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Pakistan 2010
Montag, der 13. September

Für heute war Ausschlafen angekündigt und das tat ich auch. Als ich aufwachte, lag der Kleine neben mir und schlief friedlich. Was mach ich, wenn der aufwacht und anfängt zu schreien? Neinein, damit will ich nichts zu tun haben. Ich wußte nicht, wie ich reagieren sollte, zog mich schnell an und lief hinunter zu Almut, die in der Lobby saß und die neuesten Nachrichten las. Diese Straße, Karakorum Highway oder so ist, wie Didi gestern erzählt hatte tatsächlich an zwei Duzend Stellen weggeschwemmt. Macht nichts, bis wir da sind ist alles bestimmt wieder in allerbester Ordnung. Dann ging sie hoch und kümmerte sich um die Situation - oder auch nicht. Ich weiß es nicht, weil ich nun selbst am Rechner saß und mich mit der Iranerin unterhielt, die gestern und heute hier im Hotel umherschwirrte, und deren Funktion ich nicht eindeutig feststellen konnte. Aber von mir aus brauchte sie auch keine Funktion. War eine angenehme Zeitgenössin.

Ich ging los, um vielleicht einen Vorfilter aufzustellen. Auf halbem Wege fiel mir ein, daß es doch vielleicht eine gute Idee ist, den alten Filter mitzunehmen. Aber auch hier: Man ist zu faul die paar Schritte zum Auto zu gehen und das Teil auszubauen. Irgendwann merkt man, daß man dadurch alles nur komplizierter macht und muß dann einen Kilometer zurücklatschen, um das zu erldigen, was man gleich hätte tun sollen, was vorhin nur einen Bruchteil an Zeit und Energie gekostet hätte. So ist es jedes Mal, und der dümmste Hund hätte es eigentlich schon spätestens vor 30 Jahren kapiert. Nach mehreren Stunden des Hin und Hers gaben wir auf. Die hatten nur Filter für Benziner. Für Diesel nichts. Wir gingen von einem Laden zum nächsten, die Leute telephonierten, was das Zeug hielt, schicken Melder los, aber keiner konnte einen Filter auftreiben. Man bot uns Umbauten an, eigenhändig perforierte Benzinfilter, alles, nur keinen einfachen Dieselvorfilter. Das ist wieder eine dieser seltsamen Begebenheiten, wie sie Unterwegs so oft passieren. Beim Hauptfilter waren wir keine zweihundert Meter gelaufen, es war Feiertag, nur ein paar Geschäfte waren offen, aber ich hatte nach wenigen Minuten ein Originalteil in der Hand. Der Benziner hat diesen Filter nicht, soweit ich weiß. Ist ein Teil nur für den Diesel, aber das hatten sie da. Aber der Vorfilter, der, von dem man glaubt, jeder Kabob-Verkäufer müsse so einen unter dem Tresen haben, der war und war auf einmal so schwer auszutreiben wie ein Ersatztriebwerk für ein Space-Shuttle. Das ist oft so. In Afrika, wo uns jeder erzählt, daß das mit der Verschiffung ein Ding der Unmöglichkeit sei, da klappt es in relativ kurzer Zeit, an der Karibik, wo Millionen Schiffe da hin fahren, wo man hinwill, und man davon ausgeht, daß unter diesen Millionen mindestens eines dabeisein muß, das einen mitnimmt, da nahm uns keines mit. The luck of the game...

Wir gingen irgendwann wieder in die Stadt und suchten etwas zu Essen. Nach vielen sinnlosen Kilometern fanden wir auch was. Die Pommes waren gut, die Pizza eher nicht. Es war auch keine Pizza, sondern Wurst, unter der ein wenig Teig war und auf der ein wenig geschmolzener Käse lag. Pizzas im Iran nur noch vegetarisch. Ich bezahlte und bekam das Wechselgeld in Münzen. Sehr selten hier. Ich sah sie mir genauer an, und der Typ hinter dem Tresen rechnete mir vor, daß das Wechselgeld eigentlich stimmen muß. "Jaja, neinein, ich schau mir nur die Münzen an. Das sind die ersten iranischen Münzen, die ich krieg. Ich dachte, hier gibt es nur Scheine. Es waren 500-Rial-Münzen, und ich zeigte ihm einen 500-Rial-Schein, den im Geldbeutel hatte. "Ich weiß, das ist ein Scheiß. Das liegt daran, daß wir so eine geniale Regierung haben..." Als ich die Münzen wegpackte, und weitergehen wollte, sprach mich ein Gast an und fragte, woher wir seien. "Deutschland", sagte ich. "Willkommen in meinem Land", das ist hier normal. Heute wurden wir schon dreimal auf der Straße gefragt, ob man uns etwas helfen kann. Nicht so, wie man es aus arabischen oder afrikanischen Ländern kennt, denn wenn man sich bedankte und nein sagte, dann gingen sie weiter. Almut wurde in der Früh von einem älteren Herren angesprochen, der sich dafür bedankte, daß wir "trotzdem sein Land besuchen", vorhin fragte ein Teilehändler, ob wir etwas bestimmtes suchen. Und Almut wurde noch kein einziges Mal blöd angemacht oder angepfiffen oder sontwas, wenn sie alleine unterwegs war.

