< September 2010 > | ||||||
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Wie besprochen stande alle um Punkt 0830 Uhr in der Lobby versammelt. Das nahm ich zufriedend nickend zur Kenntnis, als ich mit fünf Minuten Verspätung die Treppe hinunterkam. Wir waren aber nicht die einzigen in der Lobby, es war auch eine Gruppe Engländer da. "Ui, schau mal. Ein Neger!", zitierte ich die EAV. Das war der erste seit Belgrad. Nur prach dieser nicht Deutsch, sondern Englisch. Das Taxi war auch schon da und wir fuhren los. "Sefurat Pakistan", sagte ich und er fuhr los. Um Neun sollten wir dort sein, und wenn alles klappte, würden wir es auch schaffen. Wir fragten nach dem Preis. 60.000 Rial. Wir versuchten, es auf 50.000 herunterzuhandeln, aber er ließ sich auf nichts ein. Hatten wir eine Wahl? Nein. Wir besprachen das Vorgehen auf dem Weg. Ich saß vorne, die Fenster waren auf, also mußte ich ein wenig lauter reden, damit mich Didi hinten links auch verstand. Irgendwann sagte der Taxler, ich solle leiser sein. Normalerweise lautet auf sowas die Antwort: "Alter, ich zahl, Du fährst. Da ist die Straße!" Aber dafür war mein Persisch zu schlecht und Almuts Manieren zu gut, daher mußte die Antwort entfallen. Stattdessen drehte er das Radio lauter. Scheinbar irgendein Mullah, der irgendwas predigte. Ist ja in Ordnung, man will ja nicht so sein. Allerdings ist meine Geduld auch irgendwann zu Ende, und als er uns bei der afghanischen Botschaft rauslassen wollte, war es bald soweit. "Das ist nicht die Botschaft", stellte Heike fest. Wir waren in der Pakistan Street, nicht an der Pakistan Embassy. Daß die Afghanen ausgerechnet hier ihre Vertretung hinsetzen mußten ist zwar sonderbar, aber es half alles nichts. Er mußte uns zur Pakistan Botschaft in der Hossein Fatemi Avenue fahren. Im Normalfall hätten wir uns nun auf Preisverhandlungen eingelassen, aber hier wurde strikt nach dem Motto "Wie Du mir, so ich Dir" vorgegangen. Nun bekam er seine 60.000 Rial und keine Micky Maus mehr. Selber schuld. Um zehn nach neun waren wir da.
Wir klingelten am eigentlichen Eingang, aber wir wurden zum Haupteingang der Visa-Abteilung geschickt. Dort gab ich unsere Pässe ab und der Typ gab uns fünf Formulare zum Ausfüllen. Ich rief Mr. Javeed an, um ihm mitzuteilen, daß wir da waren. Er sagte, wir sollen zum Haupteingang zurück, er würde veranlassen, daß uns die Türe aufgemacht würde. So war es dann auch. Wir gingen hinein und wurden in ein Wartezimmer gebeten. Perserteppich, Sessel und ein Tisch, auf dem zwei Hochglanzzeitschriften lagen, eine über Pakistan, eine über Indien. Wir machten uns daran, die Formulare auszufüllen. Bald kam Mr. Javeed persönlich und begrüßte uns. Er ging die Unterlagen durch. "Diese Seite muß auch aufsgefüllt werden", sagte er und hielt eine Seite hoch. "Oh!", riefen alle. Das war die Rückseite, die keiner von uns bemerkt hatte. Er half uns noch bei den Einzelheiten. Es war eine Liste von Ländern, die wir angeben sollten. Die Länder, die wir auf dem Weg nach Pakistan bereist hätten. Schaut eh keiner an. Aber nun stand bei den anderen nur Iran, bei uns aber Europa, Türkei und Iran. Das besserten wir noch aus. "Die Paßkopien?", fragte er. "Hier", zeigte ich drauf. "Die Kopien der Pakistan-Visa?" Dreck! Ich wußte doch, daß ich was vergessen hatte. "Habe ich doch am Telephon noch gesagt", sagte er. "Stimmt", bestätigte ich, "hab ich vergessen." "Kein Problem, die mach ich gleich", sagte er, nahm alle Pässe und ging aus dem Raum, während wir fleißig die Rückseiten der Formulare ausfüllten. Er kam zurück mit drei Kopien. Bei Heike und Didi gab es nichts zu kopieren. "Das sind ja zwei unterschiedliche Situationen", stellte er fest. Mist! Das war nun zu früh aufgeflogen, aber noch zeigte das keine Auswirkungen. Er ging wieder, nach einer Weile kam er dann wieder, heftete alle Papiere zusammen und sagte, wir sollen damit nun zur Visa-Abteilung gehen. Um Elf sei das Interview. Er gab mir noch die eine Zeitschrift mit, die auf dem Tisch lag. Außer dem Vorwort war alles auf Farsi. "Hm. Vielleicht ist das ja ein geheimes Erkennungszeichen..." Wir bedankten uns und gingen wieder hinaus.
