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Sie wollten sich das Auto ansehen. Fahrgestellnummer, Motornummer. "Motornummer hammwa nich", sagte ich und zeigte auf die betreffende Zeile im englischen Fahrzeugschein, vo unter Engine Number satand "Not stated". Ist in Europa nicht wichtig. Aber da er darauf bestand, las ich ihm irgendeine Nummer vor, die ich am Motor fand, und die vermutlich nur eine Teilenummer ist. Wen interessiert das? Die haben nun ihre Nummer und ich hoffentlich bald die Erlaubnis zur Weiterfahrt. Er durchsuchte den Kofferraum, schrieb sich das eine oder andere auf: Schrauber, Kompressor, Medikamente, usw. Dann durchsuchte er den Innenraum. Ich hatte in der Mittelkonsole schon seit Monaten eine leere Munitionsschachtel liegen. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, aber nun hatte er sie gefunden. "Problem", sagte er. Ich Arsch! An die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Dabei waren sie eigentlich mit der Durchsuchung gerade fertiggewesen, aber nun mußten sie diese Schachtel finden. "Luger 9 mm" stand drauf. "Do you have a gun?", wollte er wissen. "Nein, natürlich nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich bin auf dem Weg nach Pakistan, da schlepp ich doch keine Wumme mit. Das wäre gerade so, als würde man eine Eule nach Athen schmuggeln wollen. Aber nun wurde das Auto erneut durchsucht. Diesmal gründlicher. Er fand die zwei Flaschen "König Ludwig Dunkel", nahm sie und pfefferte sie wortlos gegen den Randstein. "He!", protestierte ich. "Ist das ein Problem?", fragte ich, als ob ich es nicht wüßte. "Im Iran schon." Na, kein Wunder, daß Euch keiner mag. Weiter ging die Durchsuchung. Sie fanden natürlich nichts, weil ja nichts da war. "Do you have a gun?", fragte sie schon wieder. "Yes!", sagte ich, "a screw gun", und packte den Akkuschrauber aus. "Haben Sie noch mehr Alkohol im Auto?" "Nein, ich hatte nur zwei Bier." Die Munitionsschachtel nahmen sie mit. Ich wollte sie wieder haben, aber die war wohl beschlagnahmt. Ich nahm den Rechner wieder und setzte mich wieder vor den Imbiß. Deppenhaufen! Und ich Tretmine war nicht auf die Idee gekommen, auf die zwei Bierflaschen Spezi- oder Karamalz-Etiketten zu machen.
Kurze Zeit später kam ein Uniformierter und bald darauf ein Ununiformierter, der Englisch sprach. Ich sollte das Auto wieder vor die Halle fahren. Erneut wurde es durchsucht. Erneut wurde ich mehrfach gefragt, ob ich eine Pistole dabeihätte. "Nein! Und wenn, dann wäre ich nicht so bescheuert und würde eine leere Munitionsschachtel offen im Auto liegenlassen." Ich durfte alles ausräumen. Bis zuletzt hoffte ich, daß sie die Sachen im Kofferraum lassen und sie dort durchsuchen würden, aber ich mußte alles hinter das Auto legen. Dann mußte ich den Radkasten leermachen. Dabei fand er die Flasche Pernod. Er durchsuchte den Kofferraum weiter. Die andere Flasche fand er nicht. Aber der Ununiformierte fragte, ob ich noch mehr Flaschen dabeihätte. "Ja, da ist noch eine irgendwo, ich glaub unter dem Fahrersitz, aber ich weiß es nicht genau." Er nickte. "Wissen Sie, daß Alkohol im Iran verboten ist?", fragte er. "Ja, ich weiß, daß man im Iran keinen Alkohol kriegt, deshalb habe ich ihn ja von draußen