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Pakistan 2010
Donnerstag, der 2. September

Sedanstag. Ohne Frühstück weiter. Das Hotel hatte wohl noch nicht auf. Wir packten unser Zeug ins Auto und fuhren los – zum nächsten Kloster. Nicht, daß es nicht aussehen würde, wie alle anderen Klöster in der Gegend, aber wohin ich fahren soll interessiert mich bekanntlich wenig. Dort trafen wir wieder das deutsch-italienisch-australische Ehepaar. Danach ging es weiter in Richtung Süden – zum nächsten Kloster. Wie spannend. Sanahin hieß es und sah aus wie alle anderen Klöster eben auch aussehen.

Versunkene Bauten versunkener Kulturen.

Was in Georgien Israelis waren, sind hier die Italiener. Busseweise werden die hier angekarrt, von einem Kloster zum nächsten. Dabei gibt es in Armenien viel interessante Dinge zu sehen. Nicht weit von wo wir waren, gab es zum Beispiel vor einigen Jahren ein Erdbeben mit 50.000 Toten. Es gibt ohnehin wenig Armenier, insgesamt dreieinhalb Millionen – die meisten davon, schätze ich, leben in L.A. Das Land hier lebt zu einem großen Teil von den Auslandsarmeniern, die im Lonely Planet als Diaspora bezeichnet werden. Da las ich auch, daß es in Frankreich seit 2006 unter Strafe steht, den Völkermord an den Armeniern zu leugnen. Muß ein Riesenaufschrei gewesen sein. Ich war extrem überrascht, denn ich dachte immer, die Existenz solcher mittelalterlichen Gesetze, die Menschen an etwas zu glauben vorschreiben oder verbieten, würde sich allein auf Deutschland beschränken, weil allein die Deutschen blöd genug sind, alles was staatlich verordnet wird, ungeprüft gutzuheißen. Aber unter uns – die Franzosen nicht viel schlauer als die Deutschen. Nie gewesen. Sie waren nur freiheitsliebender. Und ich schätze mal, in der Praxis hat dieses Gesetz ohnehin kaum Auswirkungen. Was interessieren die Franzosen Armenier? Was ich wieder nicht kapiert habe, und was auch im Reiseführer nicht erklärt wird ist, warum ausgerechnet in Frankreich? In der Türkei darf man den gar nicht erwähnen. Das wäre so, als stünde in Argentinien das Leugnen des Massenmorden an den Juden in Deutschland unter Strafe, während es in Deutschland unter Strafe stünde, ihn zu erwähnen. Und durchgedrückt wurde das Gesetz von den Auslandsarmeniern, die überall auf der Welt recht geschäftstüchtig unterwegs zu sein scheinen: “More often than not, it’s the Diaspora that pushes this agenda”, so der Reiseführer. Das Land unterhält gute Beziehungen zu den USA, Rußland und zum Iran. Das haben nicht einmal die Juden geschafft, die schon wesentlich länger in diesem Geschäft sind – was aber weniger an ihnen selbst liegt, sondern an der geopolitisch nicht ganz optimalen Lage des Staates Israel.

Irgendwo im Nirgendwo: Eine "Gaming Hall".

Wir fuhren durch Vanadzor, fanden eine Bank und hoben Geld ab. Was in Georgien erst beim fünften Mal klappte, ging hier ohne jegliche Probleme sofort aufs erste Mal vonstatten. Sehr gut. Wie geht es nun weiter? In Vanazor bleiben? Es gab, etwa 20 km weiter, ein Kaff namens Stepanavan. Dort soll es ein Touristen-Informationszentrum geben und ein gutes Restaurant. “Restaurant? Da fahren wir hin.” Auf halbem Weg nach Gyumri fiel auf, daß wir total falsch waren. Also wieder zurück. Aus den 23 Kilometern wurden fast 100. Aber was soll’s. Wir sind im Urlaub und nicht auf der Flucht. Der letzte Termin zur Einreise nach Pakistan verstreicht in nicht ganz 48 Stunden. Wir kamen in das Dorf und fanden von beiden erwähnten Sachen nichts. Dafür aber einen Supermarkt, der bestimmt kalte Cola hatte. Almut stieg aus. Vor dem Supermarkt saßen zwei Leute, die eindeutig keine Einheimischen waren. Nachdem ich die Frontscheibe wieder einigermaßen sauber, den Waschwasserbehälter dafür leergekriegt hatte, ging ich auch vor den Supermarkt. Es waren Holländer. Seit sieben Wochen in Georgien, Aserbaidschan und Armenien unterwegs, war heute nunmehr ihr vorletzter Tag. Sie gaben uns ein paar Ratschläge was die Unterkunft angeht, hauptsächlich in Yerevan, aber auch hier in Stepanavan.

