< September 2010 > | ||||||
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Am nächsten Morgen erzählt Almut, daß der Anwalt, ich nenne ihn jetzt mal Amir, angerufen hätte. Er hätte es mehrmals versucht, es hätte aber nicht geklappt. Die Iraner sind doch zumindest außenpolitisch so dicke Kumpels von den Brasilianern. Das legt den Verdacht nahe, daß das Mobiltelephonnetz ähnlich leistungsfähig ist, wie das brasilianische, und daß vielleicht deshalb nichts funktioniert. Das ist außerdem der Beweis dafür, daß dieses Land dem Untergang geweiht ist: Die Juden als Feinde und die Brasilianer als Freunde. Das ist der endgültige Untergang des Perserreiches, in hundert Jahren wird kein Mensch mehr wissen, daß es überhaupt einmal Perser gab. Jedenfalls hätte er angerufen und gemeint, er kenne jemanden von der Paki-Botschaft und wenn es uns weiterhilft, dann würde er versuchen, ob er für uns einen Termin bei den Pakis besorgen kann, so daß wir nicht wieder an der Tür abgewimmelt werden. Das ist ein entscheidender Nachteil, denn das nimmt einem die Möglichkeit, einen Sitzstreik zu veranstalten. "Ich bewege mich hier erst weg, wenn ich angehört wurde". Das funktioniert nicht, wenn man selbst an der Straße steht und der andere einfach weglaufen kann. Er hatte in der Früh angerufen, ich lag neben dem Telephon während Almut angeblich mit ihm telephonierte, aber ich habe nichts mitbekommen. Wenn ich schlafe, dann schlafe ich eben. Kann ja nicht zwei Sachen auf einmal machen.
Nach dem Aufstehen begab ich mich zur englischen Botschaft. Ich klingelte und sagte, ich bräuchte eine Information. Ob ich englischer Staatsbürger sei. "Nein, ich bin deutscher Citizen, aber englischer Steuerzahler." Die Tür ging auf. Ich stürmte durch, soweit ich kam, wurde aber wieder zurückgeschickt, weil ich eine Tür zu weit gegangen bin. "Sorry, Sir. Das war unser Fehler, würden sie bitte eine Tür zurückgehen?" Man merkte jedenfalls schon am Umgangston, daß man bei zivilisierten Engländern war und nicht bei den Neanderthalern von gegenüber. Er bat mich um meinen Paß, dann scannte er ihn und griff zum Hörer. Ich hörte dann, wie er meinen Namen vorlas. Ich gab ihm auch noch den Führerschein und die NIN-Karte. Danach reichte er mir den Hörer durch die Durchreiche am Schalter. Er sagte, die "Embassy" sei dran. Ich griff zum Hörer und sagte: "Guten Morgen, ich bin hier mit dem Auto unterwegs von London nach Pakistan. Jetzt ist das Visum abgelaufen, aber die Pakistaner wollen mir das Visum nicht verlängern. Ich wundere, ob Sie mir vielleicht irgendeinen kreativen Tipp geben können. Die Kollegen auf der anderen Straßenseite waren nicht besonders hilfreich." Sie wollte wissen, was die bei der Paki-Botschaft gesagt hätten. Ich erzählte es ihr, und sie bestätigte, daß das mit ihren Informationen übereinstimme. Normalerweise, so sagte sie, verlangen die Pakistaner ein Empfehlungsschreiben, aber diese Regelung hätten sie seit Mai geändert. Wir sollten einfach probieren, in die pakistanische Botschaft zu gelangen und dort, jemanden, der etwas zu sagen hätte, unsere Lage genau zu erklären. Die können vielleicht eine Ausnahme machen, über das Außenministerium in Islamabad. Falls wir ein Empfehlungsschreiben bräuchten, könnte man mir dieses zwar Ausstellen, aber sie bezweifle, daß es etwas helfen wird. Erstens wurde es schon lange nicht mehr verlangt, zweitens könnte es sein, daß die Pakistaner darauf bestehen, daß Paß und Empfehlunggscheiben von der gleichen Nation sein müssen. Ich bedankte mich und legte auf. Immerhin gut zu wissen.
