< September 2010 > | ||||||
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Raus aus den Federn, wir sind nicht zum Vergnügen hier, sondern um das Visum zu verlängern. An Vergnügen ist in dieser Stadt ohnehin nicht mehr zu denken. Das Teehaus am Imam-Platz ist geschlossen, das Café an der Drei-und-Dreißig-Brücke besteht nur noch aus einem Pop-Corn-Verkaufs-Stand, jetzt ist die ganze Stadt völlig sinnlos geworden. Ich fuhr mit dem Bus los. Der kostet umgerechnet etwa 15 ¢. Da ich schon in aller Frühe aus dem Bett flog hatte ich ja Zeit. Ich fuhr in Richtung Si-o-Se-Pol und stieg dort um in den nächsten Bus. Der fuhr irgendwann los und ich saß darinnen genau so lange, bis es mir endgültig zu doof wurde. So viel Zeit hatte ich dann auch wieder nicht. Ich hielt ein Taxi an und gab ihm den Zettel mit der Adresse. Er fuhr los und wenig später war ich da. Ich speicherte die Stelle endlich im GPS ein, packte die Kamera und das Handy selbständig in den Spind und ging durch den Metalldetektor, der sofort mit lautem Piepen reagierte. Der für die Durchsuchung zuständige kannte mich noch vom Vortag und ließ mich einfach passieren. Was hätte er auch anders tun sollen? Für alles andere hätte er ja aufstehen müssen...
Ich ging hinein und gleich zu dem "Olialah" genannten Menschen. Er saß immer noch am gleichen Fleck. Ich hielt ihm stolz die zwei Quittungen hin. Er nahm sie, sagte dann: "Zwei Photos, zwei Formulare", da fiel mir siedendheiß ein: Diese verschissenen Drecksbilder! Ich hatte sie auf dem Camping vergessen. "Fucking Fuck!", sagte ich, "I completely forgot about that shit. God damned!" Ich lief hinunter, durch den Metalldetektor, nahm die Sachen aus dem Spind und sagte "I'll be back", setzte die Sonnenbrille auf und verließ den Raum. GPS an und das nächste Taxi angehalten. Per Handzeichen lotste ich den Taxler zum Camping. Er starrte fasziniert auf das GPS. "Alter, da ist die Straße!", sagte ich ein paar Mal, dann hielt ich es so, daß er es nicht mehr sah. Ich ließ ihn gleich zum Stellplatz fahren. Almut saß im Schatten und bespaßte den Kleinen, aber ihr Grinsen verriet, daß sie schon gemerkt hatte, was gerade ging. Sie kam mit den Bildern zum Taxi und wir fuhren gleich weiter. Scheißaktion! Wer's nicht im Hirn hat, der hat's im Geldbeutel. Und wenn er's weder da noch dort hat, dann heißt er mit Nachnamen sicher Besold...
Wir fuhren zurück zum Foreigner's Affairs. Diesmal nahm der Taxler seinen eigenen Weg und die Fahrweise gewohnt dämlich, aber wir waren bald da, ich zahlte und ließ ihn weiterfahren. Wieder das nächste Ziel vor Augen: Visum verlängern. Ich ging hinein, absolvierte wieder selbständig die Sicherheitsprozedur ohne weiter beachtet zu werden, ging zu Mr. Olialah, legte ihm alles vor. Er sieht sich alles an und meint, ich solle zu Mr. Ahmadi gehen. Der sitzt unten am Schalter vor dem Eingang. Der sieht sich auch wieder alles an, meint ich solle ein Formular kaufen, ausfüllen und abgeben und das ganze würde ungefähr eine Woche dauern. Die Frau und das Lind müssen auch zugegen sein. So sieht also die im Reiseführer beschriebene "einfache Visums-Verlängerung" aus. Ich ging wieder hoch zu Mr. Olialah und erklärte ihm was der andere gesagt hätte und er meinte, es stimme, daß ich das Formular kaufen und ausfüllen müsse. Alles andere sei allerdings Quatsch. Ich ging als hinunter und kaufte sechs Formulare und ging wieder hoch in den ersten Stock. Mangels Schreibgelegenheit setzte ich mich auf die Treppe und füllte sie da aus. Da kam dieser Ahmadi angegrattelt und meinte, ich dürfe da nicht sitzen. "Hau doch ab, Du Depp. Geh nach Deutschland", murmelte ich vor mich hin und setzte mich auf die Bank, um die Formulare dort weiter auszufüllen. Als ich damit durch war ging ich wieder zu Mr. Olialah. Der ging die Formulare durch und schickte mich dann zu Mrs. Hosseini am Schalter 10. Ich also dort hin und festgestellt, daß die Schalter zwar geschlossen aussahen, aber Leute enthielten. "Mayday, Mayday", gab ich in den Sprechschlitz. "What do you want?", kam eine Stimme zurück und es öffnete sich genau der Schalter nebenan. "Ich möchte mein Visum verlängern", sagte ich und überreichte ihr feierlich die Papiere, "Mr. Olialah schickt mich zu Mrs. Hosseini". "Das bin ich", sagte die Frau, nahm die Papiere und las sie durch. Gekicher am anderen Ende und gemurmel auf Persisch. "Meine Kollegin fragt, warum Du sie anstarrst", sagte