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Pakistan 2010
Montag, der 27. September

Es schlief sich extrem gut in diesem Hotel. Schon vor acht Uhr war ich wach und in Form - normalerweise kenne ich nur eines von beiden. Wir frühstückten gemeinsam im zeltplanenbespannten Innenhof, das Frühstück war gut es gab sogar Service dazu, was hierzulande nicht Standard ist. Hier geht Google Earth, was in der Türkei zensiert ist. "In Deutschland vielleicht auch bald? Wenn ich mir so anhöre, was da in Deutschland für ein Wind darum gemacht wird. Sollen doch die Krautfresser unter die Erde ziehen, dann kann sie niemand sehen und stören tun sie auch niemanden mehr. Mein Vorschlag." Didi konnte die Aufregung der Deutschen allerdings verstehen. Das sei der Beginn des Denunziantentums, sagte er. Da würden wir wohl nie einer Meinung sein. Was man in Deutschland hat ist Denunziantentum in höchster Perfektion. Zumindest das Deutschland in dem ich gelebt habe. Vielleicht ist das in Baden-Württemberg ja anders. Um das herauszufinden muß man nur auf einer deutschen Autbahn einen LKW mit deutschen Kennzeichen auf dem Standstreifen überholen. Hört sich banal an, das machen wir hier im Iran mehrmals täglich, meist ohne davon überhaupt Notiz zu nehmen. Wehe aber, man stellt es bei der Rückkehr nicht bewußt ein. Man hat sofort die Bullen am Arsch, der Lappen ist für Monate weg, die Strafe so hoch, daß man für das Geld im Iran bis an sein Lebensende fahren und LKW auf der Standspur überholen könnte. Und das nicht, weil ein Bulle ums Eck steht, sondern weil irgendjemand, der das beobachtet sofort bei den Bullen anruft - und das war schon so bevor es Google Earth gab. Es ist eine deutsche Disziplin, diejenigen zu denunzieren, die gegen Gesetze verstoßen, und das wird allgemein als richtig empfunden. "Man überholt ja auch nicht auf dem Standstreifen". Wenn also der Beginn des Denunziantentums erst mit Google Earth Einzug hält, und man in Deutschland in der Ära vor dem Denunziantentum lebt, dann werden viele Deutsche bald wehmütig an die schönen Monate und Jahre zurückdenken, die sie in lauschigen Stasi-Kellern verbracht haben.

Diese Diskussion führte jedenfalls nirgendwohin und wir hatten ein paar Probleme, um die wir uns vorrangig kümmern sollten. Didi gelang es, den Carnet-Antrag von .xps in .pdf umzuwandeln und ich schickte ihn an den ADAC in München. Nun war alles erledigt und uns blieb nur noch zu hoffen, daß das Carnet rechtzeitig im Iran ankommen würde. Ich brauchte die Datei nur noch abzuschicken. Allerdings ging ausgerechnet jetzt das Internet nicht. Man bot mir einen Computer an an der Rezeption. Der sah irgendwie komisch aus, aber ich probierte es dennoch. Ich schloß den Gedächtnisstab am USB-Anschluß an, dann öffnete ich den Internetexplorer und versuchte mich bei GMX einzuloggen. Nun fiel mir auf, warum der Rechner so komisch aussah: Er hatte keine Tastatur. Ich fragte nach der Tastatur, aber man konnte mir nicht weiterhelfen. Man tat, als hätte ich nach einem Termin beim Shah von Persien gefragt. So war nichts zu machen. Ich ging also wieder an meinen Rechner, schrieb alles in eine Textdatei, was ich benötigen würde und ging wieder en den anderen Rechner. Statt Tastatur ging nun alles über Kopieren und Einfügen. Es klappte, wenn auch etwas umständlich, doch bald stellte ich fest, daß auch auf diesem Rechner kein Internet funktionierte. Ich mußte mir eine andere Lösung einfallen lassen.