Zur Visa-Abteilung mußten wir außen herum gehen. Wieder am Tor reichte ich alle Unterlagen durch die Gitter. Sie wurden von einer Gestalt mit einer blauen Base-Ball-Kappe entgegengenommen und untersucht. "Wo sind die Kopien der Iran-Visa?" "Es gibt keine Kopien von Iran-Visa", sagte ich. : Brauchen wir. Am ende der Straße ist ein Copy-Shop", sagte er, und ich hatte alle Unterlagen wieder in der Hand. "Wir bleiben hier, Ihr fahrt los", sagte Didi. Gemeint war, er bleibt mit Almut hier und hält die Stellung, Heike und ich fahren zum Kopieren. Ich hielt das nächstbeste Taxi an und sagte Copy-Shop. Er fuhr los, drehte um, gab Vollgas, hielt am Ende der Straße an und zeigte auf den Copy-Shop. Ich ging hinein, er hupte und machte klar, daß in der Metzgerei nichts kopiert werden würde. Zweiter Anlauf, diesmal richtige Tür. Ich hielt ihm Paß nach Paß mit der richtigen Seite hin. Verwechslungen waren nicht ausgeschlossen, da unsere Pässe zwei bzw. drei Iran-Visa hatten. Man mußte das richitige erwischen für den Fall, daß doch einer genauer hinsieht. Ist zwar unwahrscheinlich, aber wenn man Pech hat, kann uns das um einen Tag zurückwerfen und es dauert nur ein paar Sekunden, das richtige Visum herzublättern. Das ist eine Zeitinvestition, die sich im Fall der Fälle durchaus auszahlt. Wenige Minuten später sprangen wir wieder ins Taxi und fuhren los. Die ganze Aktion hatte keine fünf Minuten gedauert. Er wollte 30.000 haben, zwei Euro. Jetzt war nicht die Zeit für Verhandlungen. "Zahl's ihm, ich geb's Dir später wieder. Paßt schon", sagte ich zu Heike im hinausgehen. Mit einem Satz war ich am Tor und wedelte mit den Unterlagen den Typen wieder her. Er überprüfte alles erneut und machte dann das Tor auf. Wir waren drin! Nun in den klimatisierten Raum und warten. Noch einmal Lagebesprechung. Beim Interview dürfen keine Widersprüche aufkommen. Wir blieben bei der Wahrheit - das ist immer am einfachsten. Einzige Änderung bestand darin, daß wir uns in Deutschland kennengelernt haben, und nicht erst hier in Teheran. Ansonsten entsprach alles der Wahrheit. Wir warteten...