Mrs. Hosseini. "Weil sie mich anstarrt", sagte ich, "also habe ich sicherheitshalber zurückgestarrt." Alle lachen. "Nicht witzig!", bemerkte ich. "OK, wir können Ihr Visum verlängern. Wie lange wollen sie es denn verlängert haben?", fragte sie und blätterte in den Unterlagen. Dan antwortete sie selbst: "15 Tage. Das ist kein Problem." Wenn das so ist: "Kann ich es auch um 30 Tage verlängern?", frage ich. Das ginge nicht, da das ursprüngliche Visum nur eine Gültigkeit von 15 Tagen hatte. Mehr kann die Verlängerung auch nicht haben. Ist eigentlich logisch, sonst könnte jeder Afghani ein Transitvisum beantragen und es dann in ein 365-Tage-Besucher-Visum umändern. "Na, gut. Reicht ja auch..." Aber einen Versuch war es wert. "Morgen um 10 Uhr ist das Visum fertig", sagte sie. "Morgens?", wollte ich noch wissen. "Natürlich, oder glaubst Du, wir arbeiten hier um 10 Uhr abends noch? Arbeiten die Behörden in Deinem Land um 10 Uhr abends?", gab sie forsch zurück. Auf die Gosch schien sie nicht gefallen zu sein. "Nein. In meinem Land arbeiten die Behörden gar nicht... Was mache ich denn, wenn ich in eine Polizeikontrolle gerate und die meinen Ausweis sehen wollen?", wollte ich noch wissen. "Dann sagst Du, daß Dein Paß hier liegt. Das wird dann der an der Telephonzentrale bestätigen." So. Das war also erledigt. Ich ließ alles da und machte mich von dannen. Der Schalter wurde hinter mir wieder geschlossen. Das war also erledigt, mehr konnte ich für heute nicht tun.
Zurück zum Camping, Meldung machen und neue Befehle abholen. Vielleicht hat sich ja in der Zwischenzeit etwas getan. Wir haben gerade soviele Schlachtfelder, daß auf einem ja irgendwas vorwärtsgehen muß. Ich hatte wieder einen typischen Perser erwischt. Ich saß nur daneben und konnte nicht viel mehr machen als den Kopf zu schütteln oder mit der Hand gegen meine Stirn zu schlagen. Eine zweispurige Straße, er fährt nicht links, nicht rechts, sondern mal hier, mal da. Links hinter uns hupt es, er fährt etwas weiter rechts, so daß der andere vorbeikann. Aber da das auch ein Perser ist, also auch ein Idiot, fährt er nicht vorbei, sondern nur nebenher. Nun fiele selbst der durchschnittlichen deutschen Hausfrau auf, daß auf unserer Spur in etwa 400 Metern ein Hindernis in Form eines Melonentransporters steht. Der Transporter steht. Der Taxler fährt weiter. Der Transporter hat die Ladeklappe offen, und er steht immer noch, das bedeutet, er bewegt sich nicht und es ist unwahrscheinlich, daß er sich an dieser Situation in den nächsten 20 Sekunden etwas ändert. Mein Blick ging zum Taxler. Hatte er das Hindernis überhaupt wahrgenommen? Nein. Er starrt ruhig vor sich hin. Alles was weiter weg ist als das nächste Auto, das sieht er nicht. Noch 100 m, Geschwindigkeit unverändert. Auch beim Nebenmann, der genauso unfähig zu sein scheint, tut sich nichts. Normalerweise geht man in solchen Situationen einfach leicht vom Gas, wenn man nicht gerade einen 200D fährt kann man auch leicht aufs Gas gehen. Dann zieht man auf die Linke Spur und alles ist gut. Das klappt aber nicht, wenn man einfach nur 10 Meter vor der Haube auf den Boden starrt. Plötzlich hupt der Taxler und zieht links rüber mit einem erschrecktem Ruck, als ob der Melonentransporter gerade aus dem Boden geschossen oder vom Himmel gefallen war. Sofort danach wird der Blick wieder auf 20 Meter vor der Haube eingestellt und bleibt da auch - gerade so, als wäre das hier nicht allerbester Asphalt, sondern eine Piste mitten in dier Wüste und er wäre allein. Der andere hupt natürlich zurück und bremst. Didi hatte mich neulich gefragt, warum ich so ein Problem mit der Fahrweise der Perser hätte, und ich habe es letztlich doch herausgefunden, warum sie mich so sehr stört: Hier funktioniert der Autopilot nicht. Normalerweise lasse ich mich von meinem Unterbewußtsein chauffieren. Das klappt in jedem arabischen Land wunderbar, ja selbst in Afrika. Wenn man einmal ein System durchschaut hat und sich daran gewöhnt hat, dann geht alles automatisch. Hier klappt es nicht. Hier ist kein System am Werk, sondern nur pure Blödheit, hier muß ich bewußt fahren, hier muß ich aktiv schauen und - als wäre das nicht schon ärgerlich genug - muß ich auch noch alle Möglichkeiten von Fehl- und Nichtleistung von diesem Deppenhaufen da draußen und deren Auswirkungen auf meine Manöver miteinkalkulieren. Und ich bin nicht gerade das, was man als ein Mathe-Genie bezeichnen könnte.