Das Telephon klingelte. "Das muß die Botschaft sein", sagte ich und ging ran. Es war die Botschaft, und zwar der glatzköpfige Handlanger von Schalter drei. Der Paß sei fertig und ich könne ihn abholen. Dummerweise war ich nun in Yazd, einige hundert Kilometer Luftlinie entfernt und konnte das nicht sofort erledigen. Ich sagte ihm, ich würde am 4. Oktober, also am Montag in einer Woche kommen und er solle mir bitte mitteilen, was genau ich mitzubringen hatte. Nicht, daß diesen Trotteln dann in Teheran einfällt, sie brauchen doch noch irgendwas, was im Auto irgendwo im Süden des Landes liegt. "Nur die Quittung", sagte er. Na, gut. Ich bedankte ich und legte auf. Ich wollte schon die frohe Botschaft verkünden, als das Telephon erneut klingelte. Wieder die Botschaft. Wieder der gleiche Typ. Ich solle auch noch den alten Paß mitbringen. Wie ich befürchtet hatte. "Was passiert dann damit?" "Der soll ungültig gemacht werden." Auch das hatte ich befürchtet. "Wie ungültig? Der ist doch noch gut, es fehlen nur die Seiten. Und außerdem ist da das Iran-Visum drin." "Das Visum wird ja auch nicht ungültig gemacht, sondern nur die ersten Seiten. "Meinetwegen", sagte ich, und legte auf. Was für einen Sinn hat es mit Handlangern zu diskutieren? Ich erzählte es den anderen. Ich brauchte nun doch einen Plan, wie ich mit beiden Pässen aus der Botschaft komme. "Jedenfalls eine Interessante Theorie", sagte Didi, "ein Kind mit einem halben Paß durch den Iran zu schicken". Ich solle doch mal fragen, wie das in Deutschland ist, wenn dort ein Iraner mit ungültigem Paß am Münchener Flughafen auszureisen versucht. Klar, was dann passiert. Dort hockt irgenein beschissener Bulle hinterm Schalter, der von der außer seinen Vorschriften von der Welt nicht viel weiß, und der wird ihn zunächst mal festnehmen bis das geklärt ist. Ich muß also feststellen, wer der Verantwortliche ist, also nicht der Einfaltspinsel am Schalter, der sich hinter Panzerglas und Vorschriften verseckt, sondern derjenige, der aus seinem Bunker hervorkriecht und nach Zahedan kommt, um den Iranern zu erklären, wie es kommt, daß dieses Kind mit einem ungültigen Paß reisen kann. Vielleicht gibt es dort ja sowas wie einen Entscheidungsträger. Wird natürlich schwer zu finden, denn selbst auf hohen und höchsten Ebenen findet man in Deutschland alles, nur keine Entscheidungsträger. Einer, der hinter seinem Namen steht und sagt: "Jawohl! Das habe ich verfügt." An solchen Leuten hat es in Deutschland schon immer gemangelt. Man kennt dort nur die Vorschriften und die Gesetze, und alles was davon abweicht, darauf wird nicht eingegangen. Wenn ein Schiff entführt wird, das unter amerikanischer Flagge fährt, kommt eine "immediate response". Ein Entscheidungsträger sagt: "Laßt die Navy-Seals den Job erledigen." Kurz darauf ist das Schiff wieder in amerikanischer Hand, die überlebenden Piraten verhaftet und man geht wieder zur Tagesordnung über, "business as usual". Etwa zur gleichen Zeit wird ein deutsches Schiff entführt. In Deutschland hat aber nun nicht das Leben der Besatzung Priorität, sondern das Gesetz. Wer ist denn nun zuständig? Polizei oder Bundeswehr? Wo ist einer, der das Gesetz mal Gesetz sein läßt und handelt? Den gibt es nicht. Selbst wenn die Aktion ein voller Erfolg würde, würde er danach belangt, weil er gegen dieses und jenes Gesetz verstoßen hat. Und wieder zeigt sich, daß der Deutsche ein Spezialist dafür ist, mit voller Wucht danebenzuhauen: Der Einzelne ist das schwächste Glied, ihn gilt es zu schützen. Zu diesem Zwecke werden Ausschüsse gegründet, die das Grundgesetz erschaffen, dessen Aufgabe es ist, den Einzelnen zu schützen. Und in guter deutscher Tradition muß der Einzelne den ersten Platz nun wieder räumen und ihn dem Gesetz überlassen. Das gute alte Preußen versucht sich diesmal als Republik. In der Schule mußten wir Carl Zuckmayer lesen - allerdings gerade so, als fänden sich folgende Dialoge ausschließlich in Erzählungen aus grauer Vorzeit:

Voigt: Na Friedrich, wo sind denn nu die großen Adlerknöppe und de Silberkokarden?
Friedrich: Hat sich zerschlagen. - Is ja auch nich so wichtig.
Voigt: Wichtig is jarnischt, dafür is de Welt zu groß. Aber du warst doch an der Reihe, war doch dein Recht.
Friedrich: Recht is, wat Jesetz is, Willem. Et jeht doch nich danach, wat ick möchte, sondern...det is für alle da.
Voigt: Amen.
Friedrich: Wat is?
Voigt: Det haste verjessen: so 'ne Sätze, die hör'n immer mit 'Amen' auf. Ick zieh m'r nur um un dann jeh ick.
Friedrich: Wohin denn? - Willem? Willst nich etwa fort?
Voigt: Ob ick will, is nich jefragt. Ick muß fort. [zeigt Friedrich die Ausweisung]
Friedrich: Ja Herrjott, Willem! Hast' denn keene Einjabe jemacht?
Voigt: Zwee! Für die erste hattense keene Zeit, für die zweite keen Interesse!
Friedrich: Ja un nu - wo willst nu hin?
Voigt: [lacht] Ja nirgends!
Friedrich: Willem, du willst doch keene Dummheiten machen!
Voigt: [bitter] Nee, Dummheiten? Nee! Ausjeschlossen! Ick wer' nu langsam helle! Haa, haa...
Friedrich: Nu lach doch nich immer! Det is doch ernst!
Voigt: Nee, ick find' det lustig: dir ham' se nich befördert, un' mir befördern se.
Friedrich: Sei doch stille. Is halt'n Unglück, was hier passiert.
Voigt: Wat is det? 'n Unglück? Nee, det is'n janz sauberes, jlattes, ausjewachsenes Unrecht, is det! Un det muß man nur wissen, und ick weeß nu. Friedrich: Willem, det mußte tragen wie'n Mann.
Voigt: Wohin soll ick denn tragen, ohne Paß und ohne Aufenthalt! Muß doch 'n Platz jeben, wo der Mensch leben kann!
Friedrich: 'n Mensch biste doch nur, wenn de dich in 'ne menschliche Ordnung stellst. Leben tut ooch ne Wanze.
Voigt: Sehr richtig, die lebt. Un' weeßte, warum die lebt? Erst kommt de Wanze, Friedrich, un' dann de Wanzenordnung - erst der Mensch, Friedrich, und dann de Menschenordnung!
Friedrich: Willem, du fährst auf'm janz falschen Jleis. Bei uns in Deutschland jib't jar keen Unrecht. Bei uns jeht Recht un Ordnung über alles.
Voigt: So... meine Ausweisung? Is det Recht un Ordnung? Und deine Beförderung? Is det recht un Ordnung? Wenn, dann muß de Ordnung richtig sein, un det isse nich!!!
Friedrich: Willem, ick sage dir: vor det Jeld, dat se an meiner Löhnung sparen, wird vielleicht 'ne Kanone jebaut.
Voigt: Ja, un dann jeht se los, un dann trifft et wieder dich, bumm-bumm, da liegste -
Friedrich: Jawoll. Da lieg' ick. Wenn's ma losjeht. Un denn weeß ick aber ooch, wofür. Vor's Vaterland, vor de Heimat.
Voigt: Mensch, ick häng' an meiner Heimat jenau wie du, jenau wie jeder, aber erst soll'n se m'r ma drin leben lassen in der Heimat, dann kann ick auch sterben für, wenn's sein muß! Wo isse denn, die Heimat? Im Polizeirevier? Oder hier im Papier? - Ick seh jar keene Heimat mehr vor lauter Bezirke...
Friedrich: Ick will det nich hören, Willem... un' ick darf's nich hören. Ick bin Soldat un... ick bin Beamter.