Es kam wieder der Baseball-Mensch und sagte, das Interview würde später stattfinden, am Nachmittag. Wir baten um Erlaubnis, essen zu gehen. "Kein Problem", hieß es. "Wie kommen wir wieder hinein?", wollte ich wissen. Er antwortete, daß er uns erkennen würde und daraufhin dann das Tor aufmachen würde. Dabei sah er mich an, als wollte er überprüfen, ob ich ihn gerade verarschen wollte, oder ob die Frage ernstgemeint war. "Frag ja nur. Kann ja sein, daß jemand anderer da ist, der das nicht weiß." "Nein", sagte er, "ich bin hier. Den ganzen Tag." Gut. Wir gingen los. An einem Hochhaus, an dem wir vorbeiliefen duftete es nach Essen. "Hier gibt's was zum Fressen", stellte ich fest. Aber das Hochhaus war eine Bank. Die anderen gingen weiter, aber ich täusche mich nicht. Ich ging in die Tiefgarage, wollte an einer Schranke vorbei. Der Schrankenmann machte eine Geste, die eindeutig hieß: "Wo willst Du hin?" Ich antwortete mit einer Geste, die eindeutig hieß: "Hunger!" Er zeigte auf das Ende der Tiefgarage. Ich rannte an der Schranke vorbei hinunter und stellte fest, daß es sich tatsächlich um eine Kantine handelte. Dann wieder zurück, die anderen zurückgepfiffen und in die Tiefgarage gezeigt. Wir ließen uns dort nieder und bestellten Essen. Kabob mit Reis für mich, Reis für Almut, Brot für Arnie. Heike und Did nahmen Hühner-Kabob mit Reis. Leider hatten die hier kein Cola, sondern nur Istak. Sei's drum. Ich war als erster mit Essen fertig, nahm dann das Kind, um Almuts Eßvorgang zu beschleunigen. Zweihändig geht das naturgemäß schneller. Wir gingen hinaus und ich stellte ihn auf dem Sims der Bank ab. Das ging so lange gut, bis er die Pflanzen entdeckte und sie zu entblättern begann. Ich nahm ihn auf die Schultern. Nun versuchte er mangels Pflanzen, meine Haare vom Kopf zu reißen. Ein LKW fuhr vor, etwa sechs Leute sprangen von der Ladefläche und versuchten, ein Fischerboot von der Ladefläche zu zerren. Ich stand da und beobachtete die Veranstaltung, gespannt, was das nun wieder werden sollte. Hier gibt es keinen Fluß, geschweige denn eine Meeresküste. Sie zogen und schoben - manchmal beides gleichzeitig und das Boot bewegte sich ein paar Zentimeter vor, dann wieder zurück. Je weniger es sich bewegte, desto lauter wurde die Gesellschaft. Bis dann ein Anzugträger kam und das Kommando übernahm. Nun war das Boot von der Ladefläche und bewegte sich auf den Eingang der Bank zu. Vielleicht wollte da einer eine Sicherheit für einen Kredit hinterlegen weiß der Teufel, aber die wollten allen Ernstes das Boot in die Bank hineintragen. Man konnte zwar schon von weitem sehen, daß das Boot zu breit für die Tür war, aber die ließen sich nicht von den Gesetzen der Physik abhalten. Wie die Hummel, die fliegt ja auch, obwohl das gar nicht geht. Doch in diesem Falle setzte sich dann doch die Physik durch. Hochkant wäre es vielleicht gegangen, aber das wurde nicht probiert. Am Ende stak das Boot in der Tür fest und konnte erst wieder befreit werden, als ein Türflügel undten aus der Verankerung riß. Wo der doch schon mal kaputt war, hätte man das Boot jetzt auch hineinstellen können, aber es wurde wieder auf den LKW geladen und er fuhr davon.
Da mußte selbst Arnie lachen. Wir gingen wieder hinein. Die anderen hatten mittlerweile fertiggegessen und wir sammelten uns langsam draußen. Almut band sich gerade ihr Tragetuch um, um das Kind darin zu verstauen. "Meine Tasche ist noch drinnen", sagte sie, als sie das Kind übernahm. Ich ging hinein und holte sie. Almut wartete auch gleich mit einem Anschiß: "Du hast gerade dem Herren dort die Butter aus der Hand geschlagen!" "Welchem Herren dort?", fragte ich. "Der ist jetzt weg. Du hast Dich zwischen den zwei Leuten durchgedrängelt und ihm dabei die Butter aus der Hand geworfen. Und der war sichtlich unerfreut. Dem einen ausgewichen, den anderen voll erwischt - und einfach weiterlaufen." "Ich hab den nicht gesehen", sagte ich. Hatte ich auch wirklich nicht. "Das ist es ja, Du merkst es nicht mal", sagte Almut ernst, "Dein Ellenbogen ist bei den meisten Leuten hier auf Kopfhöhe, vielleicht hilft es, wenn Du nicht nur auf Deiner Augenhöhe nach Hindernissen schaust..." Da war vielleicht sogar was dran. Ich merke es mir für die Zukunft. Wir gingen weiter und ich suchte noch nach einer kalten Cola, die ich dann auch fand. Ich ging aus dem Laden, glücklich über meine Cola, in dem Moment, als einer hineinwollte. Irgendwas wollte ich mir merken - ach, egal, es fällt mir schon wieder ein...