Heike und Didi waren nicht zugegen, Almut hatte keine Neuigkeiten aus Pakistan. Wir gingen in das Restaurant und bestellten ein Mittagessen. Ich hackte derweil auf dem Rechner herum, um einige Sachen herauszufinden, Bilder von der Kamera auf den Rechner zu verschieben. Die Kamera wird in letzter Zeit erstaunlich schnell voll. Es werden etwa 120 Bilder täglich geschossen. Da kann man davon ausgehen, daß sich zwei oder drei gute Bilder darunter befionden. Mindestens, wenn nicht vier oder fünf...
Erst einige Stunden später ging ich wieder hinaus ins Freie. Arnie hatte sich mit zwei Iranerinnen im Alter von 10 und 12 Jahren angefreundet. Ich war erstaunt über deren Englischkenntnisse. Mein englisch war mit Elf jedenfalls noch nicht annähernd so gut. Ich teilte Almut mit, daß ich mit Abolfazl ausgemacht hatte, ihn gegen Acht am Imam-Platz zu treffen. Almut fuhr mit. Wir nahmen den Bus. Und der brauchte für die paar Kilometer fast eine Stunde. Erst um halb neun, nach einem Gewaltmarsch im Sturmschritt, trafen wir am Imam-Platz ein. Erst sah ich niemanden, doch dann bewegte sich eine Menschengruppe auf uns zu. In dieser Gruppe machte ich Abolfazl aus. Und unter den anderen erkannte ich Ali, den ich auch hier vor vier Jahren getroffen hatte. Während wir uns unterhielten bzw. vorstellten kam plötzlich von irgendwo ein Typ daher und stellte sich zur Gruppe. Vielleicht auch wieder so ein Sittenwächter? Ich begrüßte ihn mit Handschlag und Nachnahmen. Ob es ein Sittenwächter war oder ein zufallsgenerierter Passant, das kann ich nicht sagen. Er verabschiedete sich nämlich und ging. Die anderen zeigten überhaupt keine Reaktion, also machte ich weiter im Text. Wir schlenderten noch den Imam-Platz entlang, gingen dann langsam in Richtung Haus. Das Gespr"ch drehte sich immer um das politische System hierzulande, Jugendarbeitslosigkeit und Auswandern. Ali will nach Kanada. Bessere Karten als ich hat er ja in gewisser Weise. Aber sein Traum ist immer noch Amerika, und das kann keiner besser verstehen als ich. Das Handy der anderen beiden konnte er nicht zum Funktionieren bringen. Die Paßdaten sind wohl nicht eingesendet worden. Ich nahm es wieder an mich.
Vor dem Haus von Abolfazls Großvater verabschiedete sich Ali und wir gingen hinein. Dort fanden wir etwa dreißig Leute vor, was so die normale Größe einer iranischen Familie sein dürfte - besser: Die Anzahl der im Iran zurückgebliebenen Mitglieder einer Durchschnittsfamilie. Die haben sogar mit der Namensgebung Probleme. Ich begrüßte einen gewissen Hossein, den ich für den Bruder des Vaters eines Freundes hielt. Aber es stellte sich heraus, daß er gar nicht der Bruder, sondern der Vetter war. Der Bruder hat lediglich den gleichen Vor- und Familiennamen, ist aber ein anderer Mensch und heute abend nicht zugegen. Kein Wunder, daß der Islam auf dem Vormarsch ist. Das hängt meines Erachtens weniger mit dem Bekehrungspotential, sondern ausschließlich mit der Geburtenrate zusammen. Das Haus konnte sich jedenfalls sehen lassen. Auch die stolze Ahnengalerie. Das war eigentlich mehr ein Museum als ein Haus. Da muß man erst in die hintersten Gassen von Esfahan vordringen, um solche verborgenen Schätze zu entdecken. Hier erfuhr ich auch nebenbei, daß Derwische nicht das orientalische Pendant zu den nordischen Elfen oder Gnomen sind, sondern ganz etwas anderes. Mit dem Taxi ging es dann zurück zum Camping.