Kurz bevor wir weiterfahren wollten kam eine Hotelangestellte und fragte, ob wir sofort abreisen müßten, oder ob wir noch Zeit hätten, ein paar warme Worte in das Mikro des Staatsfernsehens zu sprechen. Warum eigentlich nicht? Ist ja mal interessant, hinter die Kulissen der Propagandamaschine der anderen Seite zu blicken. Im Iran nennt man es "Propaganda", bei uns heißt es "Berichterstattung", und umgekehrt nennen die Iraner ihrerseits die westliche Berichterstattung "Propaganda" und die eigene Propaganda "Berichterstattung", aber im Iran wissen die Menschen, daß es hüben wie drüben Propaganda ist. Das haben sie immerhin dem Westen voraus, wo die meisten Menschen der Ansicht sind, staatliche Propaganda gebe es nur in "Schurkenstaaten". Dabei gibt es in Wirklichkeit keine Schurkenstaaten. Es gibt nur Rechtsstaaten, Gottesstaaten und es gibt die USA. Leider habe ich das Interview verpaßt, da ich versucht hatte, zum Internetcafé vorzulaufen. Das war nicht weit, aber wenn man die Richtung nicht wußte, konnte es einem schon recht weit vorkommen. Irgendwann war ich in einer seltsamen Gegend mit Ruinen und jeder Menge Müll überall. Hier war es sicher nicht. Ich ging wieder in die Richtung, aus der ich gekommen war und stellte bald fest, daß ich nun weder wußte, wo das Internetcafé war, noch wo das Hotel war. Das GPS hatte ich im Handschuhfach gelassen. Feine Sache. Verzweifelt versuchte ich mich an den Namen zu erinnern, damit ich wenigstens ein Taxi nehmen konnte, aber alles was mir einfiel, war daß der Name des Hotels aus vier Buchstaben bestand. Ach, hätte man nur ein Hirn dabei. Doch meines hing am Ladegerät im Hotel... Eigentlich wollte ich zum Internet gehen, um die Sache zu beschleunigen, aber nun wußte nur Allah, wann ich zum Hotel zurückfinden würde. Doch der schien mir gewogen zu sein, denn kaum hatte ich mich resigniert meinem Schicksal ergeben, für den Rest meines Lebens als armer Idiot durch Yazd zu irren, da stoppte ein Mopped und ich hörte, wie jemand hinter mir "Otell?" sagte. Es war der Nachtwächter, der wohl Schichtwechsel hatte.

Der hatte mich erkannt und gestoppt, so sprang ich auf und er brachte mich zum Hotel zurück.

Das Interview war vorbei. "Na? Alles erledigt?", fragte man mich. Klar, daß die Frage kommen mußte. "Nein. Hab mich verlaufen", mußte ich zugeben. Wir fuhren los, dann gemeinsam zum Internetcafé, von wo aus ich den Antrag endlich verschickte. Wir ergänzten noch die Getränke, allerdings nur den Vorrat für die nächsten paar Stunden. Seit wir mit "Versorgungslaster" unterwegs waren gab es keinen Mangel an kalter Cola. Das gestaltet das Reisen schon sehr viel angenehmer, wenn man weiß, daß man am Abend eine kalte Cola bekommt, egal wo man letztenendes landet. Wir arbeiteten uns durch die engen Gassen der Altstadt, fuhren wieder auf die Hauptstraße und dann verließen wir Yazd endgültig in Richtung Süden. Das Tagesziel hieß Persepolis. Heike und Didi waren es nicht gewohnt, nachts zu fahren. Es ist ja auch ein Schwachsinn, Nachts zu fahren, das habe ich schon immer gesagt. An der Umsetzung scheitert es halt, wie so vieles im Leben - zumindest in meinem. "Seit wir mit Dir unterwegs sind, kommen wir immer in die Nacht" - das war so der Running Gag in diesen Wochen. Ich konterte immer mit "Seit wir mit Euch unterwegs sind, schaffen wir keine Kilometer mehr." Was ja auch stimmt. Doch das hat den unbestreitbaren Kollateralnutzen, daß man viel mehr vom Land sieht. Und warum soll man in den Iran fahren, wenn man nur durchrast. Durch meine Nachtfahr- und Kilometerpolitik sieht man davon nicht viel. In diesen Tagen änderte sich dies, und wurde nur beeinträchtigt dadurch, daß wir die wenigen Kilometer nachts zurücklegten. Die Nachteile von beiden Fahrphilosophien so geschickt zu kombinieren schafft nicht jeder so gekonnt wie ich. Aber Lob bekam ich dafür keines...

Die engen Gassen der Altstadt von Yazd.