Die Briten haben einst die Welt beherrscht und können es sich leisten über den Dingen zu stehen. Die Deutschen schöpfen ihr Gefühl von Größe wie es scheint ausschließlich daraus, die anderen Leute zu schikanieren. Die Tommies waren also schon mal deutlich besser Informiert als die Fritzen und kannten diese Regelung, die bereits seit vier Monaten in Kraft ist. Bis zu den Krauts hat es sich noch nicht durchgesprochen, obwohl sicherlich mehr Deutsche hier Visa für Pakistan brauchen als Engländer. Die verschanzen sich wohl im Gemäuer ihrer Botschaft und machen sich Gedanken darüber, warum diese Institution Botschaft (Kommunikation, Austausch, Senden / Empfangen) und nicht Bollwerk (Abwehr, Schutz, Kampf, Austeilen / Einstecken) heißt. Und kein Wort von wegen "es werden keine Empfehlungsschreiben ausgestellt". Der Brite ist für sich selbst verantwortlich und mag es nicht, bevormundet zu werden. Ganz im Gegensatz zum Deutschen, wenn niemand da ist, der ihn bevormundet, bekommt er Panikattacken. "Ganz ohne Gesetze geht es nicht. Und wenn was passiert, dann hat die Botschaft den Salat. Deswegen ist es besser, man läßt die Leute nicht in diese Gebiete reisen, dann hat man hinterher nicht das Problem", so geht die deutsche Argumentation dann. Mich wundert es dann allerdings, warum sie die Mauer abgerissen haben, statt sie an den Rhein zu zerlegen. Wenn keiner mehr ausreisen darf, wird auch keiner mehr entführt. Noch effektiver wäre es, wenn man alle Leute tötet, dann hat man hinterher auch nicht das Problem. Im Gegenteil: Das wäre gleichzeitig die Garantie dafür, daß keiner mehr gegen ein Gesetz verstoßen würde. Man tut das nur nicht, weil dann die ganzen Beamten arbeitslos wären aber nicht gekündigt werden können. Gestern beim Spazieren sind mir wieder diese Plakate aufgefallen: "You may not know what is best for you, but Allah does". Jeder Deutsche lacht darüber. Würde man das Wort "Gott" durch das Wort "Staat" ersetzen, dann wäre er aber einverstanden und würde dem zustimmen. Dabei ist auch hier im Iran der Staat gemeint und nicht Gott. Wenn also YouTube gesperrt ist, dann ist das im Sinne Allahs. Aber er sperrt es nicht, sondern der iranische Staat. Der deutsche Staat beruft sich nicht auf Gott und sperrt dafür andere Sachen, aber es scheint dennoch zu wissen, was das Beste für seine Bürger ist. Es handelt sich lediglich um eine andere Frucht vom selben Baum. Von wegen Liberalismus. Das Wort kommt von liber, frei. Frei heißt "ich entscheide" und "ich trage die Folgen" und nicht "es wird für mich entschieden, damit ich nicht die Folgen tragen muß".
Doch zurück zu unserem ungelösten Visa-Problem, zu dem sich langsam das Carnet-Problem gesellt. Das Carnet ist ein international anerkannter Block Papier, der dem zu bereisenden Land garantiert, daß das Auto nicht unverzollt verkauft wird. Man bekommt einen Stempel bei der Einreise und, wenn man das Auto bei der Ausreise wieder mitnimmt, bekommt man bei der Ausreise auch einen Stempel. Um das Carnet zu bekommen, muß man einen Bankbürgschaft erbringen, oder einen gewissen Betrag hinterlegen. Wenn man einen Ausreisestempal nicht hat, dann verliert man den Betrag. In Deutschland bekommt man es beim ADAC und da keine Bank für mich bürgen würde, müßte ich 5.000€ hinterlegen. Und wenn ich die hätte, dann wäre ich sicherlich nicht in diesem Teil der Welt. Also kommt höchstens ein gefälschtes Carnet in Frage. In England wäre das Carnet recht günstig gewesen. Günstiger als in Deutschland, jedenfalls. Da kann man nämlich eine Versicherung dazwischenschalten, und damit die Bankbürgschaft auf das 1,5-fache des tatsächlichen Wagenwertes drücken. Da unser Wagen nichts wert ist, dürfte dieser Betrag folglich nicht allzuhoch ausfallen. Dafür ist natürlich andererseits die Versicherungssumme weg. Aber wie sagte Heike gestern so schön? Einen Tod muß man sterben.
