< September 2010 > | ||||||
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Ich wurde wach vom Geschepper, das dadurch verursacht wurde, als Arnie mitsamt dem Stuhl umkippte. Beim Versuch, ihn doch noch zu fangen hatte Almut auch noch beinahe dafür gesorgt, daß das Frühstück hinterherflog. Das wird noch öfter vorkommen, daß er irgendwo hinaufklettert und hinunterfällt. Aber ein guter hält es aus und um einen schlechten ist es nicht schade. Wozu der Aufstand? Man stelle sich vor, die Chinese würde auch jedes Mal so reagieren, wenn ein Sack Reis umfiele. Fluchend schälte ich mich aus meinem Schlafsack. "Morgen!", begrüßte mich der Rest der Truppe. "Morgen ist gut, mitten in der Nacht. Fuck!", grüßte ich fröhlich zurück, während ich nach meiner Zahnbürste kramte. Scheiß! Almut packte ihre Sachen und ging los, um unsere Pässe bei Madame Hosseini abzuholen. Das Problem mit der Visa-Verlängerung ist also hoffentlich bald abgeschlossen. Ich wandte mich dem nächsten Kriegsschauplatz zu.
Nach einem Liter Milch sieht die Welt trotz Sonne schon viel besser aus. Didi war schon in der Lobby gewesen und hatte die neuesten eMails abgerufen. Darunter befand sich ein eMail einer Verschiffungsgesellschaft, die sehr interessant klang: Verschiffung von Bandar Abbas / Iran nach Mundra / Indien ist möglich. Die Preise liegen bei 270 US$ für einen 20-Fuß- und bei 330 US$ für einen 40-Fuß-Container. Heike und ich suchten auf der Karte, wo dieses Mundra überhaupt liegen soll. Wir fanden es schließlich. Kleines Kaff in der Bucht nördlich von Bombay. Nun stand die Möglichkeit im Raum, daß wir gleich mitverschiffen und von indien aus nach Pakistan zu kommen versuchen. Für 165 US$ gibt es da nur eine zu überlegen: Wie sieht die Prozedur auf der anderen Seite aus. Von Indien wußte ich nur, daß Brasilien noch schlimmer sei. Aber das ist kein Maßstab. Das wäre so, als würde man sagen, die Länge der Strecke X ist kleiner als unendlich. "Das würde ich auf jeden Fall in Erfahung bringen. Nicht, daß das Auto dann in Indien monatelang im Hafen hängt. Wenn die Antwort akzeptabel ausfällt, dann stopfen wir beide Kärren in einen 40-Fuß-Container und fahren mit nach Indien. Wir würden aber auf jeden Fall bis zum Schluß versuchen, auf dem Schiff mitzufahren. Allerdings gab es auch zu dieser Lösung ein passendes Problem: Keiner von uns hatte ein Indien-Visum im Paß. Weiterhin war mein Plan, für Almut, Arnie und mich ein Visum für Afghanistan zu besorgen, oder es zumindest zu versuchen. Heike konnte ich dafür nicht begeistern.
Apropos Visum. Vielleicht tat hat sich ja an der pakistanischen Front mittlerweile etwas getan. Ich nahm meinen LapTop, setzte mich in die Lobby und fuhr den Rechner hoch. Keine Meldungen aus Pakistan. Also vorerst auch kein Einsatz. Ein eMail von Almut kam an: Der Termin um 10 sei geplatzt, sie solle nach Mittag wieder kommen. Hätte mich auch gewundert wenn mal was reibungslos geklappt hätte. Während ich also Bilder von der Kamera und Tracks vom GPS herunterlud, kam doch ein eMail aus Pakistan. Unser Kontakt hatte geschrieben. Er hätte versucht, uns zu erreichen, aber das hatte wohl das iranische Micky-Maus-Netz verunmöglicht. Also schickte er ein eMail. Er hätte wiederum mit seinen Kontakten Rücksprache gehalten und bat uns darum, festzustellen, ob es sich bei der Auskunft der pakistanischen Botschaft um eine Standard-Aussage handele, und falls nicht, zweitens, wer im pakistanischen Innenministerium dafür zuständig