Heike hatte vorhin gesagt, daß es vielleicht gut wäre, bei der Pakibotschaft anzurufen, um die Leute dort wissen zu lassen, daß wir schon vorhatten, das letzte Visum abzuholen. Nicht, daß die meinen, es hätte sich erledigt. Das wollte ich nun machen. Nur nicht zu weit weg von der Stadt, sonst ist der Empfang wieder stundenlang weg. Ich hatte bald Mr. Javeed am Apparat. "Hallo! Ich bin's der Deutsche mit dem Visaproblem!", sagte ich. "Ja, Du bist einfach abgehauen, ich habe doch gesagt, Du sollst mich anrufen, wenn Du die Visa hast!", sagte er, einigermaßen beleidigt. Aber ich konnte ihm aus der Verlegenheit helfen: "Aber ich hab die Visa doch noch gar nicht. Also, unsere schon, aber das vom Kleinen fehlt noch. Sein Paß ist aus Seiten rausgerannt und ich mußte einen neuen beantragen. Aber so träge und plump wie die Hunnen halt nun mal sind geht da nichts voran und schon gar nicht schnell. Wollte nur sagen: ich komme nächste Woche nach Teheran geflogen, und dann hole ich das Visum ab und melde mich bei Ihnen." So verblieben wir. Dann legte ich auf, und kurz darauf wurde der Empfangs-Balken immer kleiner und verschwand dann ganz. Wir waren wieder in der Wüste mit Generalkurs Südwest.

Auf dem Weg nach Persepolis gab es noch ein paar Sachen zu sehen. Zunächst den Adlerfels. Den hatte sich Almut ausgesucht, weil "Arn" doch "Adler" heißt. Wir fuhren durch irgendwelche seltsamen Käffer, sahen immer nur in der Ferne die Autobahn, und Schilder nach Shiraz. Eigentlich waren wir ja richtig, auch das GPS meckerte nicht, aber wir waren nicht auf der Autobahn. Wir verloren kurzzeitig die anderen und es kam wieder zum typischen Depperl-Manöver: Ich drehe um und kaum läuft der Karren, kariolen die anderen an uns vorbei. Das ist immer so. Das berühmte "Wenn ich mir jetzt eine Anstecke, dann kommt die Straßenbahn" wird hier zum "Wenn ich jetzt umdrehe, dann kommen Heike und Didi an." Wenn man allerdings nicht umdreht, dann wartet man ewig. Man kann es also machen, wie man will, man ist immer der Depp. Hinzu kommt noch diese unvorteilhafte Farbe des G. Der ist angemalt wie hierzulande die meisten Saïpas. Und da ich nie bewußt in den Rückspiegel sehe, sondern nur dann, wenn ich eine Bewegung registriere, fällt es mir nicht auf, wenn der G weg ist und dafür einer dieser Saïpas im Rückspiegel zu sehen ist. Seit wir die Handys haben ist das allerdings ein wenig besser geworden - zumindest in den Gebieten, in denen man Empfang hat.

Am Ausgang des Kaffs sahen wir dann unseren Felsen. Unverkennbar, nicht einmal ich schaffte es, ihn zu übersehen oder zu verwechseln und daran vorbeizutuckern. Wie ein riesiger Aar, der gerade die starken Schwingen ausbreitet, um stolz und frei in den Äther emporzuschweben, stand der Fels in der Landschaft, es fehlte nur der Schnabel. Wir suchten uns eine Piste, um ein paar schöne Aufnahmen zu machen. Kann sich dann der Kleine anschauen wenn es groß ist. Wir fuhren daraufhin wieder zur Straße zurück. Der G nahm eher den direkten weg, wir arbeiteten uns wieder zurück auf dem Weg, auf dem wir gekommen waren.

Steige hoch, Du roter Adler...