mitgebracht." Er erklärte mir, daß man nicht nur keinen kriegt, sondern daß es verboten sei, im Iran Alkohol zu besitzen. "Ja, aber ich bin kein Moslem, sondern Tourist auf der Durchreise, und das sollte eigentlich kein Problem sein", sagte ich. "Nein, eigentlich nicht, da haben Sie Recht", sagte er und ich war etwas überrascht. Eigentlich hatte ich mich auf eine Grundsatzdiskussion eingestellt und im Geist schon mal die schwere Artillerie in Stellung bringen lassen. Aber er sagte nur, ich solle die Flasche nehmen und sie in die Tasche zurücktun. Ich tat das und ließ sie verschwinden, während der Uniformierte weiterhin das Auto durchsuchte. Dann waren sie fertig. Der Polizist fragte nach der Flasche, und bald entwickelte sich zwischen den beiden eine Diskussion. Dann sagte der Ununiformierte, ich solle die Flasche wieder herausnehmen und sie dem Zöllner geben. "Aber nicht wieder zerdeppern. Wenn ich in den Iran fahre, könnt Ihr sie behalten, aber wenn ich wieder nach Armenien zurückfahre, dann nehme ich sie wieder mit." Die Durchsuchung war beendet und er sagte, ich könne nun alles wieder einräumen. "Och, nö, ich lasse lieber gleich mal alles draußen, dann brauche ich es nicht wieder ausräumen, wenn der nächste kommt und alles durchsucht", sagte ich. "Es kommt keiner mehr. Räumen sie alles wieder ein, und danach kommen sie in das Security-Büro. Wir haben einige Fragen an sie." Wird schon nicht schlimmer werden, als auf einer Bayerischen Polizeistation. Und auf keinen Fall dümmer. Ich ließ mir beim Einräumen Zeit. Nicht nur, um nicht ins Schwitzen zu kommen in der prallen Sonne, sondern um mir eine schlüssige Argumentationsstrategie zu überlegen. Er kam noch einmal hinaus und fragte, ob er mir helfen soll. "Nein, geht schon. Ich muß hier Tetris spielen, denn wenn ich alles nur hineinwerfe geht der Kofferraum nicht zu", sagte ich. Falls ich doch Hilfe bräuchte, soll ich ihm bescheid sagen. Dann ging er wieder. Ich räumte das Auto fertig ein, parkte es wieder hinter dem Gebäude und sagte Almut bescheid. "Ich geh jetzt zum Verhör. Wahrscheinlich werden sie uns zurück nach Armenien schicken. Kann sich nur um Stunden handeln." Almut sagte, ich solle sagen, daß sie die Flaschen ohne mein Wissen im Auto versteckt hätte. "Zu spät", sagte ich, "hab ihnen schon alles gesagt." Dann ging ich hinein.
Im Büro saßen drei Leute. Der Ununiformierte von vorhin, ein Sachbearbeiter und ein Typ im Anzug. Der war eindeutig von der Staatsicherheit - ich weiß nicht, wie die hier heißt. Er war auch der Wortführer. Er hieß mich willkommen und bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Sein Englisch war nicht ganz so gut, wie das des Ununiformierten. Der verstand mich besser und ich ihn, aber er gab mir immer wieder zu verstehen, daß der Anzug der Boss sei. Dieser zeigte dann auf die Munitionsschachtel, die auf dem Tisch lag. "Do you have a gun?", kam wieder die Frage. Ich wiederholte zunächst, was ich bereits mehrfach gesagt hatte. "Nein. Habe ich nicht. Wir in Nicht-Islamischen Ländern haben das Problem, daß sehr viel in Autos eingebrochen wird. Das ist immer ein Ärger: kaputte Scheibe, Radio weg. Das kennt Ihr hier vielleicht nicht. Aber ich habe die Munitionsschachtel im Auto