Recherchen im Internet ergaben, daß Pakistan ohne Carnet ein Problem werden könnte. Das könnte richtig teuer werden und soweit ich herausfand, geht es in Pakistan nicht so leicht, wie im Iran, ohne Carnet einzureisen. Almut fragte mich, warum wir eigentlich keines hätten. "Glaubst Du, irgendeine beschissene Bank auf der ganzen Welt stellt mir eine Bürgschaft aus?", fragte ich gegen. "Dir nicht, aber mir schon." Da hatte sie natürlich Recht. Aber daran hatte ich, wie immer nicht gedacht. Didi bestätigte, daß es dem ADAC vollkommen egal sei, wer bürgt, ob das der Opa vom Sultan von Rovaniemi ist oder sonstwer. Die Bürgschaft muß nur von einer deutschen Bank stammen, alles andere interessiert nicht. Das Carnet selbst kostet 160€. "Warum machen wir das nicht?" Ist ja gut. Nachdem ich herausgefunden hatte, daß es vollkommen egal ist, wo das Auto angemeldet ist, schrieb ich eine eMail an den ADAC und fragte mal nach, wie das in der Praxis ablaufen würde, gesetzt den Fall, ich möchte von Teheran aus ein Carnet beantragen.
Wir verglichen auch noch unsere iranischen Einreisepapiere. Die von den anderen sahen ganz anders aus. Und dieser ominöse rosarote Zettel, den man angeblich bei der Ausreise unbedingt braucht, den hatten wir gar nicht. Es bleibt also spannend. Irgendeiner hatte angeblich 1.000€ zahlen müssen, weil er den Zettel bei der Ausreise nicht vorweisen konnte. Wir hatten erst gar keinen bekommen, und wenn sie von uns Geld haben wollen deswegen, dann gibt es wieder Kasperletheater wie vor vier Jahren. Und uns läuft die Zeit davon. Als Deutscher muß man einfach damit leben, daß die Zeit immer für die Gegner arbeitet. Um eine Visa-Verlängerung werden wir nicht umhinkommen. Wenn wir überziehen, dann liefern wir ihnen einen weiteren, und diesmal selbstverschuldeten Grund, uns erneut festzuhalten.
Amir rief an, diesmal war ich wach. Kurz darauf kam Tom, der Holländer von neulich ins Hotel, und ein paar Minuten später gesellten sich Heike und Didi hinzu. Es gab Neuigkeiten, aber keine guten: An der Grenze Iran Pakistan scheint es recht zuzugehen. Iran soll die Grenze mehr oder weniger dichtgemacht haben, es ist Militär angerückt. Die ganzen Pakis drücken wohl in den Iran. Uns zurück nach Berlin schicken, aber dann hier ohne Visum reinwollen. Eigentlich sollten wir im Konvoi runter an die Grenze fahren und den Pakis erklären, sie sollen gefälligst nach London zurück und ihre Visa dort beantragen. Von der Paki-Botschaft hätte Amir niemanden erreicht, aber er würde es morgen laufend versuchen. Im übrigen sollen wir nach Esfahan und die Verlängerung dort beantragen. Ich mache mir mehr Sorgen um die Verlängerung der Autopapiere.
