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Pakistan 2010
Montag, der 30. August

Wir fuhren los, um irgendwelche Klöster anzuschauen. In gewohnter Arbeitsteilung übernahm ich das Fahren und Almut das Schauen. Das dauerte bis zum Nachmittag, danach verbrachten wir eine weitere Stunde damit, den McDonald’s zu suchen, den wir am Abend zuvor gesehen hatten. Als wir ihn fanden, sah ich, daß wir kurz vorher schon mal daran vorbeigefahren waren, ihn allerdings bei Tag nicht sahen, weil er mitten in einem Scherbenviertel lag, umringt von heruntergekommenen Hochhäusern, die bei Nacht wohl nicht beleuchtet waren, oder zumindest angesichts der Fesbeleuchtung von McDonald’s überhaupt nicht aufgefallen waren. Wie dem auch war, wir gingen hinein. So, wie man es kennt: Klimatisiert, sauber uniformiertes Personal und die üblichen Gerichte. Sogar mit WiFi. Hier ließen wir uns nieder. Auf dem Teebecher war die Aufschrift in Deutsch gehalten, und das war auch das einzige was man lesen konnte. Alles andere war in georgisch, aber als notorischer McDonald’s-Kunde kannte ich sowieso alles auswendig. Während wir da saßen und aßen besprachen wir das weitere Vorgehen. Von Kutaisi in den Süden nach Akhalshike. Das Kaff, in dem wir nach der Einreise genächtigt hatten. Wir fuhren gegen sechs Uhr los und rechneten damit, gegen neun dort angekommen zu sein, wenn wir gemütlich fuhren – das bedeutet beim vollbeladenen 200D mit eingeschalteter Klima Vollgas.

Wir waren rasch in Badhdati angekommen, wo sich die Straße verzweigte. Ich fragte nach dem Weg nach Akhaltsikhe und man schickten uns zurück in die Richtung aus der wir gekommen waren und deutete an, daß der Direkte weg nur mit Jeep zu machen sei. Nein. Wir fuhren weiter. Bald kamen wir zum nächsten Kaff, durchfuhren es und als wir eine Art Schranke passierten fragte ich noch „Was ist denn das für ein Scheiß?“ Die Antwort kam in Form von verwittertem Asphalt mit vielen Schlaglöchern. Wenige Kilometer weiter kamen wir an ein paar Ständen vorbei, an denen Honig verkauft wurde. Ein dicklicher Mann winkte uns zu und hob dann beide Arme. Ich blieb stehen, er kam ans Auto und rief „Amerika, Germania, Brasil?“ Volltreffer. „Njemjetski“, sagte ich. „Ah! Germania! Very good“, und dann etwas auf Russisch, worauf Almut die Antwort Akhaltsikhe gab. Er kniff das eine Auge zu, zeigte auf die „Chausse“, streckte dann die Unterarme nach vorne aus und ging immer abwechselnd mit den Schultern in Richtung Boden. Damit wollte er wohl ausdrücken, daß die Straße sehr uneben war. Wir verabschiedeten uns und fuhren weiter. Wir wollten uns selbst ein Bild machen. Der Anstieg wurde steiler, der Asphalt verschwand und wurde zu ausgefahrenem Schotter. Die Serpentinen, auf denen wir schon seit geraumer Zeit fuhren wurden enger, der Motor heißer. Der Klimabetrieb wurde eingestellt. Nun brauchten wir 100% der Motorleistung für die Piste. Die Kurven bestanden aus felsigen Passagen und ich hatte immer mehr Mühe, meinen Weg hinauf zu finden.

Wo ist da der Weg? Von Straße war schon lange keine Rede mehr.