liegen, damit ein potentieller Einbrecher die sieht und Angst kriegt." Die beiden lachten, der Sachbearbeiter blieb ernst. Er konnte kein Wort Englisch. "Also, bitte, das ist ja lächerlich. Die Schachtel ist leer", sagte ich. "Das haben wir festgestellt. Aber danke, daß Du es uns nochmal sagst. Sind in Deutschland Waffen frei erhältlich?", wollte er wissen. "Um Gottes Willen! Natürlich nicht. Jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin freue ich mich, daß Luft noch frei zugänglich ist und man keinen Antrag zum Atmen stellen muß. Man muß dort zu einer Behörde gehen und einen Waffenschein beantragen, aber ich würde sowieso keinen kriegen", erklärte ich. Da wollte er wissen warum. "Weil ich ein böser Nazi bin, und Nazis kriegen in Deutschland keine Waffe." Alles war ich sagte, übersetzte er und der Sachbearbeiter schrieb alles auf. "Aber Du bist doch beim Militär, oder? Oder was ist das für eine Uniform?", fragte er weiter. "Das hier? Das ist US-Marine. Die gibt's überall zu kaufen. Die trage ich nur, weil sie sehr praktisch ist. Wir haben in Deutschland kein Militär mehr, seit wir den Krieg verloren haben. Was wir noch haben ist eine zivile Einrichtung, die den jungen Leuten das Saufen beibringt. Aber selbst da wollten sie mich nicht haben - aus demselben Grund, aus dem ich keine Waffe bekomme." Alle hatten Pause, nur der Sachbearbeiter nicht.
"Warst Du früher schon einmal im Iran?", fragte er dann weiter. "Ja. 2006", antwortete ich. "Was hast Du hier gemacht?" - war ja klar, daß auf die erste Frage diese Frage folgen mußte. Das ist international. "Meine Frau hat damals einen Sprachkurs in Teheran gemacht und ich habe sie dort hingefahren. Und während sie ihren Sprachkurs absolvierte, bin ich ein wenig im Land herumgefahren." Wo ich denn überall gewesen sei. "Tabris, Teheran, Kermanshah, dann Esfahan, Shiraz / Persepolis, Bam, Zahedan, Mashad und zurück nach Teheran." Was ich über den Iran denke. "Iran gut, Esfahan super." "Und politisch?" "Nun, ich glaube grundsätzlich mal nicht, was die Propaganda bei uns über irgendwelche Länder erzählt. Meist stellt sich heraus, daß die Sache ganz anders liegt, als Presse und Fernsehen behaupten. Das war nicht nur im Iran so, sondern auch in vielen anderen Ländern, durch die ich gereist bin." Dann erwähnte der Ununiformierte, daß die bei der Durchsuchung ein Buch gefunden hatten, das ich geschrieben habe. Man sagte mir, ich solle es holen. Ich ging zum Auto, holte es und ging wieder zurück. Der Anzugträger las den Einband, sah, daß da mein Name stand, verglich ihn mit dem Paß, dann fragte er, "What is the field of you desert?" Ich verstand die Frage nun nicht und fragte nach: "Desert?" Ich sah den Ununiformierten an. Er sagte was auf Persisch, dann korrigierte er das Wort. Er hatte "Research" gemeint. "Ach so. Ich habe kein Forschungsgebiet in dem Sinne, ich schreibe einfach nur, was so auf Reisen passiert." "Steht hier auch etwas über den Iran?", wollte er wissen. "Nein, hier nicht. Das geht nur bis 2000, im Iran war ich ja erst 2006. Aber online kann man den Bericht lesen. Ich zeigte auf die Web-Adresse auf dem Buchrücken. Er schrieb sie auf und gab sie dem Sachbearbeiter zusammen mit einer mündlichen Erklärung.
