< September 2010 > | ||||||
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Ich ging in die Lobby des Hotels und rief Almuts eMails ab. Es war eine Nachricht aus Islamabad eingetroffen: Ein eingescanntes Empfehlungsschreiben von der Botschaft in Islamabad an die Botschaft in Teheran mit der Bitte, uns die geforderten Visa auszustellen. Dieses Schreiben wurde an die Botschaft in Teheran gefaxt. Immerhin. Jetzt muß der Schuß nur sitzen. Dennoch bereitete ich mich darauf vor, daß er nicht saß und bat Almut darum, sicherzustellen, daß das Innenministerium in Islamabad kontaktiert werden sollte. Es bleibt ja nichts anderes übrig. Man muß mit allen zur Verfügung stehenden Geschützen auf ein Problem feuern. Wie gesamte Weiterfahrt hängt schießlich davon ab, ob wir ein Visum für Pakistan bekommen oder nicht.
In erster Linie waren wir in Esfahan, um das Visum zu verlängern. Soll hier angeblich leichter sein als in Teheran. Ich hatte ja meine Bedenken. Das Visum zu verlängern ist immer ein Theater, und zu diesem Problem gesellt sich dann das Permit für das Auto, das eigentlich auch verlängert werden muß. Beim letzten mal hat uns das ein tagelanges Ausreiseverbot und ein großes Theater beschert. Diesmal wollte ich das umgehen, indem ich ganz darauf verzichtete, das Permit für das Auto zu verlängern. Einfach so tun, als wüßte ich von nichts. Es fällt mir sehr leicht mich überzeugend blödzustellen und es ist nicht einmal anstengend.
Wir ließen die Autos stehen und fuhren mit dem Bus in Richtung Si-o-Se-Pol, so heißt die schöne Brücke im Zentrum, die aus dreiunddreißig Bögen besteht. Bevor der Bus dort ankam mußten Almut und ich aussteigen. Die anderen beiden fuhren weiter, um sich Esfahan anzusehen. Die hatten ein 35-Tage-Visum und brauchten nichts zu verlängern. Ganz wohl war mir bei der Aktion nicht. Es roch einfach schon wieder alles nach Ärger.
Die Visumsverlängerung fing schon damit an, daß die dafür zuständige stelle schon nicht mehr dort war, wo sie im Lonely Planet beschrieben war. Almut mußte uns irgenwie durchfragen. Irgendwann hatten wir dann die neue Adresse herausgefunden und fuhren mit dem Taxi dorthin. Beim Betreten des Gebäudes mit der Aufschrift "Foreigner's Affairs" die übliche Prozedur: Frau, Kamera und Handy abgeben, dann erst durfte man hinein. Wir wurden direkt nach oben geschickt in den ersten Stock zu "Mr. Olialah". Im Lonely Planet stand drin, daß die gesamte Prozedur nur zehn Minuten dauert und man die Gebühr gleich dort bezahlen kann. Allein das Bezahlen der Gebühr dauerte beim letzten Mal ein gefühltes Menschenalter. Das klang einfach zu gut, um wahr zu sein. Ich ging zu besagtem Mister, hielt ihm die Pässe hin und fragte nach, was ich zu tun hätte. Zwei Bilder, zwei ausgefüllte Formulare, 400.000 Rial - alles pro Person, wohlgemerkt. Er gab mir einen abgerissen Fetzen Papier und meinte, ich solle damit zur nächsten Melli Bank gehen und den Betrag von 1.200.000 Rial (ca. 120 US$) dort einzahlen und mit der Quittung wieder kommen. Von wegen man kann gleich hier bezahlen. Muß sich wohl um eine Ente handeln, bestenfalls um einen Einzelfall. Wir gingen los zur Melli Bank und fanden diese nach etwa einem Kilometer Fußmarsch. Und die war wie erwartet voll. Die Differenz zwischen der aufgerufenen Nummer und der von mir gezogenen betrug mehr als 80. Bei dem Versuch, diese Zahl in Zeit umzurechnen, genügt ein Blick hinter den Tresen auf die Bankangestellten, um einen akuten Brechreiz hervorzurufen.
