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Pakistan 2010
Sonntag, der 29. August

Gegen eins gingen wir ins Stalin-Museum. Das war gleich nebenan in einem eigentlich schön angelegten Park, der allerdings schon bessere Tage gesehen hatte. Das Gras war erst verwildert, dann verdorrt, der Brunnen führte kein Wasser, und die kleinen Brücken, die über den Brunnen führten waren teilweise zerbröselt. Vor dem Museum stand das Haus seiner Eltern. Eine bescheidene Hütte mit zwei Räumen. Dahinter der Salonwagen. Der war für sowjetische Verhältnisse sehr luxuriös, sogar mit Badewanne und Klimaanlage. 

Mamma Georgia

Mama Georgia, die über Tiflis wacht.

 Die Festung selbst hatte sich Almut aus ihrer Sicht in der früh, aus meiner Sicht mitten in der Nacht, und aus allgemeiner Sicht um 07:00 Uhr GMT, also um 10:00 Uhr Ortszeit, sich die Festung angeschaut. Eine relativ symmetrische Anordnung von Steinen. Das Museum war gar nicht so billig wie wir gedacht hatten. Außer uns war noch eine Gruppe von Studenten hier, etwa sechs oder sieben davon. Hatten irgendwas mit der GTZ zu schaffen. Mich interessierte mehr, was man hier so über Stalin zu erzählen hatte. Am Museum ist wohl seit den 60ern nichts mehr gemacht worden. Da geht noch was. Zum Beispiel die Beschreibungen auf Englisch hinzufügen. Dann die Führerin, die man extra mieten muß, um das Geburtshaus und den Sonderwagon zu besichtigen: Wenn sie schon nichts dazu erzählt, dann würde es auch reichen, wenn sie gut aussieht. Aber das sind noch die Überreste des Staatskapitalismus, der hier über Jahrzehnte geherrscht hat. Der tötet von seiner Natur aus jede noch so kleine Motivation im Keim. Da gibt es kein “Pursuit of Excellence”. Das spürt man heute noch. 

Papa Stalin, der über das Sowjetreich wacht.

 Nun überlegten wir, wie es weitergehen sollte. Ich hatte mein Handtuch im Hotel in Tiflis vergessen und daher ging es wohl zunächst nach Tiflis. Da sich das GPS die letzten paar Tausend Kilometer merkt und ich den Standort des Hotels gespeichert hatte brauchten wir ja nur der Linie nachzufahren. Wir fanden es auch relativ schnell. Almut ging ins Internet, ich holte mein Handtuch ab. Neue Informationen: In Pakistan sind zwei Dämme gebrochen, die Leute sind beleidigt, weil ihnen die Hilfsgüter aus dem LKW abgeworfen werden, der Anwalt aus Teheran hat sich gemeldet, Ali bleibt verschollen und der Student, den Almut neulich getroffen hatte, hatte sich auch gemeldet und gemeint, er hätte täglich ab 18:00 Uhr Zeit. Er gab seine Telephonnummer an. Wir setzten uns also in das Café, in dem wir schon vorgestern waren und schlürften eine Cola bzw. einen Tee und warteten auf eine Antwort. Bei den deutschen Studenten ist es nicht mehr üblich, daß sie, wie im 19. Jahrhundert in Freiheit mit ihren Professoren forschen, aber es hat es sich auch noch nicht durchgesetzt, daß man Telephonnummern im internationalen Format angibt, also mit Plus und Ländervorwahl. Nun durften wir raten was zu tun war. Gab man die Nummer, die mit 85 startete, einfach so ein und schickte sie ab, meldeten alle Telephone einen Fehler. Die Ländervorwahl konnte man eingeben, aber es gab keine Null zum weglassen, funktionierte also auch nicht. Also reimte ich mir mit der Bedienung aus den verfügbaren Zahlen irgendetwas zusammen und verschickte ein paar SMSen in der Hoffnung, daß wenigstens eine davon ankam. Eine Antwort kam nicht. Aber wir hatten genug Zeit, die weitere Route zu besprechen. Almut einigte sich darauf, daß wir nach Kutaisi fahren. Dort ist irgendein Weltkulturerbe. Wenn man sich unsere Route auf der Karte ansieht könnte man meinen, eine besoffene Kakerlake sei über die Karte gelaufen. Statt sinnvollerweise von Batumi startend über Poti, Kutaisi, Akhaltsikhe, Gori, Stepantsminda und Tiflis zur armenischen Grenze zu fahren, fuhren wir idiotischerweise von Batumi nach Akhaltsikhe, von da an Gori vorbei nach Tiflis, von dort an einem anderen Akhaltsikhe vorbei nach Stepantsminda, wieder zurück nach Gori, wieder nach Tiflis, dann von dort zum dritten Mal an Gori vorbei nach Kutaisi zurück. Hoffentlich kriegen wir das etwas professioneller hin, wenn wir tatsächlich durch Rußland fahren. Wenn wir da den gleichen Schwachsinn veranstalten ist das Auto, wenn wir heimkommen längst kein Klassiker mehr, sondern schon eine Antiquität… 