"Wissen Sie, daß im Iran Alkohol verboten ist?", fragte er dann. "Ja, das weiß ich schon. Ich dachte, gerade deshalb muß ich den Alkohol ja von Deutschland mitbringen, weil man ihn hier ja nicht kaufen kann." Aber auch er erklärte, daß allein der Besitz strafbar sei. "Ja, aber ich bin kein Moslem, und solange ich den Alkohol nicht verkaufe, oder verschenke, oder selber trinke, dürfte das nichts machen. Ich bin kein Moslem, und trinke sowieso nichts. Das war als Geschenk für unseren Gastgeber in Pakistan gedacht.", erklärte ich. "Darf man in Pakistan Alkohol haben?", fragte er. Ich antwortete: "Ich denke, in Pakistan verhält es sich ebenso wie hier. Der Gastgeber ist Deutscher und darf Alkohol trinken, solange er sich nicht betrunken hinter das Steuer setzt. Der Chinese in China darf auch nur ein Kind haben, aber wenn ich als Tourist mit zwei Kindern nach China einreise, nehmen sie mir auch nicht eines davon weg, oder? Man muß ja irgendwie schon auch ein bißchen die Kirche im Dorf lassen. "Und ich bleibe dabei: Ich bin Tourist auf Durchreise, da kann ich beim besten willen nichts Verwerfliches daran erkennen, wenn ich ein paar Flaschen Alkohol versteckt, so daß niemand beleidigt ist, von Deutschland nach Karchi fahre." Es kam kein Widerspruch, sondern nur ein bejahendes Kopfnicken, das ich mit meinem sonnigen Gemüt als Zustimmung deutete. "Haben sie noch mehr Alkohol dabei?", fragte er. Ich hatte zwei Bier und zwei Liköre. "Die Biere hat mir der andere zerdeppert und ein Likör ist auch weg." dann redeten sie auf Persisch miteinander. Ich verstand gar nichts. Dann gab er mir die Hand und sagte. "Ok. Finish." Wie? Das war's schon? Nicht einmal eine Stunde? Der Ununiformierte begleitete mich nach draußen - die Munitionsschachtel blieb beschlagnahmt, der Pernod auch. Den werden sie heute Abend zur Feier des Ramadan selber köpfen, nehme ich stark an. Nun wollte ich wissen, wie es weitergeht, und vor allem wohin, nach Armenien zurück oder in Richtung Teheran. Aber bevor ich die Frage stellen konnte, kam der Agent an mit den Papieren. Die beiden redeten miteinander und ich verstand nur "Tamam, tamam". "Aha", sagte ich schlau, "Tamam, das heißt ist ok." "Nein", berichtigte er mich, "tamam heißt in dem Fall 'finish'." Er sagte zu mir, ich solle an das Tor am Südende fahren, "wo das silberne Auto steht. Have a good time in Iran. Welcome." Die lassen mich doch nicht ohne Strafe zu zahlen ins Land. Das glaube ich erst, wenn ich hinter der Schranke bin. Ich ging zurück zum Auto, hieß Almut aufsitzen und wir fuhren zum Tor. Dort wartete der Agent mit den Papieren. "Money", sagte er. "Money good. How much?" "200 Euro!" Das war ungefähr der Preis, den wir schon 2006 zahlen mußten. Ich gab ihm vier 50er, er gab mir die Papiere und sagte: "Custom Mirjave!" - Mirjave ist unser nächster Grenzübergang. Er bedankte sich und wir konnten fahren. Vorher stellte ich noch die Zeitzone auf dem Rechner um auf UTC +4:30. Idiotischerweise sprang die Uhr dann eine halbe Stunde zurück, statt vor. Aber sie stimmte mit der Uhr in der Halle um. Eine Zeitzone, bei der man eine halbe Stunde vorstellen muß, statt einer ganzen, ist an sich schon bescheuert, wenn dann aber die Uhr dabei noch eine halbe Stunde zurückspringt, dann stellt man besser keine Fragen.