Da ich nicht gefrühstückt hatte, konnte ich dem allerdings nicht nachgeben und so vertagten wir diese Aktion auf den morgigen Tag. Raus aus der Bank, rein in die Bäckerei, einen Donut fressen und überlegen, was nun zu tun war. Die anderen hatten keine iranische SIM-Karte, waren also nicht erreichbar. Aber ich rief stattdessen die pakistanische Botschaft an. Ist ja nicht so als hätten wir ein Mangel an Problemen: Iran-Visum, Pakistan-Visum, Carnet de Passages. Aber immerhin hob jemand mit am anderen Ende der Leitung das Telephon ab. Ich fragte nach, ob das Schreiben der deutschen Botschaft in Islamabad eingetroffen sei. Ich wurde verbunden. Als der nächste abhob, stellte ich die Frage wieder. Die Stimme erklärte mir, daß das Schreiben zwar eingetroffen sei, aber leider nicht ausreiche, um uns ein Visum auszustellen. Diese Regelung wurde vor einigen Monaten aufgehoben, und es würden nur noch Visa vergeben im Heimatland des Antragsstellers, im Land des ständigen Aufenthaltes des Antragsstellers. Im Iran nur, wenn der Antragssteller im Iran wohnhaft ist oder selbst Iraner. Ausnahmen gingen nur über das Innenministerium. "Scheißdreck, verdammter Scheißdreck! Drecksbürokraten! Tun gerade so als wäre ich in London ein anderer Mensch als hier. Sollen sie doch einfach mehr Kohle verlangen, dafür, daß sie nicht zuständig sind, aber mir nicht mit so einem Schwachsinn daherkommen." Wir gingen ins Internet-Café und schickten ein Bericht des Gespräches nach Islamabad. Danach war Stadtbesichtigung angesagt.
Das Wichtigste in Esfahan ist der Imam-Platz. Zu dem gingen wir. Auf dem Weg dorthin sah Almut eine Melli-Bank, die extrem leer aussah. Planänderung. Wir stürmten die Bank. Ich ging zum Schalter und zeigte den vom Polizisten ausgestellten Zettel her. War anscheinend kein Problem, eine Einzahlung vorzunehmen. Er bat um meinen Paß, ging weg, kam wieder und brachte mir eine Quittung über 400.000 Rial. Ich dachte, es hätte 400.000 pro Person geheißen. Er erkundigte sich darrüber und bestätigte dann, es handele sich um insgesamt 1.200.000 Rial, also jetzt nochmal 800.000. Ein Bankmitarbeiter die Tür von innen, nahm Almut Arnie ab und verschwand damit irgendwo hinter den Bankschaltern. Derweil kam der andere, der die zweite Einzahlung vorgenommen hatte und nun mit einer zweiten Quittung ankam. Wir hatten Glück gehabt. Normalerweise ist das mit den Banken im Iran eine nervige Sache. Zum Ausrasten, möchte ich fast sagen. Wir mußten nur noch warten, bis der Bankangestellte mit dem Schlüssel zurückkam, um die Tür aufzusperren. Der brachte bei der Gelegenheit auch gleich das Kind wieder mit und gab es Almut zurück. Nun konnten wir weiter zum Imam-Platz.
Erst besichtigten wir die Moschee. Ein Teppichhändler sprach uns an, als wir hineingingen und lud uns zum Tee ein. Ich sagte ihm, wir würden danach vorbeikommen. Erst wollten wir die Moschee ansehen. Auch hier mußte Almut sich ein Bettlaken umhängen, ohne das ihr der Zutritt verweigert würde. Während Almut die Moschee besichtigte, stellte ich Arnie auf einem der ausliegenden Teppiche ab, legte mich hin und schlief. Das macht man hier wohl so, denn ich war nicht der einzige.
Danach gingen wir hinaus und wie abgesprochen zum Teppichhändler. Er brachte uns Tee. Ein anderer, der auch zu dem Laden gehörte konnte ein wenig Deutsch und spielte mit Arnie, während Almut sich mit dem unterhielt, der uns draußen angesprochen hatte. Sie wechselten von Englisch auf Arabisch. Der Typ war Iraker. Sein Vater war Iraker, seine Mutter Perserin, aber er hatte keinen persischen Paß, weil er ja irakisches Blut hat. Es war sehr nett - einen Teppich kauften wir nicht und es war auch niemand beleidigt deswegen. Normalerweise erwartet man als Tourist ja, daß man uns hinauswirft oder zumindest links liegen läßt, wenn sie sehen, daß mit uns kein Geschäft zu machen ist. Man ist ja nicht in der Türkei oder in Tunesien, sondern im Iran. Natürlich hätten sie das gut gefunden, aber wenn wir keinen möchten, dann möchten wir eben keinen. Auch den Tee mußten wir nicht bezahlen.
