< September 2010 > | ||||||
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Der ganze Vormittag ging wieder dabei drauf, diese verfluchte Internetsperre zu knacken. Allerdings blieben meine Bemühungen von Erfolg ungekrönt. Was für ein Dreck! Ich ging schlafen. Am Nachmittag gingen wir noch irgendwohin, mehr um des Gehens Willen, aber wir kamen nicht weit, denn um sechs Uhr waren wir schon wieder verabredet. Auch als Fußgänger sind sie nicht unbedingt besser, als mit dem Auto, zumindest dann nicht, wenn sie irgendwas in der Hand haben, was Räder hat. Vor uns läuft ein Mann mit Ware in der Hand, dahinter einer mit Ware auf dem Handkarren. Wir gingen zur Seite und ließen ihn vorbei und beobachteten ihn weiter. Ein, zweimal versuchte er, den Mann mit der Ware zu überholen, schaffte es aber nicht. Erst als er ihn mit dem Handkarren berührte und der Mann auf ihn aufmerksam wurde, ging er auf die Seite, oder versuchte es zumindest. Seine Ware war ziemlich sperrig. Der Depp mit seiner Handkarre zog an ihm vorbei, nur um einen Meter weiter - und ich meine höchstens einen Meter - stehenzubleiben, um seine Ware auszuliefern. Nun mußte der mit der Ware sich auf dem durch den Handkarren verengten Gehsteig vorbei drücken. "Was war denn das für eine Idiotenaktion schon wieder?", fragte ich, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. "Und die Mediziner streiten sich darüber, ab wann man hirntot ist..."
Man holte uns ab und wir fuhren wieder in den Norden der Stadt. Auf dem Weg dahin nahm das Handy wieder seine Tätigkeit auf. Was ist das immer nur für ein Schwachsinn? Gibt's wohl nur im Iran. Ich fragte den Sohn unseres Gastgebers, was der Dreck mit dem Internet eigentlich soll. "Ach, der Filter... Ja, das nervt. Ich schick Dir heute abend ein Programm, mit dem kannst Du das umgehen." Unser Gastgeber ließ sich über die Fahrweise seiner Landsleute aus. Besonders seit er zurück ist, fällt ihm auf, wie bescheuert hier gefahren wird. Ich mußte ihm zustimmen. "Yes, in the Amazonian rain forest, there are tribes of Indians, as yet untouched by civilization, who have developed better driving skills than the Persians after four thousand yeas, I must say." Es ist schon gut, daß es hier keinen Alkohol gibt. Was allerdings unseren Gastgeber nicht daran hindert, Mitglied in einem Bierliebhaber-Club zu sein. Unser Ziel war ein Restaurant, das übersetzt "Splendor of the Meadow" heißt. Es war mehr oder weniger ein Garten, zwar gepflastert, aber mit Bäumen, einem Brunnen, der von einem künstlich angelegten Flüßchen gespeist wurde. Mangels Alkohol fallen da wohl nicht viele Leute hinein, der einzige Idiot, der tatsächlich beinahe im Wasser gelandet wäre, ist mit meiner Frau verheiratet.
"So. das hier ist der einzige Spaß, den uns unsere Regierung noch zugesteht. Kein Bier, keine Musik", sagte er. Aber sehr schönes Ambiente, unter freiem Himmel, das rauschen der Blätter, das plätschern des Bächleins. Ich unterhielt mich mit unserem Gastgeber über den Iran vor der Revolution. Er war weit gereist, und als Diplomat tätig gewesen, die ganze Familie sehr westlich. Schön war es damals. Man konnte in der Uni in der Mensa sitzen, sein Bier trinken und lernen, wenn man wollte. Das einzig gute an dieser Regierung ist, daß sie so scheiße ist, daß es den Leuten jetzt Leid tut, daß sie den Schah zum Teufel gejagt haben. "Wie war es denn nach der Revolution?", wollte ich wissen. "Die Leute dachten ein paar Jahre lang, es würde nun besser werden, aber von diesem Traum sind sie schon vor langer, lander Zeit aufgewacht." Der Sohn trug Arnie im Restaurant spazieren. Der ist ein wenig beleidigt, weil er Zähne kriegt, dabei sollte er sich doch freuen. Erst als ein anderes Kind nach einem Gerangel mit einem anderen im Bach landete und losheulte, lachte er los. Der wird mir ja jetzt schon immer ähnlicher - wie soll das denn werden?