13:20 Uhr, 325.974 km: Wir waren eingereist und fuhren los. Wir hatten noch eine Flasche übrig, aber noch eine Grenze vor uns. Bisher hielten die Armenier den Pokal für die bescheuertste Ausreise. Aber man muß ihnen zugutehalten, daß sie erst seit kurzem ein eigener Staat sind, und daß sie vielleicht nicht wissen, wie man es richtig macht - daß man zum Beispiel Autos bei der Einreise durchsucht und nicht bei der Ausreise. Aber wenn schon die Griechen, die seit über zwei Jahrtausenden eine Nation sind, solche einfachen Sachen nicht verstehen, kann man es den Armeniern auch umso leichter verzeihen. Aber nun waren wir erst mal im Iran, dem Nachfolger des Perserreiches. Endlich gab es wieder anständige Straßen. Der Benz rollte fröhlich zum nächsten Kaff. Dort wollten wir erst mal tanken, da die Leuchte schon an war.
Die Straßen waren kaum befahren, es war alles tot. Hat sicherlich etwas mit diesem Ramadan zu tun. Wir fanden dennoch eine Tankstelle. Man fragte uns nach der Karte. Ich zückte die VISA. Nein, die meinte er nicht. Natürlich wollte er die Tankkarte. Der Iraner, den wir in dem Hotel Am Sevan-See getroffen hatten, hatte diese Karte erwähnt. Mit der kostet der Treibstoff 160 MickyMaus, ohne 400. Wir hatten keine. Aber der LKW-Fahrer, der an der anderen Seite der Säule seine Tanks vollaufen ließ verkaufte uns sozusagen etwa 60 Liter. Diesmal kostete das etwa vier Euro. Vor vier Jahren wären wir noch unter einem Euro weggekommen. Das ist eine Preissteigerung um 300%. Aber immer noch billiger als in jedem anderen Land. Wir fanden auch noch einen offenen Laden, lauften dort, Brot, Wasser und Cola, und fuhren dann weiter. Wir passierten ein paarmal eine Grenze zu irgendeinem Istan. Außer einigen Wassertürmen - so hatten wir diese Beobachtungsposten mittlerweile getauft - war von einer Grenze allerdings nichts zu merken. Mobiltelephone überprüft: Alle funktionierten, auch wenn auf dem amerikanischen die seltsame Meldung einging "Welcome to Azerbaijan". Da war ich in meinem Leben noch nie. Vielleicht liegt es an der Grenznähe.
Die Perser haben in den letzten vier Jahren was das Autofahren angeht nichts dazugelernt. Die saufen nichts, weil der Prophet nichts gesoffen hat, heute essen sie auch nichts, weil der Prophet nichts gegessen hat. Steht irgendwo im Koran, daß der Prophet autogefahren ist? Da wo es sinnvoll wäre, ihn nachzuäffen, da tun sie es natürlich nicht. Die Autos, die einem auf der Autobahn auf der eigenen Spur entgegenkommen meine ich dabei gar nicht mal. Das hat ja einen Grund: Der Typ will an einen bestimmten Punkt und die Ausfahrt ist zu weit weg, oder er hat sie verpaßt. Da findet man eine Erklärung. Was ich meine, ist dieses irrationale und durch nichts zu begründende Verhalten, mit dem man hier überall unfreiwillig konfrontiert wird. Es kam mehr als einmal, daß ich auf das eine oder andere Auto zeigte und Almut fragte, was hinter diesem Manöver oder hinter dieser Fahrweise für eine Sinnhaftigkeit stecken soll. Vielleicht ist es ja etwas religiöses und ich bin nur zu doof, um es zu kapieren, warum der Typ Schlangenlinien fährt, obwohl weit und breit keine Schlaglöcher zu sehen sind, noch davon auszugehen ist, daß er Alkohol konsumiert hat. Oder warum der andere Idiot dort vorne eine Vollbremsung vollzieht, obwohl zwischen der linken Leitplanke und dem Auto, das er gerade überholt, etwa 20 Meter liegen und nichts und niemand weit und breit zu sehen ist. Oder warum die drei Spezialisten etwa 150 Meter vor uns alle drei auf der Überholspur eine Brems- und Hup-Orgie veranstalten, obwohl die beiden rechten Spuren total frei sind. Ich versuchte, mich aus solchen Manövern herauszuhalten. Und das, obwohl ich normalerweise für jeden Schwachsinn zu haben bin, aber das hier war selbst mir zu dämlich.