Zurück zur Botschaft. Wir wurden vereinbarungsgemäß hineingelassen. Dort warteten wir dann. Der Raum war bedeutend leerer. Irgendwann kam dann der Baseball-Mensch und bat uns hinter den Schalter in ein Nebenzimmer. Darinnen saß ein Herr im Anzug mit typisch pakistanischen Zügen und einem ebenso typischen Akzent. Almut blieb vor dem Zimmer sitzen, Heike, Didi und ich gingen hinein. Er stellte fest, wer wer war. Unsere Pässe lagen rechts von ihm, Heikes und Didis links. Er sah mich durchdringend an und fragte dann: "Why do you want to go to Pakistan?" Gleich hart rangehen, sonst verarschen sie Dich - das ist das Motto der brasilianischen Polizei. Wenn man sich hier einschüchtern läßt und zu stammeln anfängt hat man verloren - das hab ich in Destroit gelernt. "Ich fahre meine Frau da hin", antwortete ich. "Please sit down", sagte er, dann wiederholte er die Frage: "Warum willst Du nach Pakistan?" Ich antwortete erneut: "Ich fahre meine Frau da hin, die muß da was researchen für die Uni in..." Er unterbrach mich: "Wo ist Ihre Frau?" "Almut!", rief ich. Sie kam mit dem kleine hinein. "Why do you want to go Pakistan?", fragte er auch sie. Sie führte sachlich aus, was sie dort zu tun gedachte. "Was ist Ihr Beruf?", fragte er sie. Sie antwortete wahrheitsgemäß, daß sie Dozentin für Arabisch an der Uni in Leipzig sei. "Sind Sie Jounalistin?" Aber das "Journalist" war so unglücklich ausgesprochen, daß es sich anhörte wie "Generalist". Eigentlich war es auch egal, was auch immer ein Generalist sein mag, Almut war keines von beiden und die Antwort sollte in beiden Fällen "Nein" lauten. Aber Almut hängt sich gerne an einzelnen Wörtern auf und fragte nach, was er meinte. Er meinte natürlich journalist. "Nein, ich bin keine Journalistin", und sie führte aus, was sie beruflich tat, und daß sie bereits letztes Jahr in Pakistan gewesen sei, und daß sie den Mutterschutz dazu nutzen wollte, sich in die Materie zu vertiefen. Er nahm Almuts Unterlagen und schrieb darauf "90 days single". Dann die des Kindes, auf die der gleiche Eintrag kam. Nun wandte er sich mir wieder zu: "Und was wollen Sie in Pakistan?" Was sollte ich sagen? "Meine Frau ist eine so furchtbare Autofahrerin, daß darauf bestehen mußte, selbst zu fahren." Er konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Das Eis war gebrochen. Er schrieb auch auf meine Unterlagen "90 Tage einfach". Aber noch waren wir nicht über den Berg. Heikes und Didis Pässe waren nun an der Reihe. "Und Sie? Warum wollen Sie nach Pakistan?", fragte er. Heike antwortete, daß sie schon seit Jahren eine größere Tour geplant hatten und Almut sie dazu eingeladen hatte, mit nach Pakistan zu kommen. Warum sie denn dann kein Visum in Deutschland beantragt hatten, so wie Almut. Heike antwortete, daß die Abfahrtszeitpunkt unterschiedlich war, und daß das Visum bei Erreichen der Grenze ohnehin abgelaufen gewesen wäre. Das Geld hatten sie sich gespart und hatten geplant, die Visa unterwegs zu beantragen. Von der neuen Regelung hätten sie ncihts gewußt. Er nahm Heikes Unterlagen und trug auch dort die Bemerkung ein. "Und Sie?", fragte er Didi. "Das gleiche wie bei ihm", sagte er und zeigte auf mich, "ich bin der Fahrer". Er wollte noch wissen, ob die beiden verheiratet seien. Da Heike ihren Mädchennamen behalten hatte, war das etwas schwieriger festzustellen als bei uns. Der letzte Eintrag, gleichlautend wie alle anderen. Wir sollten morgen kommen, und die Visa abholen. Die Erleichterung war enorm, aber wir ließen uns nicht zuviel davon anmerken. Didi und ich schüttelten ihm die Hand und wir alle bedankten uns. Auch diese Schlacht schien zu unseren Gunsten entschieden. Zwar hatten wir die Visa noch nicht in den Pässen, geschweige denn in den Händen, aber daß jetzt noch etwas schiefging, das war unwahrscheinlich.