ist. Name. Nun waren wir wieder am Zug. Ich rief bei der Botschaft in Pakistan an. Nach dem zehnten Versuch kam erstmals eine Verbindung zustande. Ich bat darum, "mit dem Mann verbunden zu werden, mit dem ich gestern telephoniert hatte". Der Pförtner erinnerte sich zum Glück an den verwirrten Deppen von gestern, sagte zu mir, daß der gute Mann "Mr. Javeed" heißt und verband mich. Den schrieb ich gleich auf, da ich Namen - besonders so exotische wie Mr. Javeed - nur für wenige Sekunden merken kann. Dann sind sie wieder weg. Nach einiger Zeit des Tutens war wieder der Pförtner dran. Ich solle in einer halben Stunde nochmal anrufen. Diese halbe Stunde nutzte ich, um neues Guthaben und Mittagessen zu kaufen. Heike ging mit, um tragen zu helfen. Als wir wieder am Camping waren, rief ich wieder bei der Paki-Botschaft an und ließ mir erst die Durchwahl geben und mich dann verbinden. Jetzt war er da. "Hallo! Wir haben gestern telephoniert. Ich habe nun mit Pakistan telephoniert. Das Schreiben ist angekommen bei Ihnen, ja?", fing ich an. "Das habe ich noch hier, ja", bestätigte er. Gut. Also noch nicht im Müll gelandet. "Man hat mich gebeten, festzustellen, ob es sich bei Ihrer Auskunft um eine Standardaussage handelt, oder ob es sich um ein allgemein für alle Botschaften gültiges Gesetz handelt. Die Botschaft in Berlin meinte auch, es würden Ausnahmen gemacht. Deshalb frage ich", machte ich weiter. "Das ist allgemeines Gesetz", sagte er. "Gut", unterbrach ich, "das dachte ich mir. Aber ist kein Problem. Aber aus diesem Grunde soll ich Sie bitten, mit den Namen des Zuständigen beim Innenministerium zu geben, damit sich mein Kontakt direkt an diesen wenden kann. Wir haben keinen Monat Zeit, sehen sie? Und ich schaue absolut nicht vorwärts, im Niemandsland zwischen Iran und Pakistan festzusitzen mit Frau und Kind. Mein Iran-Visum ist kein Double-Entry, verstehen Sie?"
Nun waren alle Geschütze abgefeuert und es blieb nur zu hoffen, daß irgendeines irgendwas traf. Er überlegte kurz und sagte dann, ich solle ihm bis morgen Zeit geben, dann würde er das feststellen. Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. "Und?", fragte Didi. "Er hat gesagt, er ruft morgen zurück", sagte ich, und überlegte dabei, ob ich nicht doch etwas vergessen hatte. "Das ist gut", sagte Didi. "Er hat nur gesagt, daß er zurückruft", sagte ich, und Heike beendete meinen Satz: "und zwischen 'er hat gesagt er ruft zurück' und er 'ruft zurück' liegen Welten." So ist es. "Ich werde melden, daß ich mit der Botschaft telephoniert habe, und daß es sich nicht um eine Standardaussage handelt. Dann werde ich irgendwie versuchen, den Zuständigen selbst herauszufinden", beschloß ich. Ich entdeckte ein paar Steckdosen, steckte das Handy an - ist ja klar, daß die Batterie gerade jetzt verrecken muß. Erst das Guthaben, dann die Batterie. Mit leerem Magen überlegt es sich schlecht. Heike, Didi und ich setzten uns zusammen, machten Mittagessen und besprachen das weitere Vorgehen. Almut war inzwischen mit den Pässen eingetroffen. Verlängert bis zum 8. Oktober. Das waren noch 18 Tage. Hört sich gut an. Aber wenn man dem die To-Do-List entgegenhielt, dann waren 18 Tage schon wieder fast zu wenig. Aber wenigstens hatten wir jetzt ein wenig mehr Luft. In Esfahan hatten wir also alles erledigt, was zu erladigen war. Wir beschlossen, morgen zur Oase Garmeh bei Khur weiterzufahren. Die lag praktisch auf dem Weg nach Teheran, wenn man einen kleinen Umweg fuhr.