Offensichtlich mit Gasantrieb...

Sie wußten, wo das Informationszentrum war und wir beschlossen, hier zu bleiben, der Preis war mit 10.000 MickyMaus mit Frühstück durchaus in Ordnung. Internet für frei gab es auch und das Zimmer war riesig und hatte sogar einen eigenen Schreibtisch, groß wie eine Kirche. Doch das Zimmer mußte erst noch hergerichtet werden und wir fuhren los, um das im Reiseführer als “best Restaurant in town” erwähnt ist. Es handelt sich um ein altes sowjetisches Sanatorium auf einem Hügel im Wald. Wir fuhren in Richtung Wald und trafen dort zwei Frauen, die die Straße entlanggingen. Almut versuchte mit drei Wörtern Russisch nach dem “Anahit Pensionat” zu fragen. Die andere erklärte es, aber wir verstanden nichts. “Do you speak english?”, fragte sie schließlich. Sie konnte absolut fließend Englisch – und sagt nichts. Almut setzte sich nach vorn, die Dame nach hinten und wir fuhren wohin sie uns schickte. Dann, mitten im Wald, stieg sie aus und meinte, einfach immer nur geradeaus weiter. Wir bedankten uns und folgten ihren Anweisungen. Bald standen wir auf dem Gelände. Links neben uns ein verfallenes Gebäude, das von der Form eher an eine Walldorf-Schule, als an ein Sanatorium erinnert, vorbei an einem verfallenen Swimming-Pool, hinauf zu einem Gebäude, von dem wir dachten, es könnte vielleicht das Restaurant sein. Almut stieg aus, ich fuhr zurück, um die andere Straße zu testen. Mir kam ein älterer Herr entgegen und machte diese typische Handgeste, Handfläche um 180° nach außen drehen, die ausdrückt “Was willst/suchst Du?” “Restaurant”, gab ich zur Antwort. Er zeigte auf das Gebäude, vor dem Almut ausgestiegen war. Ich fuhr unten herum, wieder zu dem Gebäude hin. “Also, hier ist nichts”, kam mir Almut entgegen. “Aber wenn ich’s doch besser weiß. Ich hab grad einen getroffen, der hat gemeint… Da ist er ja.” Er zeigte auf das Gebäude und meinte, wir sollen ihm folgen. Wir gingen über den Randstein auf das verdorrte Gras, durch Häufen von Bauschutt und ausrangierten Haushaltsgeräten zu einem Eingang, hinter dem sich die Küche befand. Dort gaben wir unsere Bestellung auf und wurden dann zu einem Tisch gebracht. Das letzte Stück sah nun eher aus wie es sich gehört. Großer Saal, entsprechende Tische, Holzdecke, Wagenräder als Kronenleuchter. Es erinnerte stark an die Ordensburg in Sonthofen, nur war alles viel billiger gemacht – wenn man bedenkt, daß das hier ein Sanatorium für die Parteibonzen war und nicht für die alten kranken Mütterlein. Dieser Teil des Restaurants war noch gut in Schuß. Selbst die Scheiben waren blitzsauber.

Das ehemalige Sanatorium, jetzt Restaurant.