Wir gingen zurück zum Hotel, und als wir reinkamen, war Didi gerade unterwegs zum Parkplatz. Ich ging gleich mit hinaus und fragte, ob ich mir die Karre mal ansehen konnte. Da war alles drin, was der Mensch zum Leben braucht. Alles, außer einer Klimaanlage. Aber abgesehen davon hatte er an nichts gespart. Geldmäßig schon, denn er hatte alles selbst gemacht. An der Stoßstange ein Hi-Jack und ein Kamelknochen. Alter Nomaden- oder Beduinenbrauch: Den ersten Kamelknochen, den man findet mitnehmen. Soll Glück bringen. Der Rahmen verzinkt, alles höhergelegt. Aber besonders interessant waren die Umbauten, die man nicht sofort auf den ersten Blick sah. Alles bis ins kleinste Detail durchdacht. There's an engineer in every German. Hier sah man, daß das nicht aus der Luft gegriffen war. Die Haube war aus Polyester, man konnte die ganz aufmachen, und nicht, wie normalerweise beim G-Modell, wo die Kotflügel bleiben und nur der mittlere Teil der haube aufgemacht werden kann. Und unter der Haube verbargen sich unzählige technische Raffinessen. Der Originalkühler war ersetzt durch einen komplett aus Alu gefertigten Monsterkühler von einer luftfahrtzertifizierten Fabrik aus Rumänien. Der Originallüfter fehlte und war durch zwei starke, elektrische Lüfter ersetzt, die hinter dem Kühler angebracht waren, und die man drehzahlunabhängig elektrisch zuschalten konnte. Besonders interessant bei Dünenfahrten oder im Kriechgang, wenn das Auto kaum Fahrt hat, aber Drehzahl. Der Schlauch für die Gertiebekühlung lief durch den Motorraum hinauf zur Zyklone, damit sie kein Wasser saugt. Der ganze Motorraum war vollgestopft mit allen möglichen und unmöglichen Aggregaten. Ladeluftkühler, Ansaugluftvorwärmer, eine elektrische Ölpumpe, die den Öldruck vor dem Start des Wagens schon auf drei Bar brachte, ich konnte mir das alles gar nicht merken.

Dann das Cockpit. Es war keine Kanzel und kein Fahrerbereich, es war ein Cockpit. Luftgefederte Sitze, wie beim LKW, links neben dem Armaturenbrett eine Druckanzeige vom Turbolader, unter dem Lenkrad ein Stellrad, mit dem man diesen Druck regulieren konnte. Rechts vom Armaturenbrett schätzungsweise Neigungsanzeige, Drehzahlmesser und sonstiges Zeug, daneben die Satelitennavigation - keine simples Navi, sondern so eines für die Profis. Neupreis um die 800€, aber gekauft von einem dieser Spezialisten, die ihre 100.000-Euro-Kisten immer mit dem neuesten Schnickschnack ausstatten, sie neben ihren Porsche in die Garage stellen und sich sagen: "Wenn ich jetzt losfahren würde, könnte ich an jeden Punkt der Welt fahren, wohin ich nur will." - die aber das Wichtigste eben vergessen, nämlich das Losfahren. Unter dem Armaturenbrett war der Sicherungskasten angebracht. Kippsicherungen, die nicht auf Temperatur ansprechen. Fliegt sie raus, kann man sie durch umlegen des Schalters wieder hineinhauen, wie am Sicherungskasten im Haus.

Das Cockpit des ungebauten G-Modells.