Dann übernahm ihn unser Gastgeber und ich unterhielt mich mit dem Sohn. "Wie war denn jetzt diese Geschichte da mit der Präsidentenwahl vor ein paar Monaten?", fragte ich, und er erzählte. Alles Betrug. Er kenne niemanden, der "diesen Terroristen" gewählt hat, und er kenne nicht einmal jemanden, der jemanden kennt, der ihn gewählt hat, aber plötzlich ist er wieder an der Regierung. Dann sind die Leute eben auf die Straße gegangen. "Wir haben mit Steinen auf die geworfen und die haben zurückgeschlagen. Viele seiner Freunde sitzen heute noch im Gefängnis. Dann haben sie im Januar die Sozialen Netzwerke, GesichtsBuch und Twitter zensiert. Es lief nur noch über Mobiltelephon, bis auch das immer wieder abgestellt wurde. Dann sind die Leute, da sie ja abgeschnitten waren, auf die Straße gegangen und es ging per Flüsterpost weiter: "Falls Du zu der und der Bewegung gehörst, die versammeln sich die heute um so und soviel Uhr an dem und dem Platz." Natürlich waren auch überall die Spitzel, die die Informationen verfälscht weitergegeben haben. Dann wurde nicht mehr geflüstert, sondern Laut geschrien. Die Spitzel hatten nun das Problem, daß sie selbst nicht so offensichtlich ihre falschen Informationen durch die Gegend brüllen konnten, und die, die es doch taten wurden gelegentlich von der eigenen Polizei verhaftet. Auch wenn sie sich hinterher ausweisen konnten, erstmal waren sie auf der Polizeistation und damit außer Gefecht.
Nach dem Essen bestellten wir eine Schischa, die auf Persisch anders heißt. Ich kann es mir nicht merken, aber da wir alle Englisch redeten, bestand er auch auf den korrekten englischen Fachbegriff, der da lautet: "Hubbledybubble" - das kann ich mir merken. Danach gingen wir spazieren. Ich nahm Almut das Gewicht ab und wir gingen einen steilen Berg hinauf durch die Altstadt. Mehr als einmal blieben wir stehen und schüttelten einfach nur den Kopf über die idiotische Fahrweise der Perser. Da fährt beispielsweise ein Moppedfahrer, der noch zwei Mitfahrer draufhatte gegen die Stoßstange eines Paykan. Egal, weiter, nur um drei Meter weiter stehenzubleiben. Wie der Idiot vorhin mit dem Handkarren. Weiter oben - ich ging gerade eine Mauer entlang, kommt uns ein Auto entgegen und fährt mir mit einiger Geschwindigkeit mit dem Außenspiegel an die Hüfte. Ich habe gute Knochen und Kia schlechtes Plastik. Man konnte hören, wie es knackste. Diesmal hatte der Rückspiegel verloren. Ich drehte mich um und hoffte insgeheim, daß er vielleicht aussteigen würde, um sich zu beschweren, aber er fuhr einfach weiter, hatte wohl nichts gemerkt. Würde mich zumindest nicht wundern. Es gab überhaupt keine Notwendigkeit, so weit rechts zu fahren. Das hier war die breiteste Stelle der Straße und es war gerade Null Gegenverkehr. "Hat er Dich gerade angefahren?", fragte mich unser Gastgeber, der das Knacken auch gehört hatte. "Nö, nur meine Hüfte..." Ich glaube auch nicht, daß es böse Absicht war, ja, ich bezweifle sogar, daß er mich überhaupt wahrgenommen hatte, mit meinem meterneunzig, in meinem hellen Zivilhemd und mit einem im grellgelben Brasil-Fußballjersey gekleideten Kind vor der Brust. Sowas kann man im hellen Scheinwerferlicht schon mal übersehen - wenn man vollkommen geistig behindert auf die Welt gekommen ist und dann noch einen schweren Unfall hatte, was im Iran die Voraussetzung zu sein scheint, einen Führerschein überhaupt beantragen zu dürfen.
Es ging wieder zum Hotel zurück und nach einer knappen Stunde bekam ich das Pogrom *) zugeschickt, mit dem sich diese behinderte Internetsperre überreiten ließ. Endlich geht wieder alles wie gewohnt. Was für ein Gezeter! So. Nun konnte man endlich wieder arbeiten. Ich tippte noch eine Weile und ging dann ins Bett.
*) Besagtes kleines Programm steht hier zum Download zur Verfügung, oder auf der Seite des Anbieters. Manche YouTube-Videos sind auch in Deutschland zensiert. Und so funktioniert's: Programm herunterladen (keine Installation notwendig) und starten. Der Browser geht automatisch und unzensiert auf.