Abends saßen wir wieder hinter dem "G", ich fraß einen Kabob, wir tranken original iranisches "Bavaria 0,0%" und Cola und sprachen über die vorhandenen Alternativen. Didi war es heute gelungen, der Fritz-Botschaft doch noch ein Empfehlungsschreiben zu entlocken, denn die beiden fahren auch möglichst vielgleisig und haben eine Verschiffung nach Indien als Möglichkeit in Betracht gezogen. Gestern haben sich die von der Botschaft noch geweigert. Für Pakistan stellen sie nur Empfehlungsschreiben aus, wenn der Antragsteller auf dem Luftweg nach Pakistan fliegt. Didi fiel dann auf einmal ein, daß er ja fliegt. Doch dann wollten sie ein Flugticket sehen. Für das Indien-Visum braucht man auch ein Empfehlungsschreiben, aber da man durch Pakistan muß und damit zwangsläufig durch Belutschistan, wird auch hierfür keines ausgestellt. Er ging heute also hin und sagte, er würde nach Indien verschiffen. Der Container sei organisiert, aber er kann logischerweise nicht das Auto in den Container stecken, wenn er dann hinterher kein Visum bekommt. Erst muß das Visum her, dann kann er das Auto verschiffen. Sonst steht das Auto ja in Indien im Hafen und er kann hier nicht weg. Darauf ließen sie sich ein. Einmal hat die Vernunft über die Bürokratie gesiegt - aber auch nur halb, denn sie wollten dennoch eine Flugbestätigung sehen. Die bekam er auch, weil gerade zufällig ein iranischer Reisebürobesitzer auch auf der Botschaft war, allerdings hatte die Botschaft, als er die Flugbestätigung hatte, schon zu. Also morgen früh hin, um das Schreiben abzuholen.
Zufälligerweise trafen die beiden noch andere Touristen, die bereits im Besitz eines solchen Empfehlungsschreibens waren. Backpacker. Er hatte mitgedacht und es abphotographiert. Und was ich dann da auf dem Bildschirm seiner Kamera sah war grotesk: Ein DIN-A4-Blatt, auf dem Name, Geburtsdatum und Paßnummer stehen, also nichts, was man nicht auch dem Paß entnehmen könnte. Darunter steht dann noch "Bitte assistieren sie dieser Person bei der Visabeschaffung" und der Stempel. Natürlich darf der letzte Satz nicht fehlen: "Dieses Schreiben berechtigt zur Visums-Erteilung für den Luftweg, nicht für den Landweg." Den könnten sie ebensogut weglassen. Visum ist Visum, und wenn man das hat, kann man dennoch auf dem Landweg einreisen. Ist im Visum ja nicht vermerkt, wie man einzureisen hat. Aber eine deutsche Behörde läßt Gelegenheit aus, einem Steine in den Weg zu werfen, auch nur Kiesel, wenn nichts anderes da ist. In diesem Falle macht es nichts, weil wie gesagt, im Pakistan-Visum nichts von Land-, See- oder Luftweg steht. Aber es könnte ja sein, daß der Idiot auf der Paki-Botschaft, wenn er das liest, ein Flugticket verlangt. Dann hat man das nächste Problem zu lösen. Selbstverständlich kostet das Empfehlungsschreiben dann auch noch 20 € und es ist absolut unmöglich, zwei Namen und zwei Paßnummern auf ein Blatt zu schreiben. Es müssen zwei davon ausgestellt werden und die kosten jeweils 20 €. Didi und ich waren uns jedenfalls einig: Um deutsche Botschaften, wenn es geht, einen großen Bogen machen. Allein der Gedanke an Botschaften allgemein ist schon sehr negativ behaftet. Zur Botschaft geht man immer nur, wenn irgendwas nicht so läuft wie es soll, also wenn es Probleme gibt. Und im Falle der deutschen Botschaft ist es meistens dann auch so, daß sie wenig zur Problemlösung beiträgt, sondern in erster Linie dazu da ist, sich selbst rechtlich abzusichern, und damit oft nur neue Probleme schafft - bestenfalls beseitigt sie alte Probleme indem sie sie durch neue ersetzt. Ich erzählte ihm, wie es auf der englischen Botschaft gelaufen war und er meinte nur, das sei "eine Frechheit". Die haben wenigstens versucht zu helfen. Hätten ja genausogut sagen können "Tut mir Leid, wir sind die britische Botschaft und somit für Briten zuständig, wenden Sie sich an ihre eigene Botschaft, die wird ihnen gerne weiterhelfen." Wenn ein Brite die Deutsche Botschaft anginge würde er höchstwahrscheinlich auch genau diese Antwort erhalten - andererseits, warum sollte ein Brite gerade die deutsche Botschaft anlaufen? Wenn er einen Funken Verstand hat, geht er vorher zur nigerianischen, da hat er bessere Karten.