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Pakistan 2010
Dienstag, der 31. August

Und von Schlafen konnte auch keine Rede sein. Ich steckte mir im Schlafsack eingelullt eine Kippe an und die Gedanken waren schon beim nächsten Morgen. Wohin? Weiter nach Süden? Die nächste Passage sah schlimmer aus als alles bisher dagewesene. Das täuscht zwar oft, aber die Kupplung stank jetzt noch. Oder zurück nach Norden? Wenn ich daran dachte, diesen ganzen Weg wieder zurücklegen zu müssen, dann konnte ich spüren, wie mein Puls anstieg. Irgendwann schlief ich dann trotz Kälte doch ein. Die Wilden Jahre sind wohl vorüber… Doch bald wachte ich wieder auf, weil der Wind in den Schlafsack pfiff. Alles zugezurrt, umgedreht, so daß nur noch ein leichter Sog zu spüren war, der mich mit Frischluft versorgte. Als ich endlich eingeschlafen war hörte ich es tropfen. Allerdings erst, als das erste Wasser bereits durchgedrungen war.  Ich packte fluchend den Schlafsack, warf ihn in den Innenraum, nahm die Unterlagen, warf sie in den Kofferraum und versuchte, den soeben erreichten Schlaf auf dem Chefsessel fortzuführen. Ich zog mir den Schlafsack über den Kopf und über das Lenkrad und schlief ein paar Minuten. „Scheiß auf die scheiß Scheiße!“, dachte ich mir. Schlafen kann ich immer noch in Ruhe, wenn wir wieder in der Zivilisation sind. Almut berichtete, daß sie sich die Passage angesehen hätte. Nicht gut. Und danach kommt nochmal eine, die auch nicht gut aussieht. Also umdrehen. Wer weiß, wie die Straßenverhältnisse in Armenien sind. Zwei Wochen in Tiflis auf eine Kupplung warten hörte sich nicht sehr reizvoll an. Lieber in Karachi, wo wir stationär sein würden. Dort war es egal, wie lang die Kupplung brauchen würde, und vor allem konnte ich mich dort allein auf den Weg machen, weil dort Englisch Landessprache ist. Hier in Georgien haben wir eine Sprachbarriere, das Bordrussisch reicht nun mal nicht aus, und selbst wenn, würde es Almut erforderlich machen. Solche Sachen erledige ich lieber alleine. Nur mit „Hände hoch“ und „Komm hier her“ würde ich nicht weit kommen, wenn ich eine Kupplung ersetzt haben wollen würde. Also zurück. Und wieviele Dreckspassagen hatten wir gestern abend bergab genommen? Das waren genau die, die wir jetzt bergauf nehmen würden müssen. Egal. Hier wußten wir wenigstens, woran wir waren. Wer weiß, wie es auf der anderen Seite des Berges aussah, und ob es wirklich nur bergab gehen würde, sollten wir die nächsten zwei Passagen schaffen.

Schöne Aussichten...

Wir fuhren zurück. Es war genau 10:00 Uhr und der Kilometerstand genau 324.600. Von oben sah dieser Dreck von Piste mitnichten besser aus als von unten. Gleich bei den ersten paar Passagen fragte ich mich, wie wir überhaupt hier raufgekommen waren. Ich konnte keinen passablen Weg durch die Felsen entdecken. Die hatten teilweise über einen halben Meter Höhenunterschied auf zwei Meter Länge. Einige mußten so genommen werden, daß das Auto in 45-Grad-Schräglage hing. Dann, mittendrin erkannte ich einen Felsbrocken einen Weg und wußte, daß ich, von unten kommend, den Weg genau daneben genommen hatte, auf den ich jetzt jedoch nicht zurückkonnte. “Rrrrraaaatsch!” Wieder aufgesessen. Diesmal kam uns allerdings zugute, daß ich nicht mit der Kupplung, sondern lediglich mit der Bremse arbeiten mußte, weil es bergab ging. Wir hatten kein Zeitproblem, wenn wir zwanzig Stunden brauchten, war das auch in Ordnung, es gab keine Eile. Wir hatten drei Stunden hierhergebraucht. Nach einer Stunde stellte ich fest, daß wir gerade fünf Kilometer zurückgelegt hatten. Natürlich hatte ich mir bei Pistenbeginn nicht den Kilometerstand gemerkt, also wußte ich nicht, wie weit wir fahren müssen. Als wir wieder an der Stelle ankamen, kamen uns drei SUVs entgegen. Am ersten saß eine Frau am Steuer, die fragte, ob da noch mehr kommen. „Nein, sind alleine.“ Wir fuhren zur Seite. Einer, der kurz zuvor in einem der Jeeps saß, lehnte sich an unseren Gepäckträger und ich zeigte auf die Stelle, die wir gestern „ausgebessert“ hatten. Die fuhren sie auch entlang. „Wer hat überhaupt die Frau ans Steuer gelassen? Das kann ja nur schiefgehen“, bemerkte ich. Wir fuhren weiter. Nun war es nicht mehr weit. Almut zog es vor, mit dem Kleinen zu Fuß zu gehen. “Wahrscheinlich bist Du zu Fuß eh schneller…” Bei Tag sieht alles noachmal anders aus als bei Nacht. Nachts hat man sie Scheinwerfer, die das Licht schräg und mehr oder weniger von der eigenen Position auf die Piste werfen. Man sieht jede Welle, aber die Höhe kann man schlecht einschätzen, weil die Schatten irgendwann mit der Dunkelheit verschmelzen. Bei Tageslicht kann man zwar die Höhe besser abschätzen, dafür sieht man aber nicht alle Wellen im Gelände. So sah auch jetzt manche Passage bei Licht so aus, daß ich mir mehr als einmal wünschte, die Dunkelheit käme, um dieses Schlachtfeld mit ihrem Mantel gnädig zu verhüllen.