Um einen halbwegs akkuraten Eindruck dieser Fahrweise zu bekommen, hilft es, wenn man sich vorstellt, daß alle Scheiben aller Autos undurchsichtig sind, und die Frontscheibe nur einen Sehschlitz hat, durch den man gerade 15 Meter weit sehen kann. So fahren die Leute hier. Und als wir in Tabriz ankamen, legten die Perser erst richtig los. Was wir hier erlebten war die Ramadanisierung der Fahrunfähigkeit. "Warum? Warum klappt es bei den Arabern, daß trotzdem alles irgendwie vorwärtsgeht und alles berechenbar bleibt, und warum sind die Perser dazu zu bescheuert? Die sind doch sonst so gescheit." Und an jeder Kreuzung ist immer mindestens einer da, der von ganz links nach ganz rechts muß. Immer. Die schauen nicht weiter voraus als fünf Meter und denken nicht weiter voraus als fünf Sekunden. Erst wenn man praktisch schon auf der Kreuzung steht, dann wird da hingelenkt wo man hinmuß, der nächste bleibt stehen und hupt, und schon ist die ganze Kreuzung verstopft - nicht weil einer zu blöd ist, sondern weil alle zu blöd sind. Das ganze wandelt sich dann zu einer atmosphärischen Verdichtung und man kann die Dummheit spüren, ja schon fast anfassen.
Das ist wahrscheinlich dasselbe Phänomen, wie man es in Deutschland in etwas abgeschwächter Form beobachten kann, etwa dann, wenn schon viele Kilometer vor einer angekündigten Fahrbahnverengung die eine Spur ganz frei ist, auf der anderen dafür Stau. Hier wäre in einem solchen Fall auf beiden Spuren und auf dem Standstreifen Stau und in der Engstelle wären fünf Autos verkeilt. Vielleicht sind Indo-Germanen einfach nur zu blöd, sich in Massen vorwärts zu bewegen. War da nicht erst neulich was bei der Love-Parade - in einem Land, das vom Organisieren lebt, von Vorschriften zusammegehalten wird und wo im Namen der Sicherheit jeder noch so harmlose Spaß verboten wird? Mir dämmerte es hier nun langsam auch, wer für die Tausenden von Toten in Mekka verantwortlich sein muß, die jährlich so anfallen: Nicht die Araber, sondern die Perser.
Hinzu kam, daß das GPS mich ständig auf eine Straße lotsen wollte, die überhaupt nicht da war. Mir kam es so vor als würden sich zwei Karten überlappen: Die, die sowieso mit dem Gerät geliefert wird, und die nur grob die Hauptstraßen eingezeichnet hat, und die detaillierte Irankarte, die ich neulich gekauft hatte. Die Straßen waren schon alle drin, aber das Gerät benutzte sie nicht, um darauf zu navigieren, sondern es zeigte sie nur an. Seltsam...
Endlich hatten wir dieses beschissene Tabriz geschafft. Das hatte ich noch vom letzten Mal in Erinnerung, und zwar hatten wir uns damals hier schon ewig verfahren. Heute hat es noch eins draufgesetzt: Nicht nur ist die Beschilderung immer noch beschissen, nicht nur sind die Perser zu blöd, um autozufahren, nein, dann ist auch noch letzter Ramadantag. Als wir endlich auf der Autobahn waren hätte ich beinahe drei Halbmonde gemacht. Auf der erstklassigen und hervorragend beschilderten Autobahn ging es dann weiter in Richtung Teheran. Das waren noch fast 500 km. Die Schilder auf der Autobahn waren blau mit weißer Schrift und zweisprachig, also Persisch und Englisch, in arabischen bzw. lateinischen Lettern. Auch Hinweisschilder wie "Reduce Speed" waren zweisprachig. Hier gab es Maut. Umgerechnet etwa einen Euro, vielleicht ein bißchen mehr. Aber dafür seit Dover die beste Autobahn. Das einzige was fehlte waren Raststätten. Erst bei Qazven fanden wir eine. Sehr neu, sehr sauber, sehr westlich und sehr teuer. Ich bestellte dennoch eine Gockelsemmel. Die war so riesig, daß ich sie auf dem Parkplatz essen mußte. Für Almut bestellte ich einen Krautsalat. Der wiederum war so winzig, daß nicht mal Almut davon satt wurde - und die kommt normalerweise mit einer Spatzenportion die ganze Woche klar. Also, daran müssen sie wegen mir nichts ändern. Burger gehören groß und Salate klein. Ist schon richtig so. Wer Salat frißt, der ist sowieso kein Feinschmecker und viel Essen steht bei den Leuten wohl auch nicht auf dem Programm - sonst würden sie was Anständiges Essen.