Der Baseball-Mensch nahm uns unter seine Fittiche. Er gab uns einen Zettel und schickte uns zur Melli-Bank. Dort sollten wir 1.950.000 Rial (rd. 140 €) einbezahlen und nach ein Uhr wieder kommen mit dem Beleg. Der Iran wird langsam zum teuren Pflaster. Wir zogen los. Keine Zeit für Pausen. Bankangelegenheiten in diesem Land sind automatisch mit sehr langen Wartezeiten verknüpft. Wir gingen zur nächsten Melli-Bank. Ich zog eine Nummer und wir nahmen Platz. Wir hatten das Geld gar nicht dabei, und Heike und Didi mußten uns aushelfen. "Kann das Kind nicht jetzt zu schreien anfangen? Natürlich nicht. Immer nur zu den unmöglichsten Zeiten, dann wenn es keiner gebrauchen kann. Wie der Vater", motzte ich vor mich hin. Als unsere Nummer aufgerufen wurde, stürmte ich an den Schalter. "Hier! Ich! Ich!" Ich gab ihm die Nummer und den Beleg und das Geld, er stellte mir dafür einen Teller mit Süßigkeiten hin. Er wußte, was zu tun war. Ich studierte derweil eine Broschüre, in der beschrieben war, wie man einen echten 10.000-Rial-Schein von einem gefälschten unterscheidet. So ein unsinn, auch wenn man den am Farbkopierer rauslassen würde, da ist schon die Kopie mehr wert als der Schein. Als ich mit Kopfschütteln fertig war, hatte ich schon die Quittung in Händen und wir gingen los. Ich im Sturmschritt zur Botschaft, die anderen in einem Laden, um mit iranischem Alkoholfrei auf unseren Sieg anzustoßen. Ich klingelte. Der Pförtner ließ mich hinein und bat mich ins Wartezimmer. Dort nahm ich Platz und legte die Hochglanzbroschüre wieder an ihren Platz. Nach etwa 15 Minuten kam der Baseball an den Schalter, sah mich und fragte, was ich hier täte. "Ich habe hier eine Quittung und den Beleg", sagte ich und hielt ihm beides hin. Er nahm mir beides ab und meinte, es hätte gereicht, ihn lediglich abzugeben. Nun, das hatte ich ja nun getan. "Morgen", sagte er, "sind die Visa fertig." Ich ging hinaus zu den anderen, die gerade mit Bier anstießen und fragte nach meiner Cola. "Ich hab Dir die letzte gerettet", sagte Didi stolz. Almut kramte nach der Cola, fand sie aber nicht. "Hast Du sie in die Tüte?" "Nee, ich dachte Du..." Ich ging zurück zum Laden, nahm die Cola von der Theke. Bezahlt war sie bereits. "Ich seh schon, die Cola ist bei Euch mehr so das Stiefkind. Dabei ist das die beste amerikanische Erfindung seit der Unabhängigkeitserklärung." Ich trank mein Cola feierlich. "Hast ihm den Beleg gebracht?", fragte Didi. "Ja, habe ihm alles dagelassen", bestätigte ich. "Wo ist der Zettel von der Botschaft?" "Dagelassen", sagte ich und dabei fiel mir auf, daß das ja nicht der Sinn der Sache war. "Also haben wir keinen Beweis für die Einzahlung?" "Nein. Scheiße!" Aber nochmal zurück? Nein, lieber nicht nerven. Wird schon schiefgehen. Die werden schon nicht so tun, als hätten sie uns nie gesehen. "So ein Arsch ist die Menschheit dann auch wieder nicht..."
"Wo Mauern Fallen, bau'n sich andre vor uns auf, doch sie weichen alle unserm Siegeslauf!" So ein Erfolg ist etwas schönes. Allerdings mangelt es uns mitnichten an Fronten, an denen die Erfolge bislang ausblieben. Für uns war der Weg nach Pakistan noch lange nicht frei. Zwar hatten wir nun unsere Visa, aber das Auto hatte noch kein Carnet. Wir fuhren mit der U-Bahn zurück zum Imam-Platz, weil kein Taxi anhalten wollte. Ich hatte es mehrfach probiert, aber die wollten uns irgendwie alle nicht. Also U-Bahn, wenn man schon genau vor der Station vorbeiläuft. Die ist eh viel lustiger. Ihre Haltestellenanzeigen beginnen immer mit "In the name of God", dann kommt erst: "Next Station Imam-Square", Imamplatz.