Wir waren hinaufgekommen, also müssen wir es auch irgendwie wieder runter schaffen...

Aber da es nun der leichte Teil war, war ich doch vor ihr am Honigverkaufsstand. Der Typ kam wieder ans Auto, zeigte auf die Rückbank und sagte „Arnold?“ Ich parkte neben dem Stand und stieg aus. Es war zwar nur Zeichensprache möglich, aber wir verstanden uns prima. Er erzählte, daß gerade drei Jeeps mit Touristen aus Israel hinaufgefahren waren. Ach, das erklärte zumindest die Frau am Steuer. Die hat in Israel wahrscheinlich Militärdienst geleistet und hätte sie meine Bemerkung gehört, hätte sie mich höchstwahrscheinlich an einem Bein gepackt und mich solange gegen die Sandbleche geschlagen, bis ich ihr versichert hätte, keine Fragen mehr zu haben… So viele Israelis auf einem Haufen kenne ich nur aus Kolumbien.

Wie weit wir gekommen seien, fragte einer von ihnen. Ich sah auf dem Tacho nach und malte die Zahl “18″ in den Sand. Der eine ging zum Tisch, holte ein Messer und zeichnete etwas auf den Boden. Sah aus wie ein Y und an jedem Punkt nannte er einen Stadtnamen. Ich kam nicht ganz mit. Die Sprechweise von Städten, deren Namen ich mir sowieso nicht merken konnte überforderte mich. „Karta!“ Ich holte die Karte – im Bordjargon seit der Grand-Canyon-Tour „Mappe“ genannt. Dann erst checkte ich, daß er mir mitteilen wollte, daß ich mir 50 Kilometer spare, wenn ich nicht erst nach Kutaisi zurückfahre und dann nach Südosten in Richtung Tbilisi, sondern schon kurz hinter Baghdati nach Osten in Richtung Zestaponi fuhr. „Chaussee gut!“

Nach einer Weile kam Almut an. „Ah, Arnold!“ Bald darauf wurde aufgetischt. Es gab Nudeln, Kartoffeln, Käse und Erdbeermarmelade, wobei die Nudeln süß und die Marmelade salzig waren. Aber es schmeckte. Zum Abschluß gab es noch ein rosarotes Getränk, das mir vermutlich eine Brandblase in der Kehle bescherte. Und es wurde nie getrunken, ohne daß vorher ein Spruch losgelassen wurde, von dem nur Fragmente verständlich waren. Hinterher bekam Arnie einen Löffel Honig. Immer wenn ich versuche ihm etwas Süßes zu geben verzieht er das Gesicht und spuckt es aus. Jetzt grinste er recht. Was mach ich nur falsch?

Mittagspause bei den Honigverkäufern.

Ich tauschte eine Packung West gegen ein Glas Honig. Die Cigaretten waren eigentlich für das Mittagessen gedacht und den Honig wollte ich bezahlen, aber der wollte das Geld einfach nicht haben. Da muß man erst über diese unsägliche Piste fahren, um Georgier zu finden, die der Beschreibung im Reiseführer entsprechen. Die Georgier waren sonst nämlich nur seltsam. Aber vielleicht liegt es – wie so oft – nur im Blickwinkel des Betrachters. Es ist ja meistens so, daß sich die Erfahrungen anderer Reisenden mit den meinigen komplett widersprechen. Es ist eben alles subjektiv, und wenn man sich noch so um Objektivität bemüht – was ich ohnehin selten tu. Man trägt eben sein eingebautes Raster mit sich, und die Erfahrungen decken sich entweder damit, oder eben nicht. Man nimmt sie aber leichter wahr, wenn sie ihm entsprechen. Ansonsten läßt man es unter den Tisch fallen, tut es als Ausnahme ab, oder deutelt solange daran herum, bis es wieder paßt. Und da niemand für sich beanspruchen kann, die alleinzigeine für alle verbindliche Wahrheit gepachtet zu haben, wird es wohl auch weiterhin so bleiben. Und solange alle Leute immer alles nur von ihrem Standpunkt sehen und diesen als den richtigen erachten, wird es auch immer Kriege geben. Vielleicht schaffe ich es doch noch, den Klang einer detonierenden Fliegerbombe zu hören, und sei es nur um hinterher festzustellen, daß ich ihn nie wieder hören will.