Seltsame Felsformation auf dem Weg zurück von Stepanslinka.

Als wir endlich in Kutaisi ankamen war es längst Nacht geworden. Ich fand ich es seltsam, daß die Scheiben außen beschlagen waren. „Ich dachte wir sind in den Bergen“, meinte Almut. Und beide dachten wir, in den Bergen ist es kühl. Pfiffkas! Das hier waren karibische Verhältnisse. Obgleich die Klima schon einiges an Kühlstärke eingebüßt hatte, so funktionierte dennoch der Trockner noch gut. Einmal stieg ich bei etwas Hotelähnlichem aus und wurde von der fauligen schwülen Luft fast erschlagen. Mit jedem Schritt merkte man, wie die Kleider die Luftnässe in sich aufsogen. Schnell wieder in die kühle Kanzel des Daimler. Fest steht: Auch eine kaum funktionierende Klima ist besser als gar keine. Irgendwo muß ich das durch das Leck entwichene Gas wieder auffüllen lassen. Aber das mach mal einer in einem Land, in dem man sich vorkommt wie ein Analphabet, weil man nichts, aber auch gar nichts lesen kann. Verständigung klappt nicht, denn viel ist hier nicht mehr auf Kyrillisch. Englisch nur ein paar Straßenschilder. Ansonsten alles Georgisch, und das ist so eine Sprache wie Maya: Die soll lernen wer will.
Ein anderes Phänomen, das ich mir bislang nicht erklären konnte waren die vielen Autos, die man hier sieht, die das Lenkrad auf der falschen Seite haben. Abgesehen von ein paar Tatras und Ladas sind wohl alle Autos hier importiert. Aber warum Rechtslenker? Es fahren viele Opel hier durch die Gegend. Vectra, Scorpio, usw. Aber auch davon haben viele das Lenkrad rechts. Wären die aus Großbritannien importiert, müßten sie aber doch Vauxhall heißen. Doch Vauxhall habe ich keinen einzigen gesehen. Auf allen steht Opel. Das Absurdeste war jedoch ein BMW aus den frühen Vierzigern, der das Lenkrad rechts hatte und am Dach einen Aufkleber „Auto Bild“. 

Wieder nach Westen, wo wir hergekommen waren.