Der hintere Teil des Wagens war mit allem Nötigen für eine Reise ausgestattet. Kühlschrank, Wasserfilter, wärmetauschende Brauchwasseranlage mit einem am Unterboden angebrachten 180-Liter-Tank. Die Heckklappe hatte einen Klapptisch. "Handwerklich sehr professionell", stellte ich fest. "Ich bin gelernter Schreiner". Das erklärt den Tisch, nicht aber den Rest. Auch alles selbst gemacht. Bis hin zum Lichtspiel im Innenraum. Zur Not kann man das Auto also auch zu einer Outdoor-Disko umfunktionieren. Mit den zwei Hilfsbatteien, die über die Lichtmaschine gelden werden kein Problem. Umgekehrt kann man auch das Auto einfach an die Steckdose anschließen und es wird geladen und der Kühlschrank bleibt kühl und das Wasser warm, wenn es sein muß. Im Obergeschoß war ein Doppelbett eingebaut. Das Dach konnte man hochstellen und hatte damit überall einen trockenen Übernachtungsplatz dabei. Auf dem Dach außen war das zweite Ersatzrad. Gekostet hatte das ganze 6.000 €, das Verzinken etwa 500 € und der Rest ist selbstgebastelt. Was ich nicht entdecken konnte war ein Umbau, der irgendwie pfuschig gemacht war. Die hintere Stoßstange war massiv, aber aus Edelstahl und da die normalerweise innen ja hohl ist, nutzte er den Raum um in jede Hälfte jeweils sechs Liter Motoröl als Reserve mitzuführen. Mittels Ablaßschraube kann man es in den Kanister leiten und dann in den Motor führen.

Abends mit Didi und Heike auf dem Hotelparkplatz.

Wir unterhielten uns noch Stundenlang - mangels Bier gab es halt Cola, aber das störte nicht weiter. Irgendwann kam Heide dazu und erinnerte Didi daran, daß er ihr eigentlich doch ihre Schuhe bringen wollte. Das ist wohl irgendwie untergegangen. Sie blieb auch noch da, und Mohammed kam auch noch. Mittlerweile hatte ich eine Iranische SIM-Card - die einzige Errungenschaft des heutigen Tages. Er sah das G-Modell und verschwand mit Didi hinter der Haube und ward für Stunden nicht mehr gesehen. Er war selbst Mercedes-Teile-Händler und in der dritten Generation Mercedes-Fahrer, hatte einen W107 und einen W116. Währenddessen unterhielt ich mich mit Heike über die Fahrten der beiden, die sie der Vergangenheit gemacht hatten. Ich stellte fest, daß sich die Fahrten der letzten Jahre nicht mehr so anfühlten, wie die Fahren der ersten Hälfte des Jahrzehnts. Irgendwas war anders. Damals hatte das noch was von Abenteuer, von Kreativität, vom Wind im Gesicht, von Grenzüberschreitung, von einem erfüllten Leben. Das fehlt irgendwie heute alles. Ich denke, es liegt daran, daß ich damals einfach in die Welt hinausgefahren war, um irgendwo einen Platz für mich zu suchen, ich hatte keine Ahnung, wohin das Schicksal mich tragen würde, und es war auch vollkommen egal, wo eine Straße war, da war ich zuhaus. Aber jetzt, wo ich meinen Platz gefunden habe und weiß, daß ich dahin zurückgehen werde, ist das hier nur noch reines Kilometerfressen. Zumindest kommt es mir gerade so vor. Es gibt kein Kalifornien mehr, das darauf wartet, entdeckt zu werden. Es gibt nur noch ein Kalifornien, in das es zurückzukehren gilt.

Nebenbei erfuhr ich, daß man bei der Einreise an der Grenze eine Tankkarte bekommt. Man bezahlt die Kraftstoffsteuer sozusagen im Voraus. Didi erzählte von dem Overlander-Truck mit vierzig Mann an Bord, den sie unterwegs getroffen hatten. Der hatte an der Grenze angegeben, nur nach Tabriz zu fahren und hatte dadurch den niedrigsten Satz bezahlt, umgerechnet 290 €. Didi mußte den auch bezahlen - und er achtete darauf, daß ihm die Karte auch ausgeh:andigt wurde, und daß der Agent sie nicht auf dem Schwarzmarkt verkauft. Ich wußte nichts davon. Er erwähnte auch einen rosa Zettel, den man bei der Einreise bekommt, und einen anderen Touristen, der 1.000 € zahlen mußte, weil er den nicht hatte. Ich kann mich erinnern, daß bei den Papieren ein rosa Zettel dabeiwar, aber an eine Karte kann ich mich nicht erinnern. Ich wußte gar nicht, daß man die braucht. Zwar hatte der Iraner in Sevan die Karte erwähnt, aber ich dachte, die sei nur für Einheimische. Nun, unser Agent hatte uns dann wohl um die Karte beschissen, und sie auf dem Schwarzmarkt verkauft. Ist nicht schlimm, denn Didi hat die Karte nie benutzt, den Diesel bekommt man hier sowieso hinterhergeschmissen für weniger als ein Apfel und ein Ei. Aber wir hätten die Karte selber verkaufen können und damit von der Einreisegebühr etwas zurückbekommen. Beim nächsten Mal wissen wir bescheid.


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