Als wir wieder Asphalt unter den Rädern hatte, nahmen wir wieder fahrt auf und unser kleiner Treck arbeitete sich zum nächsten Haltepunkt vor. Es fiel mir nach Stunden irgendwann auf, daß der G im Rückspiegel fehlte. Die Fahrordnung war eigentlich richtig, so wie sie war. Wenn der G vorausfährt, haben wir das Problem, daß meine Sicht beschränkt ist. Gerade innerorts ist es wichtig, daß man vorausschauend fahren kann. Wenn der G plötzlich bremsen muß wird es unangenehm. Läßt man zuviel Abstand, verliert man sich. So fährt der G hinterher, kann über uns hinwegsehen und adäquat reagieren und durch unseren Aufbau verliert er uns auch nicht, da man doch weithin sichtbar bleibt. Außerorts kommt es freilich vor, daß man sich verliert, vor allem, wenn der Besold nicht in den Rückspiegel schaut. So nahmen Almut und ich eine dieser Aktionen zum Anlaß, einen dieser vielen Kühltürme aus der Nähe anzusehen. Der war zwar leer, also wasserlos, aber man konnte schön sehen, wie er funktioniert wenn er voll ist. Gerade als wir fertig waren kam der Anruf von Heike. Wo wir denn seien. Da gibt es eine 4000 Jahre alte Zypresse, die wollten sie anschauen und auf die hielten sie gerade zu. Sie schlug vor, wir sollten uns bei der Zypresse treffen. "Hä? Sind die vor uns? Wo ist denn die Zypresse?", fragte ich. Almut erklärte, daß die hinter uns läge. Schon hier in dieser Ortschaft, aber eben hinter uns. Die soll ja angeblich ausgeschildert sein, und da die Beschilderung im Iran sehr gut ist, nahm ich an, daß ich die Beschilderung nur übersehen hatte. Wäre ja nicht das erste mal. Wir fuhren zurück und fanden irgendwann die Zypresse. Sie war tatsächlich sehr gut ausgeschildert gewesen. Ich fuhr darumherum. Von den anderen keine Spur. Telephon. "Hallo! Maitag, Maitag! Wo seid Ihr? Seid Ihr schon weitergefahren?", plärrte ich in den Apparat. "Nein, wir sind noch gar nicht da, aber in zwei Minuten... Ich seh Euch. Wir sind gleich da", sagte Heike und legte auf. Sie kamen an und wir besichtigten die Zypresse. Ich fand es schade, daß sie immer noch nicht reden konnte - Zeit es zu lernen hätte sie ja genug gehabt und ein Lebewesen, das schon hier stand, zweitausend Jahre vor Christus, und Tag und Nacht das Geschehen beobachtet hat, könnte sicher ein Vermögen dafür verlangen, Fragen zu beantworten.

Wer sich von 4000 Jahren nicht weiß Rechenschaft zu geben...

Wir fuhren zurück auf die Hauptstraße und kachelten weiter in Richtung Persepolis. Es sah schon wieder verdammt danach aus, als würden wir in die Dunkelheit kommen. Es war viertel nach fünf. "Ach, was, kein Problem, das schaffen wir schon noch bei Helligkeit", versicherte ich, wie ich es immer tat, wenn klar war, daß es wieder mal eine Nachtfahrt werden würde. Wir holten noch kalte Getränke, und es ging weiter. Als wir dann in Pasargad ankamen meldete das GPS gerade den Sonnenuntergang, indem es lautlos und ohne Meldung in den Nachtmodus umschaltete. Hier war das Grab des Cyrus. Das war meiner Meinung nach der Erfinder der gleichnamigen Wolken. Aber der hatte auch diese Rolle mit Menschenrechten verfaßt, wegen der neulich so ein Aufhebens gemacht wurde, die aus London hierhergekarrt wurde und nun in Teheran im Museum ausgestellt ist. Hätten sie bescheid gesagt, dann hätte ich sie einfach mitgenommen. Soviel Platz wäre im Auto schon noch gewesen. Dieses Grabmal wurde ursprünglich für das Grab der Mutter eines berühmten und mir völlig unbekannten Salomons gehalten, bis aber 1820 jemand draufkam, daß es doch diesem Herrn Zirrus gehört. Zumindest ist das derzeit der Stand der Dinge, aber wer kann schon sagen, was die Zukunft bringt? Die Schranke vor dem Zirrus-Grab war schon zu, der Wächter hatte eine Militäruniform an und er erklärte, daß wir erst wieder morgen früh reinkönnten. Ich neigte den Kopf, er grinste, ich neigte ihn weiter und er fragte, wieviele Eintrittskarten. "Fünf", sagte ich. Auch hier stellten wir wieder fest, daß der Eintritt nur einen Bruchteil von dem kostete, was im Lonely Planet stand. Hier waren es 5000 RL, also nicht mal 0,40 €. Die hatten wohl mangels Touristen die Touristenpreise abgeschafft. Wir nahmen die Karten und gingen zu den anderen. Die hatten beschlossen, hierzubleiben, und das Grab am nächsten Tag anzusehen. Wir hingegen, wollten es jetzt ansehen und dann weiter nach Persepolis fahren. Hier zeigte sich der Vorteil eines solchen Dachzelts: Egal wo man steht, man kann einfach abschließen, das Zelt hochklappen und fertig ist der Laden. Wir hingegen schliefen neben dem Auto und hatten wenig Lust hier mitten im Kaff sowohl als Touristenattraktion als auch Mückenfutter zu dienen.