"Oh", rief ich, als ich das piepsen den Handys hörte, "ich habe eine SMS bekommen", und ging zum Steckdosenkasten. Eine SMS, die mir mitteilte, daß ich einen Anruf verpaßt hätte. Die Nummer endete mit 1389. "Pakistanische Botschaft", sagte ich. "Ruf sofort zurück", sagte Didi. Als ich das tun wollte erschien auf dem Bildschirm die Meldung: "4 missed calls." "Ach Du Scheiße! Der hat wirklich zurückgerufen!", rief ich, mit noch größerem Erstaunen. Ich rief an. "Ständig faselt da irgendeine Schlampe was auf Persisch!", fluchte ich in meiner Aufregung, "Scheiß Fufu-Telephonnetz. So eine Scheiße kenne ich nur aus Brasilien" - aber es tutete nun. Von wegen Fluchen hilft nichts. "Hi, Mr. Javeed! Es ist mich!", sagte ich. "Ah, ich habe mehrfach versucht, bei Ihnen anzurufen, aber Sie gingen nicht ran", sagte er. "Ja, das Telephon war beim Laden. Haben Sie etwas in Erfahrung bringen können?", fragte ich ihn gleich direkt. "Ja. Können Sie diese Woche auf die Botschaft kommen? Dann machen wir mit Ihnen ein Interview und die Visa werden dann hier ausgestellt." Kein Wort mehr von Innenministerium. Ich wußte gar nicht, was ich sagen sollte, also fuhr er fort: "Die Botschaft ist am Freitag geschlossen. Sie müßten um 9 Uhr da sein, und um 11 wäre dann das Interview. Wann haben Sie denn Zeit. Sind Sie in Teheran?" Ich machte einen Termin für übermorgen aus, bedankte mich, und legte auf. Ich starrte das Telephon an, als könne es mir erklären, was das jetzt war. "Und?", Didi holte mich in die Realität von Esfahan zurück. "Wir kriegen die Visa", sagte ich. "Wie?", fragte er ungläubig. "Wir sollen die Woche zur Botschaft. Um Neun. Interview um Elf. Ich habe gesagt, wir kämen morgen oder übermorgen", meldete ich. "Ruf an und sag wir kommen morgen. Was wir haben, das haben wir." Das tat ich. Anschließend rief ich noch im Hotel an und kündigte unsere Ankunft an: Heute spät in der Nacht. Zwei Zimmer. Die Hoteldame, Sayediya, verstand mich und bestätigte alles. Das Hotel Khayyam ist so eine Art Insel der Effizienz im Lande. Dort klappt alles und wenn man eine Zusage bekommt, dann wird die auch eingehalten. Oder sie würden sagen es geht nicht, aber das habe ich persönlich noch nie erlebt.
Das bedeutet: Sofortiger Rückmarsch nach Teheran. "Was gibt es in Esfahan noch zu erledigen?", fragte Heike. Didi faßte kurz und bündig zusammen: "Handyladen, Freitagsmoschee, Abfahrt." Wir packten zusammen und fuhren los. Der G fuhr voran. Sie kannten den Weg. Zunächst zum Handy-Laden. Dort waren wir nach etwa fünfzehn Minuten. Didi gab uns den Schlüssel und spurtete los. Aber der Laden war geschlossen. Irgendeiner rief aus dem ersten Stock, daß er um Vier aufmacht. Es war noch vor drei. "Gut. In der Zeit können wir die Moschee besichtigen", stellte Didi fest und wir fuhren los. Wieder zwanzig Minuten später waren wir dort. Die Unterführung, durch die wir eben gefahren waren ist erst gestern eingeweiht worden. Wir parkten und gingen zur Moschee. Irgendwie sehen die Teile immer noch alle gleich aus: Außen hui und innen pfui. Außen aufwendig gekachelt, innen Rohbau, mit umherhängenden Kabeln und Baustellenbeleuchtung. Eine der Hinterkammer der Moschee erinnerte mich an ein Level von "Unreal Tournament", mit dem Unterschied, daß die Säulen im Computerspiel kerzengerade waren und hier total schief.
Noch war es nicht vier, also schlenderten wir zum Auto zurück und tranken auf dem Weg noch ein paar Flaschen Istak - das ist das einzige was hier halbwegs nach Bier schmeckt. Das gibt es in fast allen Geschmacksrichtungen. Am schwierigsten kommt man an das mit Biergeschmack. Die findet man nur selten und sollte sich davon gleich einen Vorrat anlegen. Ich persönlich trank das Zeug nur, wenn weder Coca-Cola noch Pepsi im Angebot waren. Das Zam-Zam-Cola wird von mir boykottiert, nicht weil es schlecht schmeckt, sondern allein deshalb, weil es sich als Cola ausgibt. "Jetzt ist es gleich vier, jetzt sollten wir mal langsam..." Wir schlenderten weiter zum Auto und fuhren los, Didi hinterher. Das Navi was an, aber ich hatte keine Ahnung, wie es zum Laden geht. Als wir ankamen war dieser immer noch oder vielleicht schon wieder geschlossen. Welch eine Überraschung. Ein anderer Typ lungerte davor herum. Der meinte, der würde um sechs aufmachen. Nach einer erneuten Anfrage, zehn Minuten später würde er in einer halben Stunde aufmachen. Öffnungszeiten? Fehlanzeige. Kontaktnummer? Vergiß es. Der Laden macht einfach genau dann auf, wenn der Besitzer Bock hat, und keine Sekunde früher. Hier wacht kein Staat darüber, daß man als Privatunternehmer pünktlich auf- und zumacht. Allen Gerüchten zum Trotz ist das hier nämlich kein Überwachungsstaat. Hier sind die Spitzel im Unterschied zu Deutschland nämlich Staatsbedienstete. Uns wurde es zu blöd. Wegen 10 € lohnt es sich nicht, hier noch länger zu stehen und zu warten, bis der nächste Trottel mit einer anderen phantastischen Öffnungszeit kommt. Wir beschlossen, zu dem Laden in Teheran zu gehen, und das dort zu machen. Das hätten wir ohnehin gleich machen sollen, denn dort wissen wir, daß es funktioniert. Also, auf nach Teheran.