Am Imam-Platz sind die Händy-Läden konzentriert. Heike und Didi brauchen einfach ein Handy, so geht das nicht weiter. Die Kommunikation muß stehen. Didi und Almut gingen zum Hotel, Heike und ich zum Telephonladen, in dem ich meine Karte damals gekauft hatte. Es dauerte nicht lange, da hatte Heike ihre Karte. Freigeschaltet wird sie allerdings nicht wie bei mir sofort, sondern erst morgen. Das Netzwerk sei unten, sagte uns der Verkäufer. Wir gingen zum Hotel zurück. Ich lieferte Heike ab und Didi meinte, wir sollten uns langsam mal um Ölfilter kümmern. Also nahm Didi seinen Ersatzfilter und wir zogen wir los.
Über eine Stunde gingen wir die Automeile in der wir wohnten auf und ab, fragten hier und dort, latschten fünf Mal auf und ab, aber keiner konnte uns einen Ölfilter für unsere Autos bringen. Und den blöden Mann-Filter-Laden, in dem ich neulich nach einem Vorfilter gefragte hatte, den fand und fand ich nicht mehr. Jeder schickte uns woanders hin. Letztendlich gab Didi auf und meinte, wir sollten auf Mohammed warten. Ich hatte aber wieder Hunger, fragte, ob ich den Ölfilter dennoch mitnehmen könnte, um dem Zufall eine Chance zu lassen. "Kein Problem", sagte er, und ging zurück zum Hotel. Ich ging in die Gegenrichtung. Als ich an einem Laden vorbeiging, hörte ich aus einem Laden mit der Aufschrift Peugeot wieder das bekannte "Hello Mister". Ich ging hinein, grüßte freundlich "Heil Hitler, allerseits", zog den Filter aus der Verpackung, stellte ihn auf den Tresen und grinste erwartungsvoll. Einer erhob sich. Er konnte gut Englisch, fragte, für was für ein Auto der wäre, fragte die anderen. Er ging zum Telephon, dann kam er wieder zu mir, nahm den Filter und hieß mich mitkommen. Ich folgte ihm. Er sagte auf dem Weg, er würde alleine in den Laden gehen. "Der Typ ist ein bißchen komisch, wenn er sieht, daß Du Ausländer bist, wird er gleich viel mehr verlangen, aber wenn einer den Filter hat, dann er." Gut, kein Problem. Wir steuerten auf einen Mann-Filter-Laden zu. Das war nicht der, den ich gesucht hatte, aber immerhin. Ich blieb draußen, er ging hinein. Nach einer Weile kam er wieder hinaus und schüttelte den Kopf. Hatte er nicht. Auf dem Rückweg, gleich nebenan war nochmal ein Filterladen. Wir gingen hinein. Hinter einem Schreibtisch saß ein Typ im blauen Lacoste-Hemd. Er begrüßte uns, fragte, woher ich sei. Der andere hielt ihm den Filter hin, erklärte dazu irgendwas, wovon ich nur Maschina und Gasoil verstand. Er nickte, fragte wieviele davon, ich zeigte "drei", er pfiff einen dritten zur Stelle, gab ihm den Filter in die Hand und weg war der andere. Wir unterhielten uns, der Peugeot-Mensch übersetzte. Irgendwann kam der Helfer an mit drei Filtern. Made in Turkey, das Stück für 100.000 Rial, genau 7.25 €. Ich bedankte mich und wir gingen zurück. Auf dem Rückweg entschuldigte sich der Peugeot-Händler für seine Regierung, und wenn ich etwas suche, sollte ich zu ihm kommen. "Wir sind nicht alles Terroristen, nur unsere Regierung", beteuerte er. Entweder ist hier die Propaganda so schlecht, oder die Perser zuwenig anfällig dafür, jedenfalls hat die Staatspropaganda hier kaum Wirkung. Daran können sich die Deutschen ruhig mal ein Vorbild nehmen, aber dafür ist die Obrigkeitshörigkeit dort zu stark in der Mentalität verwurzelt.
Ich kam einige Minuten später zum Hotel zurück mit einer Mann-Filter-Tüte und stellte drei nagelneue, verpackte Ölfilter der Reihe nach auf den Tisch. Wieder ein kleiner Erfolg. Heike fragte mich, ob ich Geld wechseln könnte. Sie müßten morgen zur Indischen Botschaft die Visa bezahlen, und nach der heutigen Visa-Aktion sei nicht mehr genug übrig. "Kein Problem", sagte ich, und ging los. Ich wollte ja eh was essen. Zu Fuß ging ich los. Eigentlich wollte ich ein Taxi nehmen, aber als das erste anhielt, war ich noch zweihundert Meter vom Ziel entfernt. Ich wechselte Geld - der Kurs war mittlerweile von 13.100 auf 13.800 Rial pro Euro angewachsen. Sehr schön. Auf dem Rückweg kaufte ich eine Teheran Times und setzte mich in meinen Stammladen auf der Ferdosi und bestellte eine Pizza. Danach schlenderte ich durch den Stau zurück zum Hotel.