Wenn man da nicht zufällig jemanden trifft, dann fährt man einfach wieder. Wie kann man ahnen, daß mitten in diesem Gerümpel ein Restaurant steckt. Kein Wunder, daß wir neben zwei Weißrussen die einzigen Gäste waren. Ich weiß nicht, ob es wirklich Weißrussen waren, aber sie sahen aus wie Putin, also behaupte ich das einfach mal.

Almut hatte einen Salat bestellt, ich ein Schaschlik. Der Salat kam zuerst: Ein Teller Krautsalat, eine Gurke und eine Tomate. Zurechtschnipseln mußte man den Salat selber. Aber dafür gab es sogar Salz und Pfeffer. Nachdem Almut schon lange mit ihrem Salat fertig war, kamen meine Steaks. Wenn man sie erst einmal von der Fettschicht befreit hatte, waren sie auch wirklich gut, wenn auch sehr klein. Und bis man mit der Befreiungsaktion durch war, waren sie auch schon wieder kalt, aber dennoch sehr gut. Und für den Preis kriegt man in Deutschland nicht mal bei Aldi das billigste Steak.

Innen sah es relativ schick aus.

Ich war erst 1987 nach Deutschland zurückgekommen und bei mir hörte damals die Welt im Allgäu auf. Aber Almut war oft in der DDR gewesen. Stelle ich mir heute relativ spaßig vor. Aber da war die Geschichte schneller. Mich interessierte es aber gerade hier, welcher Hirnamputierte auf die Idee gekommen war, daß ein System, in dem Geld nichts wert war, irgendwie auch nur die Aussicht haben sollte, zu funktionieren. Das spürt man heute noch, daß das Dreck ist. Keinem fällt hier ein, ein Schild mit der Aufschrift “Restaurant” irgendwo hinzustellen, Werbung zu machen, sich ein bißchen mehr Mühe zu geben. Zum Beispiel den Salat selbst zuzubereiten und nicht dem Kunden eine Gurke und eine Tomate auf einer Untertasse mit einem Messer zu servieren. Aber das ist alles, was der Kommunismus schafft. Warum soll ein Mensch das tun? Verdient er dann mehr Geld? Wohl kaum. Und wenn doch, was soll er damit? Dafür kann man sich ja doch nichts kaufen. Diese Mentalität ist wohl geblieben. Vielleicht kommen die jungen Leute darauf, das zu ändern. Irgendetwas besser machen zu wollen, weil man damit mehr verdient. Aber bei den Alten wird das wohl so bleiben, so wie jeder Deutsche im gleichen Alter wie diese Leute hier, immer noch einen 20 Jahre alten Telephonvertrag mit 20€ Grundgebühr hat und wenig telephoniert, um zu sparen – statt sich eine Flatrate für 5,99€ zu besorgen und soviel zu telephonieren, wie er will. “Aber so viel telephoniere ich ja sowieso nicht…” Das ist nicht Dummheit, sondern es ist das Raster, in das man hineingewachsen ist, das man nur so kennt, und das man daher als richtig empfindet. Daß man heute anders sparen muß kapiert man dort genausowenig, wie man hier kapiert, daß für Geld mittlerweile alles zu bekommen ist. Schilder mit “Haben wir nicht” gehören der Vergangenheit an. Wenn ein Supermarkt das Produkt, das man sucht nicht mehr hat, dann geht man in den nächsten, der wird es dann schon haben. “Einen alten Baum verpflanzt man nicht”, sagt man immer, aber das stimmt nur bedingt. Wenn man offen für Innovationen ist, wenn man in einem System aufwächst, daß die Veränderung als Chance statt als Unsicherheitsfaktor begreift und vermittelt, dann klappt das. Beim ehemaligen Gegenspieler der Sowjetunion begeben sich auch 80- und 90-Jährige ins Internet. So einer würde in Mitteleuropa im Zirkus vorgeführt! Da braucht die gleiche Altersgruppe einen Techniker für alles was komplizierter ist als ein Schwarz-weiß-Fernseher ohne Fernbedienung.


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