Der Platz ist riesig, und in dem Gemäuer ist ein riesiger Bazar, der sich in unendlichen Labyrinthen verliert. Wir kamen ganz woanders hinaus, und als wir wieder im Freien waren, steuerte ich auf das Café zu, in dem ich vor vier Jahren mit Michel saß. Von dort aus kann man schön den Sonnenuntergang beobachten, einen Tee trinken und Hubbledibubble rauchen. "Hier irgendwo war der Eingang", erklärte ich, aber scheinbar stimmte das Gerücht doch, daß das Café geschlossen wurde. Dann hörte ich hinter mir eine männliche Stimme, die sagte: "Tea-house is closed." Ich drehte mich um, suchte den Besitzer der Stimme und fand ihn bestätigend nickend. Mir fiel nicht anderes dazu ein, also antwortete ich einfach mit "Fuck!" Er erklärte, daß die Unesco den Laden geschlossen hätte, die Gerüchte besagen, es seien die Mullahs gewesen. Mich interessierte nicht, welcher Arsch das schöne Café geschlossen hatte, ich wollte nur, daß er stirbt. Der Stimmenbesitzer stellte sich vor. Er sei Restaurateur und würde alte Wandgemälde oder sowas wieder mit frischen Farben restaurieren. Er führte uns im Bazar herum, zeigte uns ein Restaurant, in dem wir alternativ etwas essen und trinken konnten. Aber das war im Gewölbe des Bazars und man hatte keinen Blick auf die Moschee.
Almut vernichtete acht Falafeln - der Kleine hat seinen Appetit von mir geerbt. Normalerweise ißt sie eine Scheibe trockenes Brot pro Woche, aber in letzter Zeit wird sie richtig ärgerlich, wenn sie zwei Minuten ohne Essen auskommen muß. Die islamische Weltanschauung wird mir langsam doch sympathisch. Zumindest der Teil mit der Polygamie - aber so säkularisiert ist die westliche Welt dann auch wieder nicht. Die versuchen immer noch gleichzuschalten, was Mutter Natur nun mal aus gutem Grund unterschiedlich gestaltet hat. Doch auch dies wird sich, wie so vieles, als Geistesverwirrung erweisen und auf der Müllhalde der Geschichte landen - hoffentlich nicht auf dem Wertstoffhof, denn zu verwerten gibt es da gar nichts. "Die Monogamie ist dem Weibe natürlich, dem Manne aber künstlich auferlegt." - Arthur Schopenhauer.
Von dort aus half uns der Restaurateur wieder durch die Wirrgärten des Basars hinaus ins Freie und in einen kleinen Hof in der Nähe des Haupteingangs. Er stellte uns seinen Vater vor und zeigte uns eine Kopie von Seite 177 des Iran-Reiseführers aus der Reihe Reise-Know-How. Der, den wir aus unerklärlichen Gründen nicht dabeihatten. Aber Heike und Didi hatten den. Er bestand ausdrücklich darauf, daß wir nichts kaufen sollten. Falls es sich dabei um eine Verkaufstaktik handelt, muß ich feststellen, daß sie angenehmer und wirksamer ist, als die der Araber. Nicht nur, weil sie nicht so klebrig und hinterhältig ist, sondern auch deshalb, weil sie funktioniert. Sowohl hier als auch im anderen Teppichladen kauften wir etwas. Er erzählte uns, daß der Autor des Reiseführers sich für nächste Woche angemeldet hätte.