Didi und Heike saßen auf dem Parkplatz vor dem G. Ich schnappte mir meinen Rechner und rief die eMails in der Lobby ab. Ich hatte ja am 15. an den ADAC eine eMail geschickt, wie ich vorgehen müsse, um an so ein Carnet zu kommen. Gestern um 16:09 kam die Antwort. Diese war sehr detailliert, enthielt aber bereits auch wieder die ersten Hindernisse, die es zu überwinden galt. Hätte mich auch gewundert, wenn in Deutschland irgendwas reibungslos, unbürokratisch oder unkompliziert über die Bühne geht. Aber immerhin kam eine Antwort mit genauen Anweisungen:
Sehr geehrter Herr Besold, vielen Dank für Ihre Anfrage. Da Ihr Fahrzeug in Großbritannien zugelassen ist, müßten Sie sich einen "no-objection-letter" vom britischen Automobilclub (RAC) besorgen. Das ist eine E-Mail an uns, in welcher der RAC bestätigt, daß er keine Einwände hat, daß der ADAC für ein in Großbritannien zugelassenes Fahrzeug ein Carnet ausstellt. Erst nach Erhalt eines solchen Schreibens könnten wir ein Carnet ausstellen! Die Kontaktdaten des RAC sind: Darüber hinaus benötigen wir den komplett ausgefüllten Antrag mit Ihrer Unterschrift und die Bankbürgschaft im Original, sprich per Post. Die restlichen Unterlagen (Kopie Pass/Personalausweis, Kopie Fahrzeugschein) können Sie auch per E-Mail schicken. Sämtliche Informationen zum Carnet de Passages finden sich im Anhang.
Die Ausstellungs- und Versandgebühren überweisen Sie bitte an: Der Versand per DHL-Kurier ist auf Anfrage und unter Angabe einer Versandadresse ohne Postfach möglich. Die Bearbeitungszeit ist abhängig vom Zeitpunkt der Einreichung aller Unterlagen und beträgt ca. 2 Wochen. Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Mischa Horst Schüller |
Man merkt jedenfalls eines: Der ADAC ist kein Amt, sondern ein Unternehmen. Wäre es ein Amt würde die Antwort lauten: Geht nicht, haben wir nicht, machen wir nicht. Dann muß man fluchen und schauen, wie man selber zurechtkommt, was meistens in der gesetzlichen Grauzone besser geht. Die Hindernisse, die in diesem Schreiben zum Vorschein kommen sind letztenendes auch wieder nur den Behörden zuzuschreiben. Das sogenannte "Rechtliche". Deutschland ist ja ein Rechtstaat und man kommt vor lauter Paragraphen nicht richtig zum Leben. Aber da eine Bankbürgschaft aus England ausgeschlossen war, mußte ich in den sauren Apfel beißen und mich hier durcharbeiten. Die nächste Front war hiermit eröffnet. Sofort ging eine eMail an den RAC hinaus mit der Bitte, den Kollegen in Fritzy die Unbedenklichkeit zu bescheinigen - vorausgesetzt es gibt keine Bedenken. Wann gäbe es denn Bedenken? Ich hatte keine Ahnung. Aber die Engländer sind offen für unkonventionelle Lösungen. Ich hatte jedenfalls wenig Bedenken, daß es Bedenken englischerseits geben könnte. Dann füllte ich den Antrag für das Carnet aus. Motornummer wollen die wissen. Ich sah in den Fahrzeugpapieren nach, aber da stand immer noch "Not Stated". "Was die alles wissen wollen... Wen interessiert die Kack-Motornummer?" Die Inder anscheinend. Aber Didi zeigte mir, wo man die findet. Ich machte sicherheitshalber ein Bild davon. Der Fahrzeugschein ist jetzt bereits so ramponiert, daß ich sofort nach der Rückkehr nach London einen neuen beantragen muß. Da kann ich dann auch gleich die Motornummer angeben.
