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Pakistan 2010
Dienstag, der 24. August

Wir fuhren verhältnismäßig spät los, nämlich erst um dreiviertel zwei. Es ging gemütlich an der Schwarzmeerküste in Richtung Grenze. Und auch bei Helligkeit änderte sich das Bild nicht. Es blieb auch bei Tag eine sehr schöne Gegend. Alle Häuser sogut wie neu. Abgesehen von ein paar heruntergekommenen Lagerhallen sahen wir nichts was auch nur entfernt an den uns bekannten Osten der Türkei erinnerte. Sicherlich gab es Moscheen, aber hier war es nicht so, daß die Dörfer um sie herum aus Ruinen und Kadavern bestanden und das einzige was glänzte die Moschee war, sondern hier paßten sie ins Bild, wie eine Kirche in Hinterdupfing eben zum Dorf paßt. Hier erinnerte auch nichts an diesen ekelhaften religiösen Sumpf, wie etwa in Urfa. Hier war man zweifellos im 21. Jahrhundert angekommen.

Dreiviertel fünf. Zeit für Frühstück. Wir hielten irgendwo an, wo es was zu Essen gab. Ich sah unter dem Auto wieder eine Lache. Aber die war an den Rändern schon getrocknet. Finger in die Lache, dann in die Gosch. Kein Diesel. Auch kein Glysantin. Ich machte die Haube auf und stellte fest, daß der Schlauch am Klimakompressor lecckte, und zwar da wo die Schraube war. Mit dem Wort „Scheiße“ schloß ich die Haube wieder und kümmerte mich um mein Frühstück indem ich Fleischpflanzerl bestellte – die hier natürlich anders hießen – und Almut aß die aus Tomaten und Gurken bestehende Dekoration, während die Wirtin Arnie spazierentrug, der daran Gefallen fand, ihr mit beiden Händen auf dem Kopf umeinanderzupatschen.

Weiter geht es. Da soll es irgendwo eine Hagia Sophia geben. So eine steht auch in Istanbul, aber die haben es hier wohl mit ihren Sophias. Muß wohl ein Flittchen gewesen sein. Mittlerweile heißen die Sophias hier allerdings „Natascha“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wir sahen uns jedenfalls diese Kirche an. Almut findet Kirchen und Moscheen nämlich sehr interessant – im Gegensatz zu mir auch dann wenn sie nicht brennen. „Quae medicamenta non sanant ferrum sanat, que ferrum non sanat ignis sanat.“

Nach der Besichtigung dieser Kirche fuhren wir zu den Sumila-Klöstern. Das war etwa 40 km im Süden. Es war nicht weit, aber es zieht sich hin. Alles bergauf und in Serpentinen. Das letzte Stück geht durch einen Nationalpark, aber wie in Argentinien war um die Uhrzeit keiner mehr da. Wir fuhren also hin, parkten und gingen los. Wir waren noch keine fünf Minuten unterwegs, da merkte ich, daß irgendwas schiefhing. „Da war doch dieses eine Auto, das vor uns gefahren ist“, sagte ich zu Almut. „Das, das dann stehenblieb und uns vorbeiließ?“ „Genau.“ „Was ist damit?“ „Keine Ahnung… Aber hier ist nichts. Wieso ist der stehengeblieben?“ Ich dachte, es könnte sein, daß die nur warten, daß wir das Auto abstellen und weggehen, damit sie es zur Plünderung freigeben. Wer außer Touristen fahren um die Uhrzeit noch hierher? Wir drehten um. Wenn, dann wären sie jetzt am Werk, denn der Weg zum Kloster ist mit 10 Minuten angegeben. Nichts. Das Auto stand da, friedlich und unberührt. Almut machte sich mehr sorgen um die Köter, die hier überall herumlungern. Und ich kann es ihr nicht ausreden. Diese irrationale Angst vor Straßenkötern. Mit Logik ist dem nicht beizukommen, wo sie doch sonst immer so ein Freund der Logik ist. Die tun einem nichts, solange man nicht Angst zeigt. Das weiß jedes Kind, das ist primitivste natürliche Natur. In dem Moment wo der Köter merkt, man hat Angst, stellt er auf Angriffmodus. Und man muß ihn nicht mit Steinen bewerfen, man muß aktiv nichts unternehmen, alles, was man tun muß ist keine Angst zu haben. Aber genau das tut sie. Das geht mir nicht in den Kopf. Die hat sonst vor nichts Angst. Da können die übelsten Gangster an der Ecke stehen, sie geht an ihnen vorbei und grüßt womöglich noch freundlich, aber bei Kötern, da funktioniert es nicht. Da kriegt sie regelrecht Panik – gerade mit dem Kleinen, der immer auf ihren Bauch geschnallt ist. Irrational! Den Angriff des Köters dadurch zu veranlassen, daß man Angst hat, obwohl man ja weiß, daß er nichts tut wenn man ganz normal weitergeht. In Brasilien laufen auch überall Straßenköter umher, aber wir hatten schon als kleine Kinder nie Angst vor denen. Sie hatten Angst vor uns und hielten immer respektvollen Abstand. Gebissen wurden immer nur die Deppen, die aufschrien und wegliefen, und selbst das nur wenn sie alleine waren, weil die anderen sich sonst einen Spaß daraus machten, aus den Jägern Gejagte zu machen. Daher auch das Sprichwort „Den Letzten beißen die Hunde.“ Und das funktioneirt auch mit Menschen. Die verhalten sich genauso – das ist das einzige, was ich in der Schule wirklich gelernt habe. Alle Klassendeppen waren deshalb nur Klassendeppen, weil sie vor den anderen Angst hatten. Keiner von denen hat je auch nur einem bösen Blick standgehalten. Das tun die nicht. Die senken den Blick und lösen damit einen Dammbruch aus – und das völlig unabhängig von der körperlichen Konstitution. Es waren teilweise Leute, die es körperlich locker mit fünf aufnehmen hätten können, und sie wurden dennoch verprügelt. Und das Alphatier derjenigen, die auf ihn einprügelten kann ein Krisperle gewesen sein, doch darauf kommt es überhaupt nicht an. I learned it the hard way. Das ist gerade dem Deutschen – von Natur und Abstammung aus Techniker – schwer zu vermitteln. Der groß und stark, der andere klein und schwach. Und doch wird der Große verprügelt von dem Kleinen. Warum?

"But we might be drifting slightly from the point", wie der Engländer sagt. Tatsache war erstens, daß das, was Almut für einen Hund hielt in Wirklichkeit ein Fuchs war (mittlerweile waren die Lichtverhältnisse so, daß meine Augen besser damit zurecht kamen als ihre – wir ergänzen uns einfach prima), und zweitens, daß der Köter weiter hinten nur ein paar mal gebellt hat und bald still wurde, sobald ich ein paarmal zurückgebellt hatte. Es war mittlerweile nach sieben Uhr abends geworden.

Seltsame Klöster sind das. Und immer am Arsch der Welt. Wir fuhren weiter nach Hopa. Um 22:00 Uhr (323.279) kamen wir dort an und ich suchte ein Hotel heraus. Das war noch billiger als das, was wir am Vortag gefunden hatten und es hatte sogar AirCondition.

Dieses seltsame Kloster, in dem nur noch Geister zu wohnen scheinen.

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© by Markus Besold