Wir fuhren auf Esfahan hinaus nach Norden. Bei der ersten Tankstelle hielten wir. Wir sahen keinen einzigen LKW, dafür standen aber nun die PKW schlange wie sonst nur die Großen. Es war eine Tankstelle, die auch Gas hatte, und das war soweit ich weiß umsonst - noch. Aber das half uns nichts. Wir brauchten Diesel. Didi machte zwar den Behälter seines Benzinkochers voll, aber unsere Tanks blieben leer. Es war komisch. Kein LKW weit und breit. Ein Typ, der an der Tanke herumsaß, aber nicht dort arbeitete, sondern darauf wartete, daß sein Fahrer das Auto volltankte, das irgendwo in der Schlange stand, erklärte, daß die LKW alle auf der alten Route fahren, weil diese Strecke ja Maut kostet. So ein Dreck! Er hatte Recht: Wir hatten keinen einzigen LKW überholt. Die ganze Zeit nicht. Auch konnte man zwar von hier etliche Kilometer Autobahn einsehen, doch darauf befand sich nicht ein LKW. Hinter der Tankstelle sah man sie auf der alten Route fahren, doch an die kam man von hier aus nicht. Man schlug vor, wir sollen auf einen Bus warten, aber das geht ja gar nicht. Busse sind selten, und wenn in einer Stunde fünf vorbeifahren, muß man dann auch noch hoffen, daß gerade einer hier tanken will. Nein, nein. "Wieviel hast Du noch drin?", fragte Didi. "Zwei, vielleicht dreihundert noch." Wir fuhren weiter. Bei der nächsten Tanke, ein paar hundert Kilometer weiter, hatten wir mehr Glück. Glück im Unglück, denn das Tanken ist hier langsam wirklich nervig. Wir wären bereit, das vierfache zu zahlen, nur um nicht ewig auf einen LKW-Fahrer warten zu müssen, der sich die Zeit nimmt, den Tank auf einmal vollzumachen. Die wollten zwar meistens kein Geld, sind aber so in Eile, daß sie nicht noch die fünf Minuten aufwenden können, um unsere beiden Fahrzeuge vollzumachen. Und wir haben nun mal diese idiotische Tank-Karte nicht. Ich würde ja gern eine kaufen, aber die gibt es nirgendwo zu kaufen. Didi hatte sie an der Grenze bekommen, wir nicht. Bin sowieso gespannt, ob das an der Grenze nicht noch Theater gibt...
Wir fuhren dann weiter in Richtung Teheran. Es war schon lange dunkel als wir in die Nähe kamen. Kurz vor Teheran begann das Navi Scheiße anzuzeigen. Es lotste uns recht idiotisch hin und her, jagte uns in eine Einbahnstraße nach der anderen. Zweimal konnte ich das nicht verhindern, da es nicht eindeutig erkennbar war. Die Taxler vor uns erkannten es oft zwar deutlich, daß es eine Einbahnstraße war, aber es interessierte sie nicht die Bohne. Die fuhren einfach Licht- und Tonhupend in die Gegenrichtung. Almut übernahm dann die Navigation und um halb zwölf erreichten wir das Hotel. Didi war uns immer hinterhergefahren, aber auf die letzten paar Meter, vor lauter Begeisterung, daß ich die Gegend wiedererkannte, fuhr ich in eine Einbahnstraße. Als wir am Hotel ankamen hatte Didi schon geparkt. "Ich dachte, Ihr seid noch zu einem Laden gefahren", sagte er. Er überschätzt meinen nichtvorhandenen Orientierungssinn. "Nö. Hab mich bloß wieder mal verfahren..." Sayediya kam gleich auf den Parkplatz und fragte nach "Arnoll". Der war gerade aufgewacht und starrte in die Gegend, als gäbe es da viel Spannendes zu sehen. Als er feststellte, daß das nicht der Fall war, schlief er wieder weiter. Ich trug die Sachen hoch, dann kam ich wieder hinunter. "Morgen früh um halb neun spätestens in der Lobby." "Jawohl!" "Gut' Nacht!"