An einer Kehre stoppte ich. Da war kein Aufstieg. Almut stieg aus, ich anschließend. Wenn keine Auffahrt da ist, muß man eben eine bauen. Ich sammelte die Steine ein, die nutzlos im Gelände lagen und legte sie vor den Felsen, nahm Anlauf und hoch ging’s. Entfernung zum Ziel: 50 km. Und jetzt schon, nach lediglich fünf Kilometern, mußten schon Straßenbauliche Maßnahmen eingeleitet werden? Das sah nicht gut aus. Wir fuhren weiter, in der Hoffnung, daß sich die Piste wieder besserte. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Immer schlimmer wurde sie. Zu den Felsen kamen nun auch noch große Schlammpfützen. Die mußten mit Schwung genommen werden, wollten wir uns nicht festfahren. Keine Lust auf Schlammschlacht. Bei einer großen verlor das Auto dramatisch an Schwung und ich merkte, wie die Räder durchdrehten. „Scheiße!“ Mit dem letzten Schwung griffen aber die Hinterräder und der Daimler wälzte sich aus der Pfütze heraus. Meine anf:angliche Lockerheit war verflogen, ich merkte, daß ich den Lenkknauf so fest umklammerte, daß meine Knöchel weiß waren. Radio aus. Ich konzentrierte mich auf die Piste, und nur auf die Piste. Nächste felsige Passage. „Vergiß es…“, entfuhr mir. Aber noch obsiegte der Ehrgeiz, die Piste doch zu meistern. Ich wollte nicht schon wieder zu früh aufgeben, wie ich es sonst immer tat. Keine Ahnung, wie ich es ohne Aufsitzen geschafft hatte, aber wir hatten eine weitere Passage gemeistert. Allerdings nur um ein paar hundert Meter weiter auf die nächste zu treffen, die die vorherige wie einen Baby-Hang aussehen ließ. Wieder raus, wieder Lego-Spielen mit den umherliegenden Felsbrocken, die mittlerweile eine beachtliche Größe hatten. Die Kupplung begann zu ächzen. Und ich begann mich darüber zu ärgern, daß ich nicht diese verdammte Taxikupplung hatte einbauen lassen. Nicht falscher Sparsinn, es war reine Faulheit, um nicht zu sagen gröbste Idiotie. Was uns in Europa bei fünf Minuten Planung 200€ und zwei Tage gekostet hätte, kostet und hier einen Tag Planung, mindestens 400€ und wochenlange Wartezeit. „Es geht schon“, sage ich mir bevor es losgeht und jedesmal brüllen die Tatsachen „Es geht schon – but you gotta pay the price“ zurück. Aber wer glaubt, ich würde daraus schlau, der irrt. Mit dem Alter kommt die Weisheit – sehr witzig. In meinem Fall ist das Alter ganz allein gekommen. Soll es auch geben. Weiter. Immer noch gab ich mich nicht geschlagen. Almut hatte bereits vorgeschlagen, wir sollten umdrehen.

Not yet...

Blick aufs GPS. Entfernung zum Ziel 55 km. Das macht die Lage nicht besser. Es sind fünf Kilometer mehr als vorhin. Uns kam ein Auto entgegen. Ein blauer RAV4, georgisches Kennzeichen. Ich fuhr links ran. Er hielt auf unserer Höhe, Almut kurbelte das Fenster hinunter. Ich zeigte nach vorn und machte dann den Daumen hoch. „Do you speak english?“ kam die Antwort. Ach, die reden ja ganz natürlich. „Wie ist der weitere Weg?“, fragte ich. Der Weg an sich ist nicht so schlecht, aber es sind viele Passagen. Wir hatten Schwierigkeiten. Hat Euch jemand diesen Weg empfohlen?“ „Nein, eigentlich eher abgeraten.“ „Wir waren nur auf einem Aussichtspunkt. Bis zur Stadt sind es, soweit wir wissen etwa 70 km, also ca. 45 mi – seid Ihr aus Amerika?“ „Nein, Deutschland.“ „Ich rate Ihnen auch, umzudrehen. Die Passagen sind wirklich häßlich.“ „Danke!“, sagte ich, aber ich würde es versuchen. Das Mädchen, das hinten saß sagte noch „Good luck!“ Sie kamen nicht aus Akhaltsikhe. Wir fuhren weiter. Diese Piste war mit Abstand die schlimmste, die ich je befahren habe. Sie erinnerte Anfangs an diese häßlichen Pisten in Bolivien, überhaupt erinnerte hier vieles an Südamerika. Die Landschaft, die Pisten, die überdurchschnittlich vielen Touristen aus Israel… Aber nichts, was ich in Bolivien gesehen und befahren hatte konnte mit dieser Piste hier verglichen werden. Sie war einfach schrecklich. Und mit jedem Meter wurde sie schlimmer. Ich brachte und bewußt in eine Situation, bei der wir einfach weiterfahren mußten, um nicht wieder das Stück fahren zu müssen, das bereits hinter uns lag. Die Kuplung schrie, und ich konnte die Passagen nicht mehr langsam nehmen. Nichts mehr mit Vollgas und Kupplung schleifen lassen. Aber Aufgeben war nicht drin. Weiter, immer weiter. Es kamen die ersten Aufsetzer. Häßliche Geräusche. Ich schrie und fluchte in allen mir zur Verfügung stehenden Sprachen hinaus, was ich auf Lager hatte, aber es half nichts. Die Piste hatte immer neue Schikanen parat. Wir kamen an einem Lada vorbei, der für uns stoppte, die Lichter ausmachte, aber nicht weiterfuhr. Es war mittlerweile dunkel geworden. Die Passagen sahen im Scheinwerferlicht noch unüberwindbarer aus als bei Tageslicht, weil sie so lange Schatten warfen. Aber ich war mittlerweile eingefahren und faßte neuen Mut. Ich mußte die Passagen mit Vollgas im Ersten nehmen, weil der Kupplungsgestank darauf hindeutete, daß die Kupplung nicht mehr lange mitmachen würde. Die war schon am Ende als wir in London losfuhren… Rrrrratsch!, wieder aufgesessen. Ich spürte, wie genau unter meinen Füßen der Fels entlangschrammte. Hoffentlich hat es keine Dieselleitung erwischt. Ich steckte mir eine Kippe nach der anderen an, um den Kupplungsgeruch zu übertünchen – als würde sie dadurch an Material gewinnen. Es war bald nur noch schiere Wut, die mich weiterfahren ließ. Aber Wut verfliegt schnell und die Stimme des Gewissens dringt immer lauter durch. „Du fährst uns immer tiefer in die Scheiße. Wenn es blöd läuft, dann mußt Du diesen ganzen scheiß Weg zurück. Und wann ist bei Dir mal was nicht schiefgelaufen?“ Weiter. „Den Daimler in seinem Lauf hält weder Stein noch Pfütze auf.“ Durchhalteparolen. „Die Piste ist nicht schlimm, es ist Deine Einstellung zu ihr, die sie schlimm aussehen läßt.“ In Wahrheit suchte ich nur nach einer Ausrede, um umzudrehen, und es so aussehen zu lassen, als wäre es nicht meine Schuld. Die nächste Passage kam, und die übernächste. Ich stieg aus, sah sie mir im Scheinwerferlicht an, suchte mir einen Weg und nahm auch die. Kurz darauf waren lauter Rindviecher auf der Fahrbahn. Duzende. Da war meine Ausrede zum umdrehen. „Ach, da ist ja wer“, sagte Almut. Tatsáchlich. Ein Hirte kam und scheuchte die Rinder weg. Ich stieg aus „Njet! Njet!“ und bahnte mir meinen Weg durch die Rinder zu ihm. Nachdem ich mehrfach auf Kuhfladen ausgerutsch war hatte ich ihn erreicht. „Akhaltsikhe?“ In Zeichensprache gab er mir zu verstehen, daß ich nach 15 Kilometern rechts abbiegen solle. Nicht links! Rechts! Die Rinder waren jedenfalls weg und mit ihnen meine Ausrede zum Undrehen, also ging es weiter.