An einer Tankstelle, an der wir hielten war ein besonders witziger Tankwart, der mich mit "Hi, Mister, how are you, whats your name, what time is it?" begrüßte. Das englische Kennzeichen hilft gar nichts. Man hält uns immer noch für Deutsche, bestenfalls für Belgier. Aber nie für Engländer. Liegt vielleicht daran, daß Engländer sich in solche Gegenden nur mit Militärfahrzeugen verirren, aber nicht mit normalen PKW. Das Tanken war dann ebenso verwirrt wie die Begrüßung: Sie diskutierten miteinander, ein anderer nahm die Zapfpistole, füllte unseren Tank, dann zog ein anderer sie wieder ab, bevor der Tank voll war, und gab sie dem Begrüßer wieder zurück. Anschließend kam ein anderer und machte mir ein Zeichen für Zahlen. Ich hielt ihm alle Scheine, die ich hatte hin, wie man einem anderen Spielkarten eben so hinhält. Er nahm alle vier. "Ah, wills Du mich stirzen in tiefste Not und Ärmlichkeit?", protestierte ich. Er gab mir einen Schein zurück. Ich protestierte weiter, also gab er mir den zweiten. Dann mischte sich ein anderer ein, und der dritte schein wanderte zu mir zurück. Zum Schluß behielt er umgerechnet 2 US$ und wir fuhren mit fast vollem Tank weiter. Teuer scheint das hier geworden zu sein. Aber immer noch nicht so teuer, daß man sich darüber ärgern müßte.
Je näher man an Teheran kam, desto dichter wurde der Verkehr auf der Gegenfahrbahn. Irgendwann war es wie bei "Independence Day" Alles schien aus Teheran hinauszufahren, während wir die einzigen Deppen waren, die hineinwollten. Aber das GPS hatte das von uns gesuchte Hotel sogar eingespeichert und ich ließ mich hinlotsen. Dummerweise ist die Einbahnstraßenpolitik hier so idiotisch, wie man es eigentlich von der allgemeinen Landespolitik erwartet. Die Einbahnstraßen sind willkürlich und idiotisch eingezeichnet, man kann sich überlegen, ob man sich daran hält oder nicht - die anderen allerdings auch. Und ich war mir oft nicht sicher, ob der Idiot, der auf mich zurast, mich überhaupt gesehen hatte. Hinzu kam noch das Fastenbrechen, was oft ein paar Meter weiter mit Halsbrechen endet. Aber mir soll es recht sein, solange es nicht mein Hals ist, der dabei bricht. Irgendwann übernahm dann Almut die Navigation und wir fanden das Hotel. Es sah immer noch genauso aus wie beim letzten Mal. Das Auto wurde auf dem Parkplatz abgestellt. Das Tor konnte man mittlerweile elektrisch betätigen. In diesem Viertel sind hunderte von Autoersatzteilhändler angesiedelt. Hier sollten wir alles finden, was wir noch brauchen, von Filtern, bis hin zum Gas für die Klima. Keine schlechte Gegend, also.