Man beschrieb mir den Weg zu einem Hotel, wobei die einzigen englische Wörter „go“ und „green“ waren. Grün war die Farbe der Tankstelle. Ansonsten Handzeichen und Russisch. Aber wir fanden es. Ich parkte das Auto und ging in die Rezeption. Der Raum war rot ausgeleuchtet, drei Leute darin. Die Dame hinter dem Tresen sagte etwas, was ich nicht verstand. Sie sah aus wie eine Puffmutter, und sie hatte auch ein gewisses auftreten. Nicht lange labern. „Sit“, sagte sie und zeigte auf den Stuhl vor ihrem Tisch. „Ein Zimmer, zwei Personen?“, fragte ich auf Englisch. „Da! Sit!“ Ich setzte mich. „Passport!“ Ich zog ihn zackig aus der linken Beintasche und klatschte ihn ihr hin. „Telephone!“, ich zog es aus der Handy-Tasche rechts am Koppel und klatschte es ihr neben den Paß. Die anderen beiden lachten. „Njet! Number! Ah!“, sagte sie und winkte ab, machte einen langen Strich in ihrem Buch, wo sie normalerweise wohl die Telephonnummern einträgt. Ich steckte das Telephon wieder ein. Sie schrieb die zahl 70 auf einen Zettel und sagte „Money!“ Ich nahm das Geld aus dem Geldbeutel und hatte zufällig einen 50er, einen 10er und zwei 5er erwischt. Auch das klatschte ich nun auf den Tisch. „Parking? Maschina sjuda?“ „No problem!“ Dann zeigt ich auf die Aircondition und auf den Zimmerschlüssel. „Da! AirCondition in room.“ Erst hoch ins Zimmer und Klimaanlage an. Das war ja nicht auszuhalten. So eine widerliche Suppe. Dann wieder runter, Tasche nehmen und hoch die Treppen in den ersten Stock. Es waren nur ein paar Schritte, aber ich konnte spüren, wie die Schweißperlen den Rücken hinunterliefen. Bevor ich die nächste Fuhre holte, stellte ich mich vor die Klima. Daneben ein Thermometer. 32 Grad. Das kann nicht stimmen. Ich legte das Thermometer direkt an den Kaltluftausgang der Klima, ging hinunter und holte das restliche Gepäck. Thermometer wieder an die Wand, runter, eine rauchen. Als ich wieder oben im Zimmer war checkte ich die Temperatur. Tatsächlich 32 Grad. Aber ein gewaltiger Unterschied zu draußen. Hier war die Luft trocken, da stören die 32 Grad nicht. Aber diese elende Luftfeuchtigkeit. Deswegen zählt auch die Aussage „Wir haben sowieso nur zwei Monate Sommer, da braucht man keine Klimaanlage“ mit zu den dümmsten, die ich je gehört habe – in einem Land, in dem die Luftfeuchtigkeit nie unter 60% sinkt. Wer einmal gesehen hat, wie schnell eine Klimaanlage eine beschlagene Scheibe freimacht, der wird sich, wenn er alle fünf Sinne beieinander hat, nie mehr ein Auto ohne kaufen. Sie sind und bleiben einfach Billigheimer. Zu blöd zum Geldverdienen, weil zu beschäftigt mit sparen. Das dachte ich mir heute im Museum auch wieder. Was man aus dem Obersalzberg oder in Berlin oder München an Kohle herausholen könnte, was da aus aller Welt an Massen von Touristen kämen und jeden Betrag zahlen würden, nur um aus der Nähe eine Tasse zu sehen, aus der der Führer angeblich einmal getrunken hat. Damit wären die Renten gesichert und zwar für ein paar Generationen. Oder man könnte das Geld den Opfern zukommen lassen, solange sie noch leben, oder davon U-Boote bauen und sie dann an Israel zur Verteidigung der Golan-Höhen verschenken. Irgendwas. Aber dazu ist der Deutsche zu doof. Statt nach dem bewährten Grundsatz zu handeln „Pecunia non olet“, oder sich zumindest zu sagen „Da zahlen wenigstens die Richtigen“, setzt der gut konditionierte deutsche Schäferhund sein einstudiertes Betroffenheitsgesicht auf und sagt „Oh! Böse, böse!“


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© by Markus Besold