Wir fuhren zurück nach Tiflis wie uns die Honigverkäufer empfohlen hatten. Wir kamen wieder an dem verfallenen Sowjetbau vorbei, die Straße verdiente wieder die Bezeichnung „Straße“ und kurz hinter der Ortschaft kam das Ortsausgangsschild: „Sairme“ – durchgestrichen. „Ach, das war Sairme?“ Das bedeutete, daß unser Umkehrpunkt auf der Piste etwa einen Kilometer von Zekharis Ughelt lag und nicht, wie wir glaubten, 14 Kilometer von Sairme. Sairme war der Pistenanfang gewesen. Wieder eine Meisterleitung besoldscher Navigationskünste. Die Chaussee nach Zestaponi war zwar nicht ganz das, was man sich unter „gut“ vorstellt, aber mit der Piste verglichen war sie eine brettebene Autobahn. Die Straße war in der Karte überhaupt nicht eingezeichnet, obwohl sie alles andere als neu war. Dafür war diese unsägliche Piste als rote Straße in der Karte. Nach 20 Kilometer waren wir an der Hauptstraße. Nun war nur noch Kilometerfressen angesagt, obgleich an einer Steigung die Klima wieder abgestellt werden mußte, um den Zeiger von dem roten Strich wegzuhalten, hinter dem die Kunst der Ärzte versagt. Aber ich wollte eh eine rauchen.

Was mich noch an Südamerika erinnerte waren diese in vielen Dörfern aufgebaute Verkaufsstände. In einem Dort verkaufen alle nur Brot, im nächsten alle nur Hängematten. Das kapiere ich nicht. Warum kommt nicht einer auf die Idee, etwas zu verkaufen, was eben nicht von hundert anderen auch angeboten wird. Eis, oder frisches Obst, oder einen Aufstrich für das Brot, irgendwas? Irgendwann werd ich mal aussteigen und fragen. Aber hier nicht, hier versteh ich die Leute ja schon vor der Fragestellung nicht…

Eines der unzähligen georgischen Dörfer am Wegesrand.

Morgen soll es weitergehen nach Armenien. Die Klimaanlage läßt immer mehr an Kühlleistung nach, das muß spätestens in Teheran behoben werden. Zwar trocknet sie die Luft nach wie vor, was hier auch ausreichend ist, aber sie kühlt immer weniger. Und ich möchte nicht durch die persische Wüste fahren ohne Klima. Aber wir werden sehen, wie sich die Lage entwickelt. Um zwanzig vor sieben waren wir in Tiflis angekommen. Dieser gute Laden, der Internet und Bier gleichzeitig hatte, war immer noch zu, also setzten wir uns in den Park und aßen zu mittag. Almut hatte dem Studenten vorgeschlagen, wir sollten uns um 18:00 in diesem Teegarten treffen. „Hast Du ihm im eMail eine von unseren Telephonnummern geschickt?“, fragte ich, und es wunderte mich nicht, daß die Antwort „Nein“ lautete. Technik ist einfach nicht ihr Ding. Alles was neuer ist als ein Volksempfänger ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Wie soll man denn einander erreichen, wenn zwei technische Analphabeten am Werk sind? Genausogut kann ich eine Taube im Park einfangen und ihr einen Zettel mit einer Nachricht ans Bein binden, sie in eine Flasche stopfen und dieses Ensemble in den nächsten Fluß werfen, in der Hoffnung, die Nachricht würde den Studenten auf diese Weise erreichen. Almut ging danach ins Hotel. Heute hatten sie nur einen Raum ohne Klima für uns, weil eine Gruppe von elf Israelis eingecheckt hatte. Aber man gab uns den Ventilator von der Rezeption mit. Immerhin. Danach hatte ich die Wahl, ob ich ins Internetcafé ging, oder in den Löwenbräukeller. Die eine Lokalität hatte Internet, die andere Bier. Nach dem Peter-Kohle-Prinzip vorgegangen, soll man sich in solchen Fällen eine Frage stellen, die die Antwort mit sich bringt. Meine Frage lautete: „Muß ich heute noch fahren?“ Ich setzte mich also in den Löwenbräukeller und bestellte ein Löwenbräu aus der Dose – eher symbolisch. Den Rest des Abends trank ich aber dann doch Karva, das einheimische Bier.


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