich fuhr mit Milicia zum Mechaniker. Die Werkstatt war nicht weit, sehr sauber und aufgeräumt, alle trugen einen Graumann mit der Aufschrift Mercedes-Benz. Sie untersuchten die Klimaanlage und stellten fest, der Kompressor sei tot. Da können sie nichts machen. Da müßten wir einen neuen besorgen, das könnten sie nicht. Gut. Scheiße. Also weiter zu einem anderen Mechaniker, der die Federn für 30€ einbauen wollte. Aber nicht mehr heute. Wir sollten am Montag um 9 in der Früh wieder kommen. “Nun gut, kein Problem”, sagte ich. Ein Wochenende in Belgrad verbringen zu müssen ist ja nicht gerade eine grausame Vorstellung. “Kannst Du bis Montag bleiben?”, fragte Milicia. “Klar. Auch wenn jetzt keine Bomben mehr fallen wird es bestimmt spannend…” Wir fuhren heim. Für das Abendpogrom war gesorgt und ich legte mich für anderthalb Stunden hin.

Milicia weckte mich gegen neun, wir fuhren das Auto in die Garage, und gingen sogleich weiter zur Haltestelle und dann mit dem Bus in die Stadt. Dort saßen wir mit einigen Freundinnen von ihr zusammen und gingen anschließend in einen Club wo Live-Musik gespielt wurde. Eine sehr ansehnliche Geigerin. Fast perfekt, muß man sagen, allerdings sollte man ihren Friseur sofort aus seiner Wohnung holen und ohne Prozeß an der eigenen Hauswand erschießen. Aber abgesehen davon fabelhaft. Auch der Nachtspaziergang durch Belgrad, an den ich mich troz zuviel Bier noch gut schemenhaft erinnern kann begeisterte mich. Da sitzen Leute im Park, trinken ihr Bier, rauchen, haben Spaß am Leben. Lärmbelästigung? Kennt keiner. Die Leute sind hier zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, als daß sie Zeit hätten, sich um “Das Leben der Anderen” zu kümmern. Dieser Film kann von Natur aus nur in einem Land auf der Welt spielen – und das war nun weit weg. Man fühlt sich gleich zehn Kilo leichter, wenn man sich nicht ständig jede Handlung hinterfragen muß, weil man vielleicht gegen irgend ein Gesetz verstößt, oder verdächtig aussieht, oder ob gleich die Polizei anhält, weil man einfach an der Straße steht.


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© by Markus Besold