Nun war das Geld aus und wir gingen zur Bushaltestelle. Eigentlich wollten wir noch Abolfazl treffen, aber wenn das Kind plärrt, dann muß Mamma springen. Ich zähle mich nicht zu diesem Verein und zog daher mein Pogrom durch. Almut fuhr mit dem Bus zum Camping, ich ging zum Hotel Kohsar. Genau in diesem Hotel hatten wir uns vor vier Jahren auch verabredet. Er kam, wie vereinbart um 19:30 Uhr an. Irgendwo ein Bier trinken gehen geht wohl kaum, also berieten wir, was wir machen. Er fragte, ob ich alleine sei. "Nein, aber Frau und Kind sind schon auf den Camping gefahren, weil das dumme Kind angeblich müde ist", erklärte ich. "Du hast ein Kind?" Dann fragte er, wo denn der Camping sei. "Keine Ahnung. Irgendwo im Süden am Highway. Ich hatte eine Visitenkarte, aber die hab ich der Frau mitgegeben, damit sie heimfindet. Nun begann die Odysee. Er fragte im Hotel nach, der gab ihm eine Adresse, zu der gingen wir. Mir kam es komisch vor, daß wir laufen wollten, und ich fragte nach, ob wir nicht lieber ein Taxi nehmen sollten. "Ja, können wir auch. Such Dir eines aus. Die stehen ja alle so schön und fahren nicht weg. Da erst fiel mir auf, daß der Verkehr stand. "Rush-hour in Esfahan", erklärte er, "25.000 Autos kommen jeden Monat hinzu." Wir mußten erst aus dem Zentrum hinauslaufen, um ein Taxi zu finden, das schneller fahren als Schrittgeschwindigkeit. Schließlich fanden wir eines. Der Taxifahrer fand allerdings den Camping nicht. Ich versuchte Telephonverbindung herzustellen, aber es klappte nicht. Auch das erinnert stark an Brasilien. Überhaupt ist mir so, als ob alles, was im Iran scheisse ist, mir irgendwie aus Brasilien bekannt vorkommt. Der eine oder andere Gol (Polo-Verschnitt made in Brazil) schien das zu bestätigen. Schönes Vorbild haben sie sich da gesucht. Wir fuhren etwa eine Stunde spazieren, bis ich die Ebara-Werbung wiedererkannte und losschrie, daß wir es geschafft hätten.
Almut war nicht viel früher angekommen. Abolfazl blieb kurz, lud uns für morgen abend zum Essen ein, nahm das Handy von Heike und Didi an sich, das nicht funktionierte, um das Problem morgen zu beheben, und ich fuhr ihn dann heim. Er bestand darauf, mit dem Taxi zu fahren, da er mir nicht eine erneute Odysse zumuten wollte. "Keine Bange, jetzt habe ich ja den Teil meines Hirnes wieder, der für die Orientierung zuständig ist", sagte ich und hielt ihm das Garmin unter die Nase. "Ah. Ein Mobiltelephon..." "Nein. Ein Navigationssystem!", sagte ich, schloß es an und warf den Diesel an. Ein Navi hatte ich im Iran bisher noch nicht gesehen.
Ich wollte wissen, woher sein komplizierter Name herkäme. Er erklärte es mir. Soll irgend so ein Islami gewesen sein, dem sie die Arme abgehackt und die Augen ausgestochen haben. "Du hast vielleicht", erklärte er, "auf dem einen oder anderen Bus oder LKW einen Aufkleber gesehen 'Ya Abolfazl'? Das heißt, er ist von Abolfazl versichert, mit anderen Worten, er hat keine Versicherung." Vielleicht sollte ich mir auch so einen Aufkleber an die Heckscheibe pappen.
So kompliziert war der Weg zurück auch nicht. Aber ohne Navi müßte ich wohl zwölf Stunden danahc suchen. Der Michl wüßte genau, wie man fahren muß. Er hat zwar keine Ahnung, wie man eine Zeitung umblättert ohne die Nachbarschaft aufzuwecken, aber wie wir zu fahren hätten, das wüßte er genau. Das Problem mit den Iran-Karten ist halt, daß die Einbahnstraßen nicht gekennzeichnet sind. Es schickt einen munter gegen die Fahrtrichtung in Straßen hinein, und erst wenn der Gegenverkehr wild gestikulierend und lichthupend entgegenkommt, weiß man dann, daß man entweder am besten umdreht oder abbiegt - nur dumm, wenn die Straße in die man einbiegt auch wieder eine Einbahnstraße ist. In Esfahan ist die Verkehrsführung allerdings nicht gar so idiotisch wie in Teheran, daher hielten sich solche Aktionen in Grenzen. Was mehr nervte war, daß nichts voranging. Sowas gäbe es bei den Arabern nicht. Im letzten Kreisverkehr hörte ich dann einen dumpfen Knall. "Euch hamm's so ins Hirn g'schissen!" - ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen. Wie schaffen die sowas? Es bewegt sich nichts. Der Verkehr steht praktisch, gerade im Kreisel, aber es knallt so, als wäre er mit 30 ungebremst in den Vordermann gerauscht. Der Schaden konnte sich sehen lassen, von dem KIA fehlte fast der gesamte Kofferraum. Stempel drauf "Fahrtraining Bundespolizei" - für alles andere zu blöd. Ich fuhr weiter, raus aus diesem Trichter voller Irrläufer.