Das größte Rindvieh saß am Steuer...

Noch eine Passage. Wieder aufgesessen und gerade noch im ersten Gang bei Vollgas packte es der Daimler. Made in Germany. Doch irgendwann ging nichts mehr. So sehr ich Gas gab und so sehr die Kupplung auch jaulte, der Daimler packte es nicht. „Aussteigen, schieben“, sagte ich zu Almut. Der Kleine, der friedlich auf ihrem Arm schlief kam in den Kindersitz, Almut stieg aus und wir versuchten es. Drei, vier Mal. Vergiß es. Umdrehen war auch nicht drin. Dafür war die Piste zu eng und zu uneben. Das hieß, ein paar hundert Meter rückwärts zurück. Almut stieg wieder ein. Wir rollten zurück. „Nein!“ mich packte wieder der Furor Teutonicus und ich gab Vollgas. Kurz vor dem Absterben hatten wir die Passage geschafft. Nun ging es relativ eben weiter. Die Piste wurde breit. Almut schlug vor, hier zu übernachten. Hier war die Piste breit genug, falls doch ein Auto vorbeikommen sollte, und es war kein Hang da, von dem Rinderkopfgroße Gesteinsbrocken herunterrieseln konnten. Morgen bei Helligkeit sah das ganze anders aus. Ich fuhr weiter bis zur nächsten Kehre. Wieder eine dieser demoralisierenden Passagen. „Laß es uns einen Tag rufen!“ Ich fuhr zurück und stellte den überhitzten Daimer am Pistenrand am Abgrund ab. Wir waren sogut wie am Gipfel. Zwei Passagen noch, vielleicht drei, ab da ging es bergab. Es war kühl geworden. Über uns das Firmament, welches ich in solcher Pracht lange schon nicht mehr gesehen hatte. Die Milchstraße war so klar, wie ich sie sonst nur aus der Sahara kannte. Und eine Friedhofsruhe, nur selten vom Muhen einer Kuh unterbrochen oder vom Gebell eines Köters. Ich hatte allerdings dafür gerade keinen Blick. Ich glaube, ich werde alt. Vor wenigen Jahren hätte ich mich von so einer Piste nicht fertigmachenlassen. Ich hätte aufgegeben und wäre umgedreht und hätte mich mit dem Sternenhimmel zufriedengegeben. Heute war das anders. Es ärgerte mich, daß wir nun hier standen. Es war gerade mal neun Uhr. Neben dem Auto schlafen, wie sonst immer? Zuviele Köter. Die fressen so eine kleine Portion glatt auf. Oder er krabbelt weg und fliegt in den Abgrund. Was weiß ich wie weit es da hinuntergeht, nur zweieinhalb Meter vom Auto? Allein im Auto mag er nicht. Da ist’s gleich vorbei mit der Nachtruhe. Almut schlief also auf der Rückbank, ich auf den Blechen. Ich stellte gleich fest, daß dieser Schlafplatz auf dem Braunen bequemer war. Beim Blauen war der Gepäckträger höher als die Bleche, so daß ich dauernd die Eisenstange im Nacken oder in den Hacken hatte.


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© by Markus Besold