Didi erhielt einen Anruf eines Bekannten, der gerade aus Pakistan zurückgekommen war. Scheiße sei es dort. Nirgendwohin ohne Militär oder Polizeischutz. Der Bekannte war geschäftlich da, und nicht mit dem eigenen Fahrzeug. Wir konnten uns nicht einigen, was nun besser oder schlechter war. Natürlich fällt man mit eigenem Auto mehr auf, und man hat weniger Zugang zu Informationen. Ein Bus fährt nicht, wenn die Lage wirklich brenzlig wird, im eigenen Auto kriegt man aber die Situation nicht immer mit, da man mehr von der Außenwelt abgeschottet ist. Dafür ist man nicht an Fahrpläne gebunden, die eh nie eingehalten werden, sondern kann gleich das Weite suchen. Aber es klang dennoch wie eine Erzählung aus fernem Land. Pakistan war in meinem Kopf noch so weit weg, weiter als je zuvor. Afghanistan schien mir viel näher. Dort soll es ohne Carnet gehen.
Ich las aus der Zeitung vor. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, daß in Deutschland irgendwer wieder mal amokgelaufen war - leider nicht auf einer Behörde oder auf dem Bullenrevier, sondern im Krankenhaus. Nicht, daß mich das wundert, daß in Deutschland soviel amokgelaufen wird. Mich würde es auch nicht wundern, wenn die Opfer dieses Amoklaufs mir vor wenigen Wochen noch erzählt hätten, daß Pakistan gefährlich ist. Was mich eher wundert ist, daß Amokläufe in Deutschland immer noch als amerikanisches Phänomen gelten. Mag zwar sein. Ein deutsches Phänomen ist es jedenfalls, sich amerikanischen Müll abzuschauen, ihn zu perfektionieren und eine Wissenschaft daraus zu machen - und dann zu behaupten Amerika sei Müll. Freiheit, Leben, das Streben nach Glück - das zu kopieren und in der Verfassung zu verankern liegt dem Michel fern. Da ist es nur recht und billig wenn er in so einem Kackland leben muß und das auch noch toll findet. Wie schon Mephistopheles sagte: "Staub soll er fressen und mit Lust!" Suum quique, oder "Jedem das Seine" - das sollten sie symbolisch an allen Grenzübergängen zur BRD aufhängen. Bislang findet man es nur in Buchenwald.
Ich las die weiteren Meldungen des Tages vor: US-Drohnenangriff in Pakistan, Zugunglück in Indien. Im Osten also nichts Neues. Didi ging irgendwann ins Bett, denn auch morgen war Frühaufstehen angesagt. Ich ging noch hinein, tippte ein wenig Berichte, bis ich von irgendwo Heimatklänge hörte. Der Mann fragte mich, wo ich hersei. "Deutschland", sagte ich, "aber wo bist Du her? Du klingst wie ein Amerikaner." Er nickte, und ich fuhr fort: "Das letzte was ich von Amerikanern hier gehört habe war, daß sie an der Grenze abgewiesen wurden. Wie bist Du hier reingekommen?" "O shit!", sagte er, "Ich bin Kanadier - das hatte ich nur gerade vergessen... Ey!" Das erklärt einiges. "Aber Du klingst nicht kanadisch", stellte ich fest. "Ich lebe auch seit meinem zehnten Lebensjahr in Santa Monica." Wußte ich's doch. "Da in Gegend hab ich auch mal gelebt", sagte ich, "und dahin will ich zurück." Er wollte wissen, wo genau. "Silverlake. Kennst Du Red Lion Tavern?" "Klar, logisch!" "Das war mein Wohnzimmer. Hab im gleichen Gebäude gewohnt. Nein! Ich wohne da immer noch. Bin nur seit drei Jahren im Exil", berichtigte ich mich, "aber, wie unser Governor immer zu sagen pflegte: 'I'll be back!'" "Unser Governor? Das ist ein Depp!" "Das wäre er sicherlich geblieben, wenn er in Graz geblieben wäre. Der ist 1970 mit einem verschwitzten Turnbeutel dahergekommen und hat Straßen geflickt als Handlanger. Aber er ist in Kalifornien gelandet und nicht in Teheran, Berlin, oder Toronto, und nun ist er Governor - woanders hätte er es höchstens zum Oberstraßenflicker gebracht. Und sowas, das geht nur in Amerika und selbst dort nicht überall. Hör Dir am besten mal an, was er dieses Jahr zum vierten Juli gesagt hat." "Gut, das von Dir zu hören. Viele Amerikaner scheinen das zu vergessen. Wie ist Dein Name?" Na, also, geht doch...