Heike und Didi waren gerade mit einigen Einheimischen ins Gespräch gekommen. Einer war ein Chemiestudent, ungefähr Anfang zwanzig, die anderen waren ältere Jahrgänge. Sie begrüßten uns mit einem freudigen "Heil Hitler", erzählten dies und jenes. Wir aber mußten weiter, denn die Sonne wartete nicht, daher verabschiedeten wir uns und gingen los, die Ausgrabung zu besichtigen. Mit dem Auto durften wir nicht mehr hinein, also ließen wir es stehen und gingen zu Fuß weiter. Unglaublich, wie schnell hier nach Sonnenuntergang die Dunkelheit hereinbricht. Man unterschätzt es immer wieder. Wir waren alleine, es standen nur noch ein paar Soldaten herum, von denen einer den Generator anwarf und das Grab in ein unwirkliches Licht tauchte. Auch die Mücken wurden aktiv. Auf dieser Höhe sollte es gar keine Mücken geben, ja, wissen die das denn nicht, diese Drecksviecher? Und ich war natürlich vollkommen unbewaffnet.

Pasargad beim Grabmal Cyrus des Großen.

Nach der Besichtigung gingen wir wieder zum Parkplatz. Heike und Didi waren immer noch da, mittlerweile auf dem ausgebreiteten Teppich der Einheimischen, und tranken Kaffee. Sie boten uns auch Kaffee an, aber ich lehnte ab, weil ich nämlich sonst nicht schlafen kann. Stimmt tatsächlich, auch wenn es vielleicht nur Einbildung ist. Ich kann literweise Cola trinken am Abend, aber eine Tasse Kaffee und ich schlafe erst kurz vor Sonnenaufgang ein. Außerdem wollten wir weiter nach Persepolis und dort übernachten. Ich kann mich erinnern, daß es dort einen großen Parkplatz gab, auf dem man sicher zelten kann - wir vielleicht nicht, weil wir kein Zelt hatten, aber normalerweise geht das. Wir unterhielten uns noch eine Weile, suchten zwischendurch dann das Kind, mit dem mal wieder einer abgehauen war, nachdem er zig Bilder davon geschossen hatte, verabredeten uns für den nächsten Morgen auf dem Parkplatz von Persepolis und fuhren los. Es waren noch 90 km zu bewältigen, was uns auch in einer guten Stunde gelang, obwohl wir noch zum Tanken anhielten. Bei der Gelegenheit stellte ich gleich noch die Scheinwerfer ein. Die Leuchtweitenregulierung funktioniert nicht, und die hinteren Federn hatten sich mittlerweile leicht gesetzt, daher strahlten die Scheinwerfer in die Höhe. Mit einer Münze löste ich das Problem. Das wollte ich schon vor Wochen machen, aber irgendwie fand ich nie die Zeit dazu. Aber nun war Almut gerade mal wieder spurlos verschwunden und typischerweise nicht erreichbar, also nutzte ich die Zeit, fuhr in eine dunkle Ecke auf dem Parkplatz und stellte die Scheinwerfer richtig ein.

Kurz darauf waren wir dann in Persepolis. Wir fuhren den Parkplatz ab. Ich hatte ihn groß in Erinnerung, aber in Wirklichkeit war er bestimmt doppelt so groß wie der der münchener Arena. Aber davor gab es einen ITTIC-Campingplatz. Der kostete 50.000 RL, war in Ordnung und hatte Facilities. Sogar sonnenwarmes Wasser zum Duschen. Das waren die 4 € schon wert. Geschlafen wurde neben dem Auto. Einzig die Laterne nebenan störte. Ich erinnerte mich an meine Jugend zurück, als wir ganze Straßenzüge gegen "eventuelle feindliche Fliegerangriffe" verdunkelten, indem wir gegen den Kasten am Mast trappten. Das sollte eigentlich hier auch funktionieren. ein Tritt und die Lampe war aus. "Sehr gut, so kann man schlafen", sagte ich und legte mich zu Bette.

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© by Markus Besold